Mein erster Wallfisch

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Autor: unbekannt
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Titel: Mein erster Wallfisch
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 319–320
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[319]
Mein erster Wallfisch.

„Ihr müßt wissen, meine Herren, „erzählte mein Freund, als wir bei einer Tasse Thee im traulichen Zimmer saßen, „daß ich meine Laufbahn als Apotheker angefangen habe. Jetzt bin ich das freilich nicht mehr, so wenig wie ein Ellenreiter. Ich bin – doch darauf kommt es nicht an. Ich war also in meiner Jugend in einer Apotheke und handthierte ein Paar Jahre mit Mörser und Keule. Eines Morgens, als ich gerade Augenwasser für die alte Gräfin Kinkerlicky zurechtmachte, rief mich mein Prinzipal, der zugleich mein Onkel war, zu sich und sagte:

„Tim, mein Junge, ich will einen Mann aus Dir machen. Du mußt in einer halben Stunde nach der Baffingsbai abgehen! Du bist Chirurgus auf dem Wallfischfahrer „Jupiter.“ Fünfzig Pfund für die Fahrt, Du Schelm, nebst Kost, Wohnung und Wäsche. Doch halt! Ueber die letztere bin ich nicht ganz sicher.“

„Ich war ganz verdutzt und wußte nicht, wie mir geschah. Ich war jedoch damals schon so voll von Principien, daß ich mich nicht enthalten konnte, meinem Oheim demgemäß zu erwiedern: „Onkel, sagte ich, ich habe erst ein Jahr studirt, und kann die Verantwortlichkeit nicht über mich nehmen, Beine abzuschneiden, bis ich mehr von der Anatomie und Physiologie verstehe.

„Was bist Du für ein Narr! sagte mein Onkel darauf, der ein kleiner brünetter Mann war, und Napoleon glich, den Alten meine ich, nicht den jungen.

„Ich wollte eben weitere Einwendungen machen, da kam aber gerade der Rheder des „Jupiter“ herein und ich mußte still schweigen.

„Ist Euer Neffe einverstanden?“

„Ja wohl!“

„Ich wollte den Mund aufmachen, aber mein Onkel trat zwischen mich und den Rheder, und ich mußte davon abstehen.

„Nun, dann kommt, Doctor!“

„Jetzt wurde ich vollends roth vor Schaam, als ich Doctor genannt wurde. Ich Springinsfeld, der ich eine schmutzige Schürze umhatte und nach Kastoröl, Opodeldoc und Gentiantinktur roch – ich sollte mit einem Mal einen Doctor spielen! Was blieb mir aber übrig ? Ich mußte meine Schürze abnehmen und dem Rheder folgen.

„Ich fürchte nur, Herr, daß meine medizinischen Kenntnisse – begann ich, als wir in das Menschengewühl traten, das uns von meinem Onkel trennte, er schnitt meine Bedenken aber kurz mit den Worten ab: „Schon gut, wir wissen schon Alles.“

„Damit kamen wir nach dem Kai, wo ein Langboot in Bereitschaft lag und ich wurde ohne weitere Ceremonie an Bord gewiesen.

„Na, leb wohl, Tim, sagte mein Onkel zu mir, ich wollte Dir wohl noch etwas Taschengeld geben, Junge, aber die Esquimaux da unten kennen doch keine Münzen!“

„Ich hatte weder Vater noch Mutter und nun verließ mich auch noch mein Onkel. Zu welchem Schicksal, war klar. Ich war noch nicht aus den Flegeljahren. Das Boot flog wie ein Pfeil hin und brachte uns nach dem „Jupiter,“ der zum Abfahren bereit, unruhig auf und ab wogte.

„Habt Ihr den Doctor mit?“ rief eine Stimme durch ein Schallrohr.

