Napoleons Vergiftungsversuch in Fontainebleau
Der Gewaltige, welcher zu Anfang dieses Jahrhunderts mit eisernem Fuße über die Weltbühne schritt, daß die Länder erzitterten und Throne schwankten und zusammenstürzten, war bei Leipzig unterlegen; die siegreichen Verbündeten zogen in dem bestürzten Paris ein, und hier wurde am 11. April 1814 in einer allgemeinen Versammlung der Minister der verbündeten Mächte, der Mitglieder der provisorischen Regierung von Frankreich und der Vertreter Napoleons jener berühmte Vertrag unterzeichnet, welcher dem größten Eroberer, den die Welt gesehen, nur die kleine Insel Elba nebst einer Pension für ihn und die Seinigen bewilligte! [393] „Ein schreckliches Beispiel der Strafe, die das Glück denjenigen vorbehält, die sich von seiner Gunst haben berauschen lassen!“
Mit diesem Vertrage waren die Vertreter Napoleons, der Herzog von Vicenza, Caulaincourt, und der Herzog von Tarent, Macdonald, zu dem gestürzten Kaiser, der in Fontainebleau ihrer harrte, zurückgekehrt und hatten daselbst einen herzlicheren Empfang, als sie vermutheten, gefunden. Es sei uns vergönnt, über diesen letzten Aufenthalt Napoleons den Lesern der Gartenlaube ein paar in dieser Ausführlichkeit weniger bekannte Scenen mitzutheilen, die wir dem nächstens erscheinenden siebzehnten Bande von Thiers’ „Geschichte des Consulats und des Kaiserreichs“ entnehmen und deren Glaubwürdigkeit nicht angezweifelt werden dürfte, da sie auf den handschriftlichen bis jetzt ungedruckten Denkwürdigkeiten Caulaincourt’s und Macdonald’s – zweier makelloser Ehrenmänner – beruhen.
Napoleon empfing – nach Thiers’ Erzählung – seine beiden Vertreter ruhig, sanfter als gewöhnlich und hatte in seinen Worten und seiner Haltung etwas Feierliches. Obwohl er alle seine Seelenstärke aufgeboten hatte, um sich unter den außerordentlichen Umständen, denen er erlegen, zu mäßigen, und obwohl er sich gleichsam auf den Flügeln seines Genie’s über die Erde emporgeschwungen, sodaß sich Caulaincourt nicht hatte enthalten können, ihm die höchste Bewunderung zu zollen, schien er in diesem Augenblicke sich doch noch höher zu erheben und von allen Dingen mit einer außerordentlichen Unbefangenheit zu sprechen. Er dankte auf’s Neue Caulaincourt, aber diesmal sehr persönlich, für alles, was er gethan, und wiederholte, der Vertrag sei genügend für seine Familie, mehr als genügend für ihn selbst, der nichts bedürfte, drückte aber nochmals sein Bedauern daüber aus, daß er nicht das Herzogthum Toscana für seine Gemahlin und seinen Sohn bewilligt erhalten habe. – „Es ist ein schönes Fürstenthum,“ sagte er, „das sich für meinen Sohn gepaßt hätte. Auf diesem Throne, wo die Intelligenz erblich geblieben ist, wäre mein Sohn glücklich gewesen, glücklicher, als auf dem allezeit den Stürmen ausgesetzten Throne Frankreichs, wo sich mein Geschlecht nur kraft eines Titels, nämlich des Sieges, behaupten kann. Ueberdies würde dieser Thron für meine Frau nothwendig gewesen sein. Ich kenne sie, sie ist gut, aber schwach und frivol … Mein lieber Caulaincourt,“ fügte er hinzu, „Cäsar kann wieder Bürger werden, aber seine Frau kann es nicht leicht entbehren, die Gemahlin Cäsars zu sein. Marie Louise würde zu Florenz noch einen Rest des Glanzes gefunden haben, womit sie zu Paris umgeben war. Sie hätte nur den Canal von Piombino zu überschreiten gebraucht, um mir einen Besuch abzustatten; mein Gefängniß wäre gleichsam in ihren Staaten enclavirt gewesen; unter diesen Umständen hätte ich hoffen können, sie zu sehen, ja ich hätte sie selbst besuchen können, und sobald erkannt worden wäre, daß ich der Welt entsagt hätte, daß ich, ein neuer Sancho, nur noch auf das Glück meiner Insel bedacht wäre, würde man mir diese kleinen Reisen gestattet haben; ich hätte das Glück wiedergefunden, dessen ich selbst mitten im vollen Glanze meines Ruhmes kaum genossen habe. Aber jetzt, wo meine Frau von Parma kommen und durch mehrere fremde Fürstenthümer wird reisen müssen, um sich zu mir zu begeben – Gott weiß es! … Doch lassen wir diesen Gegenstand; Sie haben gethan, was Sie vermochten …. Ich danke Ihnen dafür; Oesterreich hat kein fühlendes Herz …“ Er drückte auf’s Neue Caulaincourt die Hand und sprach über sein ganzes Leben mit einer seltenen Unparteilichkeit.
