Reichstagsrede von Heinrich Prinz zu Schoenaich-Carolath am 25. Januar 1890

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Textdaten
Autor: Heinrich zu Schoenaich-Carolath
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Titel: Reichstagsrede am 5. Januar 1890
Untertitel:
aus: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. VII. Legislaturperiode. V. Session 1889/90. Band 2, 52. Sitzung, Sonnabend den 25. Januar 1890, S. 1241–1243 und 1247
Herausgeber: Norddeutsche Buchdruckerei und Verlags-Anstalt
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Erscheinungsdatum: 1890
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Reichstagsprotokolle.de
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S. 1241 Meine Herren, als Mitglied des Hauses glaube ich die unabweisliche Verpflichtung zu haben, mich möglichst kurz zu fassen und ich werde mich daher auf einige wenige Sätze beschränken.

Es kann unmöglich meine Aufgabe bei der gegenwärtigen Geschäftslage und Stimmung des hohen Hauses sein, die Frage zu erörtern: Ist das Sozialistengesetz nothwendig oder nicht, sind die Wirkungen des Sozialistengesetzes bisher günstige oder ungünstige gewesen? Ich versage es mir, wie gesagt, auf diese Frage näher einzugehen. Ich bin bereit, den verbündeten Regierungen diejenigen Mittel zu bewilligen, deren sie zu bedürfen glauben, um die Verantwortung zu tragen für das, was ihnen anvertraut ist, mit Ausnahme der Bestimmung des § 24. Meine Herren, ich werde mir erlauben, darauf noch später zurückzukommen.

Was mir zuerst zu einer Bemerkung Veranlassung giebt, ist der mir gestern Abend zugegangene stenographische Bericht vom 22. Januar, und zwar die Rede des Herrn Abgeordneten Dietz (Hamburg). In dieser Rede finde ich folgenden Passus - es wird mir wohl erlaubt sein, denselben mitzutheilen:

Es wurde von einem Herrn Jensen, einem Manne, der nicht der sozialdemokratischen Partei angehört, ein Fachorgan der Schneider herausgegeben. Dieses Blatt brachte ein kleines Gedicht zum Abdruck, in welchem nach einer wahren Begebenheit in England die That eines Arbeiters verherrlicht wird, der mit Aufopferung seines eigenen Lebens einen Eisenbahnzug rettete. Dieses Gedicht, welches ich ebenfalls auf den Tisch des Hauses niederlegen werde, sollte einen Inhalt haben, der befürchten läßt, daß in Folge dessen im Hamburg die Gesellschaftsklassen gegenseitig verhetzt werden. Der Senator Dr. Hachmann verbot auf Grund dieses Gedichts das Blatt, aber er verbot es nicht allein, er ließ den Verleger kommen und brüllte ihn an: "Sagen Sie Ihren Genossen, wenn sie so fort machen, so werde ich mit Kolben darein schlagen lassen." Und ferner wies der Herr Senator Dr. Hachmann den Redakteur, einen armen Schneider, der nicht einmal so viel hatte, um sein Leben fristen zu können, auch noch aus.

Nun, meine Herren, steht es mir nicht zu, einen Zweifel in die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dietz zu setzen; aber ich halte mich für verpflichtet, diesen Fall hier nochmals zur Sprache zu bringen, um dem Vertreter der Freien Reichs- und Hansestadt Hamburg Gelegenheit zu geben, auch seinerseits sich zu diesem Falle zu äußern. Ich bin der Ansicht, daß so etwas - wenn unrichtig - nicht unwidersprochen in das Volk hinausgehen darf, weil nach den Darstellungen des Herrn Abgeordneten Dietz das Unrecht entschieden auf Seiten der hamburgischen Behörden liegt. Meine Herren, Sie werden doch Alle mit mir einverstanden sein, daß die wahren That eines braven Mannes ebensolche Anerkennung finden muß, ganz unbekümmert, welcher politischen und religiösen Richtung er angehört. Ich glaube, darin wird der Reichstag meine Auffassung theilen. Wenn es hier den Anschein gewinnt, als ob in Hamburg anders verfahren würde, so meine ich, ist es die unabweisbare Pflicht des Vertreters von Hamburg, hier vor dem Reichstag die Un- S. 1242 richtigkeit der Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dietz darzulegen.

