MKL1888:Spielkarten

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Spielkarten“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 143144
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Spielkarten. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 143–144. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Spielkarten (Version vom 02.04.2023)

[143] Spielkarten, länglich-viereckige Blätter von steifem Papier, welche auf einer Seite mit Figuren und Zeichen von besonderer Bedeutung bemalt sind, und die in bestimmt zusammengesetzter Anzahl „ein Spiel Karten“ bilden, mittels dessen man eine große Menge von Hasard- und Unterhaltungsspielen ausführt. Absehend von der früh und selbständig entstandenen chinesischen Karte (bemalte Holz- oder Elfenbeintäfelchen), unterscheidet man zwei Hauptgattungen: die Tarock- und die Vierfarbenkarte. Alle Formen der Tarockkarte, ältere wie neuere, bieten 21 besondere Bilder (Tarocks), deren Rang durch aufsteigende Ziffern bezeichnet ist, ferner einen Harlekin von der Größe des ganzen Blattes (den Sküs) und 4 Reiterbilder (Kavalls). Von Vierfarbenkarten gibt es drei Arten, als deren gemeinschaftliches Merkmal gilt, daß dieselben Wertzeichen viermal in einem Spiel unter verschiedener Auszeichnung (Farben) vorhanden sind. Die Trappola- oder Trappelierkarte, die älteste der in Deutschland eingeführten Karten, kam wahrscheinlich aus Italien. Sie besteht aus viermal 13 Blättern: Re, Cavallo, Fante, Zehn, Neun, Acht, Sieben, Sechs, Fünf, Vier, Drei, Zwei und Asso mit den Emblemen Spade (Schwerter), Coppe (Kelche), Denari (Pfennige) und Bastoni (Stöcke). Meist braucht man von diesen Karten 40 (Zehn, Neun, Acht werden abgelegt). In der schlesischen Trappelierkarte fehlen Sechs, Fünf, Vier, Drei; sie hat also 36 Blätter. Die deutsche Karte zählt 32 Blätter, von denen je acht Daus (As), König, Ober, Unter, Zehn, Neun, Acht und Sieben darstellen und durch die Farben Eicheln (Eckern), Grün, Rot (Herzen) und Schellen unterschieden sind. Die früher noch vorhandenen Sechsen sind jetzt fast in allen Gegenden aus der deutschen Karte geschwunden. Die jetzt wohl am meisten verbreitete französische Karte (Whistkarte) von 52 Blättern hat Treff (schwarze Kleeblätter), Pik (schwarze Lanzenspitzen), Coeur (rote Herzen) und Karo (rote Vierecke) zu Unterscheidungszeichen und besteht aus König, Dame, Bube und der Zahlenfolge Eins bis Zehn (52). In Süddeutschland, wo man vielfach französische Karten benutzt, heißen die vier Farben Kreuz (Treff), Schippen (Pik), Herz (Coeur) und Eckstein (Karo). Der Ursprung der S. bedarf noch sehr der Aufhellung. Zwar nicht eigentliche S., aber doch ähnlichen Zwecken dienende elfenbeinerne und hölzerne, mit Figuren bemalte Täfelchen hatten die Chinesen und Japaner schon längst, ehe die Karten bei uns bekannt waren. Wer sie in Europa eingeführt hat, darüber wissen wir nichts Sicheres. Die erste sicher beglaubigte Erwähnung der S. datiert aus dem Jahr 1392, wo der Schatzmeister Karls VI. von Frankreich in seinem Ausgabebuch eine Zahlung für drei Spiele Karten in Gold und Farben an den Maler Jacquemin Gringonneur verzeichnet hat. Die S. können also nicht erst, wie behauptet worden, zur Unterhaltung für den geisteskranken König Karl erfunden worden sein. Wahrscheinlich ist es, daß die Sarazenen die S. in Europa eingeführt haben. Die