„Ja!“

„Dann paßt auf!“

„Der „Jupiter“ machte eine Wendung, ein Strick flog uns zu, wir kletterten herauf und in drei Minuten waren wir vor Wind und die Thürme von W– schwanden aus unserm Gesichtskreise. Ich wurde seekrank und man beorderte mich in die Kajüte. Dort blieb ich zwei oder drei Tage, bis die Krankheit vorüber war. Dann stieg ich herauf und wurde über das Wie und Wo meiner Anstellung als Chirurgus der guten Barke „Jupiter“ in Kenntniß gesetzt.

„Jeder Wallfischfahrer mußte gesetzlich eine Art Chirurgus mit sich führen, und nahm dazu gewöhnlich einen Studenten der Medizin, der eben seinen Cursus gemacht hatte. Der Jüngling, den der „Jupiter“ dazu engagirt hatte, war aber mit einem Male durch die Aussicht auf die Seefahrt so in Schrecken gesetzt worden, daß er fortgelaufen war. Was blieb dem „Jupiter“ übrig? Capitain Junk wollte den guten Wind nicht um so einen Schlingel von Doctor verlieren, und erklärte, er wolle seine Leute schon selbst kuriren, der Rheder wollte aber die gesetzliche Strafe nicht riskiren, und wendete sich daher in dieser Verlegenheit an meinen Onkel. So mußte der „Jupiter“ so lange in der Rhede liegen, bis ich eingefangen war.

„Der alte Junk war ein Teufelskerl. Er war im Stande, einen Matrosen oder einen seiner Bulldogs ohne viele Vorrede niederzuhauen, wenn sie ihm in die Quere kamen, aber das geschah nur, wenn sie ihn in Harnisch setzten. Sonst war er nicht grausam, und wenn man ihm seinen Willen that, so sanft wie ein Lamm. Ich erkannte dies bald und lebte ganz gut mit ihm. Ich corrigirte ihm seine Federn, spitzte seine Bleistifte und rollte seine Karten auf, machte ihm den Thee und so dergleichen.

„Aber, wenn Ihr nun Kranke zu behandeln hattet?“ fiel ich ein.

„Pah! es gab keine Kranken. War einer von den Matrosen unwohl, so gab ich ihm Liqueur aus Zucker, und der bekam ihnen vortrefflich. Matrosen sind fast immer gesund.

„Aber wenn sie nun Arme oder Beine brachen?“

„Pah, sie wußten, daß ich mein Diplom nicht hatte und hüteten sich daher, Arme und Beine zu brechen. Ich hatte also gute Zeit am Bord des „Jupiter“ und unterhielt mich ganz gut. Allmälig wurde es aber verteufelt kalt und ich hätte arg frieren müssen, wenn ich nicht glücklicher Weise in dem Koffer meines Vorgängers gute warme Kleider gefunden hätte. Seine Mutter hatte für diesen offenbar auf das Beste gesorgt.

Endlich kamen wir nach dem Nordpol und legten vor einem weiten Meere von Eis vor Anker. Der alte Junk kletterte nach dem Krähennest, das sich, wie Ihr wissen werdet, auf dem Hauptmast befindet, um nach Wallfischen zu sehen und ließ sogleich die Boote in Stand setzen. Das war am Freitag Morgen. Die Boote wurden voll bemannt und nur der Capitain, ich und drei Schottländer blieben zurück. Ihr müßt nämlich wissen, wenn ein Wallfischfahrer nicht Leute genug hat, so legt er an den Schettlandsinseln an, wo er immer arme Teufel genug findet, die mit ihm gehen, und zum groben Schiffsdienst ganz brauchbar sind.

„Bald nachdem unsere Boote fort waren, trat ein dicker Nebel ein, so daß wir kaum unser Bugspriet sehen konnten. Er hielt Tag und Nacht an und Junk wurde unruhig. Am nächsten Morgen war es noch eben so nebelig – wir riefen, feuerten unsere Kanonen ab und machten allen möglichen Lärm – kein Ruf kam zurück. Keine Boote waren in Sicht.