Meine Herren, ein anderer Passus, der sich in der Rede des Herrn Abgeordneten Dietz befindet, und den zu berühren mir weit peinlicher ist, giebt mir weiter Veranlassung, auf diese Rede zurückzukommen. Ich sage, es ist mir dies sehr peinlich, und es wird vermuthlich diesem Hause ebenfalls in hohem Maße peinlich sein. Nachdem diese Angelegenheit aber hier vor dem Reichstag, von der Tribüne des Reichstages herab behandelt ist, halte ich es für die Pflicht eines Abgeordneten - vielleicht fasse ich diese Pflicht zu weit - darauf zurückzukommen. Der Herr Abgeordnete sagt:

In demselben Verlage, wo die Herweghschen Gedichte und so viele Bücher erschienen sind, die von dem Reichskanzeler resp. von irgend einer Polizeibehörde sofort, wenn sie erschienen, verboten werden - als Grund genügt vollständig, wenn darauf steht: "Verlagsmagazin von Schabelitz in Zürich" -, ist vor nicht langer Zeit auch eine Broschüre erschienen unter dem Titel "Mitregenten und fremde Hände in Deutschland". Dieses Büchlein soll von einem gewissen "Ernst" - ich weiß nicht, ob er in Koburg oder in Gotha wohnt - verfaßt worden sein; bei dem Manuskript lagen zugleich gute deutsche Hundertmarkscheine, die zum Ausgleich der Druckkosten diesen sollten. Das Büchlein, das verschiedentliche Beleidigungen enthät gegen hochstehende Personen - es handelt sich hier nämlich um englische Frauen und deren Einfluß an deutschen Höfen -, ist ganz straflos ausgegangen, ist nicht verboten worden. Ich will das nur hier anführen als Beweis, daß man an gewissen Stellen ausliest, was zu verbieten ist, was nicht.

Meine Herren, ich bin überzeugt, daß dieser letztere Vorwurf ein ungerechtfertigter ist, und daß man in Deutschland nicht ausliest, was zu verbieten ist, und was nicht, sondern daß man nach gleichem Rechte verfährt. Deshalb halte ich es für angezeigt, die Aufmerksamkeit der verbündeten Regierungen auf diese Broschüre zu lenken, damit, wenn diese Reichstagsverhandlung in die englische Presse übergehen sollte, auch selbst die Annahme und Besorgniß bei dem englischen Volke nicht entstehen kann, daß unbegründete Verdächtigungen gegen Ihre großbritannische Majestät in Deutschland geduldet und verbreitet werden. Ich will ferner nicht glauben, daß mit diesem von mir verlesenen Passus auf eine andere hochstehende Frau hat hingezielt werden sollen, deren Wiege allerdings in England gestanden hat, die aber seit 30 Jahren Freud und Leid mit dem deutschen Volke getheilt hat. Sollte das der Fall sein, dann würde das Einschreiten der Staatsanwaltschaft um so gebotener sein.

Meine Herren, ich erlaube mir, zu dem Gesetz ferner noch folgendes zu bemerken. Ich habe in diesen Tagen in einer Zeitung, die sich mit einem autoritativen Schimmer umgiebt, und die wohl auch dazu berechtigt ist, das Wort gelesen "Förderer und Beschützer der Sozialdemokratie". Ich möchte um den Theil meiner politischen Freunde, der gegen den § 24 stimmt, ebenso wie mich, gegen den Vorwurf verwahren, als ob aus dieser Abstimmung hergeleitet werden könne, sie oder ich seinen Förderer und Beschützer der sozialdemokratischen Bestrebungen. Uns liegt die Beseitigung, die Bekämpfung der Sozialdemokratie gewiß ebenso am Herzen, wie denjenigen Herren, welche für den § 24 stimmen, nur sind wir über die Mittel und Wege anderer Ansicht. Ich verkenne in keiner Weise die Gefahr der sozialdemokratischen Bewegung und bin der Ansicht, daß gerade die sozialdemokratische Frage die Hauptfrage der Zukunft sein wird, die uns beschäftigen dürfte. Ich bin vollkommen bereit, mit der Regierung Schulter an Schulter gegen die Sozialdemokratie zu kämpfen, und ich bitte nur, mir die Freiheit zu lassen, daß ich in der Wahl der Mittel doch auch einmal eine andere Meinung haben darf, als die verbündeten Regierungen.

(Lebhaftes "Hört! hört! links und im Zentrum.)

Meine Herren, ich bin gegen die Ausweisungsbefugniß - die Gründe sind hier schon so oft dargelegt worden, daß ich mich ganz kurz fassen darf - einmal deshalb, weil die betreffenden Ausgewiesenen aus den großen Zentren, in denen eine Polizeiverwaltung und eine Polizeigewalt besteht, welche die Aussicht erleichtert und ermöglicht, nun aus den Zentren in die Provinz kommen und, wenn ich mich so ausdrücken darf, die nicht infizirten Gegenden anstecken und dort keiner Kontrolle unterliegen - denn die Polizeiverwaltungen der kleinen Orte haben nicht die Machtmittel und nicht Organisation und alles das, was damit zusammenhängt und was in großen Städten zur Verfügung steht.

