MKL1888:Zentrum

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Zentrum“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 878879
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Zentrum. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 878–879. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Zentrum (Version vom 17.03.2024)

[878] Zentrum (lat.), Mittelpunkt, im mathematischen Sinn derjenige Punkt im Innern einer Linie oder Fläche, der alle durch ihn gehenden Sehnen halbiert. Zu den Linien mit Mittelpunkt gehören Kreis, Ellipse und Hyperbel, zu den Flächen, die ein Z. besitzen, die Kugel und das Ellipsoid. Z. der Schwere, s. v. w. Schwerpunkt (s. d.). – In der Kriegswissenschaft ist Z. die Mitte einer Schlachtordnung im Gegensatz zu den beiden Flügeln. Das Durchbrechen des Zentrums führt in der Regel zu entscheidendem Sieg, da der Geschlagene seine durch das Heer des Siegers getrennten Streitkräfte nur schwer wieder vereinigen kann.

Zentrum (Zentrumspartei), in der Politik diejenige Fraktion einer parlamentarischen Körperschaft, welche zwischen der Rechten (konservativen) und der Linken (liberalen Partei) eine mittlere Parteistellung einnimmt und dies auch äußerlich durch die Wahl der Plätze in der Mitte des Sitzungssaals zu erkennen gibt. Dabei wird zuweilen noch zwischen [879] linkem und rechtem Z. unterschieden. In der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 bildeten z. B. „Kasino“ und „Landsberg“ das rechte Z., während der „Württemberger Hof“ als linkes Z. bezeichnet wurde. Gegenwärtig nennt sich Z. oder Zentrumspartei die ultramontane Partei im deutschen Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus. Schon 1860 hatte sich eine Gruppe katholischer Abgeordneten unter den Brüdern Reichensperger Z. genannt; dieser Name war aber, als infolge des Verfassungskonflikts sich die Parteien anders gruppierten, wieder in Vergessenheit geraten. Erst als nach dem vatikanischen Konzil und dem Untergang des Kirchenstaats sich die Ultramontanen 1870 von neuem zu einer politischen Partei zusammenthaten und bei den Landtagswahlen 16. Nov. 1870 und den Wahlen zum ersten deutschen Reichstag 3. März 1871 nur solche Vertreter zuließen, die ihren Beitritt zu einer katholischen Fraktion versprachen, wählte die Partei (63 Mitglieder stark) bei Eröffnung des Reichstags nach ihrem Platz im Saal den Namen „Z.“ Zwar erklärten die Führer, Windthorst, P. und A. Reichensperger, Mallinckrodt, Jörg u. a., daß die Fraktion keine konfessionelle, sondern eine politische sei, und das Programm, welches das neubegründete Preßorgan der Fraktion (seit 1. Jan. 1871), die „Germania“, 19. Juni 1871 veröffentlichte, war farblos. Aber in Wirklichkeit war die Verteidigung der Rechte der Kirche nach den Vorschriften des Papsttums von Anfang an das einzige Ziel der Partei, welche sich, um dies zu erreichen, mit allen politischen Schattierungen zu verschmelzen bereit war, und da das Deutsche Reich die Erwartung, daß es einen Kreuzzug gegen Italien zur Wiederherstellung des Kirchenstaats unternehmen werde, täuschte, so nahm das Z. eine oppositionelle Haltung gegen die Reichsregierung an. Im preußischen Landtag erlangte es eine erhöhte Bedeutung durch den 1871 ausbrechenden Kulturkampf. Im Landtag stieg die Zahl der Mitglieder 1879 auf 95, im Reichstag 1878 mit Hospitanten auf über 100, wozu noch die befreundeten Welfen, Polen und Elsässer kamen. Des langen Harrens auf den Sieg der Kirche müde und auf eine Wendung an höchster Stelle zu ihren gunsten hoffend, unterstützte die Zentrumspartei 1879 die neue Zoll- und Wirtschaftspolitik des Reichskanzlers. Als dieser, in der Hoffnung, das Z. zu sich herüberzuziehen oder zu sprengen, die Revision der Maigesetzgebung und die Versöhnung mit dem Papst durchsetzte, nahm das Z. die Zugeständnisse nur spröde an und verharrte besonders im Reichstag, wo es 1881–87 die ausschlaggebende Partei war, in der Opposition. Windthorst riß die Leitung der Partei ganz an sich, stimmte in der Polenfrage und beim Septennat selbst gegen den Wunsch Leos XIII. gegen die Regierung und gab den Kampf um die Schule als neue Parteiparole aus. Wirklich verminderte sich die Zahl der Mitglieder des Zentrums in beiden Körperschaften nicht. Auch die ultramontane Partei im bayrischen Landtag nennt sich jetzt Z.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 835
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[835] Zentrum (Zentrumspartei). Unter Führung Windthorsts vereinigte sich das Z. bei den Reichstagswahlen 20. Febr. 1890 mit den Deutschfreisinnigen gegen das Kartell, das es auch gegen die Sozialdemokraten nicht unterstützte, und erreichte hierdurch besonders in Baden eine Vermehrung seiner Mandate, so daß die Zahl seiner Mitglieder im Reichstag sich auf 106 erhöhte, wozu noch die Polen, Welfen und Elsässer, insgesamt 37, kamen.