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MKL1888:Seidenspinner

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Seidenspinner“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 827829
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Seidenspinner. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 827–829. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Seidenspinner (Version vom 06.12.2024)

[827] Seidenspinner (Bombyx mori L., hierzu Tafel „Seidenspinner“), Schmetterling aus der Familie der Spinner (Bombycidae), 32–38 mm breit, mehlweiß oder perlgrau, mit blaß gelbbraunen Querstreifen auf den Flügeln und schwärzlich gekämmten Fühlern, ist wahrscheinlich in China heimisch und wird behufs der Gewinnung von Seide in China, Japan, Indien und in Südeuropa gezüchtet. Das Ei des Seidenspinners (s. Tafel, Fig. 1) ist oval, flach gedrückt, 1–1,5 mm lang, schiefergrau, ins Bläuliche, Violette oder Grünliche spielend und überwintert. Die ausschlüpfende Raupe ist schwarzbraun, wird aber nach der ersten Häutung perlgrau, ins Bräunliche oder Gelbliche neigend. Einige Rassen sind schwärzlichgrau oder samtschwarz oder am ganzen Körper dunkel quer gestreift. Der elfte Körperring besitzt auf der Rückenseite einen Hautzapfen (Sporn), und vom Kopf bis zu diesem Zapfen verläuft ein bläulichgraues Band, dem Rückengefäß oder Herzen entsprechend. Auf der Rückenseite des dritten und achten Ringes finden sich zwei halbmondförmige Flecke, welche aber bei einigen Rassen fehlen. Die Spinndrüsen der

Fig. 1. Spinndrüsen der Raupe.

Raupe (Textfig. 1) bestehen aus einem vielfach gewundenen Schlauch, dessen hinterer Teil die Seidenmaterie absondert, welche durch dünne Ausführungsgänge zu der im Kopf gelegenen Spinnwarze und von da aus dem Körper geleitet wird. Die Raupe häutet sich viermal, und 30–35 Tage nach dem Ausschlüpfen ist sie spinnreif (s. Tafel). Indem sie die an der Luft sofort zu einem Faden erhärtende Spinnmaterie austreten läßt und dabei mit dem Kopfe Bewegungen ähnlich einem ∞ macht, legt sie um sich herum Fadenwindung an Fadenwindung, und in kurzer Zeit ist sie von einem dichten Seidengespinst (Kokon), bestehend aus einem einzigen langen Faden, eingeschlossen. Der Kokon (s. Tafel) ist länglich-oval, bei den einheimischen Rassen strohgelb, bei den japanischen Rassen grünlich, bei den Weißspinnern weiß. Durch

Fig. 2. Rücken­seite der Puppe. Fig. 3. Bauch­seite der Puppe.

Kreuzungen erhält man goldgelbe und andre Nüancen. Acht Tage nach dem Einspinnen verpuppt sich die Raupe (Fig. 2 u. 3), und nach weitern acht Tagen schlüpft der Schmetterling aus, indem er den Kokon durchbohrt. Sehr bald darauf beginnt die Paarung, welche 6–8 Stunden dauert, und nach derselben legt das Weibchen in wenigen Tagen ca. 400 Eier, worauf die Schmetterlinge sterben. Die gelben Eier werden bald dunkler und schließlich grau, unbefruchtete Eier bleiben gelb und trocknen aus. Bei den sogen. Zweispinnern kriechen die Räupchen noch in demselben Sommer aus u. machen eine zweite Generation durch. Man kann solches außerzeitige Ausschlüpfen künstlich

[Beilage]

[Ξ]

Zum Artikel SEIDENSPINNER‘.
1 Maulbeerspinner (Bombyx mori) nebst Raupe, Gespinsten u. Eiern. 2 Südamerikanischer Seidenspinner (Saturnia Cecropia). 3 Chinesischer Seidenspinner (Saturnia Pernyi). 4 Ailanthusspinner (Saturnia Cynthia).

[828] durch den elektrischen Funken, Reibung mit vegetabilischen Fasern, andauernde Abkühlung, momentane Erwärmung auf 40° R. oder durch kurze Einwirkung von Schwefel-, Salpeter- oder Salzsäure hervorrufen.

Seidenraupenzucht.

