Oberappellationsgericht München – Stempelhinterziehung
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erkennt der oberste Gerichtshof des Königreiches in Sachen des k. Advokaten A. wegen Stempelhinterziehung für Recht:
- Das Urtheil des k. Bezirksgerichts A. vom 21. Dezember 1876 wird vernichtet, die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Aburtheilung an einen anderen Senat des genannten Gerichtes verwiesen und die Eintragung gegenwärtigen Urtheils in das Urtheilsbuch des k. Bezirksgerichtes H verordnet.
etc. etc. Die oberstrichterliche Prüfung der Sache, welche nach Art. 245 Abs. 1 des St.-P.-G. vom 10. November 1848 auf die Frage der Gesetzesanwendung zu beschränken war, hat Folgendes ergeben:
Die Stempelordnung vom 18. Dezember 1812 bestimmt in § 7 I. Kl. lit. a ganz allgemein, daß mit dem Stempel von 3 kr. versehen sein müssen alle Schriften, welche bei irgend einer mittel- oder unmittelbaren administrativen oder Justizbehörde eingereicht werden, diesem ungeachtet sind aber hierunter Schriften, welche lediglich in Erfüllung einer dem Staate gegenüber bestehenden Verpflichtung und im öffentlichen Interesse bei einer solchen Behörde eingereicht werden, nicht zu verstehen und niemals verstanden worden.
Der Grund liegt zweifellos darin, daß Staatsabgaben, zu welchen die Stempelgefälle gehören, für den Schutz, welchen der [175] Staat gewährt, oder für Dienste, welche derselbe durch seine Organe leistet, entrichtet werden, während, wenn Schriften der bezeichneten Art stempelpflichtig wären, der Staat für Dienste, welche ihm geleistet werden, eine Abgabe erheben würde.
Zu den Schriften, welche aus dem angegebenen Grunde der Stempelpflicht nicht unterliegen, gehören im Allgemeinen die Gesuche um die polizeiliche Bewilligung zur Vornahme von Bauten und die sonstigen Eingaben in Baupolizeisachen, weil die Einreichung solcher Gesuche und Eingaben regelmäßig nur im öffentlichen Interesse geschieht.
Wer um die polizeiliche Bewilligung zur Herstellung eines Baues nachsucht, thut dieses nicht im eigenen Interesse. – in seinem Interesse würde es gelegen sein, wenn ihm unbeschränkt nach seinem Ermessen zu bauen gestattet wäre – er thut es, weil das Gesetz ihn hiezu verpflichtet, und das Gesetz legt ihm diese Verpflichtung auf, damit der Staat durch seine Behörden untersuchen und prüfen könne, ob nicht der beabsichtigten Bauführung öffentliche Rücksichten entgegenstehen.
Es ergibt sich hieraus, daß die bisherige stempelfreie Behandlung der Baupolizeisachen nicht in einer der Stempelordnung widerstreitenden Uebung ihren Grund hat, vielmehr nach der Stempelordnung selbst gerechtfertigt ist, es geht aber auch aus dem Gesagten hervor, daß, wer die polizeiliche Erlaubniß zur Herstellung eines Baues nach einem bestimmten Plane erhalten, den Bau aber gegen den genehmigten Plan hergestellt hat und, damit derselbe nicht beseitigt werde, um die Genehmigung der planwidrigen Bauführung nachzusuchen sich veranlaßt sieht, für sein deßfallsiges, lediglich sein Privatinteresse betreffendes Gesuch die Befreiung von der Stempelpflicht um so weniger ansprechen kann, als er sich durch sein eigenes Verschulden in die Lage versetzt hat, die nachträgliche Genehmigung des Baues zu erwirken oder denselben abbrechen zu lassen.
- Entschl. des k. Staatsmin. d. Fin. v. 24. Juni 1818 (Döllinger Bd. XVI S. 1171).
- Bekanntmachung der k. Staatsmin. des Innern u. der Fin. v. 1. Juli 1876, Tax- und Stempelpflicht in Baupolizeisachen betr.
Ein solches Gesuch steht hier in Frage.
Die Instanzgerichte haben thatsächlich festgestellt, daß M von S. bei Herstellung eines Baues, wozu er die polizeiliche Genehmigung erhalten hatte, Abweichungen vom Bauplane sich erlaubt hat, daß derselbe deßhalb durch Urtheil des k. Landgerichts R. vom 20. Juli 1876 in eine Geldstrafe von 12 ℳ verurtheilt, daß zugleich die Polizeibehörde zur Beseitigung des ordnungswidrigen [176] Zustandes ermächtigt worden ist und daß M. durch den k. Advokaten A. das bei den Akten befindliche Gesuch um nachträgliche Genehmigung des planwidrig hergestellten Baues am 23. August 1876 bei dem k. Bezirksamte R. hat einreichen lassen.
Der k. Advokat A. hätte nach Obigem zu diesem Gesuche eine Stempelmarke verwenden sollen, hat aber festgestelltermassen solches unterlassen und hiedurch einer Uebertretung gegen die Stempelordnung sich schuldig gemacht.
Die Berufung desselben auf § 88 der Bauordnung vom 30. Juni 1864 ist unbehelflich, da durch die hier getroffenen Bestimmungen, wie schon deren Wortlaut ergibt, an den angeführten gesetzlichen Bestimmungen über Stempelpflicht nichts geändert wurde und eine solche Aenderung gar nicht geschehen konnte; auch ist die Behauptung, daß die oben angezogene Entschließung der k. Staatsministerien des Innern und der Finanzen vom 1. Juli 1876 lediglich in den Amtsblättern dieser Ministerien bekannt gemacht worden sei, zur Vertheidigung nicht dienlich, da diese Entschließung nicht neue Vorschriften über Stempelpflicht gibt, sondern lediglich auf schon bestehende Vorschriften aufmerksam macht.
Das angefochtene Urtheil des k. Bezirksgerichts H. vom 21. Dezember 1876 verletzt hienach den Art. 324 des St.-P. G. vom 10. Nov. 1848 durch irrige Anwendung und die Bestimmungen der Stempelordnung vom 18. Dez. 1812 § 7 I. Kl. lit. a und des Gesetzes vom 8. Nov. 1875 Art. 13, 17 Abs. I u. 18 lit. a durch Nichtanwendung und es war daher dasselbe zu vernichten und gemäß Art. 139 des Einf.-Ges. zum St.-G.-B. u. P.-St.-G.-B. vom 10. Nov. 1861 und Art. 262 des St.-P.-G. vom 10. Nov. 1848 weiter, wie geschehen, zu erkennen.
Also geurtheilt und verkündet in öffentlicher Sitzung des obersten Gerichtshofes am siebenzehnten März achtzehnhundert sieben und siebzig, wobei zugegen waren Direktor Dr. v. Kalb, die Räthe Schuler, Koch, Fruhmann, Dr. May, Herold I, Dürrschmidt, Staatsanwalt Wülfert und U.-G.-Schreiber Mayrhofer.
Kalb. Schuler. Koch. Fruhmann. May. Herold. Dürrschmidt.
Mayrhofer.