Er gab zu, daß er sich getäuscht habe, daß er, ganz eingenommen von Frankreich, von dem Range, den es in der Welt hatte, und von demjenigen, den es darin haben könnte, mit demselben und für dasselbe ein ungeheures Reich habe aufbauen wollen, ein leitendes Reich, von welchem alle andern hätten abhängen müssen, und er erkannte an, daß er, nachdem er diesen schönen Traum beinahe vollständig verwirklicht, es nicht verstanden habe, an der von der Natur der Dinge vorgezeichneten Grenze Halt zu machen. Darauf sprach er von seinen Generalen, seinen Ministern, gedachte Massena’s, versicherte, dieser sei derjenige seiner Feldherren gewesen, der die größten Dinge vollbracht habe, sprach von Suchet (Herzog von Albufera), von dessen tiefer Weisheit im Kriege und in der Verwaltung, äußerte einige Worte vom Marschall Soult (Herzog von Dalmatien) und dessen Ehrgeize und unterhielt sich endlich über Berthier (Fürst von Neufchatel und Wagram), dessen so richtigen Verstand, Rechtschaffenheit und seltene Talente als Generalstabschef.
Es würde zu weit führen, wollten wir hier diese denkwürdige Unterredung in ihrer ganzen Ausführlichkeit wiedergeben; daher nur noch Folgendes. Napoleon schloß die Unterredung im Ausdrucke liefen Schmerzes mit den Worten: „Es ist nicht zu leugnen, ich leide, aber die Leiden, die ich erdulde, sind nichts gegen eins, das sie alle übersteigt: meine Laufbahn zu beschließen, indem ich einen Vertrag unterzeichne, worin ich kein einziges allgemeines Interesse habe stipuliren können, nicht einmal ein einziges moralisches Interesse, wie die Erhaltung unsrer Farben oder die Aufrechthaltung der Ehrenlegion! einen Vertrag zu unterzeichnen, worin man mir Geld gibt! …. Ach! Caulaincourt, wären nicht mein Sohn, meine Frau, meine Schwestern, meine Brüder, Josephine, Eugen, Hortensia, ich würde diesen Vertrag in tausend Stücke zerreißen!“ Darauf fügte Napoleon mit einem doppelten Schmerz hinzu: „Und diese Demüthigungen sind nicht die letzten! … Ich werde durch jene südlichen Provinzen reisen, wo die Leidenschaften so heftig sind. Mögen die Bourbons mich dort ermorden lassen, ich verzeihe es ihnen; aber ich werde vielleicht den Beschimpfungen jenes abscheulichen Pöbels des Südens preisgegeben werden. Auf dem Schlachtfelde sterben ist nichts, aber mitten im Kothe und unter solchen Händen! –“
Napoleon schien in diesem Augenblicke mit Grauen nicht den Tod, dem zu trotzen er zu sehr gewohnt war,/um ihn zu fürchten, wohl aber eine schändliche Marter zu ahnen! … Da er endlich bemerkte, daß sich diese Unterredung außerordentlich verlängert hatte, entschuldigte er sich, Caulaincourt so lange zurückgehalten zu haben, entließ ihn mit noch herzlicheren Ausdrücken und wiederholte, er werde ihn wieder rufen lassen, sobald er seiner bedürfe. Caulaincourt verließ ihn tief ergriffen von dem, was er gehört hatte, und erblickte in diesen langen Recapitulationen, in diesen feierlichen Urtheilen über sich und über die Andern nur einen der irdischen Größe, nicht aber dem Leben gesagten Abschied. – Er irrte sich. Es war ein dem Leben geltender Abschied, den Napoleon zu nehmen glaubte, indem er sich in dieser Weise offen aussprach. Er hatte in der That den sonderbaren und seiner nicht sehr würdigen Entschluß gefaßt, sich den Tod zu geben. Sehr thatkräftige Charaktere empfinden selten Ueberdruß am Leben, denn sie bedienen