Bei der Seidenraupenzucht werden im Frühjahr wenige Tage vor dem Grünwerden der Maulbeerbäume die Eier (Grains, Samen) zur Ausbrütung ausgelegt. Kleinere Quantitäten trägt man wohl zu dem Zweck am Leib oder legt sie unter die Bettmatratze; größere werden in Zimmern ausgebreitet, in welchen man die Temperatur von 0°, täglich um 1/2–1°, auf 18–20° R. steigert. Man benutzt auch Brutöfen, wie den von Haberlandt-Bolle, welcher aus einem an der einen Seite offenen Kasten aus Zinkblech, der von einem hölzernen Kasten umgeben ist, besteht. Der Zwischenraum zwischen beiden Kasten dient zur Zirkulation eines warmen Luftstroms, der aus einer Petroleumlampe aufsteigt und durch ein Rohr entweicht. Durch ein Glasthürchen schiebt man die Rahmen mit den Eiern, Thermometer und Wassergefäß ein; die Lufterneuerung im Brütraum geschieht durch besondere Röhren. In 10–15 Tagen schlüpfen die Raupen aus und werden mittels junger Maulbeerblätter abgehoben und im Aufzuchtslokal auf Hürden gelegt. Dies Lokal und alle Geräte müssen vorher gut gereinigt und womöglich mit Chlor geräuchert werden. Zur Aufzucht der Raupen aus 25 g Samen (35–40,000 Eier) bedarf man 70 cbm Raum. In demselben werden eine Temperatur von 17° und beständiger Luftwechsel unterhalten. Jede zweite oder dritte Stunde, mit Ausnahme der Häutungsperioden, wird gefüttert. Das Laub nimmt man vom weißen Maulbeerbaum; es muß frisch und nicht von Regen oder Tau naß sein. Zweckmäßig reicht man bis zur vierten Häutung mit der Laubschneidemaschine zerschnittenes Laub. Man verbraucht auf 25 g Samen bis zum Einspinnen 780 kg und erhält von 1000 kg Laub 60 kg Kokons. Mit dem Wachsen der Raupen (die ausgewachsene übertrifft die ausgeschlüpfte an Volumen um das 2250fache, an Gewicht um das 6000fache) muß man sie auf immer größere Flächen ausbreiten; die Raupen aus 25 g Samen erfordern beim Ausschlüpfen 0,3, bei der ersten Häutung 1, bei der zweiten 3, bei der dritten 9, bei der vierten 20, bei der Spinnreife 70 qm. Nach der ersten Häutung muß man die Lager mit den Exkrementen und Blattresten täglich entfernen (Wechseln der Betten); man legt zu dem Zweck

Bis zur dritten Häutung. Bis zur vierten Häutung.
Fig. 4 u. 5. Schema des durchlöcherten Papiers zum Umbetten der Raupen; natürl. Größe.

Netze oder durchlöchertes Papier (Textfig. 4 u. 5) auf die Raupen und darüber frisches Laub. Sehr bald kriechen dann die Raupen hervor und können leicht auf neue Hürden übertragen werden. Das alte Lager wird aufgerollt und hinausgeschafft. Nach 30–35 Tagen hören die Raupen auf, zu fressen, und man stellt nun die Spinnhütten auf, welche aus losen, zwischen zwei Hürden aufgerichteten Bündeln von trocknem Stroh oder Reisig bestehen. Acht Tage, nachdem die letzte Raupe in die Spinnhütte übertragen wurde, kann man letztere zerlegen und die Kokons sammeln. Bevor man diese zu Markte bringt oder in eignen Öfen mit Dampf oder heißer Luft tötet, muß man sorgfältig die schwachen oder fleckigen und die sogen. Doppelkokons auslesen.

Die Seidenraupe ist mehreren Krankheiten unterworfen, welche oft ganze Aufzuchten zerstören. Alle kranken Raupen zeigen verminderte Freßlust und Verzögerung des Wachstums, welche Unregelmäßigkeit

Fig. 6. Fleckenkranke Raupe.

der Häutungen unter Raupen desselben Alters herbeiführt. Man unterscheidet fünf Krankheiten. Bei der Fleck- und Körperchenkrankheit (Pébrine, Gattine) erscheinen schwarze Fleckchen auf der Raupe (Fig. 6); die innern Organe sind mit sogen. Körperchen (Fig. 7), einem mikroskopischen Pilz, Nosema bombycis Näg., infiziert. In mildern Graden

Fig. 7. Körperchen. 600/1. Fig. 9. a Bakterien, b Mikro­kokkus der schlaffsüchtigen Raupe. 600/1.