Wir waren zwar um die Leute nicht besorgt, denn sie hatten Lebensmittel genug und konnten sich auch mit ihren Büchsen Wild schießen, wir hatten auch keine Furcht, daß sie nicht wiederkehren würden, denn sie waren aller Wahrscheinlichkeit nach bei dem Aufeisen aufgehalten worden. Aber Junk konnte es seinem heftigen Charakter gemäß nicht ertragen, daß er so ganz ohne Nachricht blieb. Er ging in steter Erregung auf dem Verdeck auf und ab, und konnte weder schlafen noch essen. Am Sonntag Morgen beschloß er darauf, eine Entdeckungsexpedition auszusenden, die ich kommandiren sollte. „Doctor, sagte er zu mir, ich bin besorgt wegen der Boote – zieht Eisstiefeln an, nehmt eine Pike und geht nur über das Eis – vielleicht ist’s da klarer, und wenn Ihr ein Paar Meilen vorgeht, können sie Euch besser hören als uns. Ich kalkulire, wir liegen hier an einer langen Eiszunge, und wenn Ihr in rechtem Winkel eine halbe Stunde vorgeht, müßt Ihr an klares Wasser kommen. Merkt Euch aber Euere Spuren im Schnee, damit Ihr Euch zurückfinden könnt. Ich will Euch einen von den Schottländern mitgeben.“

„Ich sah wohl, daß die Spedition nicht ohne Gefahr war, aber ich war des ewigen Einerleis in dem Nebel müde, und wollte auch vor dem alten Junk meinen Muth zeigen. Ich willigte also ein.

„Darauf wurde ich für die Reise ausgerüstet und ich machte mich mit dem Schottländer guten Muthes auf den Weg. Wir gingen die angegebene Richtung entlang, riefen fortwährend und gingen so ein Paar Stunden. Der Nebel blieb aber immer derselbe. Endlich hörten wir etwas wie das Geräusch der See zu unserer Rechten. Das belebte unsere etwas schwach werdenden Geister, denn die Beschwerlichkeit, die uns das Gehen auf dem Eise verursachte und das stete Forthelfen mit der Pike, hatte uns müde gemacht und wir schritten ermuthigt dahin, bis wir den Rand des Wassers erreichten. Hier sahen wir die Bucht einer Bai vor uns, über die hinaus, so viel wir bei dem Nebel sehen konnten, wieder Meilen weit Eis lag. Das Wasser war ungefähr eine Viertelmeile breit. Wir standen an dem Vorgebirge und schrieen, so laut unsere Lungen es erlaubten, erhielten aber keine Antwort und entschlossen uns daher, nach dem „Jupiter“ zurückzukehren. Seitdem wir unsere Reise angetreten, hatte es ab und zu geschneit, wir hatten indessen keine besondere Unbequemlichkeit davon gehabt. Jetzt sahen wir aber zu unserm Schrecken, daß, je weiter wir vorgingen, desto mehr auch unsere Fußtapfen verschwanden. Ich wollte meine Furcht nicht zeigen, um meinen Gefährten nicht zu entmuthigen, er hatte nicht diese Rücksicht gegen mich, sondern brach sogleich in Thränen aus und erklärte, wir würden nie mehr nach dem Schiff zurückkommen, sondern vor Kälte und Hunger sterben oder von Bären gefressen werden.

„Ich dachte freilich bei mir, etwas der Art könnte wohl passiren, war indessen zu stolz, um vor dem feigen Schottländer meine Furcht zu zeigen und bot ihm daher die Spitze.

„Seid stille, Ihr alte Memme, sagte ich. Doctoren sterben nicht vor Hunger und Kälte und was die Bären betrifft, so will ich den sehen, der mich fressen will. Wenn jetzt einer käme, würde ich ihn bei der Kehle packen und beim Zapfen festhalten, dann würde er wohl, meine ich, genug haben.

„Der Schottländer sah mich erstaunt an, denn ich war noch ein schlankes Bürschchen. Da er aber sah, daß ich ein gehöriger Eisenfresser war, so ergab er sich mir.

„Was wollt Ihr thun, Doctor?“ fragte er ganz demüthig.

