Reichsgericht - Felseneiland mit Sirenen
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93. Ist der Besteller und Eigentümer eines Freskogemäldes, daß sich im Treppenflur eines bewohnten Gebäudes einer Großstadt befindet, befugt, ohne Einwilligung des Urhebers des Gemäldes Änderungen daran vorzunehmen?
II. Kammergericht daselbst.
[1] Der Kläger hat im Jahre 1894 Aufstellung der Beklagten im Treppenflur ihres Berliner Hauses ein Freskogemälde „Felseneiland mit Sirenen“ gemalt. Die Beklagte ließ dieses Freskobild später ohne Zustimmung des Klägers derart übermalen, daß die ursprünglich nackten Sirenen nunmehr bekleidet erschienen. Der Kläger erhob hierauf Klage mit dem Antrage, die Beklagte zu verurteilen, Vorkehrungen dahin zutreffen, daß das Bild in den öffentlichen Anblick entzogen werde. Eingeleitete Vergleichsverhandlungen führten zu keinem Ergebnis; doch entfernte die Beklagte das Signum des Klägers an dem Bilde und verhängte den übermalten Teil. Der Kl. erweiterte demnächst seinen Klageantrag dahin, die Beklagte zu verurteilen, die Übermalung wieder zu beseitigen (was ohne besondere Schwierigkeiten möglich sei), fürsorglich: die Beklagte zu ver- [398] urteilen, Vorkehrungen zu treffen, daß das Bild den öffentlichen Anblick entzogen werden, ganz fürsorglich: festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, das Bild in unverhülltem Zustand in ihrem Treppenhause zu belassen. Die Klage wurde auf das Persönlichkeitsrecht des Klägers als eines namhaften Künstlers gestützt. Die Beklagte berief sich auf ihr Eigentumsrecht an den bestellten Werke und machte auch geltend, daß ihr Haus ein Privathaus sei, indem sie zurückgezogen lebe, so daß das Bild nicht von dem großen Publikum besichtigt werde. Das Landgericht erkannte unter Abweisung des Hauptantrags nach dem zweiten Evetualantrage. Gegen das Urteil legten beide Parteien Berufung ein. Das Kammergericht wies die Berufung der Beklagten zurück, änderte dagegen auf die Berufung des Klägers das landgerichtliche Erkenntnis dahin, daß es die Beklagte verurteilte, die vorgenommene Übermalung wieder zu beseitigen. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden
[2] „Die Revision rügt Verletzung des § 903 BGB. Die Beklagte habe das Bild zu Eigentum erworben und könne damit in jeder Weise schalten, insbesondere ist vernichten oder verändern. Ein Schutz des Urhebers könne überdies nur unter der Voraussetzung in Betracht kommen, daß das Bild der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Davon könne aber im vorliegenden Falle keine Rede sein. Das Bild befinde sich in einem Privathause, daß außer von der Beklagten nur noch von einer Mietpartei im Erdgeschoß bewohnt sei; das Haus sei verschlossen, das Bild vom Erdgeschoß aus nicht bemerkbar.
[3] Die Revision ist nicht begründet. Der erkennende Senat hat bereits in den Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 69 S. 403 veröffentlichten Urteil ausgesprochen, daß zwar die Anerkennung eines allgemeinen subjektiven Persönlichkeitsrechts in unserem geltenden bürgerlichen Rechte nicht enthalten sei, daß es jedoch besonders geregelte Persönlichkeitsrechte gäbe. Er hat hierbei auf die persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts besonders hingewiesen. In dem Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 69 S. 242 abgedruckten Urteile des Senats wird bei Erörterung des § 11 LitUrhG. vom 19. Juni 1901 ausgesprochen, daß die hier aufgezählten Befugnisse [399] des Urhebers den Begriff des Urheberrechts nicht abschließend umgrenzen; nicht bloß das Vermögensinteresse, sondern auch das geistige Interesse des Schriftstellers, welches er daran habe, daß sein Werk nur, wie es verfaßt ist, veröffentlicht werde, sei geschützt. Die Vorschrift des § 9 LitUrhG. solle nur den Zweifel heben, ob das persönliche Interesse des Verfassers an der unveränderten Wiedergabe seines Werkes auch dann noch einen Rechtsschutz genieße, wenn er das Urheberrecht selbst übertragen habe. Die in § 9 a.a.O. zum Ausdrucke gelangte Bejahung der Frage setze die ausschließliche Befugnis des Urhebers, über den Bestand und die Form des Werkes zu