der Krankheit kann die Raupe sich einspinnen und verpuppen, es schlüpft auch der Schmetterling aus; aber der Pilz befällt auch die Eierstöcke und die Eier, aus den kranke Raupen ausschlüpfen. Die Schlaffsucht (Flacherie) befällt die Raupen meist unmittelbar vor der Spinnreife (Fig. 8); sie werden schlaff, sterben bald ab, verbreiten nach wenigen Stunden einen widerwärtigen Geruch und werden schwarz und breiig. Große Zuchten können dadurch in 2–3 Tagen dahingerafft werden. Im Mageninhalt treten bei dieser Krankheit zahlreiche Bakterien und Mikrokokken (Cordyceps) auf (Fig. 9). Die wahre Ursache der

Fig. 10. Pilz der Kalksucht (Botrytis Bassiana). 200/1. Fig. 11. Polyedrische Körn­chen der Gelb- oder Fettsucht.

Schlaffsucht ist nicht bekannt, doch wird sie durch irrationelle Aufzucht begünstigt. Die Kalksucht (Muscardine) wird durch einen Pilz, Botrytis Bassiana Bal. (Fig. 10), herbeigeführt. Das Mycelium desselben durchwuchert in mehreren Tagen die innern Organe, tötet die Raupe, durchbricht die Haut und fruktifiziert, worauf die weißen Sporen ausgestreut werden. Die abgestorbene Raupe ist wachsartig, später [829] kreidig und bedeckt sich mit den Sporen, die durch das Futter in andre Raupen gelangen, so daß sich die Krankheit sehr schnell verbreitet. Geräte und Räume, die mit dem Pilz verunreinigt worden sind, dürfen im nächsten Jahr nicht wieder benutzt werden, damit die Sporen ihre Keimkraft verlieren. Die Fett- oder Gelbsucht verursacht selten größern Schaden u. tritt meist zur Zeit der Spinnreife auf. Die kranke Raupe nimmt an Körperumfang zu, die Haut wird opak, färbt sich und zerreißt leicht, wobei trübes gelbliches oder milchiges Blut ausfließt. Die charakteristische Trübung rührt von im Blut verteilten kleinen polyedrischen

Fig. 8. Schlaffsüchtige Raupe.

Körnchen (Fig. 11) her, welche sich auch in den Geweben vorfinden, über deren Natur aber nichts Näheres bekannt ist. Die tote Raupe wird schwarz und breiig. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt; in gut ausgeführten Aufzuchten tritt sie sehr schwach auf. Bei der sehr langsam verlaufenden Schwindsucht verschmähen die Raupen das Futter und unterliegen einer Art Auszehrung. Sie werden durchscheinend bräunlich, und im Magen findet sich eine helle alkalische Flüssigkeit voll Mikrokokken. Die tote Raupe trocknet aus. Die Krankheit erscheint meist nach der dritten oder vierten Häutung und kann größere Zuchten langsam vernichten. Die Krankheiten der Seidenraupen sind nicht heilbar; man kann nur ihre Wirkung vermindern, ihrem Auftreten vorbeugen, indem man die Aufzucht rationell betreibt und vor allem guten Samen verwendet. Für die Samengewinnung (Grainierung) wählt man gesunde Raupen, breitet die daraus erzielten Kokons auf Hürden aus oder spannt sie auf harfenartige Gestelle ein. Die Eier läßt man auf Leinwand oder Karton ablegen und hebt sie über Winter in luftigen, kühlen Räumen auf (Industrialgrains). Sicherer ist die von Pasteur vorgeschlagene Zellengrainierung, bei welcher man jedes einzelne Schmetterlingspaar nach dem Ausschlüpfen in einem kleinen Tüllsäckchen isoliert. In diesem erfolgen die Begattung und das Ablegen der Eier. Nach dem Absterben der Schmetterlinge wird jedes Paar mikroskopisch auf Körperchen untersucht, so daß man nun ganz sicher die gesunden Eier von den infizierten trennen kann. Erstere liefern Aufzuchten, welche der Körperchenkrankheit nicht unterliegen und gegen andre Krankheiten sich sehr widerstandsfähig erweisen. Die Eier der gesund befundenen Schmetterlinge (Zellengrains) werden von den Säckchen abgewaschen. Durch diese Methode, welche gegenwärtig allgemein verbreitet ist, wurde Europa von einem Tribut erlöst, welchen es vorher an Japan für die minder wertvollen Grünspinnerrassen entrichten mußte.

