Rede des Generalfeldmarschalls Grafen von Moltke über die Socialdemokratie

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Textdaten
Autor: Unbekannt
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Titel: Rede des Generalfeldmarschalls Grafen von Moltke über die Socialdemokratie.
Untertitel: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878, Nr. 22, S. 170-171
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Herausgeber: Dr. Christlieb Gotthold Hottinger
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Dr. Hottinger's Volksblatt
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Erscheinungsort: Straßburg
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Quelle: Scan auf Commons
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Rede des Generalfeldmarschalls Grafen von Moltke über die Socialdemokratie
am 24. Mai.

Der Mordversuch gegen Kaiser Wilhelm gab den äußeren Anstoß dazu, daß der Bundesrath dem deutschen Reichstage einen Gesetzentwurf zur Abwehr socialdemokratischer Ausschreitungen vorlegte. Der erste Paragraph desselben lautete:

„Druckschriften und Vereine, welche die Ziele der Socialdemokratie verfolgen, können von dem Bundesrathe verboten werden. Das Verbot ist öffentlich bekannt zu machen und dem Reichstag sofort, oder, wenn derselbe nicht versammelt ist, bei seinem nächsten Zusammentritt mitzutheilen.
Das Verbot ist außer Kraft zu setzen, wenn der Reichstag dies verlangt.“

An der Berathung, in welche der Reichstag über diesen Gesetzentwurf eintrat, betheiligte sich auch der Abgeordnete Generalfeldmarschall Graf v. Moltke. Da dieser greise Feldherr nur selten spricht, wenn er dies aber thut, seine Worte genau abzuwiegen pflegt, ist es von besonderem Werthe, zu hören, was gerade er sagte. Er führte Folgendes aus:

