Oberappellationsgericht München – Staatsverachtende Rede

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
Untertitel:
aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1877, Nr. 22, Seite 219–221
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung: Gezielte Verächtlichmachung von Staatsinstitutionen, um deren Beseitigung anzustreben
Die Überschrift wird in der Transkription aus Gründen der Einheitlichkeit weggelassen.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[219]

Der oberste Gerichtshof des Königreichs erkannte am 26. Mai 1877 in Sachen gegen N. N. wegen Vergehens wider die öffentliche Ordnung zu Recht:

Die von N. N. gegen das Urtheil des k. Appell.-Gerichts in B. vom 23. April 1877 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen und Beschwerdeführer in die dadurch veranlaßten Kosten, sowie weiter in eine Geldstrafe von 50 verurtheilt, an deren Stelle für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Haft von zehn Tagen zu treten hat.
Gründe.

Durch Urtheil des k. Bezirksgerichts A vom 15. April 1877 wurde N. N. wegen eines Vergehens wider die öffentliche Ordnung nach § 131 R.-Str.-G.-B. in eine Gefängnißstrafe von 8 Tagen, sowie in die Kosten des Verfahrens und Strafvollzugs verurtheilt. [220]

Die von dem Beschuldigten ergriffene Berufung wurde vom k. Appell.-Gerichte in B. mit Urtheil vom 23. April 1877 verworfen, unter Verfällung des Appellanten in die Kosten II. Instanz.

Gegen letzteres Urtheil meldete N. N. am 25. April mittels schriftlicher Eingabe bei dem k. Appell.-Gerichte die Nichtigkeitsbeschwerde an, ohne einen Beschwerdepunkt zu bezeichnen. In einer an demselben Tage eingereichten weiteren Erklärung wird als Beschwerdepunkt geltend gemacht, daß Beschwerdeführer bei der in Frage stehenden Volksversammlung bona fide gesprochen habe, und durch seine Verurtheilung § 131 R.-St-G.-B. verletzt worden sei.

In einer nachträglich eingereichten Denkschrift wird auszuführen gesucht, daß die That, wegen welcher die Verurtheilung erfolgte, durch kein Strafgesetz verboten wäre, da durch die den Gegenstand der Anschuldigung bildenden Aeußerungen des Beschuldigten keine Thatsachen behauptet worden wären, welche geeignet seien, Staatseinrichtungen verächtlich zu machen, und daß, hievon abgesehen, auch nicht festgestellt wäre, daß Beschuldigter bei jenen Aeußerungen die Absicht gehabt habe, Staatseinrichtungen verächtlich zu machen.

Die nach Art der Beschwerdeführung auf die Frage der Gesetzesanwendung beschränkte Prüfung der Sache – Art. 245 Abs. 2 Ziff. II. St.-P.-O. von 1848 – hat ergeben, daß das Gesetz auf die festgestellten, vor dem obersten Gerichtshofe nicht weiter anfechtbaren Thatsachen richtig angewendet wurde.

Durch das angefochtene Urtheil ist thatsächlich festgestellt, daß Beschuldigter am 10. September 1876 eine zu A abgehaltene öffentliche Volksversammlung mit einer Ansprache eröffnete und hiebei unter anderem die Behauptung aufstellte, daß in den bayerischen Staatslehranstalten die Jugend in kirchenfeindlichem Sinne erzogen werde, daß der religiöse Sinn schon vielfach gebrochen und geknickt sei und daß die Regierung durch Verwendung freigeistiger Lehrer hieran die Schuld trage.

Nun wird zum Tatbestande des in § 131 R.-St.-G.-B. vorgesehenen Vergehens allerdings erfordert, daß die mitgetheilte Thatsache objektiv geeignet sei, eine Staatseinrichtung verächtlich zu machen, und es fällt die Prüfung der Frage, ob einer behaupteten Thatsache diese Eigenschaft zukomme, auch in die Zuständigkeit des obersten Gerichtshofes.

Diese Voraussetzung ist jedoch hier gegeben. Denn Beschuldigter hat ganz allgemein und ohne jede Einschränkung die Behauptung [221] aufgestellt, daß in den Staatslehranstalten Bayerns die Jugend kirchenfeindlich erzogen werde und hat hieran die Bemerkung geknüpft, daß in Folge dessen der religiöse Sinn bereits vielfach gebrochen und geknickt sei. Würde aber die Jugend in den bayer. Staatslehranstalten so erzogen, wie Beschuldigter behauptete, daß nemlich durch diese Erziehung der religiöse Sinn im allgemeinen gebrochen und geknickt würde, so wäre diese behauptete Thatsache sicherlich geeignet, eine Staatseinrichtung, als welche die Staatslehranstalten sich darstellen, in den Augen jedes Unbefangenen herabzusetzen und verächtlich zu machen.

Nachdem ferner feststeht, daß die behauptete Thatsache erdichtet oder wenigstens entstellt ist, sowie, daß Beschuldigter zur Zeit als er jene Ansprache hielt, sich der Unwahrheit seiner Behauptung bewußt war und daß er die Thatsache in der Absicht, um dadurch eine Staatseinrichtung verächtlich zu machen, öffentlich behauptete, so hat das k. Appell.-Gericht mit Recht die Thatbestandsmerkmale des § 131 für erschöpft erachtet.

Den Feststellungen der Instanzgerichte gegenüber ist das Vorbringen, Beschuldigter habe nicht die Absicht gehabt, eine Staatseinrichtung verächtlich zu machen, ohne Belang, und wenn das k. Appell.-Gericht in den Entscheidungsgründen zu seinem Urtheile bemerkt, daß die Beseitigung des gegenwärtigen Ministeriums der hauptsächlichste Zweck gewesen sei, den Beschuldigter bei seiner Ansprache verfolgte, so wird hiemit die Anwendung des § 131 in keiner Weise ausgeschlossen, weil neben dem Hauptzwecke der Beseitigung des Ministeriums immer noch der Nebenzweck der Verächtlichmachung einer Staatseinrichtung bestehen bleibt und, abgesehen hievon, § 131 auch da Platz greift, wo die Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit das Mittel zur Erreichung eines an sich erlaubten Zweckes bildet.

Endlich erweist sich auch die in der Beschwerdeanmeldung enthaltene Berufung auf die bona fides als unbehelflich, da zum dolus eines Vergehens nach § 131 das Bewußtsein von der Unwahrheit der behaupteten Thatsachen verbunden mit der Absicht der Verächtlichmachung genügt und beide Erfordernisse durch die Instanzgerichte thatsächlich festgestellt sind.

Demgemäß war zu erkennen, wie geschehen in Anwendung der Art. 274 St.-P.-O. vom 10. Nov. 1848 und 135 E. V. G. vom 10. Nov. 1861.