MKL1888:Weiße Frau

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Weiße Frau“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 509510
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Weiße Frau. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 509–510. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wei%C3%9Fe_Frau (Version vom 16.09.2022)

[509] Weiße Frau, ein Gespenst, das nach der Volkssage in mehreren fürstlichen Schlössern Deutschlands, wie zu Berlin, Neuhaus in Böhmen, Ansbach, Baireuth, Kleve, Darmstadt, Altenburg etc., auch in London, Kopenhagen, Stockholm bei freudigen und traurigen Begebenheiten bei Nacht, oft aber auch mittags erscheinen und dadurch namentlich den Tod von Mitgliedern des Regentenhauses anzeigen soll. Sie gilt als Ahnmutter des Geschlechts, zeigt sich immer weiß gekleidet, mit verbundenem Untergesicht, wehendem Schleier, einem Schlüsselbund an der Seite und, wenn sie einen Todesfall anzeigt, mit schwarzen Handschuhen. Als geschichtliche Person, welche in der weißen Frau erscheint, gibt die Sage bald Bertha von Rosenberg, die Ahnfrau der Herren von Neuhaus und Rosenberg in Böhmen, welche im 15. Jahrh. lebte, bald die schuldbeladene Gräfin Agnes von Orlamünde, welche, um den Burggrafen Albrecht heiraten zu können, ihre zwei Kinder ermordet haben sollte, bald die bulgarische Prinzessin Kunigunde, welche erst mit Ottokar II. von Böhmen, dann mit einem Rosenberg vermählt war, bald eine Kurfürstin von Brandenburg an, welche, als ihr Gemahl ohne Absolution die Welt verließ, Skrupel wegen seines Seelenheils hatte und Gott bat, er möge gestatten, daß sie ihren Enkeln durch ihr Erscheinen den Tod verkünde. Zuerst soll sie 1486 auf der Plassenburg in Franken erschienen sein, in Baireuth 1677 und Napoleon I. 1812. Im Berliner Schloß will man sie 1598, 1619, 1667, 1688 und noch 1840 und 1850 gesehen haben. Vgl. Minutoli, Die w. F. (Berl. 1850); Kraussold, Die w. F. und der Orlamünder Kindermord (Erlang. 1866); Schrammen, Die Schicksals- oder Totenfrau im Haus der Hohenzollern (Köln 1888). Die Volkssage kennt aber auch noch andre weiße Frauen, die in Burgen und Bergen gewöhnlich als verwünschte Jungfrauen wohnen, sich zuweilen bei Sonnenschein [510] zeigen und, wen sie treffen, beschenken. Alle diese und andre Züge weisen in die germanische Mythologie zurück, und noch bestimmter führen die Benennung w. F. und der Name Bertha auf jene unter mehreren Namen erscheinende große Erdgöttin, die als „Perahta“ oder „Berchta“ (s. d.) besonders in den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und Drei Könige ihren Umzug hielt und als Todesgöttin (Hel) die Toten ins Jenseits rief.