Quartiermachers Leiden und Freuden

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Titel: Quartiermachers Leiden und Freuden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 590–592
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quartiermachers Leiden und Freuden.
Aus dem Tagebuche eines Artilleristen.


Unweit des durch sein Franctireurswesen oder vielmehr Unwesen berüchtigten Städtchens Chaumont mußten die Quartiermacher der in den benachbarten Ortschaften untergebrachten Truppen sich in einem Centralorte sammeln, und wir ritten dann oft zu dreißig bis fünfzig, zuweilen noch durch leichte Cavallerie bedeckt, bis zum nächsten Centralort, das heißt bis zu einer Stelle, von wo aus jeder eine möglichst kurze Strecke bis zu seinem Abendquartier zurückzulegen hatte. Da ging es denn oft sehr lustig zu, es kreiste auf den Pferden die Cognacflasche, jeder wetteiferte mit dem Andern, ein möglichst solennes Frühstück aufweisen zu können, was mancher Gans und Ente das Leben kostete – Hühner waren bereits zu gemein. Selbst bis zum Champagner verstiegen wir uns. Ich hatte schon oft in dieser Gegend Champagner trinken hören, das heißt vom Champagnertrinken reden hören, da kommt eines Tages ein mir sehr zugethaner Wehrmann mit zwei Flaschen zu mir in’s Quartier und erzählt mit freudestrahlendem Antlitz, daß man soeben wieder einen Champagnerkeller entdeckt habe, er bringe mir hier nur ein bescheidenes Pröbchen, um ein für allemal meinen Zweifel zu beseitigen. Es war mir nämlich stets wunderbar gewesen, daß aller Champagner in ärmlichen Häusern gefunden wurde. Er schenkt den perlenden Wein in’s Glas; „sehen Sie, wie er moussirt!“ und ich sehe und trinke, was ich stets vermuthet, Cider, schlichten Apfelwein, ein allerdings sehr schätzbares Getränk, wenn man nichts anderes hat. Ich wollte dem Mann nicht wehe thun, lobte daher seinen Champagner, rieth ihm aber, von demselben aus Gesundheitsrücksichten nicht viel zu trinken. Mit besagtem Champagner hatte ich nun am folgenden Tage meine Feldflasche gefüllt und credenzte sie meinen Cameraden. Mein Getränk erntete allgemeinen Beifall, bis die Reihe des Trinkens an den Quartiermacher einer Proviantcolonne kam, der, indem er gleich nach dem ersten Schlucke den noch vorhandenen Rest fortgoß, mir erklärte, daß man bei der Proviantcolonne hinreichend Zeit und Gelegenheit habe, Weinstudien zu machen, und es daher unmöglich sei, ihm Cider als Champagner in seinen Gaumen einzuschmuggeln. Um mich übrigens wegen des Verlustes meines Ciderrestes zu entschädigen, holte er ein Paar Flaschen des edelsten Burgunders vor, die denn alsbald die Pferderunde begannen.

An diesem Tage sollte ich aber nicht nur Cider in Champagner umwandeln, ich hatte noch eine schwierigere und ernstere Aufgabe zu lösen.

Wir hatten uns bald nach allen Richtungen der Windrose zerstreut und ich ritt allein in Begleitung eines Obergefreiten auf ein etwa zehn Minuten vor mir liegendes Dorf, das Ziel unseres heutigen Marsches, los, als uns eine Cavalleriepatrouille begegnete und uns die Warnung gab, nicht zu Zweien in’s Dorf einzureiten, da am vorhergehenden Tage in einem sehr nahen Dörfchen ein Officier in Begleitung eines Unterofficiers meuchlings erschossen und die Stimmung in der ganzen Gegend eine äußerst gereizte sei. Wie sollten wir aber hier warten und der nach drei bis vier Stunden ankommenden Colonne mittheilen: „Ihr findet heute nichts vorbereitet, kein Quartier, kein Essen, auch ist weder Hafer noch Heu für Eure Pferde aufgebracht, weil wir Angst hatten vor dem Todtschießen.“ Hinein mußten wir, niederschießen lassen wollten wir uns nicht; wir hielten großen Kriegsrath und beschlossen nach kurzem Sinnen mit überwiegender Stimmenmehrheit, das Dorf auf allen Seiten anzugreifen und im Sturme zu nehmen. Kurz vor dem Dorfe gaben wir unseren Pferden die Sporen und ritten dann im schärfsten Carrière bis etwa zum fünften oder sechsten Hause; hier wendeten wir unsere Pferde und galoppirten jählings wieder zum Dorfe hinaus, trennten uns dann, indem mein Obergefreiter sich rechts wandte, ich aber die Richtung nach links einschlug. Unserem im Kriegsrath gefaßten Beschlusse gemäß führte jeder von uns an dem nun zunächst von ihm erreichten Dorfeingange das eben beschriebene Manoeuvre aus, um dann in der schärfsten Rittart den dem ersten Eingange entgegenliegenden Ausgang zu gewinnen. Nachdem wir nun auch von dieser vierten Seite uns den Einwohnern des Dorfes bemerkbar gemacht, hatten, zogen wir uns bis zum vordersten Hause der Straße zurück, stellten unsere Pferde unter und begaben uns nun in das Küche, Kammer und Stube auf’s Zweckmäßigste in Eins vereinigende einzige Zimmer des Hauses.

