Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien/Fünffter Brieff

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Fünffter Brieff,

[vom 1. Oktober 1706]

Von der grossen Schwierigkeit, so sich findet bey der Bekehrung der Heiden.
Immanuel!
In unserm Heylande Christo JEsu Werthgeschätzte Freunde!

DEr ewige und lebendige GOtt, der mich nebst meinem lieben Mitt-Bruder in unser beyder Hoffnung und Vertrauen nicht hat zu schanden werden lassen, sondern uns nunmehro glücklich hieher gebracht, und bis hieher sich in diesen fernen Landen unter den Heiden an uns als ein liebreicher Vater und mächtiger Beschützer erwiesen; der erfreue die lieben Freunde und Brüder mit der Freude seines Heiligen Geistes, und gebe Zeugniß in ihrem Gemüthe von alle dem jenigen Guten, daß er uns nach dem Reichthum seiner grossen Barmhertzigkeit von der Zeit unsers Abschiedes daselbsten bis auff gegenwärtige Stunde erwiesen hat; damit sein Name, wie von uns, also auch von ihnen und andern gläubigen Selen, dafür höchlich möchte gerühmet und gelobet werden immer und ewiglich Amen!

Es ist heute eben ein Jahr, als mir von den lieben Vätern und Brüdern in ihrer Versammlung daselbsten meine jetzige Function angetragen wurde; und nach dem ich denn nunmehro schon 3 Monat alhier unter den Malabarischen Heiden umgegangen bin, und nebst meinem lieben Mitt-Collegen ziemlicher massen ihren Zustand [18] eingesehen habe; so erkenne ich mich, nach der gegen sie tragenden hertzlichen Liebe, verbunden zu seyn, von diesen hiemit denenselben eine kleine Nachricht zu ertheilen. Vor allen Dingen muß ich bekennen, daß es unter diesen Heiden eine schwere Sache ist, einen aus seiner Blindheit zu dem Lichte des heiligen Evangelii zu bringen. Denn erstlich haben sie wegen des ärgerlichen Lebens derer Christen ein ungemeinen Abscheu gegen das Christenthum, also, daß sie es für grosse Sünde achten, mit einem Christen zu essen oder zu trincken; ja sie meinen, daß unter allen Völckern die Christen am schlimmsten und schädlichsten wären. Zum andern kömt ihnen ihr Götzen-Dienst weit angenehmer und warhafftiger vor, als die Lehre von Christo, in dem selbiger, ihrem Vorgeben nach, weit älter sey, als diese, und nach ihrer Einbildung auch weit erfreulichere Dinge in sich begreiffe, als unser geoffenbahretes Wort GOttes, daß ihnen lauter verdrießliche Sachen fürzutragen scheinet, und nur hauptsächlich auff den innerlichen Dienst des Gemüthes sein Absehen hat: Da hingegen sie mit lauter materialischen und in die Sinne fallenden Dingen zu thun haben wollen, dergleichen ihre Götzen sind. Ob gleich einige der Thorheit ihres Weges dermassen von uns überzeuget worden, daß sie bekant, es wäre nur ein einiger GOtt, die andern Götter aber wären nur dessen Diener: so erkennen sie um deßwillen doch nicht eben nöthig zu seyn, daß sie dahero unsere Religion annehmen, und selbige allein für warhafftig halten müsten: indem sie glauben, daß ein jeder, der nur in der Welt gut gelebet, dermaleins auch ein gut Lugas, wie sie reden, nach seinem Tode bekommen würde; er möchte im übrigen seyn, wer er wolte. Ja, heute verlangeten etliche gäntzlich von uns, daß wir ein Buch von unserer Christlichen Lehre ins Feuer legen solten, dergleichen sie gleichfalls mit einem Buche von ihrem GOttes-Dienste thun wolten: würde ihres verbrennen, so wolten sie alle Christen werden; würde aber unseres verbrennen, und ihres unversehret bleiben, so solten wir Malabaren werden; und so alle beyde vom Feuer verzehret würden, solte kein Weg von beyden für wahr erkant werden. Wir sagten aber: Daß man GOTT solcher Gestalt aus Fürwitz, ohne seinen hierzu gezeigten Willen, nicht versuchen müste, indem er einem jeden Menschen ein Gewissen gegeben hätte, das da genugsam fühlen und prüfen könne, was wahr oder falsch, gut oder böse sey: und so ferne sie dessen Uberzeugungen nicht wolten gehorsam seyn, so würden sie dermahleines rechtmäßig können von GOtt in die ewige Verdamnüß verstossen werden weil sie seine angebothene Gnade nicht hätten annehmen wollen. Zum dritten wird ihre Bekehrung auch sehr gehindert, wenn sie sehen, wie listig die Catholicken von ihnen viele zu so genante Christen gemachet haben,[1]gedenckende, daß man sie ebenfalls mit solchem Betrug