Pariser Bilder und Geschichten/Sonderbare Existenzen
Alltäglich begegnet man in Paris einer großen Anzahl von Individuen, deren Antecedentien und Urgeschichte schwerer festzustellen sind, als die Urgeschichte irgend eines Völkerstammes, dessen Ursprung sich in der dunkelsten Nacht der Zeiten, hinter den Vorhängen vieler Jahrtausende verliert. Man begegnet ihnen in den Salons reicher Bankiers, bei Institutsmitgliedern, an der Privatspielbank zweideutiger [223] Frauen, in der großen Oper, auf dem Boulevard des Italiens zwischen vier und fünf Uhr, im Café de Paris und – während der letzten Jahre meist in den Salons und auf den Bällen der Minister oder der Persönlichkeiten, welche, mächtiger als die Minister, oft durch anerkannte oder unerkannte Bande des Blutes mit der herrschenden Familie und den Tuilerien zusammenhängen. Man erkundigt sich endlich nach diesen Individuen, da sie denn doch etwas Auffallendes, die Neugierde Reizendes an sich tragen, und man erfährt ihre Namen und sonst nichts. – Aber wer ist er? was treibt er? woher stammt er? – Man zuckt die Achsel und antwortet mir: ich habe ihn bei Herrn von Morny, bei Troplong, bei Mirès, bei Millaud, bei Delamare gesehen! Das ist Alles.
Wir müßten sehr irren oder Herr Napoleon B. ist ein solches problematisches Individuum. Er tauchte mit dem neuen Kaiserthume auf, wie so viele Andere; wir sahen ihn in einem höchst eleganten Coupé vor soliden und reichen Häusern halten; wir sehen ihn heute in abgeschabter, fadenscheiniger Tracht mit einer Mappe unter dem Arme von Bankier zu Bankier laufen und Projecte und Pläne feilbieten und sehr unterthänig um Unterstützung seiner großen Ideen bitten. Von Zeit zu Zeit scheint ihm Manches zu gelingen; dann ist er plötzlich auf Reisen, taucht da und dort in industriellen Gegenden auf, verzehrt viel in den Hotels – um einige Wochen später wieder mit der Mappe unter dem Arme von Bankhaus zu Bankhaus zu laufen.
Wir kennen, wie gesagt, die Urgeschichte Herrn Napoleon B.’s nicht; wir wissen nicht einmal, ob er vor Einführung des neuen Empires wirklich Napoleon geheißen; wir kennen nur eine Episode aus seinem höchst wahrscheinlich bunten Leben, und diese Episode schließt sein „Rise and Fall“, seine Blüthe und seinen Verfall in sich. Darum können und wollen wir nur diese Episode erzählen.
Kaiser Napoleon III. hatte sich proclamirt; Napoleon B. stand mit einem Male auf der Scene. Diese zwei Erscheinungen sind nicht ohne Zusammenhang; ihre Gleichzeitigkeit ist in den Umständen begründet. Napoleon B. war verheirathet. Wer war seine Frau? Auch das ist ein Räthsel, aber ein durchsichtiges, das nur aus Delicatesse und aus Rücksicht für eine sonst unbescholtene Frau nicht gelöst wurde. Mad. Napoleon B. hat ihre Mädchenjahre in einer Pariser Pension zugebracht; die Pensionsgelder bezahlte ihre Pathe, eine Prinzessin des kaiserlichen Hauses (nicht die Prinzessin Mathilde), die sich des verlassenen Kindes überhaupt mit mütterlicher Sorgfalt annahm. Von einer Mutter war nirgends eine Spur zu entdecken, aber es war kein Geheimniß, daß die Pathin die Mutter war. Die junge Pensionärin war eine außereheliche, nicht anerkannte Tochter der Prinzessin. Diese Prinzessin können wir nur bedauern, daß es ihr die Umstände nicht erlaubten, ihr Kind nicht anzuerkennen und sich den schönsten Pflichten ohne Rückhalt hinzugeben; sie hätte dieses Trostes so sehr bedurft, sie, deren eheliche Kinder auf so unbegreifliche Weise hinstarben oder verschwanden. Sie stattete ihre Tochter aus und verheirathete sie, immer als Pathin, an Herrn Napoleon B.
