MKL1888:Zusammensetzung

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Zusammensetzung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 1002
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Zusammensetzung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 1002. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Zusammensetzung (Version vom 23.10.2021)

[1002] Zusammensetzung (Komposition), in der Grammatik die Vereinigung zweier oder mehrerer verschieden- oder gleichartiger Wörter zur Modifizierung der Bedeutung der einfachen Wörter. Das wichtigste und untrüglichste Kennzeichen dafür, daß eine Z. stattgefunden hat, bildet die Zusammenfassung der betreffenden Wörter unter Einem Accent; denn in manchen Sprachen, wie z. B. im Englischen, ist es durchaus nicht allgemein Regel, daß zusammengesetzte Wörter als eins geschrieben werden: man vergleiche z. B. englisch dark blue mit unserm dunkelblau. In ihrer ganzen Bedeutung für das gesamte Sprachleben ist die Z. erst von der neuern Sprachwissenschaft erkannt worden durch die Entdeckung, daß die meisten grammatischen Beugungen und Ableitungssilben von Haus aus selbständige Wörter gewesen sind, welche erst durch Z. mit andern Wörtern nach und nach zu reinen Formelementen herabgesunken sind. Derselbe Vorgang läßt sich z. B. in der deutschen Sprache noch jetzt fortwährend beobachten, z. B. wenn wir „voll“ in grauenvoll, wundervoll und ähnlichen Wörtern allmählich zu der Gattung von bloßen Endungen wie „sam“ in wundersam, „haft“ in grauenhaft herabsinken sehen. Geht man in die ältere Periode der deutschen Sprachgeschichte zurück, so sieht man, daß „sam“ und „haft“ ursprünglich selbständige Adjektiva waren, welche „gleich“ und „behaftet“ mit etwas bedeuteten. Die Silbe „heit“ in Gesundheit und ähnlichen Wörtern hieß ursprünglich „Art“, „te“ in lieb-te hieß „that“ (Imperfektum von „thun“). In engerm Sinn nennt man Z. eine solche Verbindung mehrerer Wörter, namentlich Substantiva, wobei das Bewußtsein, daß sie nicht einfach, sondern zusammengesetzt sind, sich noch allgemein lebendig erhalten hat. Insbesondere versteht man darunter zusammengesetzte Substantiva dieser Art. Die Kompositionsfähigkeit der verschiedenen Sprachen und Sprachstämme ist eine sehr verschiedene und wechselnde. Äußerst gering ist sie z. B. in den semitischen Sprachen, die indogermanischen Sprachen haben dagegen nicht nur in der Urzeit durch Z. einen großen Reichtum an grammatischen Formen hervorgebracht, sondern sich auch die Fähigkeit der Z. dauernd bewahrt, wodurch sie im stande sind, ihren Wortschatz in fast unbegrenzter Weise zu vermehren. Namentlich das Sanskrit, das Griechische und die germanische Sprachfamilie sind zur Komposition in vorzüglichem Maß befähigt; dagegen gibt es in Latein zwar zahlreiche zusammengesetzte Verba, aber wenig substantivische Zusammensetzungen. Im Sanskrit ist gerade die Z. der Substantiva bis ins Monströse gesteigert worden, und in der gelehrten Sprache der Kunstdichter und Kommentatoren kommen Komposita vor, welche ganze Seiten füllen. Im guten deutschen Stil werden jetzt die übermäßig langen Komposita als pedantisch mit Recht gemieden. Bei der Z. im engern Sinn pflegt man zwischen Komposita, d. h. einfachen Zusammensetzungen, und Dekomposita, d. h. weitern Zusammensetzungen schon zusammengesetzter Wörter, zu unterscheiden. Die zusammengesetzten Substantiva teilen neuere Grammatiker nach ihrer Bedeutung ein in determinative, z. B. Hauptstadt, Mitternacht, Mitsklave, wobei das erste Wort bloß dazu dient, den Begriff des zweiten näher zu bestimmen, in attributive, worin zwar auch das zweite Wort näher bestimmt wird, aber so, daß beide einen neuen Begriff bilden, der einem dritten Wort als Eigenschaft beigelegt wird, z. B. Langfinger, gleichartig, zehnjährig, in objektive, worin eins der beiden Wörter vom andern grammatisch regiert wird, z. B. Hausherr, d. h. der Herr des Hauses, ehrliebend, d. h. die Ehre liebend, und in beiordnende, z. B. Schwarzweißrot, Helldunkel. Vgl. Justi, Über die Z. der Nomina in den indogermanischen Sprachen (Götting. 1861); Osthoff, Das Verbum in der Nominalkomposition (Jena 1878).