Es galt noch, der soeben vollzogenen gewaltsamen Einnahme des Ortes die moralische Eroberung hinzuzufügen. Unser Ein- und Ausreiten war stets mit solcher Geschwindigkeit ausgeführt worden, daß die Bewohner kaum die Fenster hatten gewinnen und sehen können, wie viele wir unser waren; sah man nun auch einen, respective zwei Mann zurückreiten, so konnte doch Niemand wissen, ob und wie viele Prussiens in das Innere des Dorfes geritten seien. Unser „Pisang“ (paysan), der es noch nicht einmal der Mühe werth hielt, bei unserm Eintritt in sein Zimmer sich zu erheben, und der deshalb auch sogleich das für den Franzosen stets tief empfindliche „pas poli“ von mir hören mußte, konnte natürlich noch keine Kenntniß davon haben, daß schon auf drei anderen Stellen des Dorfes Prussiens sich gezeigt hatten. Auf meine Bitte, er möge mir den Maire rufen, – es wäre ja zu gewagt gewesen, sich weiter in das Dorf hineinzubegeben – entgegnete er denn auch in höchst trockener Weise und mit ziemlich herausfordernder Miene: „mais non, je ne veux pas.“

Als ich jedoch in eben so ruhiger, aber bestimmter Weise ihm sagte: „Mein Herr! Wenn der Maire nicht binnen einer halben Stunde von jetzt ab hier sein wird, so werde ich meinen Leuten [591] Befehl geben, Ihr Haus anzuzünden, und Sie werden dann ein petit feu pour plaisir sehen können, wie es vor zwei Tagen in jenem Dorfe zu sehen war, wo ich mit den Lanciers zusammen war. Die Uhr ist jetzt ein und drei Viertel nach Mittag, thun Sie, was Sie wollen“. Indem ich mir dann, am Kamine Platz nehmend, ruhig meine Pfeife anzündete, mochte es dem Pisang trotz der Kälte am Kamin (es brannten oder vielmehr kohlten wie gewöhnlich nur zwei kreuzweise über einander gelegte Holzstücke) doch anfangen, etwas warm zu werden; er erhob sich, machte ein höchst einfältiges Gesicht und sprach vom Wetter, von der Kälte. „Nix comprah“ (comprends) lautete meine Antwort, er fragte, von wo wir kämen und wohin wir gingen. „Nix comprah.“ Da schien es ihm kalt oder heiß über den Rücken zu gehen, zumal ich schweigend meine Uhr aus der Tasche nahm und sie ebenso schweigend langsam einsteckte; er suchte schleunigst das Weite.

