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Pariser Bilder und Geschichten/Pariser Spielhöllen

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Textdaten
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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Pariser Bilder und Geschichten
Pariser Spielhöllen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 109–112
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[109]
Pariser Bilder und Geschichten.


Pariser Spielhöllen.


Von Ludwig Kalisch.


In Frankreich sind die öffentlichen Hazardspiele längst verboten; die geheimen Spielhöllen aber sind geblieben, sie haben sich sogar trotz aller Ueberwachung eher vermehrt, als vermindert, und lassen die Polizei nicht zu Athem kommen. Es giebt in Paris sehr viel Spielhöllen, und so groß ihre Zahl ist, so verschieden ist ihre Physiognomie. Wie alle Stätten des Lasters, bieten auch die Spielhöllen in Paris die mannigfachsten Schattirungen dar, von der prachtvollsten Eleganz bis zum spelunkenhaften Schmutz. Eigentlich sind schon manche Clubs nicht viel besser als Spielhöllen; denn eine Gesellschaft, in der man hunderttausend Franken an einem Abend verlieren und im Laufe einer Wintersaison, oder gar eines Wintermonats, sich völlig ruiniren kann, ist doch just kein Tugendverein. Freilich ist hier der Betrug sehr selten, und wer hier zu Grunde geht, hat es seinem eigenen Leichtsinn und keiner Gaunerei zuzuschreiben. Hier spielt auch die Ehre, oder was man so zu nennen beliebt, eine große Rolle. Die Ehre will es, daß der unglückliche Spieler, der am Spieltisch eine Schuld gemacht, binnen vierundzwanzig Stunden seinen Gläubiger befriedige. Man nennt dies eine Ehrenschuld. [110] Sonderbar! Derselbe junge Mann, der sich zehn Mal bedenkt, bevor er einem Hülfsbedürftigen eine Gabe verabreicht, oder ihn, ohne sich auch nur einen Augenblick zu bedenken, rauh abweist, derselbe junge Mann setzt hier Tausende auf’s Spiel, und er, der es gar nicht unter seiner Würde hält, einen Schneider, Schuster oder sonstigen Handwerker unzählige Male mit der nämlichen unquittirten Rechnung zu entlassen, ist in Verzweiflung, bis er das Geld zur Berichtigung der Spielschuld aufgetrieben, und jagt sich wohl eine Kugel durch den Kopf, wenn ihm dies nicht gelingt.

Steigen wir eine Stufe niedriger und sprechen wir von den Salons, wo die Dame vom Hause eine große Gesellschaft empfängt. Diese Dame hat eine sehr bewegte Vergangenheit. Nachdem sie ein Vierteljahrhundert hindurch ihr Herz den Meistbietenden vermiethet und den Bewohnern desselben, wenn sie den hohen Miethzins nicht mehr erschwingen konnten, ohne Weiteres die Wohnung gekündigt, hat sie sich einige Jahre nach zurückgelegtem Schwabenalter, da sich kein Miethsmann mehr einstellte, in ein vornehmes Stadtviertel zurückgezogen. Hier ist sie auf’s Prachtvollste eingerichtet und empfängt Abends zahlreiche Gäste. Unter denselben befinden sich Gräuköpfe, die der Sünde nachlaufen, Jünglinge, denen die Sünde nachläuft, und Damen, die zum Theil mit der Tugend sich längst überworfen, zum Theil mit ihr auf sehr gespanntem Fuße leben, und vorläufig nicht im Allerentferntesten daran denken, sich mit ihr zu versöhnen.

Nachdem diese gemischte Gesellschaft vollzählig, begiebt man sich an die Spieltische. „Bacarat“ und „Landsknecht“ sind die beliebtesten Spiele. Die Goldstücke rollen nach allen Richtungen; die Bankbillete werden von den krampfhaft bewegten Fingern zerknittert und die unerfahrene Jugend, die es hier mit dem erfahrensten reifern Alter zu thun hat, verläßt gewöhnlich die Gesellschaft in stark gerupftem Zustand.

