Notburga

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gottschalck
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Titel: Notburga
Untertitel:
aus: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, S. 162-176
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1814
Verlag: Hemmerde und Schwetschke
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Erscheinungsort: Halle
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Quelle: Google und Commons
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Notburga.

Am Neckar steht eine Burg, die man Hornberg nennt, und der man’s nicht ansehen sollte, daß vor vielen hundert Jahren schon einmal ein Kaiser seine Hofhaltung darin hielt. Denn die Thürme stehen noch fest, und die Mauern können noch lange dem Winde und Wetter trotzen. Der Kaiser nun, der da wohnte, hatte eine Tochter, die hieß Notburga. Eine feine Dirne war’s, schlank und schön von Gestalt, dem Ritter Otto treu ergeben, der hinausgezogen war ins fremde Land, zu streiten. Aber er kehrte nicht wieder, und da stand sie an ihrem einsamen Erkerfenster Morgens, Mittags und Abends, und oft auch um Mitternacht, und schaute hinüber in den Wald, oder hinab in den Neckar, oder hinauf zum stillen Himmel. Aber wie lange sie auch hinausschaute in die ruhige Nacht, so wollt’s doch nicht ruhig werden in ihrer Brust. Und wenn der Sturmwind an ihrem Erkerfenster vorüberbrauste, so stand sie auch oft da, und ihre Seufzer flogen mit dem Sturmwinde in die Welt hinein, und ihre Thränen fielen oft mit den Regentropfen hinab in den Zwinger, und die Maslieben blüheten immer frischer, und die Kartheusernelken blüheten immer rother davon auf, und achteten’s nicht, daß sie mit Thränen genetzt wurden. Aber Notburga’s Wangen wurden immer bleicher und immer bleicher, und achtete lange niemand darauf.

Da trat der Kaiser, ihr Vater, eines Tages zu ihr, und sprach mit seinem rauhen Tone:

„Mach’ dich gefaßt, Burga, dein Bräutigam wird in drei Tagen kommen.“

Darauf ging er wieder von ihr. Aber Notburga sank auf einen Stuhl, und verhüllte ihre Augen. Und als nun die Nacht kommen war, stand sie an ihrem Erkerfenster, und starrte in den dunkeln Nachthimmel, und die Thränen flossen ihr häufiger, als sonst.

„Mein Otto, mein Otto!“ sprach sie, „so hast du mich vergessen, hast vergessen deine treue Notburga, – vergessen in den Armen fremder Dirnen, und ist dein Herz kälter worden im Lande, wo die Sonne wärmer scheint? – Oder, fielst du unterm Schwertstreich der Feinde, und ruhst nun unter der braunen Erde, oder schläfst unterm grünen Rasen, die gelben Schlüsselblumen über deinem Herzen? – Ach, daß ich bei dir ruhen könnte in der Grabesstille! – Muß so einsam trauern in der Welt, schwanke nur noch, wie ein dünnes Rohr, das der Wind zu knicken droht, und meine Wangen sind erbleicht. – Und soll nun mit den bleichen Wangen sitzen unter den Gästen, und als Braut, als Braut, und mein Bräutigam, mein Otto, soll nicht bei mir sitzen! – O, daß ich eine treue Seele hätte, die mich führte weit, weit von hier, die mich geleitete in eine Wildniß, wo ich, fern von den Menschen, nur mir lebte, nur dein gedächte und Gottes, unsers Gottes, und Christi, und der gebenedeieten Jungfrau!“

So klagte die holdselige Jungfrau, und wußte sich keinen Rath und keine Hülfe. Denn ihrem Vater traute sie sich nicht zu widersetzen, und konnte doch nur den armen Otto lieben, und Otto war selbst nicht mehr zurückgekommen, und hatte ihr auch nicht Botschaft gesandt ein ganzes Jahr, ob er noch lebe.

Aber ihr alter treuer Diener, Kaspar, hatte ihre Klage gehört unter ihrem Fenster, und rief ihr zu, und versprach ihr, sie zu führen, wohin sie begehre. Das schoß ihr durch die Seele wie ein Blitzstrahl, und sie machte sich auf und floh noch zur selben Stunde aus ihres Vaters Burg, und wollt’ hinüber über die Waldhöhe nach der Kapelle zu St. Michael flüchten, zu dem alten weißhaarigen Greise, der dort einsiedelte. Bei dem wollte sie sich Raths erholen, was sie thun solle, und wie sie sich des verhaßten Ehebundes mit dem Heidenfürsten entschlagen könne.

