Oberlandesgericht München – Milchverkauf

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auszug aus dem Erkenntnisse des k. Oberlandesgerichtes München vom 28. Juni 1890
Untertitel:
aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1890, Nr. 21, Seite 340–342
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung: Hygienevorschriften können nicht mit Verweis auf die Gewerbefreiheit umgangen werden
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[340]

Auszug aus dem Erkenntnisse des k. Oberlandesgerichtes München vom 28. Juni 1890
in der Sache gegen die Milchhändlerin Th. L. von M. wegen Uebertretung in Bezug auf Gesundheit.

Nach Art. 75 des P.-St.-G.-B., soweit diese Gesetzesbestimmung hieher Bezug hat, wird mit Geld bis zu 45 Mark gestraft, wer außer den Fällen des § 367 Nr. 7 des St.-G.-B. für das deutsche Reich den zur Verhütung von Gefahren für die Gesundheit in Bezug auf die Aufbewahrung verkäuflicher Nahrungsmittel, Eßwaaren und Getränke ergangenen ober- oder ortspolizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt.

Eine solche ortspolizeiliche Vorschrift, und zwar eine „Milchverkauf- und Beschau-Ordnung“ ist vom Magistrat M. unter dem 12. August 1862 gemäß Art. 202, 131 und 194 des P.-St.-G.-B. vom 10. November 1861 erlassen worden, nach deren § 6 die Milchverkaufslokale sowie die Milchgeräthschaften überall in größter Reinlichkeit erhalten werden müssen, und insbesondere die Milchverkaufsläden helle, trocken und luftig und mit einer weiteren zur Aufbewahrung der Milch passenden Räumlichkeit versehen sein und ihrem Zwecke nicht entfremdet, namentlich nicht als Schlafstätten oder sonst in einer Weise benützt werden sollen, welche ekelerregend oder auf die Beschaffenheit der Milch von gesundheitsnachtheiligem Einflusse wäre.

Vom k. Staatsministerium des Innern wurde unter dem 15. Juli 1887 eine oberpolizeiliche Vorschrift, den Verkehr mit Milch betreffend, erlassen, (Ges.- u. V.-Bl. S. 365), welche auf Grund des Art. 75 Abs. 1 und des Art. 74 Abs. 1 Ziff. 2 des P.-St.-G.-B. vom 26. Dezember 1871 in ihrem § 5 unter Anderem bestimmt, daß die Milchverkaufsräume jederzeit reinlich zu halten sind, daß vorbehaltlich der nach den besonderen örtlichen Verhältnissen etwa veranlaßten ortspolizeilichen Vorschriften zum Verkaufe bestimmte Milch nur in reinlich gehaltenen, gut zu lüftenden Räumen aufgestellt werden darf, und daß insbesondere die Aufstellung in übelriechenden Räumen verboten ist.

Die Revision ist im Wesentlichen auf die Behauptung gestützt, es sei weder durch die ortspolizeiliche Vorschrift vom 12. August 1882 noch durch die oberpolizeiliche Vorschrift vom 15. Juli 1887 dem Stadtmagistrate M. das Recht eingeräumt worden, von den Milchverkaufslokalen Einsicht zu nehmen und deren Benützung, wenn sie sich als ungeeignet darstellen, zu verbieten, und wenn eine derartige Bestimmung getroffen sei, so könne sie dem in § 1 der Reichsgewerbeordnung aufgestellten Grundsatze der Gewerbefreiheit gegenüber, und da einer der Ausnahms- oder Beschränkungsfälle des [341] § 33 der Gewerbeordnung nicht in Frage komme, keine Wirksamkeit haben, da durch orts- oder oberpolizeiliche Vorschrift ein Conzessionserforderniß für ein Gewerbe nicht begründet werden könne, und eine Berechtigung des Magistrats, von den Milchverkaufsläden Einsicht zu nehmen und deren Benützung für den Betrieb des Milchverkaufs zu verbieten, der Berechtigung zur Conzessionsertheilung oder Conzessionsverweigerung hinsichtlich dieses Gewerbes gleichkommen würde.

