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Manifest II von De Stijl

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Theo van Doesburg
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Titel: Kundgebung II des „Stijl” 1920. Die Wortkunst
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aus: De Stijl, 3. Jahrgang, Nr. 6 (April 1920): S. 51–52.
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Erscheinungsdatum: 1920
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Quelle: www.ubu.com. Commons
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KUNDGEBUNG II DES „STIJL” 1920

DIE WORTKUNST

der Gliederbau der zeitgenössischen Wortkunst lebt noch von der süszen Empfindelei eines gewesenen entkräfteten Zeitgeschlechts

DAS WORT IST TOT

die Abklatschübungen nach der Natur und das Flimmerspiel dramatischer Ausdrücke
               welche die Büchermacher uns vorsetzen
               meter- und Kiloweise
enthalten nichts von den neuen Künheitsaufschwüngen unseres Lebens

DAS WORT IST MACHTLOS

die kurzatmige und gefühlselige Poesie
das „ich” und das „sie”
               das man immer und allerwärts
               vorzugsweise aber in Holland
               anwendet unter dem Einflusze eines Raum-ängstlichen Individualismus
                    in Gärung Uebergegangenes überbleibsel einer greisenhaften Zeit
erfüllt uns mit Ekel

die Seelenkunde in unserer Romanschriftstellerei
               lediglich beruhend auf persönlicher Einbildungsgabe
das seelische Zergliederungsverfahren
und die versperrende Schönrednerei
haben auch die WAHRE BEDEUTUNG DES WORTS ZERSTÖRT

die sorgfältig einer neben dem andern und einer unter dem andern aufgereihten Sätze
die trockenen STETS EINER VORDERSEITE ZUGEKEHRTEN Redensarten
               womit die bisherigen Wirklichkeitsschriftsteller
               die zu sich selber beschränkten Erfahrungen zur Schau boten
sind völlig machtlos
und vermögen die Gemeinschaftserfahrungen unserer Zeit nicht wiederzugeben

ebenso wie die alte Lebensauffaszung sind die Bücher auf die
LÄNGE die ZEITDAUER aufgebaut
sie haben
STOFFLICHES AUSMASZ

die neue Auffaszung des Lebens wurzelt in der
TIEFE und SPANNUNGSGEWALT
derart wollen wir auch die Dichtkunst
um litterarisch die vielfachen Geschehnisse
               rundum und quer durch uns
zu gestalten
ist es notwendig dasz das Wort
               sowohl hinsichtlich des Tons wie des Gedankengehalts
umgestaltet werde
wenn in der bisherigen Dichtkunst
               durch die Vorherrschaft der persönlichen und nebenbedingten Gefühle
die innewohnende Bedeutung des Worts zerstört ist
so wollen wir durch alle uns zur Verfügung stehenden Mittel
               die Satzlehre
               die Verslehre
               die Druckanordnung
               die Rechenkunst
               die Rechtschreibung
eine neue Bedeutung des Worts und eine neue Kraft des Ausdrucks herstellen

die Zwiespaltigkeit zwischen Poesie und Prosa darf nicht fortdauern
die Zwiespaltigkeit zwischen Inhalt und Form darf nicht fortdauern
für den heutigen Schriftsteller musz die Form eine unmittelbar geistige Bedeutung haben
kein Ereignis wird er beschreiben
auf keine Weise wird er beschreiben
sondern SCHREIBEN wird er

im Wort wird er die Gesamtheit der Geschehnisse nachschaffen:
gestaltende Einheit des Inhalts und der Form

Wir zählen hierbei auf die sittliche und künstlerische Unterstützung aller die mitarbeiten an der geistigen Erneuung der Welt

Leiden-Holland April 1920 theo van doesburg/ piet mondriaan/ antony kok