In diesen Salons geht’s nicht immer ehrlich zu. Das Glück oder Unglück des Spielers wird hier nicht ausschließlich von den Launen der blinden Fortuna bestimmt. Die erfahrenen Leute mißtrauen der Blindheit der albernen Göttin und wissen die Karten so zu zeichnen und zu mischen, daß Jeder, der nicht in das Geheimniß eingeweiht ist, nothwendig verlieren muß. Ein solch falscher Spieler wird „Grec“ (Grieche) genannt, und in den eben geschilderten Salons ist das Griechenthum häufiger, als man glaubt. Wer erinnert sich nicht noch des garstigen Processes, aus welchem sich der damalige Director der italienischen Oper mit so wenig Glimpf zu ziehen wußte? Man hatte sich in den Salons der Madame B–i, einer schon überreifen Laïs in den Elyseischen Feldern, um den Spieltisch versammelt, und besagter Director, der in der neuen Welt sich ein sehr bedeutendes Vermögen erspielt hatte, war in diesen Salons ein Stammgast. Er gewann immer. Eines Abends ergab es sich aber, daß er zu jenen entschiedenen Griechen gehörte, die jedoch nicht in directer Linie von Aristides oder Epaminondas abstammen. Die beleidigte Justiz verurtheilte ihn, zwei Jahre zwischen vier dicken und engen Mauern über das Resultat seiner griechischen Studien nachzudenken. Man behauptete damals in Paris allgemein, daß er die Direction der italienischen Oper nur übernommen, um in dieser Stellung seinem Hellenismus mit größerem Erfolge obzuliegen und selbst der unter seiner Leitung stehenden Künstlerschaar die Gage wieder aus der Tasche zu locken.

In der eben genannten Soirée befand sich unter Anderen auch ein Landsmann des Directors, ein junger Mann, der an jenem Abende achtzigtausend Franken verspielte. Derselbe war lange Zeit vom Glück verhätschelt worden. Er hatte sein väterliches Erbe von zweihunderttausend Franken binnen kurzer Zeit in verschiedenen deutschen öffentlichen Spielsälen um das Sechsfache vermehrt und glaubte sich unbesieglich. Bald aber zerrann, was er gewonnen und was er geerbt, und er sah sich endlich genöthigt, die Journalistenfeder zu ergreifen, die ihm noch jetzt das tägliche Brod erwirbt.

Sprechen wir nun von den Tripots, von den eigentlichen Spielhöllen.

Es giebt deren in Paris unzählige; aber wenn in denselben ohne Ausnahme Betrug und Gaunerei vorherrschen und wenn sie sämmtlich vor der Polizei sich ebenso schlau zu verbergen suchen, wie sie von dieser ausgespäht werden, so unterscheiden sie sich doch voneinander durch die Classe ihrer Besucher, durch die Summe des Einsatzes und durch die innere Ausstattung. Es giebt Tripots, in denen an einem Abend hunderttausend Franken auf den Tischen aufgehäuft sind. Sie befinden sich gewöhnlich in schlechtbeleuchteten Straßen abgelegener Stadttheile und in alten einzelnstehenden Häusern, zu denen der Zugang auf alle mögliche Weise erschwert worden. Auch sind Abends die Fensterladen hermetisch verschlossen, damit kein Lichtstrahl die Anwesenheit eines Sterblichen verrathe. Außerdem sind sie noch häufig mit Drehbrücken versehen, die jedem Unberechtigten den Eingang unmöglich machen. Damit endet aber die Vorsicht nicht, welche die Furcht vor der Polizei gebietet. Niemandem wird Zutritt gestattet, der nicht das Losungswort kennt. Der Cerberus, von dem eine solche Hölle bewacht wird, hat fortwährend Augen und Ohren nach allen Seiten gerichtet und warnt die Gesellschaft, so oft er die geringste Gefahr merkt. Ob diese unausgesetzte Wachsamkeit das saubere Etablissement vor Verderben sichert, werden wir bald sehen.