sich desselben zu sehr, um sich versucht zu fühlen, darauf zu verzichten. Napoleon, der eins der thatkräftigsten Wesen menschlicher Natur war, hatte sonach keine Neigung zum Selbstmord; er verachtete ihn sogar als eine unüberlegte Verzichtung auf die Wechselfälle der Zukunft, die stets ebenso zahlreich als unvorhergesehen für Jeden bleiben, der die vorübergehende Last der schlechten Tage zu ertragen weiß. Gleichwohl treten in jedem, selbst auf das Muthigste ertragenen Mißgeschick Augenblicke der Niedergeschlagenheit ein, wo sich Geist und Charakter unter der Last des Unglücks beugen. Napoleon hatte an diesem Tage einen jener Augenblicke unüberwindlicher Schwäche. Nachdem der auf seine Familie bezügliche Vertrag unterzeichnet, die Ehre der Monarchen als Bürgschaft dafür verpfändet und das Loos seines Sohnes, seiner Frau, seiner Verwandten gesichert schien, glaubte er seine letzten Pflichten erfüllt zu haben. Uebrigens meinte er, bei redlichen Leuten werde sein Tod den gegen ihn übernommenen Verpflichtungen einen heiligen Charakter verleihen, und indem man aufhöre, ihn zu fürchten, werde man auch aufhören, ihn zu hassen. Während er immer mehr seine Laufbahn als geschlossen betrachtete, nicht begriff, wie er auf einer kleinen Insel des mittelländischen Meeres leben solle, wo er weiter nichts thun würde, als die warme Luft Italiens zu athmen, auch nicht einmal mehr auf Familienfreuden zählte, denn in diesem Augenblicke unheimlichen Hellsehens errieth er, daß man ihm weder seinen Sohn noch seine Frau lassen werde, gedemüthigt, einen Vertrag unterzeichnet zu haben, dessen Charakter durchaus persönlich und so zu sagen pecuniair war, müde, jeden Tag den Lärm der öffentlichen Verwünschungen zu hören, während er sich mit Grauen auf seiner Reise nach der Insel Elba bereits den Beschimpfungen eines gereizten Pöbels preisgegeben sah, war ihm einen Augenblick das Leben verhaßt geworden und er entschloß sich, seine Zuflucht zu einem Gifte zu nehmen, das er seit langer Zeit für einen extremen Fall in Bereitschaft gehalten hatte. In Rußland, am Tage nach der blutigen Schlacht von Malo-Jaroslawetz, nach dem plötzlichen Einbruche der Kosaken, der seine Person in Gefahr gebracht, hatte ihm die Möglichkeit vorgeschwebt, der Gefangene der Russen zu werden, und er hatte deshalb vom Doctor Yvan eine starke Dosis Opium verlangt, [394] um sich der unerträglichen Marter, den Triumphwagen des Siegers zu schmücken, zu entziehen. Doctor Yvan, welcher die Nothwendigkeit einer solchen Vorsichtsmaßregel einsah, hatte ihm das verlangte Opium verschafft und Sorge getragen, es in ein Beutelchen zu verschließen, damit er es allezeit bei sich tragen könne, ohne sich jemals davon zu trennen. Nach Frankreich zurückgekehrt, hatte Napoleon es nicht vernichten mögen, sondern es in seinem Reisekästchen aufbewahrt, wo es sich noch befand.
Nach den niederbeugenden Reflexionen des Tages, während er übrigens das Loos der Seinigen als gesichert betrachtete und es durch seinen Tod nicht zu gefährden glaubte, wählte er die Nacht vom 11. April, um der Mühsal des Lebens ein Ende zu machen, die er, nachdem er sie so lange gesucht, nicht mehr ertragen konnte, und er zog den furchtbaren Trank aus seinem Reisekästchen, verdünnte ihn mit etwas Wasser, nahm ihn zu sich und ließ sich dann auf dem Bett nieder, wo er auf ewig einzuschlafen gedachte.