„Thun? Was, wir gehen den Weg zurück, den wir gekommen sind, zu unserem Schiff. Es liegt auf der andern Seite des Eises und wir brauchen blos herumzugehn. Wir werden es sicher bald treffen. Also vorwärts.“

„Wir waren diesmal schon sehr müde, versichere ich Euch. Wir gingen also zurück, entdeckten aber zu unserm Mißbehagen, daß der Schnee auch unsere letzten Spuren verwischt hatte und mußten daher unsere Richtung ganz auf’s Geradewohl suchen. Nach einer langen mühsamen Wanderung kamen wir wieder an die See. Unsere Freude darüber war aber nicht groß, denn wir sahen bald, daß wir nur an die andere Seite der Bai gelangt waren, die wir verlassen hatten. Das war nicht sehr einladend, und wir waren so erschöpft, daß wir nur noch, um unser Leben zu retten, eine Viertelmeile uns weiter schleppen konnten. Jetzt sah es in der That so aus, als sollten wir hier umkommen. Ich verlor aber auch jetzt den Muth noch nicht. Ich hatte eine Pfeife, Taback und Feuerzeug bei mir, und bot meinem Gefährten die Hälfte von dem Kraute an. Der arme Teufel konnte aber weder rauchen noch kauen:

„Ich will Euch was sagen, lieber Freund, rief ich ihm darauf zu. Ihr solltet was Besseres thun, als hier auf dem Eisstück sitzen und heulen, und Euch lieber frisch und wach halten, denn wenn Ihr in Schlaf fallt, so erfriert Ihr und müßt sterben.“

„Ach, Doctor, wir sind verloren. Ich bin müde und wenn die Bären uns wittern.“

„Pah, hängt die Bären! Hier, thut einen Zug aus meiner Pfeife, das wird Euch den Mund wärmen.“

„Er versuchte es, es machte ihm aber nur übel und er gab es wieder auf.

[320] „Doctor, was sollen wir nun thun?“ fragte er flehentlich.

„Was wir thun sollen? Uns ein Wenig ausruhen, und dann wieder aufbrechen. Ich warne Euch aber zum zweiten Mal; wenn Ihr Euch zu sehr der Furcht hingebt, seid Ihr ein todter Mann.“

„Ich war so voll Furcht wie er, zeigte sie aber auch jetzt nicht. Er fiel einige Male in Schlaf, ich weckte ihn aber von Zeit zu Zeit immer wieder auf. So verbrachten wir die Nacht, wenn das stete Zwielicht, das uns umgab, so zu nennen ist, und zuletzt verschwand der Nebel. Ich besaß keine Uhr und weiß daher nicht, wie spät es war. Es war aber gegen Morgen, als der Schottländer, während ich auch ein wenig nickte, mich mit dem Ruf weckte: ein Bär, ein Bär!

„Wu, wwwu, wu–u“, rief etwas, das einem Bären gleich sein konnte, zuweilen rasch hinter einander wie eine Locomotive und dann wieder leiser.

Ich spitzte die Ohren und griff nach meiner Pike. Nachdem ich ein Paar Mal hingehört, fand ich zu meiner Befriedigung, daß der Ton aus der See kam, und bald darauf sah ich eine glänzende Masse, die wie ein großer Mahigoniblock aussah, auf mich zuschwimmen. Das Wasser war dabei ganz ruhig, denn des Thieres Flossen waren ruhig, und es bewegte sich nur mit dem Schwanz langsam vorwärts.

„Wu, wu“, stöhnte der Wallfisch und ich und der Schottländer wir waren ganz starr vor Erstaunen auf das Wunder. Hätte ich eine Harpune gehabt, ich hätte ihn so leicht wie einen schlafenden Hund durchbohren können, aber was hätte uns Beiden halbtodten Leuten der Wallfisch nützen sollen!

