Med. Topographie Gmuend:042

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Franz Joseph Werfer
Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd
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der mittlern Volksklasse sonst unbekannter physischer und moralischer Uebel und Leiden ist, hat auch hier einen Grad erreicht, der mit dem gegenwärtigen Verdienst, und daher leicht zu berechnenden Vermögensstand in keinem Verhältniß mehr steht. Der niedere Stand der Bürger ahmt den Höhern nach, oder thut es ihnen noch zuvor, zumal in der Kleidertracht und in mancher Art sich zu vergnügen; selbst der Landmann hat sich von seiner einfachen Lebensart merklich entfernt, und ist weichlicher geworden, als ehedem, besonders seitdem sich das Kaffeetrinken unter diesem Stand verbreitet hat. Die sonst übliche Bürgertracht wird, besonders unter dem weiblichen Geschlecht, immer seltner, gar viele, wo nicht die meisten Töchter und Mütter vertauschen dieselbe mit der neuen leichtern Modetracht, und mit jedem Jahr sieht man letztere mehr sich ausbreiten, wenn sie auch des öftern Wechsels und des häufiger benöthigten Waschens und Veränderns wegen schon theurer kommt, als die gewöhnliche bürgerliche Tracht; zudem hat sie aber noch den Nachtheil, daß sie bey vielen, welche nicht von Jugend auf an die leichte Kleidung gewöhnt sind, zu manchen Verkältungen und daher rührenden Unpäßlichkeiten Anlaß giebt. Es ist zwar die bürgerliche Weibertracht, bestehend in mehrern langen Röcken mit einer Schürze, einer mehr steifen Schnürbrust, einem Wams mit kurzen Ermeln und Manschetten, einer hellbraunen Band- oder kleinen niedlichen Drathaube, wozu bey Festkleidern zumal Wohlhabender meistens gute seidene Stoffe, Gold- und Silberborden und schöne Spitze verwendet werden, beym ersten Ankauf etwas theurer, aber auch um so dauerhafter, und

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mehr schützend vor den nachtheiligen Wirkungen des so häufigen bey uns statt findenden Witterungswechsel. Selbst die Winterkleidung ist jetzt bey vielen gar zu leicht, als daß sie hinlänglich vor Verkältungen schützen könnte, und wird noch dazu im Frühjahr gewöhnlich zu früh ab, und im Herbst zu spät angelegt; denn immer beschützt sich der Mensch wohl besser, wenn er die Winterkleider früh zu sich nimmt, und spät wieder ablegt; dadurch werden zahllose Unpäßlichkeiten vermieden, die bey uns der rauhe meistens lang anhaltende Winter bey schlechter Bedeckung des Leibes verursacht. Man hört aber jetzt auch häufiger über Rheumatismen, und von Frauenzimmern besonders über Manstrutionsfehler und daher rührende Kolicken, und mancherley andere dem jugendlichen Alter sonst unbekannte Nervenleiden klagen; und leid thut es dem Mann, der den Frauen gut ist, daß er sie so oft von der Natur so hart muß strafen sehen; denn dises sonst zarte Geschlecht will sich hierinn ganz und gar an keine diätische Regel binden, und man hörte sie wohl schon den Einwurf machen, daß sie doch nicht leichter und unbedeckter giengen, als die Weiber und Töchter der alten Deutschen. Der Putz mit Gold- und Silbergeschmeide: als Ohrenringen, Halsbändern, Ketten, Schnallen und dergl. war hier von jeher etwas auszeichnend, indem dergleichen Dinge ein Hauptartikel unsers Handels sind; doch aber bemerkt man in neuern Zeiten auch hierinn den steigenden Luxus. Von Männern kann man das gesagte mit Unterschied größtentheils auch gelten lassen; die sonstige bürgerliche Männertracht wird seltner, der Kaufmann und Manufakturist kleiden sich stets nach