Außer Bombyx mori liefern noch viele andre Spinner Kokons, deren Faden als Seide benutzbar ist und zum Teil seit langer Zeit benutzt wird. Man bezeichnet diese Seidenarten als wilde Seide, weil die betreffenden Spinner im Freien gezüchtet werden, sie sind dauerhafter, stärker im Faden und erleiden beim Färben keinen Verlust, weil sie keinen Seidenleim enthalten. Mit einigen dieser S. sind in Europa gelungene Zuchtversuche angestellt worden. Zu den wichtigsten gehören der Tusserspinner Indiens (Antheraea mylitta, A. paphia), der Eichenspinner Nordchinas (A. Pernyi, s. Tafel, Fig. 3), dessen Seide fälschlich Tussah genannt wird, der Eichenspinner Japans (A. Yamamai), der Ailanthusspinner Chinas und Japans (Attacus [Saturnia] Cynthia, s. Tafel, Fig. 4), der südamerikanische S. (Attacus Cecropia, s. Tafel, Fig. 2) u. a. Vgl. Haberlandt, Der S. des Maulbeerbaums (Wien 1871); Weißweiler, Zucht des Maulbeerbaums und der Seidenraupe (Berl. 1875); Pasteur, Études sur les maladies des vers à soie (Par. 1871, 2 Bde.); Bolle, Die Krankheiten der Seidenraupe (Görz 1874); „Österreichische Seidenbauzeitung“ (das. 1869–72) und „Jahresberichte der Seidenbau-Versuchsstation in Görz“ (das. 1873 ff.); Reichenbach, Über Seidenraupenzucht etc. in China (Münch. 1867); Netz, Der japanische und der chinesische Eichenseidenspinner (Neuwied 1883), und Litteratur bei Seide.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 853
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[853] Seidenspinner. Mit dem in Nordchina heimischen Eichenseidenspinner (Attacus Pernyi, s. Tafel „Seidenspinner“, Bd. 14, Fig. 3) sind in den letzten Jahren auf Veranlassung des preußischen landwirtschaftlichen Ministeriums mit gutem Erfolg gekrönte Versuche angestellt worden, denselben bei uns zu züchten. Das Ministerium hatte dem Seidenzüchter Buchwald in Reichenbach vor sechs Jahren 40 Morgen Eichenwald aus den Staatsforsten überlassen, und es hat sich gezeigt, daß der Zucht bei uns keine elementaren oder klimatischen Schwierigkeiten im Wege stehen. Es ist nur dafür Sorge zu tragen, daß der Schmetterling nicht zu früh auskommt. Der Spinner überwintert in seinem festen, gelbbräunlichen Kokon sehr gut, und dieser muß in einem kalten Raume aufbewahrt werden, da der Schmetterling im Frühling nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um auszuschlüpfen. Schon bei 18° Wärme kommt er hervor, und da diese Temperatur im Mai bei uns ziemlich häufig eintritt, wenn seine Futterpflanze, die Eiche, noch keine Blätter getrieben, so muß man das Ausschlüpfen gegebenen Falls zu verzögern wissen. Die Paarung vollzieht sich sehr bald nach dem Ausschlüpfen (in etwa 24–36 Stunden), worauf die Eier in 3 Tagen abgelegt werden und nach 8–10 Tagen die schwarzen dornigen Räupchen auskommen, die nach mehreren Häutungen schön hellgrün mit fleischigen Kegeln und gelblichem Kopfe werden. Sie spinnen sich Ende August ein und liefern schon nach drei Wochen eine zweite Generation, so daß sich vielleicht in günstigen Strichen, wo die Eiche früher ausschlägt, zwei Bruten würden erziehen lassen; in Norddeutschland gelang dies indessen nicht. Die gewonnene Seide wurde in Krefeld verarbeitet und zeigte sich der besten Mailänder Seide ebenbürtig. Ebenso hat man in Frankreich Versuche mit der Zucht des Ailanthus-Spinners aus Japan gemacht, dessen Gespinst früher nur der Mikado tragen durfte, weshalb Todesstrafe auf die Ausfuhr der Eier gesetzt war. Auch diese Versuche haben guten Erfolg gegeben, da aber die Futterpflanzen desselben bei uns erst angepflanzt werden müßten, ebenso wie dies bei dem gewöhnlichen S. der Fall war, so dürfte der Eichenseidenspinnerzucht, wenn die Ergebnisse fortdauernd befriedigen, eine günstige Aussicht sich eröffnen. Die Freizucht indischer S. ist für die afrikanischen Kolonien in Aussicht genommen worden.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 828
