Madagascar
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Schon die Alten kannten das Daseyn von Madagascar als eine in Südost von Aethiopien liegende große Insel; die Portugiesen entdeckten sie aber 1492, und nannten sie nach dem Heiligen des Entdeckungstags St. Laurentius. Andere Europäer gaben ihr denjenigen Namen zurück, welchen sie im Munde der Eingebornen führt:
[85] Madagascar. – Die Insel, etwa 200 geogr. Meilen lang und den vierten Theil so breit, wird durch den Kanal von Mozambique vom afrikanischen Festlande geschieden. Für die gebildete Welt ist sie, bis auf einige Küstenstriche, noch immer ein TERRA INCOGNITA; daher muß die Angabe von der Zahl ihrer Einwohner blos auf muthmaßlichen Schätzungen beruhen. Solche wechseln zwischen 1½ und 3 Millionen. – In Madagascar zeigt sich die Natur noch in ihren Urformen, und nur leise hat die Hand der Cultur sie hie und da berührt. An den Küsten tief eingerissene, mit der üppigsten Vegetation begrenzte Schluchten, aus denen brausende Bergwasser dem Ocean zueilen; weiterhin mit fast immerwährenden Nebeln bedeckte Thäler und, im Innern, große hohe Gebirgskämme, an deren mit Urwäldern bedeckten Seiten colossale Wolkenmassen hin und her ziehen, oder auf und nieder wogen, oder, das Ganze umhüllend, ein Dunstmeer bilden, aus dem nur die höchsten Bergkegel hervor stehen wie einsame Inseln: – so ist der allgemeine Anblick Madagascars aus der Ferne. Die geognostischen Verhältnisse des Eilands sind noch fast gar nicht untersucht; doch trägt es die sichtbaren Zeichen der neptunischen Herrschaft. Muschelkalk ist bis zu einer Höhe von vielen tausend Fuß aufgelagert, und die Ueberbleibsel von Korallen etc. etc. bilden ganze Berge. Nur einzelne Strecken des Ufers beweisen das Daseyn von auch vulkanischer Thätigkeit in diesen Gegenden. Basaltfelsen, theils mit schöner Säulenbildung, ragen an mehren Orten unmittelbar aus dem Meere hervor. Alle Partieen vulkanischen Ursprungs sind sehr zerklüftet und geben den Gegenden, wo sie vorkommen, einen romantischen Charakter, den eine riesenhafte Vegetation noch steigert. Die Schluchtenwände sind mit armdicken Schlingpflanzen eingefaßt, oder besetzt mit großen Bäumen, an welchen jene hinanranken. Uralte, ungeheuere Baumstämme liegen chaotisch umher, eingeklemmt zwischen dem zerflüfteten Gestein, oder mit Farnkräutern und Gebüsch überwachsen: Zeugen der Gewalt und der Verwüstungen der Gewässer, die zur Regenzeit sich in reißenden Strömen von den Bergen wälzen. Hie und da stürzen Wasserfälle von Felsabsätzen, oder grünliche Seen gucken aus der Tiefe der Thalgründe. Auf dieser Insel ist an gebahnte Wege nirgends zu denken. Die Pfade der Menschen gleichen den Pfaden des Wildes, und über die schauerlichsten Schluchten führen leichte Brücken, von Baumzweigen geflochten. Schaudernd sieht der zagende Reisende die Wasser in der Tiefe schäumen und hört ihren Donner, der sich durch die Schlucht den fernen Bergen zurollt.
Die Eingebornen wohnen Dörferweise bei einander. Ihre Wohnungen sind, zum Schutze vor den Ueberschwemmungen, gemeinlich auf Anhöhen erbaut, und haben, vermöge einer Eigenthümlichkeit in ihrer Bauart, ein sonderbares Ansehen. Sie sind nämlich zeltartig, und die Balken, welche sich zu beiden Enden, an den Firsten, kreuzen, ragen weit über dieselben, gabelförmig, hinaus, und sind an den Enden zu allerhand Kopfgestalten von Thieren und Vögeln ausgeschnitzt. Die Dörfer umgeben Gräben, zwanzig Fuß breit und oft doppelt so tief, theils [86] der leichtern Vertheidigung wegen in Zeiten des Kriegs, theils um die Besuche wilder Thiere des Nachts abzuhalten. Ein schmaler Steg führt über den Graben an einem Ende des Dorfes; der einzige Zugang zu demselben.
Die Abstammung der Einwohner ist die Malayische. Sie sind stark, wohlgebildet, kraushaarig, olivenfarbig, sehr kriegerisch, rachsüchtig; thierischen, sinnlichen Genüssen sind sie oft bis zum Wahnsinn ergeben. Nach Art indischer Stämme scheiden sie sich in Kasten; aus den vornehmsten werden ihre Fürsten, ihre Priester und ihre Richter gewählt. Die Priester können schreiben und lesen und sind Bewahrer der Religionsgeheimnisse. Der Malagasse verehrt ein gutes und ein böses Wesen; beide theilen sich, nach seinen Begriffen, in die Herrschaft des Himmels und der Erde.
Es ist die gewöhnliche Tendenz religiösen Aberglaubens, über die stärksten und zartesten Triebe der Natur eine teuflische Gewalt auszuüben und nach ihrer Vernichtung und Unterdrückung zu streben; aber kaum giebt es eine so scheußliche Aeußerung seiner Macht, wie hier, unter irgend einem Volke. Eine von den Priestern genährte Vorstellung schreibt jedem Tage einen allmächtigen Einfluß zu, der bald für Dieses, bald für Jenes böse oder gut sey. Gewisse Tage halten sie für unheilbringend jeder organischen Neugeburt so sehr, daß sie die Zerstörung derselben für einen Pflichtakt der Barmherzigkeit betrachten. Es werden daher alle an solchen Tagen gebornen Kinder von den Aeltern gemordet, welche damit Gott das wohlgefälligste Opfer zu bringen wähnen. Schauderhaft ist die Art die Schauerthat zu vollziehen. Man denke sich den neugebornen Menschen, das Bild der Hülflosigkeit, hingegeben der Marter; seine Henker – die Aeltern. Lächelnd liegt es in den Armen der Mutter, die es still und andächtig unter den Agonien der Liebe und des Aberglaubens, gefolgt von dem Vater und den Verwandten, hinaus vor’s Dorf trägt und es niederlegt in den Staub queer vor dem Steg, den Alles, was aus- und eingeht, wandeln muß. Unfern von dem wimmernden Geschöpfchen setzen sich die Aeltern und Verwandten nieder. Die Menschen gehen und kommen: aber sie schreiten über den Gegenstand des Jammers, der sich im Staube windet, hinweg. Erst den Fußtritten der heimkehrenden Heerde ist’s vorbehalten, seine Leiden zu endigen. –
Bisweilen geschieht es wohl, daß ein solches Kind einen ganzen Tag liegt, und nur leicht verwundet, oder unverletzt davon kommt. In diesem Falle nimmt es ein Priester auf, reinigt es im geweiheten Wasser und unter dem Jubel des Volkes giebt er’s den entzückten Aeltern zur Pflege zurück! Der böse Zauber des Tages ist dann durch die Macht des guten Geistes gelöst, und das Kind wird fortan als dessen Schützling betrachtet.