Entschlossen, hier die Wirkung des Giftes abzuwarten, wollte er Caulaincourt noch ein Lebewohl sagen und ihm namentlich seine letzten Absichten in Betreff seiner Frau und seines Sohnes eröffnen. Er ließ ihn gegen drei Uhr Morgens rufen, entschuldigte sich, seinen Schlaf zu stören, berief sich aber auf die Nothwendigkeit, zu den bereits ertheilten Instructionen noch einige wichtige hinzuzufügen. Seine Gesichtszüge waren beim Schimmer eines fast erloschenen Lichtes kaum zu unterscheiden; seine Stimme war schwach und bewegt. Ohne zu erwähnen, was er gethan hatte, nahm er unter seinem Kissen einen Brief und ein Portefeuille hervor und sagte zu Caulaincourt, indem er ihm Beides reichte: „Dies Portefeuille und dieser Brief sind für meine Frau und für meinen Sohn bestimmt; ich bitte Sie, sie ihnen eigenhändig zu übergeben. Meine Frau und mein Sohn werden beide der Rathschläge Ihrer Klugheit und Rechtschaffenheit sehr bedürfen, denn ihre Lage wird sehr schwierig sein, und ich bitte Sie, sie nicht zu verlassen. Dies Kästchen (er zeigte auf sein Reisekästchen), soll Eugen übergeben werden. Sie werden Josephinen sagen, daß ich ihrer gedacht habe, bevor ich vom Leben schied. Nehmen Sie diese Camee und bewahren Sie sie zum Andenken. Sie sind ein ehrlicher Mann und haben gestrebt, mir die Wahrheit zu sagen … Lassen Sie uns umarmen!“
Bei diesen letzten Worten, die keinen Zweifel an dem von Napoleon gefaßten Entschlusse übrig lassen konnten, ergriff Caulaincourt, obgleich er nicht leicht zu rühren war, die Hände seines Gebieters und benetzte sie mit seinen Thränen. Er bemerkte in seiner Nähe ein Glas, welches noch die Spuren des tödtlichen Trankes trug. Er fragte den Kaiser, der ihn statt aller Antwort bat, sich zu fassen, nicht hinwegzugehen und ihn seine Agonie ruhig vollenden zu lassen. Caulaincourt suchte zu entschlüpfen, um Beistand zu rufen. Napoleon bedeutete ihn jedoch, erst bittend, dann im Tone des Befehls, nichts dergleichen zu thun, denn er wollte keinen Auftritt und namentlich sein verscheidendes Gesicht keinem fremden Auge aussetzen.
Caulaincourt war, gleichsam der Bewegung beraubt, neben dem Lager, wo dieses außerordentliche Dasein dem Erlöschen nahe schien, hingesunken, als sich Napoleon’s Gesicht plötzlich krampfhaft zusammenzog. Er litt fürchterlich und strengte sich an, dem Schmerze Trotz zu bieten. Bald kündigten heftige Krämpfe ein bevorstehendes Erbrechen an. Nachdem sich Napoleon dieser Regung der Natur widersetzt, war er gezwungen, nachzugeben. Ein Theil des genommenen Giftes wurde in ein silbernes Becken ausgebrochen, welches Caulaincourt hielt. Dieser benutzte die Gelegenheit, sich einen Augenblick zu entfernen, um Beistand zu rufen. Der Doctor Yvan eilte herbei. Vor ihm erklärte sich Alles. Napoleon forderte seitens desselben einen letzten Dienst, nämlich eine Wiederholung der Opiumdosis, weil er fürchtete, das in seinem Magen gebliebene Gift werde nicht genügen. Der Doctor Yvan zeigte sich empört über eine solche Zumuthung. Er hatte seinem Gebieter einen derartigen Dienst in Rußland leisten können, um ihm zum Entrinnen aus einer schauderhaften Lage behülflich zu sein, aber er bereute bitter, es gethan zu haben, und entwich, als Napoleon auf seiner Fordenmg beharrte, aus dem Zimmer, worin er nicht wieder erschien. In diesem Augenblicke fanden sich der General Bertrand und der Herzog von Bassano (Maret) ein. Napoleon empfahl, daß man diese traurige Episode seines Lebens so wenig als möglich bekannt werden lassen möge, während er noch hoffte, es werde die letzte sein. Man hatte in der That Grund, es zu glauben, denn er schien überwältigt und dem Ende nahe. Bald fiel er in eine Ermattung, die mehrere Stunden anhielt.
