Philipp Otto Runge an Achim von Arnim (31. Mai 1808)
An Ludwig Achim v. Arnim in Heidelberg.
Ich habe Ihre angenehme Zuschrift, mit welcher Sie mir gütigst die „Zeitung für Einsiedler“ sandten, erhalten. Ich wüßte nicht, wie ich etwas dagegen haben könnte, daß sie die beiden Mährchen drucken ließen, die Ihnen so gut wie mir gehören, da es bloß Zufall ist, daß ich sie vollständig zu hören bekam. Sehr angenehm würde es mir seyn, wenn ich Ihnen noch die Geschichte vom starken Hans (welches eigentlich der Plattdeutsche Hercules ist) liefern könnte. Solche Sachen sind eine außerordentliche Delicatesse für mich und ich glaube nicht, daß Sie viele so sublime antreffen werden, als diese drey Geschichten seyn würden. Von dem starken Hans habe ich nur erst eine allgemeine Anschauung, [186] hoffe aber, daß ich ihn noch näher von Angesicht werde kennen lernen. Um Sie nun nicht umsonst bemüht zu haben, an mich zu schreiben, lege ich Ihnen noch einige Plattdeutsche Lieder bey, da ich Ihr zweytes Anliegen[1] so wenig befriedigen, als noch weniger etwas dafür versprechen kann. Sie werden es mir leicht glauben, daß die heutige Würdigung der alten Kunstwerke, und die sich immer mehr verbreitende Neigung, dem rechten Sinn vorhandener Werke auch in allen Kunstverzweigungen nachzuspüren, mir sehr interessant seyen; sie geben dem, der in der lebendigen Erscheinung der wandelvollen Zeit die Gestaltung seines individuellen Lebens erschauen möchte, Hoffnung, das, was er gebildet, auch für seine Zeitgenossen gebildet zu haben. Indessen verhehle ich Ihnen nicht, daß es mir zu voreilig scheint, anzunehmen, daß es hier und da mehr als sonst Leute gebe, welche die Kunst würklich beförderten. Das Ganze beschränkt sich auf eine Neigung für Kunstwerke, die nur ein neugieriger Blick in die Vergangenheit ist, welcher in äußerst Wenigen den productiven Glauben an die Zukunft erzeugt hat. Wer da den Weg dieses Glaubens gehen will, der soll an allen zeitigen Auswüchsen grade die Spur und den Keim der Zukunft erkennen lernen. Das Bilden in der lebendigen Gegenwart ist wie der Gang durch eine unendliche üppige Wildniß, es gehört dazu ein unverzagter Muth und ein ununterbrochenes Aufmerken, wer etwas Ganzes herausholen will, und wo man sich sehr in Acht zu nehmen hat, die einzelnen phantastischen Gestalten, sie mögen so reizend seyn, wie sie wollen, nicht Herr über sich werden zu lassen, sonst könnte man in der Ueberschwemmung einer hereindringenden Phantasie bald untergehen. Sie werden mich schon verstehen; ich kann es nämlich nicht ertragen, daß ich einzelne Einfälle aufzeichne, ohne daß sich unwillkührlich ein Ganzes bilde; und da ich besonders jetzt daran arbeite, die Ahnung vollständig zu Tage zu legen, welche in meinen Tageszeiten liegt, so lasse ich mich nicht gern von der Arbeit abwendig machen. Sie werden nicht verlangen, daß ich Ihnen ausführlichen Bericht von der Art und Weise zu arbeiten gebe, die ich für mein Bestreben nothwendig halte, sondern mir lieber auf’s Wort glauben, daß ich bey Vorfällen das Gute Ihrer Unternehmungen gern, mit dem, was ich zu leisten im Stande bin, unterstützen werde. Meine Freunde wissen es am besten, wie sehr isolirt ich hier bin, und [187] wie sehr ich wünschte, jemand in der Nähe zu haben, der in irgend einer Kunst oder Wissenschaft gemeinschaftliche Ideen hätte. Alle hiesigen Künstler müssen um’s Brod arbeiten und noch dazu ist für’s Bildermachen Hamburg ein schlechter Ort. – W. Tischbein geht jetzt von hier, dessen herrliche Thierfabeln oder Ansichten Sie vielleicht angenehm überraschen würden. Ich werde dieser Tage noch mit ihm sprechen und es sollte mir sehr angenehm seyn, wenn ich Ihnen diese interessante Bekanntschaft verschaffen könnte. – Ich bitte an unsern Freund Zimmer meine herzlichsten Grüße zu bestellen.
Anmerkungen der Vorlage
- ↑ um einige Zeichnungen, eigner Erfindung, für die gedachte Zeitung.