Oberlandesgericht München – Verkehr mit Arzneimitteln 8

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Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 27. Februar 1890
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1890, Nr. 10, Seite 90–93
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Kurzbeschreibung: „Ordinieren“ ist dem Apotheker verboten
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Aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 27. Februar 1890

Der § 367 Nr. 5 des Reichs-Str.-Ges.-Bchs. bedroht denjenigen mit Geldstrafe bis zu 150 ℳ. oder mit Haft, welcher bei Ausübung der Befugniß zur Zubereitung oder Feilhaltung von Arzneien die deshalb ergangenen Verordnungen nicht befolgt.

Die hieher bezüglich erlassene Königl. Allerhöchste Verordnung, betreffend die Zubereitung und Feilhaltung von Arzneien, vom 25. April 1877 verpflichtet in ihrem § 19 Ziff. 1 die Apotheker, sich alles Ordinirens unbedingt zu enthalten, und diese Bestimmung wurde in der Königl. Allerhöchsten Verordnung vom 9. November 1882, betreffend die Revision der Pharmacopoea Germanica, dann der Verordnung über die Zubereitung und Feilhaltung von Arzneien, in ihrem § 2 Nr. 4 wörtlich aufrecht erhalten.

Weil nun der Angeklagte, Apotheker P. in B.,

1. der Wittwe G., als diese Ende November 1888 in seine Apotheke gekommen war, und für ein auf ihrer Nase sichtbares Geschwür „Kambolpflaster“ verlangt hatte, im Nachgange seiner Aeußerung: „das gibt es nicht, das soll wohl Karbolwasser sein zum Umschlagen oder Ausspritzen“ 2%iges Karbolwasser und eine Spritze zum Einspritzen des Karbolwassers unter der Belehrung über die Anwendung des Mittels verabreicht, und

2. dem Bauern August E., welcher Ende November oder Anfangs Dezember 1888 bei ihm erschienen war und unter dem Vorbringen: „daß sein Schwager Oswin B. Husten auf der Brust und etwas Kopfweh habe“, gebeten hatte, ihm für denselben etwas zu geben, ein Gläschen von dem vorhandenen Malzextrakt zum Preise [91] von etwa 70 ₰. durch seinen Lehrling mit dem Bemerken einhändigen ließ: „Ich gebe Ihnen etwas für Husten, aber wenn es schlimmer wird bei Ihrem Schwager, dann müssen Sie zu einem Arzte gehen“, – hat die Strafkammer die Berufung des Angeklagten gegen das schöffengerichtliche Urtheil, welches in diesen beiden Handlungen je eine aus § 367 Nr. 5 des Str.-Ges.-Bchs. strafbare Uebertretung der oben schon erwähnten Königl. Allerh. Verordnungen erblickte und denselben hiewegen in eine Geldstrafe von je 3 ℳ., eventuell zu einer Haftstrafe von je einem Tage, sowie zur Tragung der hieher bezüglichen Kosten verfällt hatte, als unbegründet verworfen, indem sie gleich dem Erstrichter und in Uebereinstimmung mit dem Gutachten der vernommenen Sachverständigen Dr. G. und Dr. F. gegenüber dem Gutachten des Apothekergremiums: daß die Wittwe G. Karbolwasser unter der sinnlosen Bezeichnung als „Kambolpflaster“ verlangt habe, und daß es sich im andern Falle um eine „bloße Empfehlung“ von Malzextrakt als Mittel gegen Husten handle, in beiden Fällen annahm, daß der Angeklagte unbefugt ordinirt habe, weil man unter „Ordiniren“ die für ein wirkliches oder behauptetes Uebel erfolgte Angabe eines Heilmittels und dessen Gebrauch, ohne Rücksicht auf dessen Beschaffenheit, begreife, und es insbesondere gleichgiltig sei, ob das Heilmittel überhaupt in der Pharmacopoea Germanica stehe, und, wenn, ob es in Tabelle B oder C daselbst vorkomme oder nicht, weil der Arzt, der einem Patienten Milch oder kalte Umschläge verordne, damit ebenso ordinirt habe, wie ein anderer, der einen Giftstoff verschreibe, weil es ohne Belang sei, ob ein Rezept geschrieben werde, oder das Verordnen des Mittels nur mündlich erfolge, indem die Verordnung, wornach die Apotheker „sich alles Ordinirens unbedingt zu enthalten haben, das „Ordiniren in dessen weitesten Umfange treffe, – und daß insbesondere das Ordiniren weder eine vorausgegangene Untersuchung des Krankheitszustandes, noch die Anordnung eines unter Tabelle B und C der Pharmacopoea fallenden Heilmittels voraussetze, und als nachgewiesen erklärte, daß die Wittwe G. für eine offene Wunde an der Nase irrthümlicher Weise ein nicht existirendes Heilmittel verlangt, der Angeklagte aber nicht blos, wie er verpflichtet war, sie auf die Nichtexistenz dieses Mittels aufmerksam gemacht, sondern ihr auch für ihr Leiden ein bestimmtes Heilmittel, nämlich Karbolwasser, bezeichnet, eine Gebrauchsanweisung hiezu ertheilt, also nicht blos die irrige Bezeichnung des gewollten Heilmittels berichtigt, sondern ein vorher nicht gewolltes Mittel verordnet habe, und daß im zweiten Falle von einer bloßen Empfehlung schon um deßwillen keine Rede sein könne, weil dem B. gar nicht bekannt gegeben wurde, daß das als Heilmittel Verabreichte „Malzextrakt" sei, derselbe vielmehr auf das Verlangen eines Mittels gegen Husten und Kopfweh die inhaltlich schon erwähnte Antwort ertheilt habe; auch das verabreichte Mittel in keiner [92] Weise die Stoffe, aus denen es bestund, erkennen lasse, indem es in einem gewöhnlichen Medizinglase unter einer nur eine Gebrauchsanweisung enthaltenden Aufschrift und demnach in einer zur Erweckung des Glaubens im Kranken, ein wirkliches Heilmittel zu besitzen gegeben worden sei, – also die tatsächlichen Voraussetzungen, von denen das Apothekergremium ausging, als nicht vorhanden erachtete.

