Parsifal zeigt den Gral
[199] Parsifal zeigt den Gral. (Zu dem Bilde S. 185.) Die großartige Dichtung Wolframs von Eschenbach, in welcher die idealen Elemente der ritterlichen Romantik und Mystik des Mittelalters sich zu der erhabensten poetischen Wirkung vereinigt haben, ist von Richard Wagner der Bühne erobert worden, freilich zunächst nur der Bayreuther Festbühne; denn man traute den Alltagsbühnen des Deutschen Reichs nicht zu, daß sie eine Stimmung hervorrufen könnten, welche der Hoheit und Feierlichkeit dieses Feststückes gerecht wurde. Nachdem verschiedene Konzertinstitute es neuerdings unternommen haben, einzelne Partien, namentlich die feierlichen Liebesmahls- und Gralscenen, ohne Bühnenapparat zum Vortrag zu bringen, ist das Interesse für das große „Bühnenweihfestspiel“ des Bayreuther Meisters noch im Wachsen begriffen. Die Dichtung Wolframs von Eschenbach ist von Richard Wagner, vielfach umgeschaffen, zur Grundlage seines Musikdramas gewählt worden. Parcival – Wagner schreibt „Parsifal“ – ist der Sohn Gahmurets und der Herzeloide; mit jenem Namen, der so viel bedeutet wie „reiner Thor“, begrüßte sein Vater den noch Ungeborenen – dieser starb vor der Geburt des Sohnes. Die Mutter aber, die durch des Gatten wilde Kriegsabenteuer und seinen Tod viel Leid erfahren, erzog den Sohn in der Einsamkeit, fern vom Lärm der Menschen und dem Geräusch der Waffen, damit er vor allen Gefahren behütet sei. Doch einmal verschwand der Knabe und seine Spur war verloren. Da brach das Leid der Mutter das Herz. Der Knabe aber war glänzenden Männern nachgeeilt; mit dem Bogen bewaffnet, hatte er sich zur Wehr gesetzt und des Lebens Unterhalt erworben. Im ersten Akt des Musikdramas, als er die Bühne betritt, hat er mit seinem Bogen einen Schwan erlegt, was im Reiche des heiligen Gral für eine Frevelthat gilt. Mit Reue hört er die Mahnungen des weisen Gurnemanz an und dieser geleitet ihn zum heiligen Gral, der ihn speisen und tränken wird, wenn er weise ist. Der Hüter des Grals, [200] König Amfortas, ist schwer erkrankt infolge einer Speerwunde, welche nur derselbe Speer wieder zu heilen vermag, der Speer, der auch dem Erlöser die Wunde stach. Durch die Krankheit des Amfortas ist die Zucht der Templeisen gelockert und die Gebote des heiligen Grals werden oft übertreten. Doch Parsifal bringt dem Könige und dem Gral das Heil zurück. Er dringt in die Burg des Magiers Klingsor, wo die Teufelin Kundry mit den Genossinnen haust, um durch bösen Zauber der Ritter Sinn und Thatkraft zu lähmen. Als Parsifal eingedrungen, spielen die Mädchen mit ihm, Kundry erfüllt sein Herz mit glühendem Sehnen, ihr Kuß durchschauert ihn; aber er reißt sich los aus ihren Armen. Da ruft sie um Hilfe; Klingsor schleudert den gesuchten Speer nach ihm, welcher aber über Parsisals Haupt schweben bleibt. Dieser faßt ihn mit der Hand und schwingt ihn mit einer Gebärde höchsten Entzückens, die Gestalt des Kreuzes bezeichnend. Da stürzt die trügerische Pracht des Zauberschlosses wie durch ein Erdbeben in Trümmer, der Garten verwandelt sich in eine Einöde.
Das ist der Schluß des zweiten Aktes; im dritten wandelt Parsifal dem heiligen Grale zu. Er begegnet Kundry, die sich in eine büßende Magdalene verwandelt hat und dem ohnmächtig Umsinkenden zu Hilfe eilt und ihm die Füße salbt. Nun gipfelt sich das Stück zur großen Schlußscene, welche uns der Maler Pixis stimmungsvoll darstellt. Wir befinden uns im Allerheiligsten der Gralsburg, in der Halle des Tempels, der aus lauter Gold, Aloeholz und einem Gestein errichtet ist, welches im Sommer Kühlung, im Winter Wärme verbreitet. Hier ist der heilige Gral aufbewahrt, jenes Gefäß seltener Weihe, welches der Sage nach aus einem einzigen Smaragd geschliffen und mit Wunderkräften ausgestattet war: es war die Schüssel, aus welcher Jesus mit seinen Jüngern beim letzten Abendmahle aß und in welcher nachher Joseph von Arimathia das Blut des gekreuzigten Heilands auffing. Auf unserm Bilde sehen wir, wie Parsifal, nachdem er den schwerkranken Amfortas mit demselben Speere geheilt, der ihm die Wunde geschlagen, als neuer Gralskönig das heilige, aus dem verhüllten Schrein genommene Gefäß in Verzückung hoch emporhält, während ein Glorienschein von oben es umfließt und mitten in der Strahlenglorie die Taube, die Frieden und Segen verkündet, über dem Haupte des „reinen“ Königs schwebt. Zusammengesunken ruht Kundry auf den Stufen zu seinen Füßen; vorn steht der Sarg des eben verstorbenen früheren Gralskönigs Titurel; aber mit heiliger Begeisterung jauchzen die Templeisen dem Retter zu, der des Grals fast schon verlorene Herrlichkeit wiederherstellt. †