Natürlich beobachteten wir, während Madame auf Geheiß das Dejeuner servirte, sorgfältigst die Hofthüre. Kaum zwanzig Minuten waren vergangen, als unser liebenswürdiger Wirth mit dem Maire erschien, dessen erste Frage war, wie Viele wir im Dorfe seien. Ich sagte ihm, ich könne nicht wissen, ob schon von der andern Seite Mannschaften eingetroffen seien, und hörte nun, daß dies schon auf zwei andern Seiten der Fall sei; auch erbot sich der Maire, die Leute aufsuchen zu lassen, was ich jedoch mit dem Bemerken dankend ablehnte, daß die Uebrigen sich bei mir zu melden und von mir ihre Befehle zu empfangen hätten. Wir gingen nun, von dem Maire geleitet, in’s Dorf, um für unsere zwölf Officiere (wir hatten deren nur zwei) Quartiere zu suchen und gleichzeitig nach den Stallungen für unsere nahezu sechshundert Pferde, deren wir etwa einhundert und sechszig hatten, zu sehen. Da jedoch der Maire im Fortgehen mich forschend ansah und seine Frage nach dem Wieviel wiederholte, auch mit einem inzwischen eingetretenen, äußerst verdächtig aussehenden Domestiken Zeichen und leise Worte gewechselt wurden, so entgegnete ich: „Wir sind jedenfalls genug hier, um einen etwaigen Meuchelmord, wie er gestern wenige Minuten von hier verübt worden ist, gebührend strafen zu können. Sie werden an meiner Seite bleiben und sich jedes verdächtigen Zeichens enthalten; ein von anderer Seite gegen uns gerichteter Angriff ist Ihr Tod.“ Dabei nahm ich meinen ungeladenen Revolver zur Hand und ging schußbereit, wie ich es beim Ein- und Ausreiten gewesen war, mit ihm. Diesen Revolver führte ich stets bei mir, wenn eine Gefahr irgend denkbar war, aber stets war er ungeladen, und das aus folgenden drei Gründen: Erstens hätte der Schuß, wenn geladen gewesen wäre, einmal losgehen und Reiter oder Pferd treffen können; zweitens verstehe ich mich nicht auf Handfeuerwaffen, als echter Feldartillerist kann ich nur mit Kanonen schießen, und zwar nur mit ungezogenen, da ich vor Einführung der gezogenen Geschütze mein Dienstjahr absolvirte, aus welchem letztern Umstande unser Oberst die Folgerung zog, daß ich nicht Vicefeldwebel oder Officier werden könne, und daher alle betreffs meiner von meinem Commandeur gemachten Beförderungsvorschläge zurückwies, wiewohl fast jede Colonne einen Officier besaß, der nicht einmal ungezogener Artillerist, sondern Cavallerist gewesen war; drittens lud ich meinen Revolver nicht, weil nicht anzunehmen war, daß jemals ein Franzose auf den Verdacht kommen könne, der Revolver sei ungeladen.

Unsere Colonne kam, galt als sechshundert Mann stark und wurde dem entsprechend viermal so gut aufgenommen, als wenn ihre wahre Stärke bekannt gewesen wäre.

Am folgenden Morgen war mir als Begleiter statt des Obergefreiten ein ehemaliger Trainsoldat beigegeben, derselbe hatte unser Abenteuer natürlich schon Abends vom Obergefreiten gehört und meinte daher, als wir eine Weile unterwegs waren, in seiner gewöhnlichen sarkastischen Weise: „Lise ist heute stolz auf den kühnen Reiter, sie hält den Kopf so hübsch hoch.“ Meine Lise, das gute Pferd, trug sonst meist das edle Haupt ähnlich wie eine Kuh; Lise war offenbar nicht Linie, nicht einmal Landwehr, sondern wahrscheinlich Armeereserve; Lise war aus Oldenburg, und ihr Geburtsjahr fiel in die schönen Zeilen von anno olim, wo man noch einen Stellvertreter stellen konnte; doch war Lise ein treues Thier und von guter Ausdauer, sie hat den ganzen Feldzug hindurch auf all meinen Quer- und Irrfahrten mich getragen, daher ich ihren Hauptfehler stets durchgehen ließ.




Spät Abends am 19. August traf unser Quartiermacher, der damals Capitaine d’Armes war, im Bivouac ein, diesmal von Allen mit Jubel empfangen, denn er brachte ja eine Speise, die wir Alle fast nur noch vom Hörensagen kannten: er brachte uns Brod; und was bargen wohl die Fässer, die einen ganzen vierspännigen Leiterwagen in Anspruch nahmen?

„Aber woher so spät?“ hieß es von allen Seiten. „Man glaubte Sie schon gestern verloren; Sie müssen doch ganz nahe dem Schlachtfelde gewesen sein?“

„Freilich bin ich das; um ein Haar, so wäre ich gefangen gewesen oder hätte selbst an fünfzig Mann gefaßt.“

„Ja, ja,“ betheuerten Einige, die mit auf Requisition gewesen waren.