„Meine Herren! Ich wünsche aufrichtig, daß die geehrten Mitglieder, die gestern und heute die Regierungsvorlage bekämpft haben, nicht allzubald in die Lage gerathen mögen, eben dieses Gesetz oder ein ähnliches, vielleicht ausgestattet mit noch größeren Beschränkungen, selbst von der Regierung zu verlangen. Es mag ja sein, daß die Vorlage an manchen Punkten einer Verbesserung bedarf, daß manche Paragraphen geändert werden müssen, aber die Ueberzeugung scheint mir doch allgemein Platz gegriffen zu haben, daß wir eines besseren Schutzes bedürfen gegen die Gefahren, welche dem Staate in seinem Innern drohen durch die fortschreitende Organisation der Socialdemokratie. Ich fürchte, daß die Leiter dieser Organisation schon heute bedenklich nahe an die Grenze gedrängt sind, wo man von ihnen die Erfüllung ihrer Zusagen und Verheißungen fordert.
Diese Herren werden am besten wissen, daß das seine Schwierigkeit haben wird. Sie können sich nicht dagegen verschließen, daß die erste Gütervertheilung die hundertste involvirt[1], daß in dem Augenblicke, wo wir Alle gleich reich sind, wir Alle gleich arm geworden sind; daß Noth, Elend und Entbehrungen untrennbare Bedingungen des menschlichen Daseins sind, daß keine Form der Regierung, keine Gesetzgebung und überhaupt keine menschliche Einrichtung Elend und Noth jemals aus der Welt schaffen werden. Wohin wäre es auch mit der Entwickelung des Menschengeschlechtes gekommen, wenn diese zwingenden Elemente nicht in Gottes Weltordnung enthalten wären! Nein, ohne Sorge und Arbeit wird auch die Zukunft nicht sein, aber ein Mensch, der hungert und friert, fragt nicht viel nach den Consequenzen[2] der Zukunft; er greift nach den Mitteln, welche die Gegenwart ihm bieten kann. Lange zurückgedrängte Leidenschaften, enttäuschte Hoffnungen werden zu gewaltsamen Ausbrüchen drängen, welche die Leiter am allerwenigsten verhindern können; denn die Revolution hat bisher noch immer ihre Führer zuerst verschlungen. Wie steht nun die Regierung dem gegenüber? Meine Herren, man sollte doch aufhören, die Regierung immer gewissermaßen als eine feindliche Potenz[3] zu betrachten, die nur möglichst zu beschränken und einzuengen ist. Gewähren wir doch der Regierung die Machtfülle, welche sie braucht, um alle Interessen zu schützen! Was das auf sich hat, wenn die Regierung die Zügel der Herrschaft aus ihren Händen entschlüpfen läßt, wenn die Gewalt an die Massen übergeht, meine Herren, darüber belehrt uns die Geschichte der Kommune in Paris. Da war die Gelegenheit geboten, wo die Demokratie ihre Ideen[4] in die Wirklichkeit überführen konnte, wo sie, wenigstens eine Zeit lang, eine Regierung nach ihren Idealen einrichten konnte. Aber geschaffen, meine Herren, ist doch Nichts, wohl aber Vieles zerstört. Die actenmäßigen Berichte aus französischer Feder über diese traurige Episode der französischen Geschichte lassen uns in einen Abgrund der Verworfenheit blicken, sie schildern uns Zustände und Begebenheiten im 19. Jahrhundert, welche man für geradezu unmöglich halten sollte, wenn sie nicht unter unsern Augen verlaufen wären vor dem staunenden Blicke unserer Okkupationsarmee, welche den Dingen bald ein Ende gemacht hätte, wenn sie nicht genöthigt gewesen wäre, mit „Gewehr beim Fuß“ dem Verlaufe zuzuschauen.
Meine Herren! Solche Dinge beabsichtigen ganz gewiß unsere arbeitenden Klassen nicht, auch nicht der irregeleitete Theil derselben, aber auf dem Wege des Umsturzes werden die besseren Elemente sehr bald überholt durch die schlechteren. Hinter dem gemäßigt Liberalen steht gleich Jemand, der viel weiter gehen will wie er. Das ist überhaupt der Irrthum so Vieler gewesen, daß sie glauben, ungefährdet nivelliren[5] zu können, bis auf ihr Niveau, (d. h, bis auf dieselbe Stufe, auf der sie stehen), dann solle die Bewegung stille stehen, als ob ein in voller Fahrt heranbrausender Eisenbahnzug plötzlich halt machen könnte, wobei ja auch die den Hals brechen würden, welche darin sind. Meine Herren! Hinter dem ehrlichen Revolutionär tauchen dann dunkle Existenzen auf...
Meine Herren! Sie können ja heute das Gesetz ablehnen in der begründeten Erwartung, daß die Regierung stark genug sein wird, um gewaltsamen Ausschreitungen entgegen zu treten, sie nöthigen Falls mit gewaffneter Hand niederzuwerfen, aber, meine Herren, das ist ein trauriges Mittel, es beseitigt die Gefahr des Augenblicks, aber es heilt nicht den Schaden, aus welchem die Gefahr hervorgeht. Wenn uns nun hier ein Weg angedeutet wird, auf dem es vielleicht möglich sein wird, die Anwendung solcher beklagenswerthen Mittel zu vermeiden, durch vorbeugende Maßregeln, durch eine verständige vorübergehende Beschränkung der gemißbrauchten Freiheit, so meine ich, daß wir dazu die Hand bieten sollten im Interesse aller staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, im Interesse besonders der leidenden Klassen unserer Mitbürger, denen niemals geholfen werden kann durch einen plötzlichen Umsturz, sondern nur allein auf dem zwar langsamen Wege der Gesetzgebung, der sittlichen Erziehung und der eigenen Arbeit. Ich meinestheils werde dem Gesetze zustimmen.“

Trotz dieser warmen Vertheidigung der Regierungsvorlage lehnte sie der Reichstag mit 251 gegen 57 [171] Stimmen ab. Die Mehrzahl der Volksvertreter war der Meinung, daß eine solche Einschränkung der Preß- und Redefreiheit mehr schade als nütze, indem z. B. dann die Führer der Socialdemokraten im Geheimen einen um so größeren Einfluß auf das Volk zu gewinnen suchen würden.

Daß mit diesem ablehnenden Beschluße die Schwierigkeit der Lage nicht beseitigt, die Frage: Was ist in dieser Hinsicht zu thun? vielmehr nur aufgeschoben ist, darüber sind Alle einig. – Auch das „Volksblatt“ wird sich des Oeftern mit ihr zu beschäftigen haben.

  1. in sich begreift
  2. Folgen
  3. Macht
  4. Gedanken
  5. gleich machen