verführen wolle. Da wider wir aber bißher genugsam protestiret haben, daß wir den geringsten nicht, weder mit List, noch mit Zwang, darzu nöthigen wolten; sondern liessen einem jeden seine Freyheit. Zum vierdten mag auch eine Haupt-Verhinderniß seyn, weil sie sehen dergleichen Catholische Christen bey hunderten betteln gehen, dabey sie sich sehr ärgern, daß selbige nicht besser von ihren Glaubens-Genossen auffgenommen, und nach Nothdurfft also unterhalten oder zur Arbeit angewiesen würden, daß sie nicht ihre Unterhaltung vor den Thüren suchen müsten. Zum fünfften wird ein jeder der unter ihnen ein Christ werden [19] wil, und nicht der Oberste in seiner Familie ist, von allen seinen Gütern und von seiner gantzen Freundschaft excommuniciret, also daß er alsdann nicht mehr in ihre Häuser kommen darff, und von ihnen als der allerverachteste und unglückseligste Mensch gehalten wird. Dieses sind lauter solche Dinge, die ihre Bekehrung sehr hindern und fast das Ansehen geben, als solte man wenig unter ihnen ausrichten können: wie wir denn auch anfänglich von den Christen allhier dißfalls sehr kleingläubig gemachet wurden; und selbsten von dem Herrn N. N. hören musten, daß, ob wir gleich einige Zeit über etwas bauen solten, würde solches doch auff einmahl wieder niedergerissen werden, indem er uns gewiß propheceien wolte, daß in zehn Jahren die gantze Stadt mit der See würde überschwemmet werden: Wir aber sehen dergleichen Einwürffe der Vernunfft nicht an, und sind bißher nur desto getroster gewesen, an diesem Wercke mit Ringen, Bethen und Flehen für GOtt zu arbeiten, je weniger Trost, Hülffe und Beystand wir von Menschen haben bekommen können. Und da wir sehen, daß uns GOtt diese wenige Zeit über nicht ohne Segen hat zubringen lassen, indem beides unter Christen, als auch Heiden, eine starcke Bewegung vorgegangen ist, also daß jederman auff unser Leben und Umgang seine Augen gerichtet hat, und dadurch fast mehr zu lernen scheinet, als wenn wir täglich unter ihnen eine Predigt thäten: so haben wir ferner das Vertrauen zu GOtt, und sind versichert, daß er uns auch künfftig hin zu einem unsträfflichen Wandel Gnade geben, und uns keinen Tag ohne Segen und Erbauung werde zubringen lassen. Zumahl da wir wissen, daß so viel hundert glaubige Seelen GOtt um die Verherrlichung seines Nahmens, und also auch um Beförderung dieses Wercks, hertzlich anruffen. Und ob wir auch gnugsam vorhero schon sehen können, daß wir um deßwillen so wohl von den falschen Christen, als auch Heiden hefftig werden verfolget werden; so möchte dieses doch nur vielleicht zu unserm Besten dienen, und solches Werck desto mehr befördern helffen; Also daß wir uns dessen mehr werden zu freuen, als zu betrüben haben. GOtt erhalte uns nur in der jenigen Freudigkeit, die er uns geschencket, daß wir diejenige Zeit, so er uns allhier zu leben vergönnet, recht wohl zur Verherrlichung seines Namens anwenden können, und rechtschaffene Zeugen seiner Warheit seyn mögen. Wie ich denn gewiß versichert bin, daß er warhafftig allhier unter den Heiden durch unser Amt wird gepriesen werden, wo nicht durch ihre gäntzliche Bekehrung; dennoch darinnen, daß ihnen seine Gnade zu ihrem Heil ernstlich sey angebothen worden: Wie wir denn mit allen Fleiß dahin trachten, daß um deßwillen in kurtzen die gantze Christliche Lehre und die allgemeine Ordnung unserer Seeligkeit erstlich in der Portugiesischen Sprache möchte auffgesetzet, und nachmahls in ihre Malabarische translatiret werden. Und wenn wir es alsdann für nöthig erkennen, daß ihnen auch zugleich die Falschheit ihres weges schrifftlich müsse demonstriret werden, könte solches ebenfalls solcher gestalt geschehen; Weswegen ich mir auch anjetzo die Historien ihrer Götter abschreiben lasse, und stets mit etlichen dißfalls conferire. Wir haben auch in unserm Hause eine kleine Schule angefangen, und sind bemühet, daß immer nach und nach mehrere Knaben von den Malabaren angeschaffet, und nebst äusserlichem Unterhalt, fleißig so wohl in ihrer, als auch unserer Sprache, sonderlich aber [20] in dem Christenthum unterrichtet werden möchten, damit man nachmahls aus ihnen solche Subjecta bekommen könte, die, wo nicht uns, dennoch unseren Nachkommen an diesem Wercke behülfflich seyn