Reichsgericht – Rizinuskörner

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Entscheidungstext
Gericht: Reichsgericht
Ort:
Art der Entscheidung: Urteil
Datum: 9. Juli 1907
Aktenzeichen: Rep. II. 115/07
Zitiername:
Verfahrensgang: vorgehend Landgericht I Berlin, Kammergericht
Erstbeteiligte(r):
Gegner:
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle: RGZ 67, 289-292
Quelle: Scan
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[289]

67. Wen trifft, wenn der Käufer einer nur der Gattung nach bestimmten, nach seiner Behauptung seitens des Verkäufers schuldhaft mangelhaft gelieferten Sache Ersatz des ihm infolge des Mangels entstandenen Schadens verlangt, bezüglich der Frage des Verschuldens die Beweislast?

II. Zivilsenat. Urt. v. 9. Juli 1907 i. S. W. (Bekl.). w. St. (Kl.)
Rep. II. 115/07
I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.

[1] Der Kläger hatte von der Beklagten Pferdefutter – indischen Mais – gekauft, das er weiter an K. und M. verkaufte. Die Abkäufer haben demnächst gegen den Kläger Klage erhoben mit der Behauptung, daß ihre Pferde infolge des Genusses diese Futters verendet seien, und Ersatz des ihnen dadurch erwachsenen Schadens begehrt. Infolge dieser Prozesse, in denen festgestellt wurde, daß in dem Mais sich giftige Rizinussamenkörner befunden haben, deren Genuß das Verenden der Pferde zur Folge hatte, bezahlte Kläger an K. im ganzen 3472,33 M und an M. 136,71 M. Die vom Kläger auf Erstattung beider Beträge gegen die Beklagte als Verkäuferin erhobene Klage wurde vom Landgericht abgewiesen, das der Schaden vorwiegend durch ein grobes Verschulden der Leute des [290] Klägers entstanden sei, das dieser zu vertreten habe. Dagegen hat das Kammergericht auf die von dem Kläger eingelegte Berufung die Beklagte zur Zahlung von 3609,04 M nebst 4 Prozent Zinsen seit dem 1. April 1906 verurteilt.

[2] Letzteres Urteil wurde aufgehoben, und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[3] Aus den Gründen:

[4] „Das Berufungsgericht geht rechtlich zutreffend davon aus, daß der Verkäufer einer nur der Gattung nach bestimmten Sache bei schuldhafter Lieferung einer mangelhaften Sache dem Käufer zum Ersatz des demselben durch den Mangel verursachten Schadens aus diesem Verschulden verpflichtet ist. Daß der Kläger durch die Lieferung von indischem Mais, in welchen sich giftige Rizinuskörner befanden, seitens der Beklagten der eingeklagte Schaden entstanden ist, indem mehrere Pferde der Abnehmer derselben infolge der Fütterung mit diesem Mais verendeten, und er diesen den dadurch entstandenen Verlust nach Durchführung des Vorprozesses mit K. hat bezahlen müssen, ist nicht streitig. Auch über die objektive Mangelhaftigkeit der zu Futterzwecken bestimmten Ware gamäß § 243 B.G.B. kann ein Zweifel nicht bestehen. Die Beklagte hat dagegen bestritten, daß ihr bei Lieferung der einen Teil einer größeren Sendung bildenden Ware ein Verschulden zur Last falle. Das Berufungsgericht hat demgegenüber angenommen, die Beklagte hätte hinsichtlich der in Frage stehenden Lieferung die Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu vertreten gehabt; angesichts der Vertragswidrigkeit der Lieferung treffe sie hierfür die Beweislast; dieser Beweispflicht hätte sie, wie näher dargelegt wird, nicht genügt; daher sei der Klageanspruch begründet.