Ist es nun ein Wunder, daß Herr Napoleon B. eine Rolle zu spielen anfing, als sich der neue Hof constituirte und die Prinzessin herbeieilte, um in diesem Glücke ihrer Anverwandten sich zu freuen, und als sie in den Tuilerien als eine der geachtetsten Persönlichkeiten der Familie mit Auszeichnung empfangen wurde? – Sie kam oft herbei aus dem fremden Lande und wohnte jedes Mal in den Tuilerien. Herr Napoleon B., der mit dem Heirathsgute seiner Frau fertig geworden, war nicht der Mann, diesen günstigen Umstand, die sogenannte Pathin in den Tuilerien zu haben, unbenutzt zu lassen. Es wäre ihm leicht gewesen, sich eine Stelle zu verschaffen; aber heutzutage geht der Ehrgeiz nicht mehr auf Stellen aus. Die Ehre ist das Geld. Das ist die Ansicht mehrerer Minister, warum sollte es nicht die Ansicht eines Glücksritters sein?
Die Protegirten heutigen Tages machen ihr Glück meist dadurch, daß sie sich von der Regierung eine „Concession“ geben lassen: eine Concession zur Eröffnung von Bergwerken, zur Errichtung einer neuen Omnibuslinie durch Paris, zur Aufstellung von hundert neuen Fiakern oder Petites Voitures, zur Erbauung einer Eisenbahn etc. etc. Diese Concession verkaufen sie dann an einen reichen Bankier, erhalten sofort eine große Summe, dann, wenn die Gesellschaft constituirt ist, eine gewisse beträchtliche Anzahl Actien und werden außerdem noch in den Verwaltungsrath, wenn nicht in die Direction der neuen Actiengesellschaft gewählt. Man ist so über Nacht ein reicher und einflußreicher Mann geworden. Manchmal gehen die Dinge auf noch einfachere Weise vor sich. Ein Bankier, ein großer Unternehmer, ein Erfinder hat eine gute Idee; er will sie in Ausführung bringen; er wendet sich an die Regierung und bittet um eine Concession, aber nur unter der Bedingung, daß Herr X., ein Begünstigter der Regierung oder des Hofes, mit so und so viel Hunderttausenden oder Millionen dabei betheiligt werde, oder daß man ohne Umschweif an diesen Hern X. diese oder jene bedeutende Summe auszahle.
Herr Napoleon B. war der geheime Schwiegersohn einer Prinzessin des kaiserlichen Hauses, die in den Tuilerien viel vermochte; sollte er diesen Umstand nicht benutzen, sich zu einem jener Begünstigten zu machen? Bessere als er hätten dieser Verlockung zu Nepotismus nicht widerstanden.
Gleich als die Prinzessin das erste Mal am kaiserlichen Hofe erschien, setzte er seine Frau in Bewegung, „il la mettait en campagne“, er begann mit ihr den Feldzug, wie die Franzosen sagen würden. Madame Napoleon B. war ein gutes Geschöpf, das in der Pension wenig Welterfahrung gesammelt hatte, und sich auf dergleichen Geschäfte schlecht verstand. Aber ihr Gatte wurde gegen seine Gewohnheit zärtlich und liebend; sie war dankbar, hörte seine Instructionen aufmerksam an und wirkte bei ihrer Mutter mit großem Erfolge. Bald kehrte sie zu ihrem Gatten mit dem Versprechen zurück, daß er die Concession zum Bau der Orleans-Epernay-Eisenbahn erhalten solle. Orleans-Epernay! eine ungeheure Strecke, ein herrliches Unternehmen! Ob einträglich oder nicht, darauf kam es in jener Zeit des Schwindels, der Fusion und des Steigens auf jeden Fall ganz und gar nicht an. Mit jeder Concession konnte man bei einiger Börsengeschicklichkeit ein ungeheuer reicher Mann werden und zwar in wenigen Tagen; dies um so leichter in diesem Falle, da mit der Concession von Orleans-Epernay noch eine Garantie von 5 Procent von Seiten des Staates versprochen wurde.
Napoleon B. umarmte seine Frau, eilte, sich als reichen Mann und großen Industriellen einzurichten, kaufte ein elegantes Coupé und ein schönes Pferd, und begann seine Fahrt zu den großen Bankiers.