Seine getreuen Diener blieben unbeweglich und bestürzt um ihn. Von Zeit zu Zeit fühlte er heftige Magenschmerzen und rief mehrmals: „Wie schwer ist es, zu sterben, während es auf dem Schlachtfelde so leicht ist! Ach! daß ich nicht bei Arcis-sur-Aube gestorben bin!“
Die Nacht ging vorüber, ohne daß neue Zufälle eintraten. Er begann zu glauben, daß er diesmal das Ende seines Lebens nicht sehen werde, und die getreuen Personen, die ihn umgaben, hofften es gleichfalls, indem sie sich sehr glücklich schätzten, daß er nicht gestorben war, ohne doch seinetwillen sehr zufrieden zu sein, daß er lebte. Inzwischen meldete man den Marschall Macdonald, welcher, bevor er Fontainebleau verließe, dem Kaiser ohne Krone noch seine Ergebenheit zu bezeigen wünschte.
„Ich werde diesen würdigen Mann sehr gern empfangen,“ sagte Napoleon, „doch möge er warten. Ich will nicht, daß er mich in meinem jetzigen Zustande sieht.“ – Der Graf Orloff erwartete seinerseits die Ratificationen, die er zu holen gekommen war. Man befand sich am Morgen des 12. April; um diese Zeit sollte der Graf von Artois in Paris einziehen, und viele angesehene Personen fühlten sich gedrängt, Fontainebleau zu verlassen. Napoleon wollte sich ein wenig erholt haben, bevor er irgend Jemand seiner Person nahe kommen ließe.
Nach einer ziemlich langen Ermattung nahmen Caulaincourt und einer der drei Männer, die in das Geheimniß dieser Vergiftung eingeweiht waren, Napoleon in ihre Arme und trugen ihn an ein Fenster, das man geöffnet hatte. Die Luft belebte ihn merklich. – „Das Schicksal hat entschieden,“ sagte er zu Caulaincourt; „ich muß leben und abwarten, was die Vorsehung von mir will.“ Darauf willigte er ein, den Marschall Macdonald zu empfangen. Dieser wurde eingeführt, ohne von dem Geheimniß, das man vor Jedermann verborgen hielt, unterrichtet zu sein. Er fand Napoleon auf einem Ruhebett ausgestreckt, erschrak über den Zustand der Entkräftung, worin er ihn sah, und drückte ihm ehrerbietig seinen Kummer darüber aus. Napoleon stellte sich, als schriebe er den Magenleiden, von denen er zuweilen befallen ward und die bereits die Krankheit ankündigten, an der er gestorben ist, den Zustand zu, in welchem er sich zeigte. Er drückte dem Marschall herzlich die Hand. – „Sie sind ein braver Mann,“ sagte er zu ihm, „dessen großmüthiges Benehmen gegen mich ich zu würdigen weiß, und ich wünsche, ich könnte Ihnen meine Dankbarkeit anders als mit Worten beweisen. Aber was Ehren anlangt, darüber verfüge ich nicht mehr; Geld habe ich nicht, und übrigens ist es auch Ihrer nicht würdig. Aber ich kann Ihnen ein Zeichen der Achtung geben, welches Ihnen, hoff’ ich, schätzbarer sein wird.“
Darauf verlangte er einen in der Nähe seines Kissens liegenden Säbel und sagte, indem er ihn dem Marschall reichte: „Hier ist Murad-Bey’s Säbel, welcher eine der Trophäen von Abukir war und den ich oft getragen habe. Sie werden ihn zum Andenken an unsern letzten Umgang aufbewahren und später Ihren Kindern übergeben.“ – Mit tiefer Rührung empfing der Marschall diesen Beweis der Achtung und umarmte den Kaiser im Dränge innigsten Gefühls. Sie schieden, um einander nicht wiederzusehen, obwohl sie Beide noch nicht am Schlusse ihrer Laufbahn angelangt waren. Der Marschall reiste sofort nach Paris ab. Auch Berthier war abgereist, indem er wiederzukommen versprochen, jedoch in einer Weise, die seinen ehemaligen Gebieter nicht überzeugt hatte. – „Sie werden sehen, daß er nicht wiederkommt,“ sagte Napoleon traurig, aber nicht ohne Bitterkeit zu Caulaincourt.