Aber kaum war sie an die Waldhöhe gekommen mit ihrem Diener, so sprang’s schnell hinter ihnen her, und als sie sich umsahen, siehe! da erkannte Notburga den weißen Hirsch, den Otto gefangen und gezähmt hatte. Und er hielt still bei der Jungfrau, und blickte sie mit Augen an, die, wie bei den Menschen, vor Freude glänzten. Und Notburga küßte das fromme Thier, als ob’s ihr Otto selber wäre, und lachte und weinte dazwischen, und setzte sich auf den bekannten Sattel, auf den sie Otto selbst oft gehoben. Aber kaum fühlte der Hirsch, daß sie fest saß, so machte er einen Satz über den Weg hinüber, und verschwand mit ihr zwischen den Bäumen.

Da stand der alte, treue Kaspar, und wollte nacheilen, und vermocht’s nicht, so zitterten ihm die Kniee; er wollt’ ihr nachrufen, und vermocht’s nicht, so zitterte ihm die Stimme. Doch als er noch so stand, und gern helfen wollte, wenn er nur gekonnt hätte, da sah er hinab, und sah den Hirsch in den Neckar springen, und hinüberschwimmen, und Notburga sah er noch winken im Mondscheine mit dem weißen Tuche. Und glücklich sah er Notburga am andern Ufer auf dem Hirsche, aber zwischen dem Gebüsch verschwand sie im Schatten, den die Berge darauf warfen.

Als der Vater am andern Morgen erwachte, dachte er daran, seiner Tochter Notburga die goldenen Spangen und die kostbaren Ringe und Perlen ihrer verstorbenen Mutter zu geben, daß sie sich an ihrem Brauttage damit schmücke, und sie fortan trage. Als er aber zu ihr schickte, war sie nicht zu finden, nicht in ihrem Gemach, nicht im Garten, nicht unterm Apfelbaum, wo sie sonst oft saß. Und der Vater fragte bei allen, ob niemand erfahren, wohin seine Tochter verschwunden sey; aber niemand konnte ihm Nachricht geben. Und er fragte auch Kasparn, aber Kaspar fürchtete sich, und sagte: er habe davon keine Kunde.

Da sandte der Vater bekümmert Boten aus, aufwärts und abwärts am Neckar, und im Gebirge, aber niemand brachte von Notburga Kunde zurück. Und er sandte Boten von neuem aus, die nach ihr späheten, und ritt selbst hinab, und fragte in allen Burgen, bis an das Schloß Minneberg, und die Ritter der Burgen geleiteten ihn mit ihren Mannen, und zeigten ihm die verborgensten Winkel der Felsen, und die dichtesten Stellen ihrer Forste, aber Notburga konnten sie ihm nicht zeigen.

Auf Hornberg hatte aber die Mittagsglocke geläutet, und der alte Kaspar stand an seinem Fenster, da kam Notburga’s Hirsch in den Zwinger, und schaute durch die Scheiben, und es däuchte Kaspar, der Hirsch sey traurig, und sprach für sich: „Ja könntest du nur reden, gutes Thier, und sagen was dir fehlt, ich wollte dir ja gern helfen. Hast du vielleicht Hunger?“ fragte er, und ging hin, und nahm das Brot vom Tisch, den er sich schon gedeckt hatte, und wollt’ ihm ein Stück abschneiden. Als er aber wieder an’s Fenster kam, hielt der Hirsch den Kopf nieder, und bot ihm sein Gehörn dar, und blieb ruhig stehen.

„Ja was soll ich denn damit machen?“ sagte Kaspar lachend, und besann sich, was der Hirsch wohl damit meine. Endlich sagte er: „Soll ich dir denn ein Stück an’s Geweih stecken? Ei nun, man sagt ja, ein Stück Brot sey besser, als eine Feder auf dem Hut,“ und damit schnitt er ein Stück ab, und steckt’s dem Hirsch an ein Ende seines Geweihes, und schnell richtete sich der Hirsch auf, und lief damit fort, dem Neckar zu.

Und als Kaspar des andern Tages wieder an sein Fenster kam, stand der Hirsch schon wieder da, und hielt sein Gehörn hin. Aber er sah ein großes Eichenblatt daran gebunden mit einem Band. Doch als er dieß los machte, erkannt’ es seine Frau, die er herzurief, für Notburga’s Strumpfband; denn ihr Name stand mit Gold darauf gestickt, und auf dem Eichenblatt stand mit einer Nadel eingeritzt:

     „Gott zum Gruß!
Notburga dankt dem Geber
     des Manna in
     der Wüsten.“

Als aber Kaspar und Else mit Mühe diese Worte gelesen, da liefen den alten Leuten die Augen über von Thränen. „So hat der fromme Hirsch das Brot gebracht!“ rief Kaspar; und „Gott, ach Gott!“ schluchzte Else, „die zarte Jungfrau in der Wüste, nur genährt von unserm trocknen Brote!“ und ging, und holte ein gekochtes Huhn, und band’s dem Hirsche mit dem Strumpfbande an, und der Hirsch trug’s schnell wieder bergab, dem Neckar zu, und kam erst am zweiten Tage wieder, und nur von Zeit zu Zeit, und die alten Leute gaben ihm immer ihr Bestes mit. Dafür brachte er manchmal ein paar dankbare Worte auf einem Blatte.

