Moderne Lebensweisheit (Kämpchen)
[98] Moderne Lebensweisheit.
(Eine Epistel.)
Komm’ her, mein Sohn, ich will dich Weisheit lehren:
Zuerst vor allem ist es deine Pflicht,
Du mußt den König und die Kirche ehren,
Denn ohne diese beiden geht es nicht. –
Auf guten Fuß – und mit den Hunden bellen
Nach Hundeart – doch darfst du unterdessen
Zurzeit dabei das Wedeln nicht vergessen. –
Fehlt auch der Schwanz, man kann es so schon machen
An Gunst und Geld, du siehst es ja bei mir. –
Zum Muster nimm dir auch das Schneckentier –
Durch Ueberhastung schadet man sich viel –
Wo du nicht geh’n kannst, kriech’ gemach zum Ziel. –
Dreht sich der Wind – du mußt es gleich verspüren
Und dich mitdreh’n – oft hält dies sehr genau –
Sei nicht zu hitzig, doch auch nicht zu lau. –
[99] Hab’ nie ’ne Meinung, die verstößt nach oben,
Ganz selbstverständlich, wo’s am Platze ist. –
Daß du dich stets gerierst als guter Christ,
Als Patriot und stramme Ordnungsstütze,
Ist unerläßlich und zu vielem nütze. –
Laß es an Lust und Müh’ dir nicht verdrießen –
Der Anfang ist in allen Dingen schwer –
Sei nur beharrlich und du wirst genießen
Gar reichen Lohn, wenn erst die Ernte reif. –
Denn was man so im Leben nennt Gewissen,
Ist für die Dummheit gut – drum sei beflissen,
Das Ding den andern fleißig vorzuführen,
Dich selber darf’s in keinem Fall genieren,
Das Wörtchen „Ehre“ ist ein bloßer Wahn. –
Anseh’n ist gut – doch besser ist das Geld,
Und bist du erst zur Million geschnellt,
Ich sag’ es dir zu deinem Nutz und Frommen,
Und alles and’re kommt von selbst mit an: –
Die Titel, Orden und der Ehrenmann – –
Magst du auch im geheimen drüber lachen –
Es hält die Welt gar viel auf solche Sachen. –
Die Quintessenz von meinem ganzen Rat:
Der Weisheit A und O ist der Genuß –
Nach uns die Sündflut und – der Zukunftsstaat. –