Inzwischen hatte Caulaincourt endlich Zeit gefunden, die Ratificationen des Vertrags vom 11. April auszufertigen und sie, mit der kaiserlichen Unterschrift versehen, dem Grafen Orloff zu übergeben. Er war zu Napoleon zurückgekehrt, welcher von Marie Louise ein äußerst zärtliches Schreiben empfangen hatte. Dieses Schreiben enthielt die befriedigendsten Nachrichten von seinem Sohne, gab ihm die vollkommenste Ergebenheit zu erkennen und sprach den Entschluß aus, sich so schnell als möglich wieder mit ihm zu vereinigen. Es machte auf Napoleon einen außerordentlichen Eindruck. Es rief ihn gewissermaßen zum Leben zurück. Seiner gewaltigen Einbildungskraft schien sich eine neue Existenz eröffnet zu haben. – „Die Vorsehung hat es so gewollt,“ rief er Caulaincourt zu; „ich werde leben … Wer kann die Zukunft ergründen? [395] Meine Frau, mein Sohn genügen mir übrigens. Ich werde sie, hoff’ ich, sehen, ich werde sie oft sehen; sobald man überzeugt sein wird, daß ich nicht daran denke, mein Asyl zu verlassen, wird man mir erlauben, sie zu empfangen, vielleicht auch, sie zu besuchen, und dann will ich die Geschichte dessen schreiben, was wir gethan haben … Caulaincourt,“ rief er aus, „ich werde eure Namen unsterblich machen! …“ Dann fügte er hinzu: „Es sind noch Gründe vorhanden, zu leben! …“
Indem er sich darauf mit einer erstaunlichen Beweglichkeit der neuen Existenz zuwandte, deren Bild er sich entworfen hatte, beschäftigte er sich mit den Einzelheiten seiner Einrichtung auf der Insel Elba und sprach die Absicht aus, daß Caulaincourt selbst sowohl zu Marie Louise als zu den Monarchen gehen sollte, um die Weise zu reguliren, in welcher seine Frau sich wieder mit ihm zu vereinigen hätte. Er war nicht darauf bedacht gewesen, sich Geld zu reserviren; der ganze Schatz der Armee war für den Sold erschöpft worden. Marie Louise war noch im Besitz von einigen Millionen. Seine Absicht war, sie ihr zu lassen, damit sie den Dienst Niemandes, namentlich nicht ihres Vaters, in Anspruch zu nehmen haben möchte. Nur nachdem die Nothwendigkeit, seine Zuflucht zu diesem einzigen Hülfsmittel zu nehmen, nachgewiesen war, willigte er ein, daß man mit ihr theilen möchte. Er beauftragte Caulaincourt, sich zu ihr zu begeben und ihr wiederholt zu rathen, eine Zusammenkunft mit dem Kaiser Franz zu verlangen, welcher ihr, vielleicht durch ihre Gegenwart gerührt, Toscana bewilligen würde. Sie sollte sich alsdann über Orleans auf der Straße des Bourbonnais bei ihm einfinden. Indeß empfahl er Caulaincourt ausdrücklich, Marie Louise nicht zur Wiedervereinigung mit ihm zu drängen, sondern sie in dieser Hinsicht ihre Entschlüsse aus eigenem Antrieb fassen zu lassen, „denn,“ sagte er mehrmals, „ich kenne die Frauen und besonders die meinige! Statt des Hofes von Frankreich, so wie ich ihn geschaffen habe, ihr ein Gefängniß anbieten, heißt sie auf eine sehr harte Probe stellen! Wenn sie mir ein trauriges oder gelangweiltes Gesicht brächte, würde ich untröstlich darüber sein. Ich will lieber die Einsamkeit als den Anblick der Traurigkeit und der Langenweile. Wenn ihr Herzensdrang sie zu mir führt, werde ich sie mit offenen Armen empfangen; außerdem mag sie in Parma oder Florenz bleiben, da, wo der Sitz ihrer Regierung sein wird. Ich werde nur meinen Sohn von ihr verlangen.“
Nachdem Napoleon diese Bedenken geäußert, beschäftigte er sich mit den Einzelnheiten seiner Reise. Man war übereingekommen, ihn durch Commissare der Mächte nach der Insel Elba begleiten zu lassen, und es schien ihm besonders an der Gegenwart des englischen Commissars gelegen zu sein. – „Die Engländer,“ sagte er, „sind ein freies Volk und sie achten sich.“ – Nachdem alle diese Einzelheiten geordnet waren, trennte er sich von Caulaincourt und wiederholte ihm die Versicherungen unbedingten Vertrauens und ewiger Dankbarkeit. Caulaincourt reiste ab, um seine Mission bei Marie Louise und bei den Monarchen zu erfüllen.