verfügen, als selbstverständlich voraus. Die gleichen Erwägungen sind gegenüber dem Kunstschutzgesetze vom 9. Januar 1907 am Platze. Die ausdrücklichen Bestimmungen der §§ 12, 13, 15 ff., 18 Abs. 3, 19 Abs. 2, 21 erschöpfen die urheberrechtlichen Befugnisse nicht. Sie lassen erkennen, daß der Künstler, dem modernen Rechtsempfinden entsprechend, ein gesetzlich geschütztes Recht darauf hat, daß das von ihm geschaffene Werk, als ein Ausfluß seiner individuellen künstlerischen Schöpferkraft, der Mit- und Nachwelt nur in seiner unveränderten individuellen Gestaltung zugänglich gemacht bzw. hinterlassen werde. Dieser gesetzgeberische Gedanke hat im Gesetze nur für den Fall eine ausdrückliche Regelung erfahren, daß der Künstler sein Urheberrecht selbst ganz oder teilweise auf einen anderen übertragen hat. Auch der Erwerber dieses Urheberrechts hat nicht das Recht, an dem Kunstwerke selbst, an dessen Bezeichnung oder an der Bezeichnung des Urhebers bei der Ausübung seiner Befugnisse Änderungen vorzunehmen. Zulässig sind nur solche Änderungen, für die der berechtigte seine Einwilligung nach treu und Glauben nicht versagen durfte (vgl. auch § 13 des Verlagsgesetzes). Damit ist das Persönlichkeitsrecht des Künstlers namentlich im Verhältnisse zu dem Verleger oder zu denen gewahrt, denen er sein Urheberrecht zum Zwecke der Vervielfältigung, gewerbsmäßigen Verbreitung oder gewerbsmäßigen Vorführung des Werkes übertragen hat. Eine Regelung des Verhältnisses zwischen den Künstler und dem Eigentümer des Werkes hat im Gesetze keinen unmittelbaren Ausdruck gefunden. Man nahm an, daß „die Vorschriften des allgemeinen Rechtes dem Künstler ausreichenden Schutz gewähren, namentlich dann, wenn mit der Bekanntgabe des veränderten Werkes [400] eine Verletzung der künstlerischen Ehre des Urhebers oder die Gefahr einer Täuschung des Publikums verbunden ist“ (vgl. Begr. zum Entwurfe des Kunstschutzgesetzes § 12 S. 19). Der Gesetzgeber selbst hiernach das Bestehen eines solchen Rechtsschutzes voraus; er glaubt ihn ohne weiteres in den Vorschriften des allgemeinen Rechts gegeben. Seiner Begründung gegenüber bestehen aber bei der Auffassung, daß unser bürgerliches Recht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, wie oben erwähnt, nicht anerkennt, und bei der Auslegung, die § 823 BGB. Durch die Rechtsprechung der Gerichte gefunden hat, berechtigte Zweifel. Daraus folgt jedoch keineswegs die Notwendigkeit, dem Künstler den vom Gesetzgeber vorausgesetzten Rechtsschutz zu versagen. Er kann und muß vielmehr den der Ergänzung bedürftigen Bestimmungen des Kunstschutzgesetzes selbst entnommen werden.
[4] Bei einem Fall, wie dem vorliegenden, wo ein Künstler auf vorausgegangene Bestellung ein Kunstwerk geliefert hat, entstehen an dem vollendeten Werke von vornherein zwei privatrechtlich geschützte Rechte: das Urheberrecht des Künstlers und das Eigentumsrecht des Bestellers. In der Regel pflegt der Künstler dem Erwerber oder Besteller des Kunstwerks nicht auch sein Urheberrecht zu übertragen. Es ist auch im vorliegenden Falle nicht geschehen. Die Vorschrift des § 12 a.a.O. kann schon aus diesem Grunde keine unmittelbare Anwendung finden. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle des täglichen Lebens wird ein Zwiespalt zwischen dem Urheberrechte des Künstlers und dem Eigentumsrechte des Besitzers des Kunstwerkes nicht praktisch werden. Wo er aber im Einzelfall eintritt, da kann grundsätzlich das Urheberrecht nicht unbeschadet des Eigentumsrechts, das Eigentumsrecht nur unbeschadet des Urheberrechts ausgeübt werden. Deshalb wird der Urheber sein Recht zur Vervielfältigung des Kunstwerks (vgl. § 15 Abs. 1 und 2) nur unter der Voraussetzung ausüben können, daß ihm der Eigentümer das Kunstwerk zum Zwecke der Vervielfältigung zugänglich macht. Anderseits darf der Eigentümer das Kunstwerk weder selbst noch durch einen anderen Vervielfältigung, wenn der Künstler, derse in Urheberrecht nicht auf ihn übertragen hat, nicht seine Einwilligung dazu erteilt. Der Eigentümer eines Kunstwerks hat es in der Regel (wenn man von dem gewerbsmäßigen Händler absieht), zu dem Zwecke