„Erzählen, erzählen!“

„Nun ja. Von der Schlacht gestern haben wir nichts bemerkt; daß überhaupt etwas vorgefallen war, erfuhren wir erst heute gegen Mittag, wo wir, beiläufig gesagt, gern etwas Warmes zu essen gehabt hätten. Bis gestern gegen fünf Uhr hatten wir trotz der größten Anstrengung nur erst einen Backofen mit etwa hundert Pfund Brod abgefangen, eine Kuh und ein paar Fässer Wein aufgetrieben. Als ich gerade mit dem Maire eines leidlich wohlhabenden Dorfes in Unterhandlung stand, da erschien zu meinem größten Schrecken ein Officier vom dritten Armeecorps mit dem Sanitätszeichen; nun war also auch hier nichts zu machen. (Für Verwundete und Kranke wird stets Alles mit Beschlag belegt, und nur mit Bewilligung der Sanitätsbehörde kann Anderen etwas verabfolgt werden, natürlich nur Gegenstände, deren die Sanität nicht bedarf oder wovon sie genügenden Ueberschuß besitzt.) In der That, der Officier untersagte mir jede Requisition in diesem Dorfe, und mehr noch, er nannte mir unter Vorzeigung einer Specialkarte noch eine Menge Dörfer, die er heute noch zu bereisen gedenke.

Doch ihn jammerten die Meinigen. Seit acht Tagen mindestens schon kein Brod, und die armen Pferde hatten schon einige Tage ihre ganze Einbildungskraft aufbieten müssen, um sich ihre zwölf Pfund Hafer vorzustellen, wenn sie vielleicht ein Viertel so viel von dem schlechten schwarzen Hafer aus der Umgegend erhielten. Der Officier empfand ein Rühren, er hatte soeben gute Geschäfte gemacht und versprach mir, redlich zu theilen, was wir im nächsten Dorfe fassen würden. So war uns denn geholfen.

Nachdem wir im nächsten Dorf gut eingeheimst und Pferde und Wagen zum Fortschaffen requirirt hatten, verfuhren wir uns gründlich, nahmen in Onville Nachtquartier und zogen heute früh von dannen. Da blitzen bald vor uns im Walde Waffen, wir sehen Uniformen; wahrhaftig es sind Franzosen! mindestens fünfzig Mann gegen uns Neun. Unser Entschluß ist bald gefaßt: ich reite mit dem Obergefreiten vor; die Franzosen werden aufgefordert, sich zu ergeben; im Weigerungsfalle soll gefeuert werden. Wir waren nämlich soeben um eine Waldecke gebogen, und der Feind konnte nicht wissen, was noch hinter uns war; flohen wir aber, so mußten wir unser Brod im Stiche lassen und vielleicht in Folge einer tückischen Kugel doch noch das Leben. Also vor in sausendem Galopp! Plötzlich hält mein Nebenmann sein Roß in demselben Augenblicke an, wo ich ein Gleiches thue; aber schon in demselben Moment geht es weiter bis auf etwa hundert Schritte vor den Feind. Nun wird die Aufforderung, sich zu ergeben, entgegengerufen, worauf unter schallendem Gelächter die Antwort erfolgt: ‚Mein Gott, wir sind ja Baiern!‘ Das war mir nun freilich nichts Neues, ich hatte es wohl bemerkt und darum mein Pferd parirt; als ich dann wieder losgaloppirte, geschah es nur des Scherzes wegen, um zu sehen, ob wohl mein Begleiter nach seinem guten Frühstück oder besser Frühtrunk die Baiern erkenne würde. Er seinerseits versicherte nun freilich, zu derselben Zeit dasselbe gedacht zu haben. So war denn für dieses Mal die Gelegenheit, einen Orden zu bekommen oder wegen Auszeichnung vor dem Feinde trotz meiner Unkenntniß des gezogenen Geschützes befördert zu werden, zu Wasser geworden.