Mit solchen Hoffnungen, solchen Versprechungen in der Tasche fand er überall offne Thüren, hie und da selbst bis zu einem gewissen Grade offene Cassen; er war lancé! Alles ging vortrefflich; man drängte sich um ihn; man fand ihn in allen Salons; er selber fing an zu protegiren und machte ein großes Haus. Seine Frau lebte, wie die Frauen der großen Männer des Momentes leben; in herrlichen Stuben, in Sammet, Spitzen, Diamanten, Pelzen etc. etc.
Sie war darum nicht glücklicher, ihr Mann stand hinter ihr, wie ein treibender böser Geist, denn hinter ihm standen die Bankiers, die auf seine Unternehmung einzugehen bereit waren und die ihm teilweise schon Vorschüsse gemacht hatten. Er lebte von der Zukunft; seine Schulden wurden immer größer, und das Versprechen wurde nicht zur Wirklichkeit. Wenn das so fort ging, wurde er bankerott an der Schwelle des Reichthums, im Angesichte der Schätze. Unglücklicherweise lebte die Prinzessin im Auslande; wirksam konnte ihr Einfluß nur während ihrer kurzen Aufenthalte in den Tuilerien benutzt werden. Napoleon drängte seine Frau, und diese mußte Briefe auf Briefe an ihre Mutter schreiben. Diese tröstete auf ihre Rückkunft nach Paris und wurde manchmal ungeduldig; sie hatte höhere Interessen in den Tuilerien zu vertreten und wollte ihren Einfluß nicht ganz zu Gunsten von Orleans-Epernay verbrauchen. Da sie im Auslande, in einer kleinen Stadt, in kleinen Verhältnissen, fern von diesem ganzen Actien-Unternehmungs- und Protectionsschwindel lebte, verstand sie sich vielleicht auch nicht auf die Pariser Zustände und Persönlichkeiten und wußte ihren Einfluß nicht fruchtbringend genug auszubeuten. Zu feurig durfte sie für Frau Napoleon auch nicht auftreten, wenn sie nicht verrathen wollte, daß sie mehr als das Interesse einer Pathin an ihr nahm. Dafür mußte Frau Napoleon büßen. Sie wurde von ihrem Manne mit Vorwürfen überhäuft; sie mußte an ihre Mutter beleidigende Briefe schreiben; sie wurde von ihrem Manne darauf aufmerksam gemacht, welch ein Unterschied zwischen einem ehelichen und unehelichen Kinde sei, und wurde bei solchen Gelegenheiten geradezu Bastard genannt. Diese Veränderung in ihrem häuslichen Verhältniß fiel der jungen Frau um so schwerer auf’s Herz, als die Zärtlichkeit, deren Gegenstand sie eine Zeit lang nach Erlangung des Versprechens war, sie etwas verwöhnt und ein glückliches Leben hatte hoffen lassen. Sie wurde schwermüthig, schweigsam und war ganze Wochen lang in ihrem Geiste wie gelähmt. Desto erbitterter wurde ihr Gatte gegen sie, da er sie in diesen Zeiten der Apathie nur mit Mühe zu seinen Zwecken gebrauchen konnte und ihre Trägheit, so wie den Mißerfolg seiner Unternehmung ihrem bösen Willen zuschrieb. Die Mißhandlungen wurden immer schlimmer. Da empörte sich die junge Frau; es kam manchmal zu sehr heftigen Scenen, in denen Herr Napoleon B., wenn er für dergleichen ein Auge gehabt hätte, das Erwachen eines gründlichen Hasses in der Brust seiner Frau [224] bemerkt haben würde. Nur wenn die Prinzessin nach Paris kam, war einiger Waffenstillstand; einmal, weil Napoleon neue Hoffnungen schöpfte, dann, weil er die Anklagen seiner Frau vor dem Forum der Schwiegermutter fürchtete. Madame Napoleon erkannte sehr wohl die Gründe dieses Waffenstillstandes, lächelte verächtlich und freute sich in dem Bewußtsein, daß das Schicksal ihres Mannes von ihr abhänge und daß sie ihn, wenn sie wolle, verderben könne.
