Otto Roquette, der Dichter von „Waldmeisters Brautfahrt“
[259] Otto Roquette, der Dichter von „Waldmeisters Brautfahrt“, ist am 18. März in Darmstadt, wo er seit Jahren am Polytechnikum als Professor der Litteratur wirkte, einem Schlaganfall erlegen. In ihm hat die Nation einen Dichter von reinstem Streben und edelstem Charakter verloren, mit dessen Namen der dauernde Ruhm verknüpft bleibt, in Zeiten stürmischer politischer Erregung, die selbst die Dichter in ihren Dienst zwang, den heiteren Daseinsmächten, der naiven Freude an der Natur und ihren Gaben in der deutschen Poesie wieder zum Rechte verholfen zu haben. Sein frühlingsduftiges Rhein-, Wein- und Wandermärchen „Waldmeisters Brautfahrt“, das er als Gabe seines Heidelberger Dichterlenzes im Jahre 1851 erscheinen ließ, sowie die frischen volksliedmäßigen Trink- und Wanderlieder seines „Liederbuchs“ haben darin ihre litterarhistorische Bedeutung, und daß diese anmutigen Blüten der Nachromantik jener Tage auch heute noch immer aufs neue ihre herzerfrischende Wirkung ausüben, ist der beste Beweis ihres unmittelbaren poetischen Werts. Der Lebenslauf des Dichters, dem die Litteratur auf dem Gebiete des Lieds, der Novelle, des Dramas und des romantischen Epos noch gar manche sinnige und formvollendete Gabe zu danken gehabt hat, wir erinnern besonders an den „Tag von St. Jakob“ und „Hans Haidekuckuck“, ist erst vor zwei Jahren bei Gelegenheit des siebzigsten Geburtstages Roquettes Gegenstand einer ausführlichen Darstellung in der „Gartenlaube“ gewesen, welche gleichzeitig (Jahrg. 1894, S. 268) auch sein Bildnis veröffentlicht hat. Wie reich des Dichters Leben an geistiger Arbeit, an interessanten Begegnungen mit bedeutenden Zeitgenossen, an unentwegter Bethätigung seiner idealen Gesinnung gewesen, läßt sich, wie aus seinen poetischen Werken auch aus der Lebensbeschreibung entnehmen, die er unter dem Titel „Siebzig Jahre“ zu eben jenem Geburtstag der Nation als Geschenk dargebracht hat.