In der Revision des Angeklagten, welche Aufhebung des Urtheiles und kostenlose Freisprechung bezielt, wird Verletzung des § 19 Ziff. 1 der Königl. Allerh. Verordnung vom 25. April 1877 in der Fassung des § 2 der Allerh. Verordnung vom 9. November 1882 um deßwillen geltend gemacht, weil der Begriff „Ordiniren“ von dem Gerichte, welches seinem Urtheile die Gutachten der Sachverständigen Dr. G. und Dr. F. zu Grunde gelegt hat, falsch aufgefaßt worden sei, indem es keineswegs die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein könne, das „Ordiniren“, dessen sich der Apotheker unbedingt zu enthalten hat, in dem angenommenen weitesten begrifflichen Umfange aufzufassen, hierunter vielmehr nichts anderes gemeint sein könne, als die Anordnung von wirklichen Heilmitteln, deren Abgabe den Apothekern im Handverkaufe und ohne ärztliche Vorschrift nicht gestattet sei, in beiden Fällen aber vom Angeklagten nur solche Mittel verabreicht worden seien, welche abzugeben er im Handverkaufe unbestritten berechtigt gewesen sei.

Dem Revisionsbegehren kann nicht entsprochen werden.

Nach den Eingangs erwähnten Königl. Allerh. Verordnungen war dem Angeklagten als Apotheker alles Ordiniren unbedingt verboten.

Nun hat das Berufungsgericht festgestellt, daß er der Wittwe G. Karbolwasser als Mittel zur Heilung des auf ihrer Nase sichtbaren Geschwüres bezeichnet, ihr eine Spritze zum Einspritzen des verabfolgten Wassers verabreicht und sie über die Anwendung des Mittels belehrt, daß er ferner dem Bauern August E. für seinen Schwager Oswin B. als Mittel zur Heilung des Hustens des Letzteren zum Gebrauche auf eine bestimmte Zeit ein Gläschen Malzextrakt bezeichnet und verabfolgt hat.

Wenn nun die Strafkammer in diesen beiden Handlungen ein verbotwidriges Ordiniren auf Seite des Angeklagten erblickt und deßhalb denselben als der Strafvorschrift des § 367 Nr. 5 des Reichs-Str.-Ges.-Bchs. verfallen erklärt hat, so beruht diese Entscheidung auf keinem Rechtsirrthum. Es ist damit keineswegs dem Angeklagten das Recht aberkannt, die im § 25 der Königl. Allerh. Verordnung vom 25. April 1877 bezeichneten Arzneien im Handverkaufe ohne ärztliche Ordination zu Heilzwecken zu verabfolgen, es beruht seine Bestrafung nicht auf der Thatsache, daß er Karbolwasser und Malzextrakt an die G. und an E. verabfolgt hat, sondern [93] darauf, daß er diese Heilmittel als zur Heilung der von diesen Personen bezeichneten Leiden dienlich erklärt und unter Gebrauchsanweisung, ohne daß diese Mittel verlangt worden sind, verabfolgt hat. In dieser Bezeichnung der erwähnten Objekte als Heilmittel für die kundgegebenen Krankheiten liegt das ihm verbotene Ordiniren, und damit die strafbare Überschreitung seiner Befugnisse.