So verlassen und verfallen das Aeußere des Hauses scheint, das Innere desselben ist doch mit keinem geringen Aufwand eingerichtet. Die Zimmer sind auf’s Glänzendste beleuchtet und vortrefflich möblirt; sie sind besonders mit weich gepolsterten Divans und Lehnsesseln reichlich versehen, und es fehlt auch nicht an den mannigfaltigsten Erfrischungen. Der Herr des Hauses, der, wenn er bis jetzt noch niemals auf den Galeeren gewesen, es nicht seiner Jugend zuzuschreiben hat, sondern der Schlauheit, mit der er den Händen der Themis zu entwischen gewußt – der Herr des Hauses hat ein besonderes Augenmerk auf den jüngern Theil seiner Besucher. Diesen strebt er auf alle nur erdenkliche Weise anzuködern und deren Einbildungskraft so sehr wie möglich aufzuregen. Wenn sie sich etwas zu kühl zeigen, versieht er sie mit illustrirten Spielkarten, solchen Karten nämlich, die, gegen das Licht gehalten, allerlei obscöne, wollüstige Figuren und Gruppen zeigen. Ist das Blut in Wallung gerathen, so führt man sie in den prachtvoll erleuchteten sogenannten „Salon des distractions“, was wir ebenso euphemisch mit „Zerstreuungssaal“ übersetzen wollen. Daselbst werden sie Verlockungen anderer Art ausgesetzt, denen keiner von ihnen widersteht. Hier befinden sich nämlich abgefeimte Phrynen, die von dem Wirthe angewiesen sind, die jungen Opfer zu betäuben und zur Fortsetzung des Spiels aufzumuntern. Hat nun ein junger Mann die mitgebrachte Baarschaft verloren, so nähert sich ihm der Spielhöllenwirth mit süßem Lächeln, sucht den Unglücklichen zu trösten und bietet ihm – wie er versichert, aus purer Menschenfreundlichkeit – eine Summe zur Fortsetzung des Spieles dar, versteht sich unter gewissen menschenfreundlichen Bedingungen. Der Wirth läßt nämlich den Jüngling einen Wechsel unterschreiben, und die Unterschrift verpflichtet den Leichtsinnigen zu den wucherischesten Zinsen. Wie man leicht begreifen kann, ist der infame Wirth nur dann mit dem Darlehn zur Hand, wenn er weiß, daß der junge Mann einer reichen angesehenen Familie angehört, die, um die Ehre des Sohnes zu retten und Scandal zu vermeiden, die Unterschrift respectiren wird. Es versteht sich auch von selbst, daß ein junger Mann, der ein solches Tripot besucht, fast immer unrettbar verloren ist. Wer in die wildbewegten Meereswogen stürzt, kann sich doch vielleicht durch Schwimmen retten; wer aber in einen tiefen Morast sinkt, kann nur durch ein Wunder gerettet werden.

Indessen besteht die Kundschaft der eben geschilderten Spielhöllen nicht blos aus jungen Leuten, denen erst der Flaum am Kinn sproßt. Man findet dort auch reife und überreife Männer mit ergrauten und kahlen Scheiteln, und unter ihnen nicht selten Künstler, Aerzte, Juristen und Beamte, deren Frauen und Kinder zu Hause darben.

Steigen wir nun noch einige Stufen niedriger und sprechen wir von den Tripots, wo jede äußere Eleganz fehlt und die Gaunerei unter allen Formen ihre Opfer hinwürgt. In diesen Spielhöllen wird Tag und Nacht gearbeitet, und damit der Spieler keine Veranlassung habe, sich zu entfernen, sind dort in einer besonderen Vorrathskammer allerlei Lebensmittel aufgehäuft, die dem Hungrigen und Durstigen verabreicht werden. Es giebt in diesen Spelunken zweierlei Art Spieler, von denen die Einen immer gewinnen und die Anderen immer verlieren. Erstere arbeiten mit dem Wirth im Einverständniß und sind gewöhnlich Taschenspieler von Profession, welche die Volte vortrefflich zu schlagen wissen und jede Karte des Partners genau kennen; Letztere bestehen [111] aus leichtgläubigen und leichtsinnigen Spielern, die erst zur bessern Einsicht gelangen, wenn auch die allerbeste Einsicht nicht mehr hilft.

