Menschliches Elend in Sicilien
[495] Menschliches Elend in Sicilien. Alexander Dumas giebt in seinen Italienischen Reisen eine herzzerreißende Schilderung von dem Elende der Armen in Sicilien, diesem vom Himmel gesegneten Südlande, der einstigen Kornkammer Roms! In Bezug aus die Austheilung von Suppe, welche Arme täglich an der Pforte eines Klosters abholen, erzählt er Folgendes: „Alle diese armseligen Geschöpfe hatten nichts gegessen seit einem Tage. Sie kamen heute hierher, um ihre Schüssel Suppe zu holen, wie sie gestern gekommen sind und morgen wieder kommen werden. Diese Suppe ist fast ihre ganze Nahrung vierundzwanzig Stunden lang, wenn sie nicht etwa von ihren Mitbürgern oder mitleidigen Fremden etwas geschenkt bekommen, was aber selten der Fall ist, da die Syrakuser den Anblick des Elends vor sich haben und nicht mehr davon gerührt werden und wenig Fremde Syrakus besuchen. – Als der Vertheiler der gesegneten Suppe erschien, drängte sich die ganze hungrige Schaar herbei, oder jeder suchte mit seinem hölzernen Napfe zuerst anzukommen. Einige, welche zu schwach oder leidend waren, um sich vorzudrängen oder zu rufen, krochen seufzend, auf Händen und Füßen, nach der Pforte des Klosters. In der Mitte des Haufens erblickte man ein Kind, welches weiter nichts auf dem Leibe hatte als ein dünnes, durchlöchertes Hemdchen; das arme Geschöpf hatte keine hölzerne Schüssel, es streckte seine Händchen flehend aus, indem es, beide hohl zusammenhaltend, eine tellerartige Vertiefung bildete. Der Koch goß gedankenlos einen Löffel Suppe in dieselbe. Die heiße Suppe verbrannte des Kindes Händchen; es stieß einen Schrei des Schmerzes aus, indem es die Suppe [496] auf den Boden fallen ließ. Es legte sich auch sogleich der Länge nach auf die Erde und leckte die Suppe von derselben auf, gleich einem Hunde.“ – An einer andern Stelle seiner Reisen ruft Dumas: „Dieses ewige Geschrei der Sicilianer um Brot! Ich habe in den drei Monaten, da ich in Sicilien war, fast gar keinen andern Ruf des Volkes gehört, als den Ruf nach Nahrung und Brot. Es giebt Menschen in Sicilien, die sich in ihrem Leben nie vollkommen satt aßen von dem Tage an, da sie als Säuglinge an den Brüsten ihrer erschöpften Mütter lagen, bis zu dem Augenblicke ihres Lebens, da sie die heilige Hostie genossen, welche ihnen der Priester auf die bleiche zitternde Zunge legte. Gräßlich ist es zu denken, daß es menschliche Geschöpfe gebe, welchen es eine glückliche Erinnerung für ihr ganzes Leben ist, sich nur einmal recht satt gegessen zu haben – in einem von der Natur reich ausgestatteten Lande, das einst, wie gesagt, die Kornkammer Roms war, bei einem Volke, das sich rühmt, eins der allerchristlichsten zu sein!“