Nächtliche Fahrt (Heine)
Nächtliche Fahrt.
Es wogt das Meer, aus dem dunkeln Gewölk
Der Halbmond lugte scheu;
Und als wir stiegen in den Kahn,
Wir waren unsrer drei.
Verdrossenes Einerlei;
Weißschäumende Wellen rauschten heran,
Bespritzten uns alle drei.
Sie stand im Kahn so blaß, so schlank,
Als wär’ sie ein welsches Marmorbild,
Dianens Conterfei.
Der Mond verbirgt sich ganz. Es pfeift
Der Nachtwind kalt vorbei;
Plötzlich ein gellender Schrei.
Und ob dem bösen Schrei,
Der schauerlich klang wie Warnungsruf,
Bin ich im Fieber? Ist das ein Spuk
Der nächtlichen Phantasei?
Aefft mich ein Traum? Es träumet mir
Grausame Narrethei.
Daß ich ein Heiland sei,
Und daß ich trüge das große Kreuz
Geduldig und getreu.
Die arme Schönheit ist schwer bedrängt,
Von Schmach und Sünde, von Qual und Noth,
Von der Welt Unflätherei.
Du arme Schönheit, schaudre nicht
Wohl ob der bittern Arznei;
Bricht auch mein Herz entzwei.
Wahnsinn und Raserei!
Es gähnt die Nacht, es kreischt das Meer,
O steh’ mir bei, barmherziger Gott!
Barmherziger Gott Schaddey!
Da schollert’s hinab in’s Meer – O Weh –
Schaddey! Schaddey! Adonay! –
Da blühte und glühte der Mai!
Und als wir stiegen aus dem Kahn,
Da waren wir unsrer zwei.