„Ich hatte noch nie einen Wallfisch gesehen, und kannte ihn nur aus Beschreibungen. Ich wußte, daß Leviathan zuweilen an die Oberfläche kommt, um Luft zu schöpfen und dann wieder untertaucht. Mir kam es aber so vor, als geschehe sein Athmen sehr unregelmäßig, und ziehe er das Oxygen länger an sich, als es ein gesunder Fisch thun würde. Konnte dies daher nicht ein sterbender Wallfisch sein, der hierher gekommen war, um sein Leben in Gegenwart zweier menschlichen Wesen auszuhauchen, die wahrscheinlich bald demselben Schicksal folgen würden? Dieser Gedanke gab mir neue Frische und über diese interessante Frage vergaß ich für eine Zeit lang Hunger und Kälte. Nicht so der Schottländer. Seine Neugier war bald zufrieden gestellt und trotz aller meiner Ermahnungen verfiel er in eine Art Starrsinn, der in solcher Lage das Vorspiel zu dem Tode bildet.

„Er war aber noch nicht todt, und der Wallfisch war es auch nicht, und so lange er am Leben war, konnte ich mich der Hoffnung nicht entschlagen, daß etwas zu unserer Befreiung geschehen könnte; was, wußte ich freilich noch nicht. Weiteres Umhersuchen war nutzlos, denn meine Kraft hatte mich verlassen und ich war erschöpft durch Hunger und Kälte. Ich setzte mich daher nieder und beobachtete den Wallfisch. Er athmete immer schwächer und unregelmäßiger. Er war ersichtlich krank. Aber woran? War er vielleicht harpunirt worden und die äußere Blutung hatte aufgehört und die innere hatte begonnen, oder hatte ein Schaalthier ihn verwundet oder wollte er der Natur überhaupt nur seinen Zoll abtragen, denn weshalb sollten die Wallfische nicht so gut sterben, wie alle andern Thiere? Diese Frage beschäftigte mich länger als eine Stunde. Die Lösung sollte mir aber nicht lange verborgen bleiben. Nachdem er sich wie ein schwerfälliger holländischer Ostindienfahrer umhergewälzt, legte sich das Ungeheuer auf den Rücken, streckte den Kopf in die Höhe und versank dann mit einem Male in den Abgrund der See. Er war noch nicht ganz todt und sank auch nicht ganz unter, und ich beobachtete daher mit steigendem Interesse die Zuckungen seiner feinen Muskeln, indem ich unwillkürlich daran denken mußte, wie schwer allen Kreaturen der Abschied vom Leben wird. Ich wußte, daß nach dem Tode sich gewisse Gase entwickeln und daß der Cadaver auf der Oberfläche erscheinen mußte und lauerte daher voll Begier auf diese Erscheinung. Inzwischen nahm aber eine neue Gefahr meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Das Eis um mich herum begann zu krachen und ich sah plötzlich, daß ich auf einem festen Block stand, den die See zu isoliren und zu zermalmen suchte. Es entstand ein Lärmen wie von Kanonenschüssen. Ich rüttelte den Schottländer, er blieb aber unempfindlich. Da überkam mich ein Gefühl, als ob auch mir der kalte Tod die Hand auf die Schulter legte.

„Da – o Freude – erblickte ich mit einem Male ein Boot in der Ferne. Ich rief, so laut ich konnte, die Matrosen achteten aber nicht darauf, sondern das Boot glitt ruhig weiter. Jetzt überkam mich wilde Verzweiflung. Ich stampfte den Boden, raufte mein Haar und rief auf’s Neue. Sie ruderten noch immer weiter. O, diese Menschen haben kein Herz – es sind Ungeheuer in Menschengestalt – da kam mir plötzlich eine Idee, ich hatte ja ein Mittel, ihre Selbstsucht, ihr Interesse zu erregen. Zu meinen Füßen lag der Wallfisch, der mehrere Hundert Pfund Sterling werth war, und nach dem sie sicher steuern würden, wenn sie es wüßten. Ich raffte also meine letzte Kraft zusammen und schrie aus vollem Halse:

„Ein Wall, ein Wall, ein Wall!

„Dieser Ruf schien wie Musik in ihre Ohren zu dringen, denn sie legten sogleich nach mir um. Mittlerweile hatte die See meinen Eisberg gelockert und ich stand darauf wie auf einer schwimmenden Insel, umrauscht von den Wogen.