Aber der Vater Notburga’s war heimgekommen von seinem Streifzuge, und hatte nichts von seiner Tochter erforscht; denn an das andere Ufer dachte er nicht, weil hinauf und hinab keine Fähre war, weit und breit, die sie hätte hinüberfahren können; auch der Bräutigam Notburga’s war kommen mit hochzeitlichem Geleite und im festlichen Schmucke, aber er war auch wiederum heimgezogen, ohne die Braut mit sich zu führen. Schon war der Kukuk verstummt und die Nachtigallen, die bei Notburga’s Flucht zum ersten Mal gesungen, da machte endlich der weiße Hirsch den Vater aufmerksam. Und als er immer und immer wieder kam, und er ihn endlich ein Mal vor Kaspars Fenster stehen sahe, da ging er zu Kaspar, und fragte nach des Thieres seltsamen Gängen. Und Kaspar gestand in der Bestürzung alles, was er wußte; denn eben band er dem Hirsche ein Tüchlein mit reifen Sommeräpfeln von Notburga’s Lieblingsbaume an.

Flugs machte sich nun der Kaiser auf mit seinen Rittern und Edelknechten, und verfolgten zu Pferde den Hirsch. Und als er sich in den Neckar stürzt, da sprengt auch der Kaiser hinein, und ihm folgten auch die andern auf ihren Rossen.

Drüben verschwand der Hirsch zwischen den Sträuchern, aber der Kaiser sprengte schnell nach, und sah ihn noch im Blick in eine Höhle rennen. Und als er abstieg, und mit seinem Gefolge hineintrat, lag er auf weichem Moos, und Notburga kniete mit gefalteten Händen vor einem Crucifix, das ihr Kaspar auch geschickt hatte, und betete. Da erschrack der Vater, denn sie sah ganz todtenbleich aus, weil sie nicht mehr hervorgekommen war an das Sonnenlicht, seit der Hirsch sie hierher trug.

Und er sprach mit linden Worten zu ihr, und bat sein Kind: daß es ihm doch wieder folgen möchte auf die Burg, und sein Kind seyn, wie vorher.

Notburga aber sprach: „Ich habe mein Leben Gott gelobt, und suche nichts mehr bei den Menschen.“ Und wenn der Vater in sie drang, antwortete sie immer mit diesen Worten. Da ward er endlich zornig, und faßte sie beim Arm, und wollte sie mit Gewalt mit sich ziehen. Sie aber legte ihre andere Hand an ihr Crucifix, da trennte sich der Arm von ihrem Leibe, und blieb dem zornigen Vater in den Händen, daß ihn und alle, die mit ihm waren, ein grauses Entsetzen ankommt, und alle von hinnen fliehen. Und keiner begehrte mehr der Höhle und dem andern Ufer zu nahen.

Aber von Stund an ward sie als eine Heilige vom Volke geehrt, und wenn zum frommen Klausner bei der Kapelle zu St. Michael reuige Sünder kamen, so schickte er sie wallfahrten nach der frommen Notburga, und Notburga betete für die Büßenden, und hoch begnadigt kehrten sie mit ruhigem Herzen zurück.

Als darauf im Herbste die Blätter fielen, und Notburga auch zu sterben kam, da schwebten die Engelskindlein herab, und trugen die Sterbende heraus aus der Höhle, und legten ihr Crucifix auf die Brust, und sie schlug die brechenden Augen nochmals auf, und schaute hinauf gen Himmel, und seufzte freudig: „Ja, Otto! ich sehe dich winken, du bist schon dort! Ich komme!“

Damit entschwebte ihre Seele. Die Engel hüllten ihre Leiche in ein Todtengewand, und schmückten sie, ob’s gleich im Herbste war, mit frischen Frühlingsrosen, und legten sie in einen Sarg, und zwei schneeweise Stiere, die noch nie ein Joch getragen, trugen ihn über den Fluß, ohne die Hufe zu benetzen; die Glocken in der Nachbarschaft läuteten von selbst, und die Engel sangen ein himmlisches Chor dazu. So brachten sie die heilige Leiche nach der Kapelle zu St. Michael, und begruben sie dort.

Als aber Notburga dort war, kam Otto’s und Notburga’s Hirsch nicht mehr vor Kaspars Fenster, um Manna für die Jungfrau in der Wüste zu holen. Er war verschwunden.

*     *     *

In der Kirche des Dorfs Hochhausen am Neckar wird noch jetzt das Bild der Notburga in Stein gehauen gezeigt. Auch die Notburgenhöhle, gewöhnlich die Jungfernhöhle genannt, ist noch zu sehen, und jedem Kinde bekannt. – Süd-Deutschlands Miscellen, 1813. Nr. 26.