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Moritz Gottlieb Saphir: Grabschrift

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Moritz Gottlieb Saphir
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Titel: Grabschrift
Untertitel:
aus: Fremden-Blatt Nr. 166 vom 23. Juli 1858, Seite 4 rechte Spalte
Herausgeber: Gustav Heine
Auflage:
Entstehungsdatum: 1858
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag:
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Erscheinungsort: Wien
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: anno.onb.ac.at
Kurzbeschreibung:
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Die Zeilen, die das Fremden-Blatt vorgestern über die Krankheit Saphir's veröffentlichte,[1] haben in allen Kreisen die lebhafteste Theilnahme hervorgerufen, und die Sympathien, die überall rege werden, verliehen dem kranken Humoristen einen erhebenden, und seinen Zustand lindernden Trost. Derselbe richtete von seinem Krankenlager an mich folgenden Brief, der den vielen Verehrern des Leidenden beweisen wird, daß die Geisteskraft des Dichters eine ungeschwächte geblieben ist.

Gustav Heine

Der Brief Saphir's lautet:

Verehrter Freund und Kollege!

Hier sitze ich und liege krank; - stehe mit einem Fuße im Grabe, gehe mit dem andern dem Tode entgegen und so habe ich alle meine Hände voll zu thun, um mein Leben an den „schwarzen Mann“ zu bringen.

Sie waren so gütig, über meinen beispiellos schmerzvollen Leidzustand in ihrem Blatte einige theilnehmende Worte zu sagen. - Ich danke Ihnen! Sie wundern sich, daß mein Bischen Geist bei mir bis zum letzten Augenblick treu aushält; das beweist, daß er eben ein Geist und kein Mensch ist!

Ich habe am Krankenbette Ihres Bruders Heinrich die Kunst gelernt, den Geist als schmerzstillende Tropfen zu gebrauchen.

Sie sprechen von einer Grabschrift, die ich mir selbst geschrieben habe - da die Zeitungen schon anfangen mich zu loben, muß ich wohl schon todt sein; sehen Sie nur gefälligst unter den „Verstorbenen“ nach.

Ich übersende also diese Grabschrift hiermit. Honorar verlange ich keines. Senden Sie mir im traurigen Falle ein Freiexemplar Ihres Blattes poste restante „Himmel“.

Uebrigens hoffe ich von der Gnade meines Schöpfers und Allvaters noch eine kleine Erstreckung meines Lebenstermins, nach Seinem Willen und Seiner Barmherzigkeit!

Leben Sie wohl und bewahren Sie ein freundliches Angedenken auf für Ihren alten Freund und Kollegen

M. G. Saphir
Baden, den 21. Juli 1858

Die „Grabschrift“, die Saphir sich selbst gedichtet hat, lautet:

Eine Auster, einsam in des Ufers Sand,
Warf das Zeitmeer mich am Lebensstrand,
Ein Tropfen Licht fiel vom Himmel hinein,
Wurde Perlchen darin, gering und klein;
Wurde Krankheit da, und doch auch Lust,
Ich gab sie der Welt aus off’ner Brust. -
Zeitmeer, hier nimm deine Schale zurück!
Perlchen, überleb’ mich ein Weilchen mit Glück!
Tropfen Licht, der vom Himmel in die Schale sank,
Schweb’ empor zum Himmel jetzt und sag’ ihm Dank!

Anmerkung (Wikisource)

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  1. Fremden-Blatt Nr. 164 vom 21. Juli 1858, Seite 4 links unten, anno.onb.ac.at.
    M. G. Saphir's Krankheit, eine in den Extremitäten des Körpers stark entwickelte Wassersucht, hat trotz der rastlos thätigen Hilfe, welche ihm die renommirtesten Aerzte Wiens angedeihen lassen, einen gefährlichen Höhepunkt erreicht. Mit vollem Bewußtsein, ja selbst im ungeschwächten Besitz seiner reichen geistigen Fähigkeit ist der arme, schwer geprüfte Mann verurtheilt, Tag und Nacht auf seinem Lager zu sitzen, da jede andere Stellung ihm die Respiration hemmt. Sein reger Geist kämpft muthig mit dem grausamen Feinde seines organischen Lebens und eben dieser Vollkraft der Seele dürfte, vereint mit außergewöhnlicher Pflege und Sorgfalt, wenn anders der Segen des Allmächtigen die irdische Hilfe fördert, ein erfreulicher Sieg gelingen.
    Eine Grabschrift, welche Saphir vor wenigen Tagen sich selbst mit jener Gemüthstiefe, die seine lyrische Muse charakterisirt, entworfen, gibt ein ergreifendes Zeugniß von seiner ungeschmälerten Geisteskraft und zugleich von der edlen Resignation, mit welcher er seine herbe Prüfung männlich erduldet.
    Wer sich der zahllosen Opfer erinnert, die Saphir unermüdlich auf dem Altar der Wohlthätigkeit niederlegte, wer dem vielen Guten, das sein menschenfreundlicher Sinn geschaffen, dem Gediegenen, das sein reiches Talent der Mit- und Nachwelt gespendet, dankbare Anerkennung zollt, wird gewiß sehnlichst wünschen, daß der allgeachtete Schriftsteller nichts entbehren möge, was da dienen könnte, das gefährdete Gut seiner Gesundheit aus den Fesseln der Krankheit loszubringen. Möge der weltberühmte Edelsinn der Wiener Saphir's Leidensstunden lindern, und für jede Thräne, die seine Poesie schönen Augen entlockte, für jede frohe Stunde, die sein unschätzbarer Humor den Wienern gespendet, möge nun eine tröstende Blume der Dankbarkeit am Schmerzenslager des kranken greisen Dichters erblühen.