Der Wirth solcher Spielhöllen macht immer gute Geschäfte; denn bis Mitternacht nimmt er fünf Procent von jedem Einsatz; nach Mitternacht aber zehn Procent, was bei dem oft sehr hohen Einsatz ein schönes Sümmchen abwirft. Ich brauche nicht erst besonders zu erwähnen, daß diese Wirthe die durchtriebensten Schurken sind und alle Kniffe und Pfiffe aufbieten, um eine eben so zahlreiche als ergiebige Kundschaft herbeizulocken. Sträubt sich Einer aus Furcht vor der Polizei, eine solche Spielhölle zu besuchen, so weiß der Wirth den Furchtsamen dadurch zu ermuthigen, indem er ihn bei Seite nimmt und ihm in’s Ohr flüstert, daß die Polizei selbst durch Geld und gute Worte angeködert worden und das Etablissement also von den Dienern der öffentlichen Sicherheit nichts zu besorgen habe. Der Leichtgläubige nimmt diese Versicherung für baare Münze an und verliert sein Geld und seine Ehre.

In den bisher angeführten Spielhöllen sind die Opfer mehr oder minder wohlhäbig. Der Einsatz bildet, wie eben gesagt, oft eine bedeutende Summe. Nun giebt es aber Tripots, die einen Schauder und zugleich einen Ekel einflößen. Hier sind keine hell erleuchteten Salons, keine Gueridons, keine Divans, keine mit Seidendamast überzogenen Puffs, keine weichgepolsterten Lehnstühle. Es sind enge finstere Diebeshöhlen, in welche kein Lichtstrahl, kein frischer Luftzug dringt. Ein schmutziger Tisch von Tannenholz und ein paar lendenlahme Stühle bilden das Möbel; für die Beleuchtung sorgen einige qualmende Lampen, die womöglich die Atmosphäre noch mehr verpesten. Die Karten selbst sind bereits von hundert unsauberen Händen besudelt worden, und nur unsaubere Hände wagen es, dieselben wieder zu berühren. Was die Opfer betrifft, so bestehen sie aus Arbeitern, die mit dem eben erhaltenen Lohn das Glück herausfordern. Die Unglückseligen! Sie kämpfen einen ungleichen Kampf, der sehr kurz ist und mit ihrer völligen Niederlage endet; denn ihre Partner sind der Abschaum der Menschheit, unter denen nicht selten entlassene oder entronnene Galeerensträflinge sich befinden. Hier wird nur mit Franken- oder gar blos mit Sousstücken gespielt; aber die Sousstücke, die der Arbeiter verliert, waren bestimmt, den Hunger seiner Frau und seiner Kinder zu stillen. Der Arbeiter, der eine solche verruchte Stätte besucht, ist auf immer verloren; ja er wird zum Verbrecher, wenn er es nicht vorzieht, durch Selbstmord zu enden.

Eine Spielhölle mag sich indessen noch so sorgfältig vor den Augen der Polizei verstecken, früher oder später wird sie doch entdeckt. Die vornehmeren Spielhöllen werden nicht selten der Polizei von einem unglücklichen Spieler verrathen, der sich für seinen Verlust rächen will. Er richtet ganz einfach an den Polizeipräfecten einige Zeilen, in denen er auf’s Genaueste den Ort angiebt, wo sich die Spielhölle befindet. Die gemeineren Tripots verrathen sich selber durch das Aeußere der Häuser, in denen sie sich eingenistet, und durch die Scheu, mit der die Besucher sich allen Blicken zu entziehen bemüht sind. Wittert einmal die Polizei ein Tripot, so ist dessen Schicksal entschieden und es hilft dann weder Losungswort noch Laufgraben, weder Drehbrücke noch Fallgatter, weder geheime Treppe noch unterirdischer Gang. Der Commissär, der speciell mit der Entdeckung der Pariser Tripots betraut ist, besitzt eine reiche Erfahrung und gebietet über eine Mannschaft, die vor keiner Gefahr zurückschreckt.