[5] Dieser rechtlichen Annahme kann indessen für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht beigepflichtet werden. Richtig ist, daß von der früheren Rechtsprechung sowohl des preußischen Obertribunals, als des Reichsoberhandelsgerichts und des Reichsgerichts angenommen wurde, daß bei mangelhafter Vertragserfüllung, insbesondere der vertragswidrigen Lieferung von Waren, der Verkäufer, um sich von der Verpflichtung zur Leistung des Erfüllungsinteresses frei zu machen, sich zu entlasten habe, daß er nachweise [291] habe, er sei ungeachtet gehöriger Sorgfalt nicht in der Lage gewesen, vertragsmäßig zu erfüllen.

[6] Vgl. Entsch. des Obertribunals Bd. 74 S. 153; Entsch. des R.O.H.G.‘s Bd. 14 S. 15, Bd. 15 S. 293; Entsch. des R.G.‘s in Zivils. Bd. 21 S. 205, Bd. 22 S. 172, Bd. 25 S. 113, 114; Bolze, Bd. 1 Kr. 477; Staub, 6./7. Aufl. zu § 347 Anm. 16.

[7] Diese Rechtsprechung, die auf der dem Standpunkte des preußischen Allgemeinen Landrechts entnommenen Auffassung beruhte, daß schon die vertragswidrige und mangelhafte Erfüllung an sich der Regel nach als eine von dem Verpflichteten verschuldete anzusehen sei, kann für das Bürgerliche Gesetzbuch als rechtlich zutreffend nicht erachtet werden. Dasselbe hat die Gewährleistungsfolgen wegen Mängel der Sache in den §§ 459 flg. lediglich an die Tatsache der objektiven Mangelhaftigkeit ohne Rücksicht auf die Frage der subjektiven Verschuldung geknüpft. Die bereits oben erwähnte Rechtsprechung, welche neben dem Gewährleistungsansprüchen im Falle der schuldhaften Lieferung einer nur der Gattung nach bestimmten mangelhaften Sache dem Käufer auch einen Anspruch auf Erlaß des ihm infolge der Mangelhaftigkeit entstandenen Schadens zuerkennt, gründet sich im wesentlichen auf dem im § 276 B.G.B. ausgesprochenen Grundsatz, daß der Schuldner mangels anderweiter Bestimmungen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten habe, indem angenommen wird, daß diese Vertretungspflicht „nicht anders verwirklicht werden könne, als daß der Schuldner dem anderen Teile den Schaden ersetze, der demselben durch sein vorsätzliches oder fahrlässiger Handeln entstanden sei“.

[8] Vgl. Entsch. des R.G.‘s in Zivils. Bd. 52 S. 19, Bd. 53 S. 202. Nach dieser rechtlichen Konstruktion bilder aber dieses vorsätzliche oder fahrlässige Handeln einen besonderen und selbständigen Grund des Schadensersatzanspruchs, den derjenige, der ihn erhebt, zu beweisen hat (vgl. Staub-Könige, 8. Aufl. zu § 377 Anm. 130). Daß in vielen Fällen das Verschulden schon in der bei der Lieferung selbst nicht beobachten Sorgfalt tatsächlich gefunden werden mag, kann an dieser nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch sich ergebenden rechtlichen Sachlage bezüglich der Beweislast nicht ändern.

[9] Das Berufungsgericht ist daher bei der Beurteilung der für den Klageanspruch auf Sachdensersatz entscheidenden Schuldfrage von einer rechtlichen nicht zutreffenden Verteilung der Beweislast ausgegangen, [292] und auch soweit die Ausführungen desselben für die positive Annahme einer Verschuldens der Beklagten bei Lieferung des mit giftigen Rizinuskörnern durchsetzten Maises an den Kläger zu sprechen scheinen, bleibt zweifelhaft, ob diese Annahme nicht durch jene rechtlich unzutreffende Auffassung beeinflußt wurde. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben, beide Sache selbst aber zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über diesen Punkt, wobei davon auszugehen sein wird, daß die Beweislast für das Verschulden der Beklagten den Kläger trifft, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.“ …