Allein der Art. 75 des P.-St.-G.-B. von 1871, welcher seinen Platz im sechsten, die Uebertretungen in Bezug auf Leben und Gesundheit behandelnden Hauptstück dieses Gesetzbuchs hat, bedroht Zuwiderhandlungen gegen die zur Verhütung von Gefahren für die Gesundheit in Bezug auf die Beschaffenheit, Zubereitung und Aufbewahrung verkäuflicher Nahrungsmittel etc. ergangenen ober- oder ortspolizeilichen Vorschriften, und hat daher mit der Frage der Berechtigung zum Betriebe eines Gewerbes nichts zu thun. Die vom Stadtmagistrat M. am 12. August 1862 zu Art. 131 des P.-St.-G.-B. von 1861 erlassene, durch Entschließung der k. Regierung, Kammer des Innern, unter dem 7. September 1862 für vollziehbar erklärte und im Amtsblatte von 1862 S. 334 mit S. 338 veröffentlichte ortspolizeiliche Vorschrift „Milchverkauf- und Beschau-Ordnung“, welche einen Gegenstand betrifft, über den noch Maßgabe des Art. 75 des P.-St.-G.-B. von 1871 Vorschriften derselben Art erlassen werden können und sonach gemäß Art. 159 des P.-St.-G.-B. von 1871 noch jetzt Geltung hat, ordnet zwar das Milchverkaufs-Gewerbe zum Zweck der Verhütung von Gefahren für die Gesundheit, sie enthalt aber keine Beschränkungen dieses Gewerbebetriebs als solchen, sondern sie gibt nur Vorschriften in Bezug auf die Art und Weise der Ausübung desselben und somit in Bezug auf die Berufspflichten der Milchverkäufer, und der Erlassung solcher Vorschriften durch orts- oder oberpolizeiliche Anordnung steht die Reichsgewerbeordnung, wie sich insbesondere aus deren § 144 ergibt, nicht entgegen (vgl. das diesgerichtliche Urtheil vom 15. Oktober 1886. Sammlung Bd. IV S. 194, 195).

Die Frage, ob dem Stadtmagistrate M. das Recht zustand, die Benützung des fraglichen Milchverkaufslokals zu verbieten, kommt in der vorliegenden Strafsache, in welcher es sich nicht um die Zuwiderhandlung der Angeklagten gegen das speziell ergangene Verbot, sondern um die Benützung des fraglichen, der ortspolizeilichen Vorschrift nicht entsprechenden Lokals als Milchverkaufslokal handelt, nicht in Betracht, und es ist für den Thatbestand der den Gegenstand der Anklage bildenden Uebertretung auch gleichgültig, ob der Magistrat zur Einsichtnahme der Milchverkaufs-Lokale befugt erscheint oder nicht (siehe jedoch die §§ 8, 9 u. 13 [342] der ortspolizeilichen Vorschriften vom 12. August 1862, worin die Beschau der Milchverkaufslokale angeordnet ist).

Die in den Entscheidungsgründen zum angefochtenen Urtheil sich findende, in der Revision als unrichtig bekämpfte Anschauung, daß die Zuwiderhandlung gegen das der Angeklagten vom Magistrate ertheilte Verbot, das fragliche Lokal zu benutzen, ohne weiteres und ohne daß das Gericht festzustellen hätte, daß das benützte Lokal auch wirklich ein ungeeignetes sei, die Uebertretung nach Art. 75 des P.-St.-G.-B. begründe, ließe sich allerdings nicht rechtfertigen, da der Thatrichter gemäß §§ 260, 263, 373 der St.-P.-O. das Vorhandensein der Thatbestandsmerkmale der den Gegenstand der Urtheilsfindung bildenden That nach seiner eigenen Ueberzeugung zu prüfen hat und in der Uebertretung nach Art. 75 des P.-St.-G.-B. nur die Zuwiderhandlung gegen die ober- oder ortspolizeiliche Vorschrift, nicht aber die Zuwiderhandlung gegen ein auf Grund der ortspolizeilichen Vorschrift ergangenes polizeiliches Verbot ein Thatbestandsmerkmal bildet. Allein die Strafkammer hat das Vorhandensein einer Zuwiderhandlung gegen die in Rede stehende orts- und oberpolizeiliche Vorschrift nach allen Richtungen geprüft und festgestellt, und somit beruht das angefochtene Urtheil nicht auf jener irrthümlichm Anschauung und kann in Folge dessen gemäß § 376 Abs. 1 der St.-P.-O. die Revision auch mit dieser Rüge nicht durchdringen.

Die Thatsache, daß die Angeklagte gegen das magistratische Verbot handelte, in subjektiver Richtung zu verwerthen und daraus, wie es im angefochtenen Urtheil geschehen ist, den Schluß zu ziehen, daß die Angeklagte wissentlich und geflissentlich den ober- und ortspolizeilichen Vorschriften zuwidergehandelt habe, war der Thatrichter durch keine Rechtsnorm gehindert, und da die Strafzumessung innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens geschah, so ist auch nach dieser Richtung das Gesetz nicht verletzt.