Die schlimmste Zeit für Madame Napoleon war die des orientalischen Krieges. Die Prinzessin war zu delicat, um in dieser aufgeregten, sehr beschäftigten Zeit den Kaiser mit solchen Kleinigkeiten zu behelligen, und da von diesem kein directer Befehl zur Ertheilung der Concession Orleans-Epernay ausging, und die Minister bei dieser Protection weiter nicht betheiligt waren, fanden sie in den wichtigeren Angelegenheiten Vorwand genug, die ganze Sache in den Hintergrund und auf die sogenannte lange Bank zu schieben. Herr Napoleon B. sah das Alles ein, aber er konnte nicht warten; sein Unmuth mußte sich Luft machen, und seine arme Frau litt durch den orientalischen Krieg vielleicht mehr, als irgend ein Krieger in der Krim durch Entbehrung, Mangel und Frost gelitten hat.
Es kam der Frieden; der Congreß versammelte sich in Paris. Auch die Prinzessin kam in die Tuilerien. Napoleon B. schöpfte neue Hoffnung; er athmete auf; endlich mußte die definitive Concession erobert werden können. Es war hohe Zeit. Die Gläubiger drängten; bereits Jahre langer Luxus hatte ihre Schaar vermehrt. Die Bankiers, die sich mit Napoleon eingelassen, fingen an, ihn als Charlatan zu betrachten, und gaben ihm nur noch eine Galgenfrist. Aber, wie gesagt, nun schien Alles wieder gut gehen zu wollen. Napoleon behandelte seine Frau wieder rücksichtsvoller.
„Nun,“ sagte er eines Tages, „nun, mein geliebtes Kind, ist es an Dir, unsere Zukunft zu sichern; die Zeit des definitiven Glückes ist jetzt gekommen.“
„Ist diese Zeit gekommen?“ fragte sie mit eben so viel Trauer, als Bitterkeit im Herzen; doch lächelte sie und gutmüthig, wie sie von Natur war, ließ sie sich auf’s Neue instruiren und ging zu ihrer Mutter. Sie kam mit neuen Hoffnungen zurück, doch vertröstete sie ihren Mann auf den Schluß der Conferenzen. Napoleon war der Vertröstungen müde, und unbezahlte Rechnungen und Mahnbriefe lagen auf dem Tische. Er brach in Verwünschungen gegen seine Frau und ihre Mutter aus. Madame hatte sich längst gewöhnt, zu antworten; sie antwortete und zog sich dafür die brutalsten Mißhandlungen zu.
Einige Tage darauf war Herr Napoleon B. wieder zärtlich. Er hatte sich erkundigt und erfahren, daß Alles reif war; es bedurfte nur noch eines einzigen Wortes von Seiten der Prinzessin, und die Congreßacten wurden unterzeichnet. Er kündigte das seiner Frau an, sagte ihr, ihrer beider Glück sei nun gemacht, und bat sie wieder, ihre Mutter zu besuchen und sie nur noch um den letzten kleinen Schritt zu bitten.
„Ist nun wirklich Alles fertig?“ fragte Madame.
„Es ist.“
„Nun,“ sagte Madame, „werde ich das Meinige thun.“
Herr Napoleon B. fährt aus, um seinem Bankier den Abschluß dieser Angelegenheit anzukündigen. Als er Abends nach Hause kam, war seine Frau eine Leiche. Neben ihr lag ein Giftfläschchen. Sie hatte sich vergiftet und zwar, wie sie es in einem Briefe sagte, um sich an ihrem Manne, den sie haßte, für alle Unbill, die sie in diesen Jahren hatte ertragen müssen, zu rächen, um die Concessionsertheilung, die nur ihrer Person gelte, zu Nichte zu machen, um ihn in Elend und Verachtung, die er verdiene, zu stürzen.
Die Frau hat ihren Zweck erreicht. Orleans-Epernay ist stückweise verschiedenen Gesellschaften zugetheilt worden; die Prinzessin hat Napoleon B. von ihrer Schwelle gejagt – all’ sein Luxus ist dahin, und nun läuft er als abenteuerlicher Projectenmacher mit der Mappe unter dem Arme von Comptoir zu Comptoir.