Wir kamen über Trouville nach Jouonville. Dieses ganze Dorf war ein großes Lazareth. Hier und da war ein Haus niedergebrannt, eine Scheune zerstört, dort lag mitten auf der Straße ein bereits anrüchiger Pferdeleichnam. Ich war mit Peter etwa ein halbes Stündchen voraufgeritten, ein mächtiger Durst plagte mich; hier war aber wohl kein Wein mehr zu haben, und bald mußten ja die requirirten Fässer da sein. Bescheiden verlangte [592] ich daher nur einen Trunk Wasser; man wies mich überall ab mit dem Bedeuten, die Brunnen seien zerstört und verschüttet durch die Schlacht. Endlich trete ich noch einmal in ein Haus ein und fordere Wasser; der Pisang hat nichts, weiß auch nichts aufzutreiben. ‚Wir schmachten hier schon seit vierundzwanzig Stunden,‘ sagt einer der acht Verwundeten, die im Zimmer sind, ‚könnten wir nur so recht zugreifen. Der Kerl geht Tag und Nacht nicht von der Stelle dort; ich wette, unter ihm ist ein Brunnen.‘ Ich bemerkte unter dem Stuhle des Pisangs eine kleine Fallthür, eine Klappe; er mußte sich erheben, mußte die Klappe aufheben, und siehe da, der schönste Quell zeigte sich! Daß der Pisang meine Klinge zu fühlen bekam, versteht sich von selbst.

Ich suchte lange im Dorfe umher, bis ich in einem der Häuser einen schwerverwundeten Officier antraf; er war mit seiner Pflege ganz zufrieden, nur Wasser fehlte ihm, doch die Leute könnten keins schaffen, da die Brunnen zerstört seien. Ich theilte dem Officier mein Erlebniß mit, ließ ihm Wasser bringen und nahm mir dann in Ermangelung des Maire, der geflohen war, den Pfarrer vor, um ihm mitzutheilen, daß ich übermorgen das Dorf wieder passiren würde und daß im Falle der leisesten Klage von Seiten der Verwundeten kein Haus verschont werden würde. Hoffentlich haben die armen Verwundeten jetzt Wasser.

Da ich unser Bivouac nicht mehr allzu weit vermuthete und noch Zeit genug hatte, so beschloß ich, nach einem etwas links rückwärtsliegenden Dorfe hinüberzureiten, um wo möglich für die Verwundeten Wein zu schaffen. Um die Pferde nicht unnütz anzustrengen, ritt ich allein dahin. Ich fand ein wüstes Nest; die Einwohner kehrten zum Theil zurück und empfingen mich in eigenthümlicher Weise; sie schienen zu wissen, daß in nächster Nähe keine Prussiens waren; rosig gelaunt waren sie ob des Zustandes ihrer Wohnungen auch eben nicht; kurz die Situation war für mich bedenklich. Ich fragte daher sogleich, ob wohl sechshundert Pferde hier übernachten könnten. Das half. Wurden auch die Gesichter durch die angekündigten sechshundert Pferde, die übrigens nicht hätten untergebracht werden können, nicht freundlicher, schwand auch aus den Mienen nicht der finstere Trotz, so schwand doch das Unheimliche und Beängstigende. Ungehindert verließ ich das Dorf und erreichte bald wieder Jouonville, von wo ich jetzt komme.“

Vorstehendes Beruhigungsmittel französischer Dorfbewohnergemüther ist übrigens nicht nur von unserm Quartiermacher, sondern auch von verschiedenen einzelnen Reitern angewandt worden. So hatte sich einst während der Wintermonate ein Paroleschreiber in nächtlicher Stunde verirrt und zum Ueberfluß auch noch den Namen des Ortes (irre ich nicht, Villeromain), wo der Parolebefehl ausgegeben werden sollte, vergessen. Wohlgemuth stört er die Einwohnerschaft eines Dorfes, auf das er gerade stößt, aus dem Schlafe auf, fragt nach dem Namen des Dorfes, stellt sich dann sehr erfreut, sein Ziel gefunden zu haben, und dictirt achthundert Pferde. Man geräth ganz außer sich vor Schrecken; es ist unmöglich, so viel Pferde zu beherbergen, und fressen werden sie auch noch wollen und allein werden sie auch nicht kommen; es liegen doch in der Nähe noch so viele Dörfer. Der gestrenge Paroleschreiber bleibt unerbittlich.

Plötzlich hört er den Namen des Ortes nennen, den er sucht.

„Wohlan! Dort liegt unser Stab, vielleicht kann ich dort noch ein paar Hundert Pferde unterbringen; gebt mir einen wegkundigen Führer mit.“

Mit tausend Freuden thut man das, und der Paroleschreiber kommt nach Villeromain, ohne gefranctireurt zu sein.




