MKL1888:Vesūv

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Vesūv“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 174175
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Vesūv. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 174–175. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ves%C5%ABv (Version vom 13.10.2023)

[174] Vesūv (ital. Vesuvio, lat. Vesuvius, hierzu „Karte des Vesuvs“), der einzige thätige Vulkan auf dem Festland von Europa, erhebt sich 10 km südöstlich von Neapel als ein völlig isolierter Kegel aus der Campanischen Ebene unmittelbar am Meer. Der V. ist als ein zusammengesetztes vulkanisches Gerüst deutlich erkennbar. Der Monte di Somma, ein halbkreisförmiger Bergrücken, welcher den eigentlichen Vesuvkegel im N. und O. umgibt, durch ein tiefes, sichelförmiges Thal, das Atrio del Cavallo, von diesem geschieden, ist der Rest des in einer vorhistorischen Periode vulkanischer Thätigkeit geschaffenen, aber durch den berühmten Ausbruch vom Jahr 79 n. Chr. zerstörten Kegels, der, ähnlich wie der Ätna, zuerst submarin aufgebaut wurde. Der V. besteht nur aus vulkanischem Tuff mit marinen Sedimenten, erst während der in historischer Zeit wieder erwachten vulkanischen Thätigkeit strömte auch Lava aus. Dem Material, aus welchem die verschiedenen Teile des Bergs bestehen, entspricht die im untern Teil sehr geringe, am obern Aschenkegel sehr steile (30–35°) Böschung. Der Gipfel, dessen Durchschnittshöhe 1280 m beträgt, ist durch die Kraterausbrüche großen Veränderungen unterworfen. Auch der Durchmesser des Kraters auf der Spitze des obersten Aschenkegels ist sehr veränderlich (ca. 750 m), ebenso Schlund und Boden, die bei jedem Ausbruch eine verschiedene Form annehmen. Der Fuß des Bergs ist trotz der sich beständig wiederholenden Ausbrüche von einer tüchtigen Bevölkerung von mehr als 80,000 Seelen bewohnt und mit Fruchtbäumen und den üppigsten Weingärten bedeckt, die den feurigen Lacrimae Christi und Vino greco erzeugen. Zwischen diesen Weingärten schneiden tiefe unfruchtbare Thalschluchten ein, in denen vieljährige Lava in zackigen Felsen aufgehäuft ist. Die Mittelregion des Bergs ist kahl, und nur an einigen Stellen, wo Lavaströme das Erdreich nicht verwüstet haben, wuchern Kastanienbüsche und finden sich einzelne Wein- und Obstgärten. Der V. wird gewöhnlich von Resina oder von Pompeji aus in 5–7 Stunden bestiegen. Am Fuß des eigentlichen Aschenkegels, auf einem nach W. gestreckten Bergrücken, 676 m ü. M., befindet sich das Observatorium mit Einrichtungen für meteorologische Beobachtungen und die Erforschung der atmosphärischen Elektrizität, einer Bibliothek und einer Sammlung vulkanischer Produkte (Direktor Palmieri). Die Besteigung ist jetzt außerordentlich durch die 1880 eröffnete Drahtseilbahn erleichtert, welche, in der Nähe des Observatoriums in ca. 800 m Höhe beginnend, die Schwierigkeiten des Aschenkegels beseitigt.

Bis zum Jahr 79 n. Chr. galt der V., der bis zur Spitze bewaldet oder angebaut war und nur Kundigen seine wahre Natur verriet, nicht als Vulkan. Der furchtbare Ausbruch jenes Jahrs, welcher dem Naturforscher Plinius das Leben kostete und die Städte Herculaneum, Pompeji und Stabiä zum Teil durch Schlammströme, zum Teil durch Aschen- und Lapilliregen vernichtete, hatte sich schon seit dem Jahr 63 in zerstörenden Erdbeben angekündigt. Seitdem sind mit nur kürzern Pausen der Thätigkeit zahlreiche Ausbrüche eingetreten. Zu den heftigsten gehören die von 203, 472, 512, 685, 982, 1036, 1139; hierauf folgte eine lange Pause, bis 1631 wieder ein furchtbarer Ausbruch stattfand, dem andre 1638, 1660, 1680 und von da an bis 1790 eine ganze Reihe von Eruptionen nachfolgten. Bei den kleinern derselben erhob sich in der Regel der Gipfel, während er bei den größern an Höhe verlor. 1794 fand wieder einer der mächtigsten Ausbrüche statt, welcher die blühende Stadt Torre del Greco fast ganz vernichtete und den Einsturz der westlichen Spitze des Kegels sowie eine Veränderung der ganzen Form des Vesuvs verursachte. Seit dem Anfang des 19. Jahrh. ist fast kein Jahr ohne stärkere oder schwächere Ausbrüche hingegangen. Von größerer Bedeutung waren

[Ξ]

DER VESUV
Maßstab 1 : 75000

[175] die in den Jahren 1804, 1810, 1822, 1828, 1831, 1834, 1839, dann 1850, 1855, 1856 und 1857, 1858, 1868. In diesem Jahr spaltete sich der große Vesuvkegel, aus dem Gipfelkrater erhob sich ein 100 m hoher Eruptionskegel und aus diesem ein kleinerer. Ein weiterer Ausbruch erfolgte im April 1872. Bereits seit Monaten hatte der Lavaausfluß aus einer nordöstlichen Spalte im Aschenkegel gedauert; 24. April ergoß sich darauf ein hell leuchtender Lavastrom von der Südseite des Kegels hinab; am 25. drängten sich Rauchwolken massenhaft aus dem Krater; am 26. morgens riß plötzlich der Kegel in seiner ganzen Länge von der Spitze bis zum Atrio mit weit klaffender Spalte auf, welcher nun eine ungeheure Lavamasse entquoll. Zu gleicher Zeit schleuderten die beiden Gipfelkrater unter heftigen Detonationen zahllose glühende Wurfmassen bis zur Höhe von 1300 m empor. Hierbei kam eine große Zahl von Besuchern des Vesuvs um. Die Hauptmasse der Lava drang nordwestlich bis zwischen die Ortschaften Massa und San Sebastiano vor, zerstörte dieselben teilweise und blieb bei einem Landhaus (Villa Giordano) stehen, worauf 1. Mai ein starkes Gewitter diesen seit 1631 bedeutendsten Ausbruch beschloß. Bis 1875 herrschte dann Ruhe, aber seitdem ist der Berg wieder in beständiger Unruhe; 1878 und 1879 haben sich wiederholt Lavaströme in das Atrio del Cavallo ergossen (s. Tafel „Vulkane“, Fig. 4–6). Vgl. Roth, Der V. und die Umgebung von Neapel (Berl. 1857); vom Rath, Der V. (das. 1873); d’Augerot, Le Vésuve (Limoges 1881); Palmieri, Il Vesuvio e la sua storia (Mail. 1880); „Lo spettatore del Vesuvio“ (hrsg. vom italienischen Alpenklub, Neap. 1887).