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[828] Seidenspinner. Die Beschränkung, welche der Seidenraupenzucht dadurch auferlegt wird, daß es bei uns nicht überall Maulbeeranpflanzungen gibt, daß außerdem der empfindliche Baum häufig durch Frühjahrsfröste leidet und in manchen Wintern ganz eingeht, hat schon früher Versuche veranlaßt, die Raupe an ein andres Futter zu gewöhnen, welche aber bisher ohne Erfolg geblieben waren. Seit 1885 von Harz in München mit größerer Umsicht angestellte Versuchsreihen haben indessen jetzt ein hoffnungsvolleres Ergebnis geliefert, so daß eine Aussicht auf volles Gelingen eröffnet ist. Von 32 neuen Futterpflanzen, die er den Raupen anbot, wurden nur 2 gefressen, und zwar Taraxacum officinale und noch lieber Scorzonera hispanica, weshalb die Versuche mit letzterer fortgesetzt wurden, obwohl alle diese Raupen zu Grunde gingen, ohne Kokons zu liefern. Im zweiten Jahre (1886) waren nach 52 Freßtagen von 1260 Raupen nur noch 32 übrig, welche, da sie keine Anstalten zum Einspinnen machten, mit Maulbeerblättern weitergefüttert wurden und dann 14 Kokons lieferten. Mit dieser nun schon ein wenig der neuen Kost angepaßten Zucht operierte Harz dann weiter, und zwar mit von Jahr zu Jahr günstiger werdendem Erfolg. Das Endergebnis war folgendes: Nach vierjähriger, von Generation zu Generation fortgesetzter Zucht gelang es, den S. an die ausschließliche Nahrung von Scorzonera hispanica zu gewöhnen, obwohl sich diese Pflanze im ersten Jahre noch keineswegs geeignet zeigte, verpuppungsfähige Raupen zu liefern, was auch nach mehrtausendjähriger ausschließlicher Maulbeernahrung kaum anders zu erwarten war. In den folgenden Jahren stieg aber die Kokonsausbeute stetig, wenn auch zunächst nur die kräftigsten Tiere den plötzlichen Nahrungswechsel überstanden. Die Ausbeute betrug: Im 1. Jahre (1886) 1,1, im 2. Jahre (1887) 7,5, im 3. Jahre (1888) 29,6 und im 4. Jahre (1889) 34,38 Proz. Nach diesen Ergebnissen kann kaum bezweifelt werden, daß man schon in den nächsten Zuchtjahren 80–90 Proz. und darüber erhalten wird, wozu allerdings große Sorgfalt und Pflege gehört, so daß, ehe die neue Rasse dem größern Publikum übergeben werden kann, nur Anstalten und besonders dafür geeignete Privatpersonen mit Eiern versehen werden sollen. Die im letzten Jahre erhaltenen Kokons ließen an Größe und Gewicht kaum etwas zu wünschen übrig; der Seidenfaden erreichte eine Länge von fast 300 m, der Querdurchschnitt stimmte mit dem des Mailänder Normalfadens genau überein, auch Glanz, Farbe und Haltbarkeit waren von diesem nicht verschieden. Die neue Nährpflanze (Scorzonera), mit welcher die Zucht vom zweiten Jahre ab ausschließlich zu Ende geführt wurde, hat den großen Vorzug, die Seidenzucht überall und ohne langdauernde Vorbereitungszeit zu ermöglichen. Während Maulbeerpflanzungen erst nach 10–20 Jahren reichlichere Blatterträge liefern, gibt die in jedem Acker- und Gartenboden gedeihende Scorzonera, im Mai ausgesäet, schon im Herbst eine mäßige, im nächsten Frühjahr eine reichliche Blatternte und kann in allen Ländern Europas bis nach Schottland und Schweden, selbst im Gebirge gezogen werden, so daß die Zucht überall möglich sein würde, sobald für die Raupen nur geeignete, heizbare Räume zur Verfügung stehen. Vgl. „Eine neue Züchtungsmethode des Maulbeerspinners mit einer krautartigen Pflanze“ (Stuttg. 1890).