ältesten S. wurden gemalt, oft mit Aufwand großer Kunstfertigkeit. Besonders waren die deutschen Kartenmacher, welche um 1300 bereits Innungen gebildet zu haben scheinen, berühmt. Nachdem die Erfindung der Holzschneidekunst und des Kupferstichs schrankenlose Vervielfältigung ermöglicht hatte, stieg der Export billiger Karten aus Deutschland außerordentlich, besonders entwickelten Ulm, Augsburg und Nürnberg eine gewinnreiche Kartenindustrie. Wegen ihrer Bedeutung für die Entstehungsgeschichte der Typographie, wegen der Trachtenbilder, welche auf ihnen erhalten sind, nach welcher Richtung hin spätere Abarten der französischen Karte besonders interessantes Material liefern, sind die S. früherer Zeiten von besonderm kulturgeschichtlichen Interesse und werden darum gesammelt (Sammlung von Weigel in Leipzig, hrsg. das. 1865; „Die ältesten deutschen S. des königlichen Kupferstichkabinetts zu Dresden“, hrsg. von Lehrs, Dresd. 1885, u. a.). Bei der großen Beliebtheit, deren sich das Kartenspiel bei den gebildeten Nationen erfreut, ist auch heute die Kartenfabrikation ein wichtiger Industriezweig, besonders in Frankreich und Deutschland (Stralsund, Hamburg, Kassel, Naumburg a. S., Frankfurt a. M., München, Stuttgart, Ravensburg, Ulm, Mainz etc.). In den meisten Ländern unterliegen die S. einer Stempelsteuer (s. unten). Die Kartenspiele, deren Zahl sich ins Unübersehbare vermehrt [144] hat, sind teils Glücksspiele (s. d.), teils sogen. Kammer- oder Kommerzspiele, bei welch letztern nicht bloß das Glück, sondern auch die Geschicklichkeit und die Verstandeskräfte der Spielenden ausschlaggebend sind. Die beliebtesten Kartenspiele sind das englische Whist, ferner Skat, Solo, Boston, Mariage etc. Die S. dienen ferner zu Kartenkunststücken, wovon die interessantesten auf gewissen Kunstgriffen (Volteschlagen), einige auf Berechnung arithmetischer Verhältnisse, alle auf Geschwindigkeit und Geschicklichkeit in der Handhabung beruhen. Endlich ist das Kartenschlagen oder Kartenlegen, die Kunst der Kartomantie, welche arabischen Ursprungs sein soll, noch gegenwärtig eins der beliebtesten Mittel, vorzüglich bei den Frauen aus den niedern Volksschichten, um den Schleier der Zukunft zu lüften, und ist besonders bei den Zigeunern zu einem Haupterwerbsmittel ausgebildet worden. Die berühmteste Kartenschlägerin der Neuzeit war die Lenormand (s. d.). Theoretisch behandelten die Kunst Francesco Marcolini in seinen „Sorti“ (Vened. 1540) und der Pariser Kupferstichhändler Aliette unter dem Anagramm Etteila im „Cours théorétique et pratique du livre de Thott“ (Par. 1790). Die wichtigsten Werke über die Geschichte der S. sind: J. B. Thiers, Traité des jeux (Par. 1686); Breitkopf, Versuch, den Ursprung der S. etc. zu erforschen (Leipz. 1784); Leber, Jeux des tarots et des cartes numérales (Par. 1844, mit 100 Kupfern); Singer, Researches into the history of playing cards (Lond. 1848); Chatto, Origin and history of playing cards (das. 1848); Taylor, History of playing cards (das. 1865); Merlin, Origine des cartes à jouer (Par. 1869). Anweisung zur Erlernung sämtlicher Kartenspiele geben die „Encyklopädie der Spiele“ (3. Aufl., Leipz. 1879) und Opel (Erf. 1880). Vgl. auch Schröter, Spielkarte und Kartenspiel (Jena 1885); Signor Domino, Das Spiel, die Spielerwelt und die Geheimnisse der Falschspieler (Bresl. 1886).