Ist die Spielhölle einmal entdeckt, so gilt es vor Allem, dieselbe im Augenblick ihrer Wirksamkeit zu überraschen und wie ein Blitz aus heiterm Himmel über die Bande herein zu brechen. Der Polizeicommissär wählt also, je nach der Bedeutung der zu überraschenden Spielhölle, eine gewisse Zahl aus seiner muthigen, sehr intelligenten und wohlbewaffneten Mannschaft, läßt von derselben in stiller Nacht höchst vorsichtig das Haus umkreisen und es endlich so dicht einschließen, daß kein Entrinnen möglich. Man bemächtigt sich sodann des Concierges, des Hauswarts, und zwingt diesen, das Losungswort zu entdecken und die geheimen Gänge zu dem Spielsaal anzuzeigen. Dies geschieht auf eine so geräuschlose Weise, daß die Spieler auch nicht die allergeringste Ahnung haben von der sie bedrohenden Gefahr. Durch Gewinn berauscht, oder durch Verlust halb von Sinnen, sind ihre gierigen Blicke auf die Karten gerichtet; da öffnet sich die Thür und bevor sie noch Zeit haben, sich vom Schrecken zu erholen, befinden sich Karten und Einsatz in den Händen des Commissärs und seiner Leute. Nur selten wagt es Einer, sich zur Wehr zu setzen, da man weiß, daß die Polizei nur mit überlegenen Kräften die Strafbaren ergreift. Der Commissär sondert nun die Schafe von den Böcken, die Verführten von den Verführern. Diese werden sogleich in Gewahrsam gebracht; jene läßt man frei abziehen, nachdem sie ihre Adressen genau angegeben.

Indessen nimmt die Sache nicht immer einen so einfachen Verlauf wie der eben geschilderte. Die Spielwirthe sind mit allen Hunden gehetzt und haben wie das scheueste Wild eine sehr feine Witterung. Sie merken gleich, wenn es nicht ganz geheuer ist. Sie verdoppeln dann ihre Vorsicht und zwingen die Polizei, die Taktik zu ändern und schlauere Angriffspläne zu entwerfen. Die Niederlage der Etablissements wird dadurch freilich etwas aufgeschoben, ist aber darum nicht weniger gewiß. Der Polizeicommissär läßt seine Mannschaft verkleiden. Die Einen umschleichen als Maurer und Anstreicher, die Anderen als Zimmermannsgesellen, als Obst- und Gemüsehändler, wiederum Andere als Kesselflicker das Haus, und befindet sich in demselben, wie das oft der Fall ist, eine Weinwirthschaft, so mischen sie sich in der Verkleidung unter die Gäste, und während sie sich mit diesen unterhalten, verfehlen sie nicht, die allergeringste Bewegung des Wirthes, der Wirthin und des Dienstpersonals scharf zu beobachten. Die Hauptaufgabe dieser verkappten Gehülfen besteht darin, nicht nur den versteckten Spielort, sondern, was noch wichtiger ist, die geheime Communication mit demselben und die Warnungsmittel zu erfahren, welche bestimmt sind, die Spieler von der drohenden Gefahr zu benachrichtigen. Es kann der Polizei durchaus nicht genügen, das Spielzimmer ausfindig zu machen, wenn die Spieler von der Ankunft der Polizei in Kenntniß gesetzt werden. In diesem Falle werden nämlich die Karten beseitigt, und wenn der Polizeicommissär eintritt, findet er die löbliche Gesellschaft in einem bescheidenen unschuldigen Gespräche begriffen und muß unverrichteter Dinge abziehen. Die Polizei hat also vor allen Dingen dem Wirthe diese Warnungsmittel zu benehmen. Das ist aber eine große Schwierigkeit und kostet einen unglaublichen Aufwand von Scharfsinn und Schlauheit.