erworben, um sich an seinem Besitze zu erfreuen, um den ästhetischen Eindruck, den das [401] Kunstwerk hervorzurufen geeignet ist, auf sich und auf andere, die bei ihm verkehren, wirken zu lassen. Ändert sich der Geschmack des Eigentümers, ist er des Kunstwerks aus irgend welchen Gründen überdrüssig geworden, so wird er es veräußern, verkaufen, vertauschen, verschenken, oder er wird es seinem und andere Anblick durch Beseitigung aus den bewohnten Räumen entziehen. Ja man wird ihm für den Regelfall auch das Recht nicht versagen können, es völlig zu vernichten. Durch alle diese Handlungen greift er in die künstlerische Eigenart des fortbestehenden Werkes und damit in das Persönlichkeitsrecht des Künstlers nicht ein. Der Künstler, der das Werk zu Eigentum veräußert und dafür in der Regel ein Entgelt empfangen hat, muß von vornherein mit diesem möglichen Schicksale seines Werkes in der Hand des Besitzers rechnen. Die Beklagte hat aber gerade das getan, was sie auch als Eigentümerin nicht tun durfte, ohne mit dem Urheberrecht des Künstlers im Widerstreit zu geraten. Sie hat das Bild, das im Treppenhaus eines bewohnten Gebäudes angebracht ist, an seiner Stelle belassen, hat es wieder vernichtet, noch seinen Anblick den in dem Hause verkehrenden Personen entzogen, sondern hat in die künstlerische Eigenart des Bildes eingegriffen, indem sie die auf dem Bilde angebrachten nackten Frauen gestalten durch Anbringung von Gewändern übermalen ließ. Damit hat sie das Werk des Künstlers verändert und seien trotz Übertragung des Eigentums fortbestehendes Urheberrecht verletzt, daß nach dem dem § 12 a.a.O. zugrunde liegenden gesetzgeberischen Gedanken das Werk des Künstlers gegen jede ohne seine Einwilligung erfolgende Veränderung schützt.
[5] In der mündlichen Verhandlung ist von den Parteien zutreffend hervorgehoben worden, daß auf die Beweggründe, die die Beklagte zu dieser Maßnahme veranlassen, nicht ankommt. Doch sei hervorgehoben, daß, wie gleichfalls unter den Parteien unstreitig ist, das Freskobild in keiner Hinsicht obszön wird, so daß die Frage, ob das Urheberrecht des Künstlers etwa höheren öffentlichrechtlichen Interessen der Sittlichkeit zu weichen hätte, die überhaupt nicht auftaucht. Die Beklagte beruft sich für die Berechtigung ihrer Maßnahme ausschließlich auf die Vorschrift des § 903 BGB., auf ihre Machtbefugnis als Eigentümerin. Diese besteht aber, wie das Gesetz ausdrücklich hervorhebt, nur, soweit nicht Rechte Dritter entgegenstehen. [402] Der von der Beklagten veranlassten Veränderung des Bildes steht das Urheberrecht des Klägers entgegen.
[6] Mit Unrecht hat die Beklagte sich gegenüber dieser Auffassung darauf berufen, daß ihr Haus dem Besuche des Publikums entzogen, daß in der Regel verschlossen und außer ihr nur noch von einer Mietpartei bewohnt sein. Diese Umstände schließen es nicht aus, daß der Anblick des im Treppenhaus angebrachten Freskos einem unbestimmten und unkontrollierbaren Kreise von Personen zugänglich ist. Wer immer in der Wohnung der Bekl. oder ihres Mieters verkehrt, wird sich den Anblick des Bildes verschaffen können, und selbst wenn die Beklagte geeignete Vorkehrungen hiergegen treffen würde, wäre doch im Falle eines Verkaufs des Hauses dem Kläger in keinerlei Sicherheit dafür gegeben, daß das veränderte Bild dauernd dem Anblicke der in dem Hause verkehrenden Personen entzogen bliebe. Durch die Anbringung des Bildes als Fresko eines Treppenhauses in einem bewohnten Gebäude der Großstadt war für das Bild von vornherein eine gewisse, wenn auch beschränkte Öffentlichkeit gegeben. Der Anspruch des Klägers kann deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt abgelehnt werden, daß für die Wahrung seines Urheberrechts kein persönliches Interesse bestehe. Dieses persönliche Interesse, daß mit der Ehre und dem Ansehen des Klägers als Künstler untrennbar verknüpft ist, ist aber, wie ausgeführt, eine rechtlich geschütztes. Seine Verletzung berechtigte Künstler, auf Wiederherstellung zu klagen. Diese ist nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrage der Parteien durch Beseitigung der Übermalung möglich.“ ...