möchten: sintemahl an der Jugend zu förderst muß gearbeitet werden; solte man hierzu viele zu erkauffen und zu unterhalten vermögend seyn, so würde in kurtzem sich dieses Werck sehr ausbreiten und einen gesegneten Fortgang haben. Hiernebst erkennen wir auch für nöthig, daß man solche Anstalten mache wegen der armen Heiden, daß ein jeder, der da ein Christ werden wil, und um deß willen seine Güter verlassen muß, sehen kan, daß er bey uns anfangs seinen nothdürfftigen Unterhalt finde. Zu diesen allen aber wird eine ziemliche Summa Geldes erfodert; welches Mittel das jenige ist, so nebst der Gnade GOttes das meiste hierbey ausrichten kan. Allhier aber haben wir uns dessen nicht zu getrösten. Wir haben in unserm Hause zwar eine Armen-Büchse angeschlagen; aber es kommt nicht mehrers hinein, als was wir selbst darein thun. Wir haben dahero an Seine Königliche Majestät von Dennemarck geschrieben, und hoffen von Ihm einigen Zuschub zu bekommen: indem aber dieses neue Werck so gar viel Unkosten so wol in seiner ersten Gründung, als auch in dessen beständiger Unterhaltung erfodert, so haben wir zugleich an alle GOtt-liebende Freunde geschrieben, und sie gebethen, daß sie denen armen Heiden zur euserlichen Beförderung ihrer Bekehrung, mit einer Steuer behülfflich seyn wolten, und hoffen, daß man den Brieff allen denjenigen communiciren werde, von welchen man weiß oder hoffet, daß ihre Hertzen hiezu willig und bereit sind. Indessen weil wir dergleichen Frucht ihrer Liebe, wie auch die Hülffe von Seiner Königlichen Majestät, unter zwey Jahren nicht überkommen können; so wollen wir von unserm Jährlichem Salario alles dasjenige, was wir bey unserer nothdürfftigen Unterhaltung erübrigen können, darauff wenden; möchten auch vielleicht unterdessen einiges Capital von denen Malabaren auff Zinse annehmen, damit wir in der Zeit doch einige kleine Anstalt machen könten, sonderlich aber an der Translation und Abschreibung sehr vieler Exemplarien nicht gehindert würden. Solten wir alsdenn zugleich so viel bekommen können, das ein eigen geraumes Haus beydes zu einer kleinen Kirche, als auch Schule, und zu unserer Wohnung möchte auffgebauet werden, würde uns solches eine grosse Beförderung geben. Wir sind auch auff die Gedancken kommen, ob es nicht rathsam wäre, daß man das jenige, was man translatiren liesse, mit eigener Hand sehr sauber abschriebe, und an den Malabarischen König Tranjou nebst einem Præsente überschickte, mit Bitte, daß er solches alles mit seinen klugen Leuten wohl prüfen, und, wo ers für warhafftig befunden, selbigem unter seinem Schutz freyen Lauff lassen möchte. Die lieben Freunde sehen also wohl zu, daß uns hierinnen ein reicher Seegen möge überschicket werden, sich gewiß versichernde, daß ihnen GOtt dißfalls eine hundertfältige Vergeltung wiederfahren lassen wird. Von dieses Werckes Fortsetzung haben wir nach Copenhagen unmaßgeblich ausführliche Vorschläge gethan. Ach! der HErr wolle zu diesen letzten Zeiten seinen Nahmen in der gantzen Welt verherrlichet werden lassen, und uns, seinen Knechten allhier unter den Heiden grosse Gnade und Freudigkeit mittheilen, daß wir ihm aus denselben durch die Krafft seines Heiligen Geistes viele Seelen [21] zuführen können, und in reichen Segen an ihnen arbeiten mögen; Er gebe auch denen lieben Freunden und Brüdern Krafft und Weißheit, daselbsten an der Aufferbauung des Reiches JEsu Christi treulich zu arbeiten. Sie beten fleißig für den Lauff des heiligen Evangelii unter den Heiden. Mein lieber Mitt-Bruder Herr Heinrich Plütscho, und mein Diener Modaliapa, als der Erstling aus den Heiden, lassen sie in dem HErrn freundlich grüssen. Sie grüssen alle andere im Geist und in der Liebe verbundene Freunde und Mitt-Brüder, samt ihren gantzen werthesten Familien. Der Drey-Einige GOtt sey mit uns und ihnen immer und ewiglich, Amen! Dessen Liebe und Gnade ich Sie samt und sonders ergebe, und verbleibe, unter dem Schutz des Allmächtigen,

Derer

In Ost-Indien zu Tranquebar, auf der Küste
Coromandel. Anno 1706 den 1. Octob.
Zu Gebet und Liebe verbundener Mit-Bruder
an der Gemeinschafft JEsu Christi
Bartholomæus Ziegenbalg,
Unwürdiger Diener Göttlichen Worts
unter den Heiden.


  1. [Randnotiz:] […]d. Petri […]varet rise nach […?]