So fand sich vor Kurzem ein als Ouvrier verkleideter Polizist in einer solchen Wirthschaft ein, forderte ein Glas Absynth und stellte sich sehr müde. Es war ihm nicht entgangen, daß die Wirthin ihn bei seinem Eintreten mit einem gewissen Mißtrauen betrachtet hatte, und er bemerkte auch, daß sie jeden Eintretenden mit durchdringenden Blicken musterte. Er nahm ein Zeitungsblatt, das eine einschläfernde Wirkung auf ihn auszuüben schien. Mit seinen halbgeschlossenen Augen entdeckte er jedoch einen eisernen Ring in einem Winkel des Zimmerbodens und es entging ihm auch nicht, daß die Wirthin diesen Ring nicht aus den Augen verlor. Der Polizist wußte nun genug. Er rief die Wirthin zu sich und während er mit ihr sprach, gab er ein Signal. Bald traten einige andere verkleidete Polizeidiener ein, und das Alles geschah so schnell, daß die Wirthin keine Zeit mehr hatte, an dem Ringe zu ziehen und die im Keller versammelten Spieler durch das Schellengeläute von der Gefahr zu benachrichtigen. Der Schellendraht ging nämlich durch den Zimmerboden und das Gewölbe des Kellers, wo das Spielernest sich befand. Die Polizei bemächtigte sich der Frau, bewachte sorgfältig den verhängnißvollen Ring und nach einigen Minuten überraschte der Polizeicommissar die Spieler in ihrer süßen Gewohnheit des Daseins und des Wirkens.

Die Polizei hat niemals Zeit genug, auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Kaum ist eine Spielhölle unterdrückt, so öffnet wieder eine andere ihren verderblichen Schlund. Die große Ausdehnung der Weltstadt erleichtert gar sehr das Entstehen solcher fluchwürdigen Anstalten, denen es auch aus eben demselben Grunde niemals an Opfern fehlt. In einer kleinern Stadt kann man sich nicht lange einem Laster hingeben, ohne entdeckt zu werden und den guten Leumund zu verlieren. Die Wege, die hier zu den Schlupfwinkeln der Verworfenheit führen, sind zu kurz und man begegnet auf denselben zu viel bekannten Gesichtern. In großen Städten ist diese Furcht nicht vorhanden und man kann sich unbeobachtet in jeden Sündenpfuhl stürzen. Wie dem aber sei, in Folge der für Frankreich so fürchterlichen Ereignisse hat sich in Paris die Zahl der Spielhöllen stark vermehrt und es sind deren sogar im Mittelpunkte der Stadt, wie zum Beispiel im Faubourg Montmartre, entstanden. Wie ist aber diesem Uebel abzuhelfen? Auf diese Frage antworten die Einen, die Justiz müsse ihre Kräfte [112] verdoppeln und verdreifachen, die falschen Spieler und die Spielhöllenwirthe auf die Galeeren schicken und die Opfer selbst zur Geldstrafe verurtheilen. Die Andern sind gegen die drakonische Strenge, die nach ihrer Ansicht den Zweck durchaus verfehlen würde. Sie behaupten sogar, man müsse die öffentlichen Hazardspiele wieder erlauben, die öffentlichen Spielsäle würden die geheimen verdrängen. Es fehlt selbst nicht an Publicisten, welche, dieser Ansicht huldigend, noch obendrein der Regierung rathen, die Hazardspiele zur Quelle ergiebiger Staatseinnahmen zu machen. Der Staat solle das Laster gestatten, um es zu besteuern. Das ist ein vortrefflicher Rath! Wahrlich, wenn man die Heilmethode dieser moralischen Aerzte befolgte, würde die Krankheit bald in eine Epidemie ausarten, wie denn überhaupt die Gebrechen, an denen die moderne Gesellschaft leidet, durch die große Zahl der Heilkünstler, die an denselben darauf los experimentiren, erst recht gefährlich, wo nicht gar unheilbar werden.