Oberster Gerichtshof (Österreich) - Gutgläubiger Erwerb und Bibliotheksstempel

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Entscheidungstext
Gericht: Oberster Gerichtshof (Österreich)
Ort:
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 27. Januar 1987
Aktenzeichen: 2 Ob 504/87
Zitiername:
Verfahrensgang: vorgehend Oberlandesgericht Graz (30. April 1986, 4 R 54/86-9), Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz (16. Januar 1986, 26 Cg 159/85-4)
Erstbeteiligte(r): Republik Österreich (Universität Graz)
Gegner: Hanna J.
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle:
Quelle: Scan von: Entscheidungssammlung zum Bibliotheksrecht, 2. Aufl. 2003, Nr. 1, S. 2–3
Weitere Fundstellen: MR 1987, 96; ris.bka.gv.at
Inhalt/Leitsatz:
Zitierte Dokumente: §§ 1460, 326 ABGB (entspricht § 937 BGB)
Anmerkungen:
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Gutgläubiger Erwerb und Bibliotheksstempel

§§ 1460 ff. ABGB

Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs Wien vom 27. Januar 1987 Aktenzeichen 2 Ob 504/87

(Bibliotheksstempel und -signatur verhindern gutgläubigen Erwerb)

Tatbestand

[1] Das im Spruch angeführte Buch wurde von der Universitätsbibliothek Graz mit der Signatur „I.11.980“ versehen und in ein Verzeichnis aller vorhandenen Bücher eingetragen. Auf der Rückseite jedes Blattes des Werkes findet sich ein ovaler Stampiglienaufdruck: „K. K. Universitätsbibliothek zu Gratz“. Im Zuge einer Generalrevision der Bibliothek im Jahre 1950 kam hervor, dass dieses Werk fehlt. Wann und auf welche Weise es aus der Bibliothek verbracht wurde, konnte nicht festgestellt werden. Als eine Tante der Beklagten am 14. September 1970 starb, befand sich dieses Buch in einem im Vorzimmer ihrer Wohnung befindlichen Kasten. Gemäß § 72 Abs. 2 AußStrG wurde keine Verlassenschaftsabhandlung eingeleitet. Die Mutter der Beklagten, die Eigentümerin des Hauses ist, in dem sich die Wohnung der Tante befand und die selbst in diesem Haus wohnte, übernahm sämtliche Nachlassgegenstände. Sie wusste, dass der Kasten ausschließlich der Aufbewahrung von im Besitz ihrer verstorbenen Schwester befindlichen Gegenständen diente, untersuchte den Inhalt aber nicht näher. Die Mutter der Beklagten starb am 22. Juli 1979, ihr Nachlass wurde der Beklagten eingeantwortet. Als die Beklagte im November 1984 den Kasten räumen wollte, fiel ihr erstmals das Buch auf. Sie war der Meinung, ihre Mutter bzw. ihre Tante seien rechtmäßige Eigentümerinnen des Werkes gewesen, zumal die Stampiglienaufdrucke offensichtlich schon sehr alt waren.

[2] Die klagende Partei begehrt die Herausgabe dieses Buches mit der Begründung, es stehe seit mehr als 100 Jahren in ihrem Eigentum.

[3] Die Beklagte wendete ein, sie und ihre Rechtsvorgänger seien redliche Besitzer, schon ihre Rechtsvorgänger hätten durch Ersitzung Eigentum am Buch erworben.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Eigentumsrecht der Tante sei zwar nicht erweisbar gewesen, die Mutter der Beklagten habe aber das Eigentum ersessen. Ein der Klägerin obliegender Beweis der Unredlichkeit sei nicht erbracht worden. Es schade nichts, dass die Mutter der Beklagten nicht gewusst habe, welche Gegenstände sich in dem Kasten befänden. [3]

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Mutter der Beklagten habe die im Kasten befindlichen Gegenstände als ihr gehörig betrachtet. Sie sei Besitzerin des Buches gewesen, auch wenn sie nie Kenntnis von seiner Existenz gehabt habe. Die Überlassung der Nachlassgegenstände gemäß § 72 Abs. 2 AußStrG stelle einen zum Eigentumserwerb tauglichen Titel dar. Trotz der Signatur und der Stampiglienaufdrucke im Buch sei Gutgläubigkeit anzunehmen. Der Umstand, dass sich das vor mehr als 150 Jahren erschienene Buch einmal im Besitz und Eigentum der „Universitätsbibliothek zu Gratz“ befunden habe, könne nicht dahin ausgelegt werden, dass dieses Eigentum auch derzeit noch zu Recht bestehe. Es sei gerichtsbekannt, dass Bibliotheken von Zeit zu Zeit aus ihren Beständen Werke ausscheiden und etwa veräußern, weshalb es möglich sei, dass das Buch auf korrekte Weise aus dem Besitz der Bibliothek gelangt sei. Überdies sei umstritten, ob die Redlichkeit schon verloren gehe, wenn sich jemand nur aus leichter Fahrlässigkeit für berechtigt halte, obwohl er es nicht sei. Im Zweifel sei anzunehmen, dass ein Besitzer redlich sei.

[6] Das Revisionsgericht (OGH) hat der Revision der Klägerin stattgegeben: Die Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen das Werk „Lithographische Ansichten der Steyermärkischen Städte, Märkte und Schlösser, gesammelt und herausgegeben von J. F. Kaiser, Graz, 1825“ herauszugeben.

Entscheidungsgründe

[7] Die Vorinstanzen gingen - von der Beklagten unbestritten - davon aus, dass das Buch seinerzeit rechtmäßig zu den Beständen der Universität Graz gehörte, es somit im Eigentum der klagenden Partei stand. Dass das Werk später veräußert wurde, wurde weder behauptet noch festgestellt; im Register (Verzeichnis aller vorhandenen Bücher, Beilage II) ist nichts diesbezügliches vermerkt. Die klagende Partei ist daher berechtigt, die Eigentumsklage zu erheben. Die Beklagte stützt ihren Antrag, das Klagebegehren abzuweisen, auf Ersitzung. Voraussetzung hierfür wäre gemäß § 1460 ABGB (§ 1463 ABGB) unter anderem redlicher Besitz. Guter Glaube setzt die positive Überzeugung von Rechtmäßigkeit des Besitzes voraus, er wird schon durch Zweifel ausgeschlossen (vgl. SZ 57/44: Schubert in Rummel Rz 1 zu § 1463 mwN). Gutgläubiger Erwerb ist überall dort zu verneinen, wo irgendein Merkmal den Erwerbsakt objektiv verdächtig erscheinen lässt (5 Ob 77/70, 6 Ob 761/78). Daher hindern schon Zweifel den guten Glauben (Spielbüchler in Rummel, Rdz 4 zu § 326). Die auf dem Werk angebrachte Signatur und die auf jedem Blatt vorhandene Stampiglie der Universität Graz waren - auch wenn sie offenkundig schon vor langer Zeit angebracht worden waren - ohne Zweifel ein Merkmal, das den Verdacht begründen musste, das Werk stehe im Eigentum der Republik Österreich. Aus diesem Grund kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte und ihre Mutter redliche Besitzer des Werkes waren, weshalb die Ersitzung zu verneinen ist, ohne dass es erforderlich wäre, auf die weiteren Ausführungen der Revisionswerberin einzugehen.