Med. Topographie Gmuend:029
Franz Joseph Werfer Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd | |
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[54] Leben sind, eben so ist auch anderseits nicht weniger unverkennbar die Macht und Wirkung, die die Sitten, Gebräuche, Erziehung, die Denk- und Handlungsweise der Menschen auf ihre Gesundheit und Krankheiten zu äußern vermögen; sie stärken und erhalten entweder, oder verzärteln und schwächen den Körper und dessen Gesundheit; führen Krankheiten häufiger und schneller herbey, oder schützen dafür; verändern nicht selten ihren natürlichen Gang, wie man es zum Theil auch an der öftern Unregelmäßigkeit der Krisen in akuten Krankheiten, mehr bey Städtern als Landbewohnern beobachtet, und sind endlich gar oft die Hauptursachen einer frühern und leichtern oder spätern und schwerern Heilung derselben, so wie auch die Temperamente auf den Charakter derselben eigends influirend sind. Kultur verändert Klima, Lebensart und mit diesen den Gesundheitsstand, und eine bekannte Erfahrung ist es, daß dieselbe und das mit ihr verbundene Wohlleben dem Menschen immer einen großen Theil der Gesundheit und Stärke hinwegnehmen, und schwerlich mag dieser Nachtheil sich dadurch wieder aufwiegen, wenn ihn die Natur mit der Entwicklung seiner Geistesgaben belohnt, damit er sie zu Erfindungen gebrauche, die ihn zur möglichsten Befriedigung seiner intellectuellen Bedürfnisse führen. Moden bringen und entfernen Krankheiten; seitdem man die weite Schuhe nicht mehr für schön erklärte, trägt man Hühneraugen; zu Zeiten der Schnürbrüste giengen die Mädchen höckerig, und nun tragen sie Rheumatismen, weil man diese nicht so leicht bemerkt, als einen schiefen Rücken; denn das deutsche Frauenzimmer tragt sich zu jeder Jahrszeit, [55] zumal in unsern Tagen, so leicht, daß nur in Italien für die Gesundheit desselben nichts Nachtheiliges aus diesem römischen Kostüme hervorgehen dürfte[1]. Auch die Erziehung, die physische wie moralische, hat vielen und großen Einfluß auf die Gesundheit. Ehmals war es Sitte, sich recht warm zu kleiden, nie zu verkälten, immer die verdaulichsten Speisen zu genießen, dadurch kam es, daß Niemand mehr das geringste Ungemach ertragen konnte, ohne krank oder wenigst unpäßlich zu werden. Da hieß es, das taugt nichts, man muß sich abhärten; da badete man die Kinder kalt, ließ sie nackt im Schnee herumlaufen, gab ihnen sogleich die rohesten Speisen, und erzog viele robuste Leute, aber auch viele Krüppel. Eben so wird durch die moralische Erziehungsweise dem Menschen schon von den frühesten Jahren an die künftige Bahn seines Lebens bezeichnet, und nach Art der Lehren und Grundsätze, die dem noch jungen Gemüthe vor- und eingebildet werden, seiner sinnlichverständigen Natur ein freierer oder beschränkterer Spielraum für Enthaltung und Genuß abgesteckt, wodurch denn, je nachdem das eine oder das andere die überwiegende Gewalt erhält, entweder zur Erhaltung und Stärkung der Gesundheit der Seele und des Leibes, oder zur frühen Zerrüttung und Untergrabung derselben der Grund gelegt wird. Es ist daher für den Arzt unstreitig immer von der größten Wichtigkeit und Nothwendigkeit, diejenigen Ursachen in seinem Umkreise näher kennen zu lernen, welche einen so wirksamen und vielseitigen Einfluß auf den menschlichen Körper zu äußern vermögen, indem er nur durch aufmerksames Aufsuchen diesen physischen
Anmerkungen (Wikisource)
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