Oberappellationsgericht München – Arbeitsverweigerung

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Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1879, Nr. 8, Seite 116–118
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Kurzbeschreibung: Verweigerung einer im Rahmen des Armenrechts zugewiesenen Arbeit
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[116]

Der oberste Gerichtshof des Königreichs erkannte am 8. Februar l. Js. in Sachen des N. N., Tischlers und Handarbeiters zu H., wegen Arbeitsscheue zu Recht:

das Urtheil des k. Bezirksgerichts H. vom 13. Jan. 1879 wird vernichtet, die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Aburtheilung an einen anderen Senat desselben Gerichts verwiesen und die Eintragung dieses Urtheiles in das bezirksgerichtliche Urtheilsbuch verordnet.
Gründe.

Durch Urtheil des k. Stadt- und Landgerichts H. am 22 Nov. 1878 wurde N. N. wegen zweier Uebertretungen der Arbeitsscheue in eine Haftstrafe von zusammen 6 Tagen, sowie zur Tragung der der k. Staatskasse zur Last fallenden Kosten des Verfahrens und des Strafvollzuges verurtheilt und ausgesprochen, daß der Beschuldigte nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu überweisen sei.

Die von dem Beschuldigten hiegegen eingelegte Berufung wurde durch Urtheil des k. Bezirksgerichts H. vom 13. Jan. 1879 unter Verurtheilung des Appellanten in die der k. Staatskasse zur Last fallenden Kosten der 2. Instanz verworfen.

Gegen dieses Urtheil hat der Beschuldigte am 16. Jan. 1879 die Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet, weil nach seiner Ansicht die erfolgte Verurtheilung und namentlich die ausgesprochene Ueberweisung an die Landespolizeibehörde unter den obwaltenden Verhältnissen gesetzlich nicht gerechtfertigt erscheinen könne.

Die gemäß Art. 245 Abs. 2 Ziff. 1 des StPG. vom [117] 10. Nov. 1848 gebotene allgemeine Prüfung der Sache hat Folgendes ergeben:

Nach § 361 Nr. 7 des StGB. wird mit Haft bestraft, wer, wenn er aus öffentlichen Armenmitteln eine Unterstützung empfängt, sich aus Arbeitsscheu weigert, die ihm von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu verrichten.

Nothwendige Voraussetzungen der Anwendbarkeit dieser gesetzlichen Bestimmung sind somit:

1. eine aus öffentlichen Armenmitteln unterstützte Person,

2. der Auftrag der zuständigen Behörde an die unterstützte Person, die ihr angewiesene Arbeit zu verrichten,

3. die Anweisung einer den Kräften der unterstützten Person angemessenen Arbeit,

4. die Verweigerung solcher Arbeit Seitens der unterstützten Person aus Arbeitsscheu.

Welche Behörde berufen ist, eine Arbeit anzuweisen, ist nach den Landesgesetzen zu beurtheilen.

In Bayern ist durch das Gesetz vom 29. April 1869, die öffentliche Armen- und Krankenpflege betr. (Ges.-Bl. S. 1093), bestimmt in Art. 6 Abs. 2: „Wer öffentliche Armenunterstützung genießt, ist verpflichtet, sich nach Anordnung der Organe der öffentlichen Armenpflege zu einer seinen Kräften angemessenen Arbeit innerhalb oder außerhalb einer Beschäftigungsanstalt verwenden zu lassen“, in Art. 9: „Für den Bezirk jeder politischen Gemeinde besteht eine örtliche Armenpflege, deren Geschäfte durch den Armenpflegschaftsrath besorgt werden“, in Art. 22 sind die Personen bezeichnet, aus welchen der Armenpflegschaftsrath bestehen soll, und in Art. 29 Abs. 2 ist bestimmt: „Er (der Armenpflegschaftsrath) ist berechtigt, arbeitsfähige Personen, welche ungeachtet ernstlicher Bemühung keinen Erwerb finden, durch Ermittlung oder Anweisung von Arbeit zu unterstützen.“

In Bayern ist daher die in Art 361 Ziff. 7 erwähnte Behörde, welche zur Anweisung von Arbeit zuständig ist, der Armenpflegschaftsrath.

In dem Urtheile des k. Bezirksgerichts H. vom 13. Jan. 1879 ist festgestellt, daß der Beschuldigte aus der Armenkasse der Stadt H. Unterstützung durch freie Wohnung und freie Verköstigung erhält, daß er von dem Magistrate der Stadt H. angewiesen wurde, in dem städtischen Steinbruche zu arbeiten, daß er am 21., 29. und 30. Oktober 1878 diese Arbeit nicht verrichtet hat, sondern während dieser Zeit in Schnapsschenken herumgezogen und daß er überhaupt ein arbeitsscheuer Mensch ist.

Nachdem das k. Bezirksgericht H. die Anweisung einer Arbeit Seitens des Magistrates der Stadt H. an den Beschuldigten als [118] der gesetzlichen Voraussetzung entsprechend angenommen hat, ohne festzustellen, daß die Arbeitsanweisung von dem Armenpflegschaftsrathe ausgegangen ist, kann nicht entnommen werden, ob § 361 Ziff. 7 des StGB. richtig angewendet worden ist.

Das Thatbestands-Merkmal, daß die dem Beschuldigten angewiesene Arbeit seinen Kräften angemessen war, ist in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urtheiles nicht angeführt. Auch durch diesen Mangel ist, abgesehen davon, daß auch die Thatsache, daß der Beschuldigte die ihm angewiesene Arbeit an den bezeichneten Tagen aus Arbeitsscheu nicht verrichtet hat, durch den Umstand, daß er an jenen Tagen „in Schnapsschenken herumgezogen und überhaupt ein arbeitsscheuer Mensch ist“, nicht genügend festgestellt ist, da dieser Umstand die Unterlassung der dem Beschuldigten von dem Magistrate angewiesenen Arbeit aus einem anderen Grunde, als Arbeitsscheu, nicht ausschließt, Art. 326 des StPG. vom 10. November 1848 verletzt.