„Notiren Sie den Vorfall,“ sagte der Quartiermacher einige Tage darauf zu mir. „Gestern Nacht in Ticourt habe ich bei einer anständig gesinnten Familie im Quartier gelegen, bei einer Wittwe Corbedaine.“

Madame Corbedaine ist die Schwägerin des Maire, der mich selbst ihr vorstellte und mit eigenthümlichem Lächeln dabei seiner reichlich zwanzigjährigen Nichte sagte: „pas marié“, in welchen Irrthum er wohl durch mein jugendliches Aussehen gerathen war; denn dieser Feldzug verjüngte Jeden, der kugelfest blieb, um fünf bis zehn Jahre. Mademoiselle zeigte mir ein freundliches Zimmer und fragte, was ich zu diniren wünschte und wann? Ich bestimmte nur das „Wann“, das „Was“ ihrem Tacte anheimstellend.

Ich sah mich nicht getäuscht. Bei meiner Rückkehr fand ich ein reichliches und gutes Mahl vor, nur der Wein fehlte. Du man gerade damit immer am freigebigsten ist, so setze ich in solchen Fällen stets voraus, daß wirklich kein Wein zu beschaffen ist, und lasse mich durch das Fehlen dieses Erheiterers nicht entheitern.

Nach Beendigung meiner Mahlzeit holte Madame einen wohlschmeckenden Pflaumenschnaps, der mich zu der Frage veranlaßte, ob man denn in Frankreich gar kein Pflaumenmus kenne.

„O gewiß! Wir haben selbst welches; lieben Sie es?“ entgegnete Mademoiselle.

„Eine Königreich für eine Musstulle!“

„Wenn Sie die Güte haben wollen, mir zu folgen, so können Sie sich einen der Töpfe auswählen.“

In der reichlich gefüllten Speisekammer erblickte ich eine ziemliche Anzahl von größeren und kleineren Töpfen, auf die Celestine hinwies. Nachdem ich einen von mittlerer Größe auserwählt hatte, zeigte mir Demoiselle noch andere nützliche und brauchbare Gegenstände, die ich jedoch dankend zurückwies. Ich sprach meine Verwunderung aus, daß sie es wage, mir so ohne Weiteres alle diese Kostbarkeiten, den Vorrat auf ein Jahr, zu zeigen.

„Von Ihnen, mein Herr, glaube ich nichts befürchten zu müssen, nicht jedem Soldaten würde ich dies Vertrauen schenken.“ (Ich habe vergessen, zu erwähnen, daß ich längst mein Verheirathetsein eingestanden hatte; ich muß diesen Umstand hervorheben, um kein falsches Licht auf das Vertrauen des jungen Mädchens fallen zu lassen. Ein junges Mädchen von zwanzig Jahren ist nämlich in Frankreich schon eine alte Jungfer und könnte also geneigt sein, einem unverheiratheten Manne, dessen bürgerliche Lebensstellung sie während der Unterhaltung erfahren, egoistischer Weise ein besonderes Vertrauen zu schenken.) „Uebrigens so leicht lasse ich mich durch nichts in Schrecken setzen. Im Anfange des Krieges hatten wir in unserem Hause einmal vierzig Cavalleristen, alle Gärten des Dorfes waren mit Pferden gefüllt. Meine Mutter war gerade bettlägerig, die verheirathete Schwester noch nicht hier, ich also mit meiner andern Schwester ganz allein. Wir fürchteten uns gar nicht, wir gaben, was wir hatten, Wein sechszig Liter. Einer der Reiter hatte etwas zu viel getrunken, er wollte mehr haben. Ich hielt es für besser, ihm keinen Wein mehr zu geben, sondern den geringen Rest zum Frühstück aufzusparen; ich sagte daher, ich könne ihm jetzt keinen Wein mehr geben. Da ging der Mann mit gezogenem Säbel auf mich los, ich sprang zur Seite, entriß ihm die Waffe und eilte dann zum Sergeanten, der den Mann beruhigte, von seiner Bestrafung aber auf meine Fürbitte abstand.“

Wir politisirten natürlich am Abend noch lange, wir blieben, obwohl unsere Ansichten stark von einander abwichen, sehr ruhig. Man war in diesem Hause eben nicht fanatisch; auch trug zu der Ruhe und guten Gesinnung wohl der Umstand bei, daß zwei Söhne der Frau Soldaten waren, einer stand in Paris, der andere in Metz. Seit dem Kriege war man ohne Nachrichten von den Söhnen.

Gestern Morgen verließ ich eine Stunde früher mein Bett, als nöthig war, um eine Stunde länger mit der gemüthlichen Familie plaudern zu können. Der Abschied wurde mir fast schwer.