MKL1888:Windrad

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Windrad“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 672673
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Windrad. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 672–673. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Windrad (Version vom 21.02.2024)

[672] Windrad (Windmühle, Windmotor), mechanischer Apparat zur Nutzbarmachung des Druckes der bewegten Luft (Wind). Der arbeitende Teil des

Fig. 1. Windrad mit festen Flächen.
Fig. 3. Seitenansicht in
Ruhestellung.
Fig. 2. Vorderansicht im Betrieb.
Fig. 2 u. 3. Windrad mit beweglichen Sektoren.

Windrades sind die Windflügel, d. h. radial zu einer horizontalen oder geneigten Achse aufgesetzte Flächen, welche derartig schief gegen die Windrichtung gestellt werden, daß bei hinlänglich starkem Druck des Windes eine Drehung der Achse erfolgt. In der Regel werden 4–6 Flügel auf der Achse angebracht; sie bestehen entweder aus Brettern oder aus segelartig ausgespannten Leinenstreifen. Da die Flügel nicht in einer Ebene, sondern geneigt oder mit windschiefen Flächen angeordnet sind, so wird ein Teil des wirkenden Luftdrucks die Drehung des Rades bewirken. Die ältern Windräder werden eingeteilt in deutsche Windräder, welche mit dem zugehörigen Gebäude um einen vertikalen Ständer, den Hausbaum, drehbar sind und sich so in die passendste Windrichtung einstellen lassen, und in holländische Windräder mit unbeweglichem Gebäude und drehbarem Dach, der sogen. Haube. Erstere führen auch den Namen Bockwindmühlen wegen der bockartigen Absteifung des Hausbaums mittels starker Streben. Die Ausbildung dieser ältern Systeme der Windräder datiert vornehmlich aus dem 18. Jahrh., in welchem sich außer den praktischen Mühlenbauern viele hervorragende Gelehrte, wie Smeaton, Euler und Coulomb, mit der Theorie der Windräder beschäftigten. Mit der Einführung der Dampfmaschine und der Ausbildung der Wasserräder und Turbinen verloren die Windräder an Bedeutung, da die namentlich im Binnenland beschränkte Zahl der Windtage (ca. 150 im Jahr) und die Unregelmäßigkeit des Betriebs ihre Verwendung nur da gestatteten, wo eine kürzere oder längere Sistierung keine erheblichen Nachteile mit sich führte. Ihre hauptsächlichste Verwendung fanden demnach die Windräder zum Betrieb der Mahlmühlen und der Pumpwerke für die Trockenlegung versumpfter oder überschwemmter Ländereien. Die holländischen Windräder haben in diesem Jahrhundert einige Verbesserungen erfahren, namentlich durch Anbringung selbstthätig wirkender Vorrichtungen zur Einstellung der Räder in die passende Windrichtung und einzelner, aber ziemlich komplizierter und kostspieliger Apparate zur Regulierung des Ganges bei veränderlicher Windstärke; im großen und ganzen finden jedoch diese Verbesserungen nur eine beschränkte Anwendung, so daß das W. allgemein und zwar nicht nur wegen der Natur der treibenden Kraft als der unvollkommenste Motor bezeichnet wird. Dagegen ernteten die durch die Philadelphiaer Ausstellung 1876 bekannt gewordenen neuern amerikanischen Windräder als Motoren für kleinere Betriebskräfte allgemeinstes Lob. Durch wesentliche Reduktion des Gewichts der arbeitenden Teile bei genügender Widerstandsfähigkeit derselben sowie durch geschickte, die Reibung erheblich vermindernde Lagerung der Achse kann das amerikanische W. bei erheblich geringerer Geschwindigkeit der bewegten Luft, wo bei den ältern Windrädern der Betrieb, bez. eine nutzbare Arbeit nicht möglich war, noch durchaus vorteilhaft arbeiten, wenn auch hierbei selbstverständlich die Leistung niedriger ausfällt als bei günstigster Windstärke. Ferner gestatten die amerikanischen Windräder eine Fortsetzung des Betriebs bei viel stärkerer Windgeschwindigkeit, als dies bei unsern Windrädern möglich ist, weil sie mit zunehmender Windgeschwindigkeit durch selbstthätige Schrägstellung die dem Wind ausgesetzte Fläche derart verringern, daß ihre Umdrehungszahl für verschiedene Windgeschwindigkeiten dieselbe bleibt. Sie stellen sich ferner automatisch in die passendste Windrichtung ein. Fig. 1 [673] zeigt die prinzipielle Anordnung dieses Windrades. Dasselbe besteht aus einer kreisrunden Scheibenfläche, die aus dicht nebeneinander in schräger Richtung gestellten hölzernen Brettchen gebildet wird. In der Mitte ist ein freier Raum von etwa einem Drittel des Raddurchmessers, welcher dem Winde den freien Abzug gestattet. Durch eine in sehr großen Abmessungen ausgeführte Windfahne, deren Ebene rechtwinkelig gegen die Fläche der Scheibe steht, stellt sich letztere mit ihrer Fläche stets derartig, daß der Wind direkt auf die Scheibe trifft. Die Druckkraft desselben zerlegt sich hier in der Weise, daß ein Teil derselben, dessen Größe von dem Winkel der einzelnen die Fläche bildenden Bretter abhängt, die Drehung des Rades bewirkt. Man unterscheidet Windräder mit festen Flächen, wie Fig. 1, bei welchen die Regulierung zumeist durch eine zweite kleine, dem Rad parallele und auf einer Seite über dasselbe hervorragende Windfahne erfolgt, die bei zu starkem Druck das Rad von der für den Normaldruck vorteilhaftesten Stellung ablenkt, und Windräder mit beweglichen Sektoren (Fig. 2 u. 3, System Halladay). Die Scheibe besteht aus 6, zuweilen auch aus 8 Sektoren, welche um je eine in der Ebene des Rades liegende und in dem Gerippe desselben gelagerte Achse drehbar sind. Die Drehung der Sektoren hat zur Folge, daß das Rad die Stellung in Fig. 3 annimmt, wodurch dem Winde die Arbeitsfläche genommen wird. Die Brettchen, welche in ihrer ursprünglichen Stellung den Wind auffangen, stehen jetzt in der Richtung des Windes, so daß keine Drehung des Rades erfolgen kann. In Fig. 2 ist in der Mitte eines jeden Sektors eine kleine eiserne, radial zum Rad angeordnete Stange ersichtlich, auf welcher sich je ein kleines, also in radialer Richtung verstellbares Gewicht befindet. Bei der Umdrehung des Rades üben diese Gewichte infolge der Zentrifugalkraft eine derartige Pressung aus, daß die Sektoren die Tendenz erhalten, in die Stellung Fig. 3 überzugehen. Zunächst werden sie, sobald die Geschwindigkeit eine gewisse Grenze überschreitet, eine geneigte Lage annehmen und somit dem Wind eine geringere Druckfläche darbieten. Verringert sich die Geschwindigkeit, so stellen sich die Sektoren mit Hilfe des in Fig. 3 sichtbaren Hebelmechanismus wieder in die ursprüngliche Ebene. Soll der Betrieb gänzlich sistiert werden, so wird das Rad mittels der in den Zeichnungen angedeuteten Zugvorrichtung in die Lage der Fig. 3 gebracht. Bei der Aufstellung und Wahl der Dimensionen des Windrades für irgend einen Zweck ist erforderlich, die Leistungsfähigkeit desselben und die Anzahl der Tage im Jahr zu ermitteln, an welchen man eine vorteilhafte Windgeschwindigkeit (4–9 m pro Sekunde) unter der Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse (naheliegende Wälder, Seen, Gebirge oder Häuser) erwarten darf. Die Leistung des Windrades ist von dem Druck abhängig, welcher durch den Wind auf die Flügelfläche ausgeübt wird; um sie zu ermitteln, ist es mithin erforderlich, die Beziehung zwischen diesem und der Windgeschwindigkeit kennen zu lernen, die in der nachfolgenden Übersicht (nach d’Aubuisson) für verschiedene Windgeschwindigkeiten dargelegt ist:

Wind­geschwin­digkeit in Metern pro Sekunde 1 2 4 6 7 9 12 15 20 24 36
Druck auf 1 qm ebener Fläche in Kilo­grammen 0,13 0,54 2,20 4,87 6,46 10,97 19,50 30,47 54,16 78,00 176,95

Die Anzahl der von einem W. geleisteten Pferdekräfte (à 75 Meterkilogr. pro Sekunde) beträgt , wobei F die Fläche des Rades in QMetern, v die Windgeschwindigkeit u. k einen Erfahrungskoeffizienten bezeichnet, der für die ältern Windräder von Coulomb auf 0,0004 festgesetzt, für die neuern = 0,0005 angenommen werden kann. Ist z. B. der Durchmesser eines Windrades = 3,6 m und das innere Dritteil ausgespart, so ist qm. Daher lautete die Formel , woraus für verschiedene Windgeschwindigkeiten folgende Leistungen resultieren:

Windgeschwindigkeit in Metern pro Sekunde 4 5 6 7 8
Pferdekraft 0,3 0,6 1,0 1,5 2,3

Vgl. Perels, Die neuen amerikanischen Windräder für landwirtschaftliche Zwecke (Wien 1877); Neumann, Die Windmotoren (Weim. 1881); Hollenberg, Die neuern Windräder (Leipz. 1885).