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MKL1888:Zeichensprache

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Zeichensprache“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Zeichensprache“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 16 (1890), Seite 843
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Zeichensprache. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 843. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Zeichensprache (Version vom 23.10.2021)

[843] Zeichensprache, alle diejenigen Mitteilungen von Gedanken, welche nicht durch Worte, sondern durch ausdrucksvolle, sichtbare oder hörbare, Zeichen zu erfolgen pflegen. Auch die Gebärdensprache (s. d.), welche bei lebhaften südlichen Völkern, bei den Indianern Nordamerikas (s. unten), außerdem bei den Taubstummen und in gewissen Klöstern eine so große Rolle spielt, ist eine Z.; doch reicht ihr Begriff viel weiter, indem alles, was in die Sinne fällt, auch wenn eine Absicht der Mitteilung gar nicht vorliegt, dem Beobachter zu einem Zeichen werden kann; z. B. wenn er aus den Wirkungen auf die Ursachen schließt. Im allgemeinen versteht man jedoch unter Z. solche Mitteilungen, welche von einem denkenden Wesen mit Absicht durch auffällige Prozeduren gemacht werden, wobei oft nur die Absicht, etwas zu sagen, ohne jedweden Ausdruck dessen, was gemeint ist, an den Tag tritt. Man denke z. B. an Schüsse, an Alarmsignale, an das Klingeln und an die vielfachen Zeichen, durch welche sich die Tiere untereinander verständigen. Nach und nach werden solche Zeichen, die an sich nur dazu dienen, die Aufmerksamkeit zu erregen, konventionell und dadurch auch ausdrucksfähig (z. B. das verschiedenartige Läuten der Glocken bei Sturm, bei freudigen und traurigen Anlässen). Ihnen schließen sich nun weiter solche Zeichen an, die einen Gedanken enthalten und eine Gesinnung zum Ausdruck bringen, vor allen die Gebärden, die auf einer bewußten Reproduktion von Reflexerscheinungen, gleichsam auf einer Art Schauspielkunst beruhen, und deren sich alle Menschen tagtäglich neben der Lautsprache bedienen: die Begrüßungen und Ehrenbezeigungen, die Zeichen der Verachtung und des Spottes, wie sie die Schulkinder entwickelt haben; ferner die symbolischen Handlungen und die absichtlich beigebrachten Thatsachen, durch welche die Menschen einander etwas ohne Worte zu Gemüte führen (die Skythen senden dem Dareios einen Frosch, einen Vogel, eine Maus und fünf Pfeile; Cato wirft frische Feigen in den Senat); endlich die signifikativen Waffen (Wappen) und Kleidungsstücke (Abzeichen, Uniformen) sowie jede Art von bildlichen und anzüglichen Geschenken (Blumensprache, Briefmarkensprache). Eine noch höhere Stufe der Z. würden die Pantomimen und Hieroglyphen des Volkes bezeichnen, aus denen die Gebärdensprache der Taubstummen und die Schrift hervorgegangen ist, zwei Erscheinungen der Z., welche auf eine plastische Nachbildung der Dinge hinauslaufen und der Wortsprache völlig gleich geordnet sind. Eine wichtige Rolle spielt die Z. bei vielen unzivilisierten Völkern, wie z. B. den nordamerikanischen Indianern, deren Sprachen so sehr untereinander abweichen, daß sie auf ihren häufigen Jagdzügen in entlegene Gegenden sich nur durch Gebärden verständlich machen können. Dieser Umstand hat bei ihnen zur Feststellung eines ganzen Systems von Zeichen geführt, die meistenteils mit den Fingern gegeben werden und nicht selten eine überraschende Ähnlichkeit mit den Zeichen der Taubstummen und der Mönche haben (vgl. Mallery, Collection of gesture-signs, Washingt. 1880). Eine systematische Übersicht über das gesamte Gebiet der Z. gewährt Kleinpaul, Sprache ohne Worte (Leipz. 1888).