„Wo ist der Wallfisch? fragte der Harpunier des Bootes.

„Hier, hier!“ erwiederte ich, indem ich nach der Stelle zeigte, wo der Wallfisch verschwunden war.

„Was macht Ihr hier?“

„Ich bin der Chirurgus des Jupiter und suche nach dessen Booten. Ich und der Schottländer hier wir haben unsern Weg verloren und ich fürchte, er ist im Sterben.“

„Wir dachten, Ihr wäret Esquimaux und wollten Euch deshalb nicht antworten.“

„Jetzt tauchte der Wallfisch gerade zu meinen Füßen auf, und da ich mich jetzt außer Gefahr fühlte, fiel mir auch dessen Handelswerth wieder ein. Ich sprang auf seinen Rücken, um ihn zu reclamiren.

„Ihr seid Engländer, sagte ich, und werdet das Recht achten. Ich nehme Besitz von diesem Fisch als einer der Offiziere des „Jupiter“, unter Commando des Capitains Junk, und ersuche Euch, mir den Preis sichern zu helfen.“

„Doctor, Ihr seid halb erfroren, kommt und nehmt etwas Spirituöses zu Euch, kommt an Bord und wärmt Euch.“

„Ich dankte dem Harpunier für sein freundliches Anerbieten und trat in sein Boot. In demselben Augenblick stieß er aber seine Harpune in den Fisch. Dies war sehr kunstgerecht ausgeführt worden, ich konnte aber nicht begreifen, weshalb er den Finger an die Nase legte und[WS 1] das ganze Schiffsvolk lachte. Ich fragte daher darnach und erhielt folgende Auskunft:

„Doctor“, sagte er, „Ihr seid ein wahrer Grünschnabel. Der Wallfisch gehörte dem Jupiter, so lange Ihr darauf standet, als Ihr aber von dessen Rücken wegspranget, ohne den Besitz zu bezeichnen, gehörte er dem ersten Besten, der ihn markiren konnte. Seht her, das ist die Harpune der Nancy und das Seil der Nancy, sowie das Boot der Nancy, und deshalb ziehen wir den Fisch als den der Nancy mit und, und ich will den sehen, der ihn uns nehmen will. Hättet Ihr nur Euer Messer hineingesteckt und Euer Halstuch daran gebunden, so hätte der Fisch Euch gehört. Merkt Euch das, Doctor, wenn Ihr wieder einmal einen todten Wallfisch findet.“

„Und das ist Gesetz?“

„Abgemacht im Haus der Lords“, was ich nachher allerdings bestätigt fand.

„Wie Ihr denken könnt, machte ich ein traurigen Gesicht. Als ich indessen den Wallfisch verschmerzt hatte, dachte ich an den Schottländer. Er befand sich in einem traurigen Zustande. Nachdem man ihm indessen einige Hülfe geleistet, kam er wieder zu sich, und der Chirurgus der Nancy erklärte nachher, es sei nicht so schlecht um ihn bestellt, er habe nur vier Zehen und drei Finger zu verlieren. Mich nahm man an Bord der Nancy gut auf, aber die Unerfahrenheit, die ich in Bezug auf den Wallfisch gezeigt, blieb das stete Stichblatt der Matrosen, und ich sehnte mich deshalb nach dem Jupiter. Aber kein Jupiter ließ sich sehen und nachdem die Zeit für den Fischfang vorüber war, segelten wir nach dem luftigen England zurück. Nachdem ich dort angekommen, eilte ich gleich zu meinem Onkel und erzählte ihm meine Abenteuer und Gefahren, denn von dem Jupiter wußte man noch nichts. Erst nach einigen Wochen hörte ich, daß mein alter Capitain in Sicht sei und eilte nach dem Kai, ihn aufzusuchen.

„Hoho“, rief Junk, „beim heiligen Georg, das ist der Doctor! Gebt mir Eure Pfote, junger Magnesia. Ich hätte drauf geschworen, daß Ihr längst zum Teufel wäret.“ – „Weiter sagte er aber nichts und wir gingen auseinander.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd