MKL1888:Socinianer

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Socinianer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 1046
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Socinianer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 1046. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Socinianer (Version vom 28.09.2022)

[1046] Socinianer, die Anhänger des Lehrbegriffs des Lälius und Faustus Socinus, welche den sich um sie sammelnden Unitariern (s. d.) oder Antitrinitariern zuerst ein geordnetes Kirchenwesen gaben. Der Erstgenannte, ein Sprößling des alten italienischen Geschlechts der Sozzini, war 1525 zu Siena geboren. Er widmete sich anfangs dem Studium der Rechte, dann aber theologischen Forschungen, welche ihn zu Zweifeln an der Trinitätslehre führten. Seit 1547 Frankreich, England, Holland, die Schweiz und Deutschland bereisend, verkehrte er mit den Reformatoren, so in Zürich mit Bullinger, in Wittenberg mit Melanchthon. Aber nur durch äußerste Vorsicht in der Äußerung seiner Ansichten entging er den protestantischen Ketzergerichten, während die Inquisition sein Vermögen in Italien mit Beschlag belegte. Nach zweimaligem Aufenthalt in Polen (1555 und 1558) starb er 1562 in Zürich. Die nach ihm genannte Partei erhielt eine festere Begründung erst durch seinen Neffen Faustus. Derselbe war 1539 zu Siena geboren, mußte aber seine Vaterstadt 1559 verlassen. Seit 1562 in Zürich lebend, befestigte er sich durch Studium des litterarischen Nachlasses seines Oheims ganz in der von demselben eingeschlagenen Richtung. Er kehrte dann nach Italien zurück, mußte aber nach zwölfjährigem Aufenthalt am florentinischen Hofe vor den Verfolgungen der Inquisition abermals die Flucht ergreifen; er begab sich 1574 nach Basel und 1578 nach Siebenbürgen, um in dem zwischen Franz David (s. d. 2) und Georg Blandrata (s. d.) ausgebrochenen Streit über die Anbetung Christi als Schiedsrichter zu fungieren. Ebenso erfolglos bekämpfte er im folgenden Jahr zu Krakau die wiedertäuferischen Ansichten der dortigen Unitarier. Erst 1603 ward der Anabaptismus endgültig aus der Gemeinde der Unitarier ausgeschlossen. S. lebte seit 1587 wieder in Krakau, seit 1598, nachdem er von den Krakauer Studenten als Häretiker entsetzlich gemißhandelt und alle seine Papiere verbrannt worden waren, zu Luclawice bei einem polnischen Edelmann; er starb hier 3. März 1604. Seine „Opera“ bilden den 1. und 2. Band der „Bibliotheca fratrum polonorum“. Der Socinianismus ist als Organisation und dogmatische Ausbildung des aus der Schweiz nach Polen geflüchteten Unitarismus anzusehen. Hier war schon 1565 auf dem Reichstag zu Petrikow der Bruch zwischen diesem und dem reformierten Protestantismus entschieden. Die Blütezeit der S. fällt in die erste Hälfte des 17. Jahrh. Aber schon seit 1638 wurden sie in Polen von den Katholiken als Arianer vielfach verfolgt und von der Religionsfreiheit, welche die Dissidenten, ja selbst die Juden genossen, ebenso auch 1645 vom Thorner Religionsgespräch ausgeschlossen. Als sich um 1657 in dem Krieg zwischen Schweden und Polen einige S. wegen erlittener Unbilden unter schwedischen Schutz gestellt hatten, rechnete man das der ganzen Partei als Landesverrat an und setzte auf dem Reichstag zu Warschau 1658 Todesstrafe auf den Arianismus. Gezwungen, ihr Vaterland zu verlassen, begaben sie sich zum Teil nach Ungarn und Siebenbürgen, wo sie jedoch erst durch das Toleranzedikt des Kaisers Joseph II. gleiche Rechte mit den Bekennern der andern christlichen Konfessionen erhielten, zum Teil nach Schlesien und Brandenburg sowie nach Holland, wo sie mit den verwandten Arminianern verschmolzen. Von England aus, wo sie übrigens keinen Gottesdienst ausüben durften, gingen sie frühzeitig auch nach Amerika hinüber. Ihre Lehren sind enthalten in dem nach den Schriften des Faustus entworfenen Rakower Katechismus („Catechesis ecclesiarum polonicarum“, poln. 1605, lat. 1609; deutsch von Öder, 1739). Das System ist bei allem Supernaturalismus wesentlich rationalistisch; namentlich gelten die kirchlichen Lehren von der Prädestination, Erbsünde und Trinität als der Vernunft und Schrift widerstreitend. Christus ist ein menschliches Wesen, das aber infolge der übernatürlichen Erzeugung und einer Entrückung in den Himmel (raptus in coelum) befähigt war, den Menschen durch Lehre und Leben den Weg zu Gott zu zeigen. Durch seinen Tod hat er die Wahrheit seiner Lehre als Blutzeuge bestätigt und ist göttlicher Würde teilhaftig geworden. Taufe und Abendmahl sind nützliche, aber nicht absolut notwendige Zeremonien. Vgl. Fock, Der Socinianismus (Kiel 1847, 2 Bde.); Ferencz, Kleiner Unitarierspiegel (deutsch, Wien 1879).