Ich bin ferner gegen die Ausweisung, weil ich der Ansicht bin, daß dadurch eigentlich erst gewerbsmäßige Agitatoren geschaffen werden. Die Leute, die in den großen Städten leben und die sozialdemokratische Lehre verbreiten, betreiben meistens ihr Gewerbe nebenbei. Es ist wiederholt ausgeführt worden: indem man sie nun ausweist, werlieren sie das Gewerbe, welches die Basis ihrer ganzen Familienexistenz ist, sie müssen sich daher nun voll und ganz in den Dienst der Sozialdemokratie stellen, um ihr Leben und das Leben ihrer Familie bestreiten zu können. Ich halte deshalb die Maßregel für eine vollkommen verfehlte.

Ich bin ferner der Ansicht, daß wiederholt die Organe des Staats der Sozialdemokratie Vorspann geleistet haben, indem man Leute ausgewiesen hat, die man ruhig hätte dort lassen sollen, wo sie waren, Leute, die auswärts viel größeren Schaden anrichteten als dort, wo sie früher waren.

Ferner bin ich der Ansicht - und da werde ich wohl allerdings auf den Widerspruch eines großen Theils der Herren auf der rechten Seite dieses hohen Hauses stoßen -, daß man keinen Deutschen vaterlandslos machen soll, und man nicht gut thut, ihm seine Heimat zu nehmen.

Ich glaube, damit den § 24 verlassen zu dürfen, und sage nur noch einmal: wenn man ein solches Gesetz auf die Dauer bewilligt, dann, meine ich, ist es in der That ganz unmöglich, einen Ausweisungsparagraphen wie diesen gleichfalls auf die Dauer zu bewilligen. Ich glaube, viele von uns würden gewissen Herren von den verbündeten Regierungen, von deren Loyalität und humaner Gesinnung in der Handhabung der Geschäfte sich jeder überzeugt hat, diese Befugniß zeitweilig einräumen. Aber wissen wir denn, welchen Händen diese Ausweisungsbefugniß einmal anvertraut sein wird? wissen wir, welche Interpretation dem § 1 des Gesetzes einmal gegeben werden wird? Wir haben daher in der Kommission Versuche gemacht, den § 1 zu interpretieren: was sind das für Bestrebungen, welche unter den § 1 fallen. Man hat von diesen Versuchen Abstand nehmen müssen, weil man diese Bestrebungen nicht spezialisiren, nicht klar bezeichnen konnte. Und da werden Sie es doch denjenigen nicht verargen können, welche mit einer solchen ungewissen Zukunft und solch unbestimmter Interpretation es sich versagen zu sollen meinen, einen solchen Paragraphen auf die Dauer zu bewilligen.

Es ist hier im Hause auf der einen Seite gefragt worden: nur die polizeilichen Mittel - und auf der anderen Seite: nur die geistigen Mittel. Meine Herren, ich bin der Ansicht: nur mit polizeilichen Mitteln geht es gewiß nicht, und nur mit geistigen Mitteln auch nicht; deshalb wünsche und fordere ich eine Verbindung und Anwendung beider. Ich wünsche, daß mit diesen polizeilichen Mitteln, die den verbündeten Regierungen gegeben werden - und die Herren der verbündeten Regierungen werden mit doch zugeben: es sind große und gewaltige Mittel; Sie haben sie weder in Oesterreich noch in Italien; wir geben ihnen hier Mittel in die Hand, wie sie, meine S. 1243 ich, selten eine Volksvertretung einer Regierung bewilligt hat - ich sage: neben diesen Polizeimaßregeln muß allerdings der Kampf mit den geistigen Waffen geführt werden, und die Bedeutung gerade dieses Kampfes wird meiner Ansicht nach sehr unterschätzt. Der Deutsche ist gewohnt, wenn er glaubt ein Polizeigesetz zu haben, sich nun die Nachtmütze über die Ohren zu ziehen, und zu sagen: die Polizei wacht und sorgt für mich, ich brauche nichts zu thun.

(Sehr gut! links.)

Ich wünsche, daß der Deutsche eintritt in die sozialdemokratische Bewegung, daß er in die Versammlungen geht, daß er das Fehlerhafte und zum Theil Unsinnige der Sozialdemokratie klarlegt und es nicht scheut, sich in Diskussionen einzulassen.

(Unruhe rechts.)

Leichter ist es ja ohne Zweifel, sich hinter die Polizei zu stecken und zu sagen: die soll es machen; schwerer, mühseliger, unangenahmer ist der von mir angegebene und empflohlene Weg. Aber ich bin immer noch der Meinung, daß eine freie Diskussion, eine Widerlegung der Irrthümer der Sozialdemokratie, der Sache der Ordnung, mithin auch dem Staate viel mehr nützen wird, als alle polizeilichen Mittel.

(Bravo! links.)

Dann gestatten Sie mir noch zum Schluß Eines zu sagen. Die ideale Seite der Frage, die ich nur berührte, ohne auf dieselbe näher einzugehen, wollen Sie bei der ganzen Sache nicht verkennen. Es sind bei den Sozialdemokraten unzählige Verführte und unzählige Idealisten. Gestatten Sie mir an dieser Stelle auszusprechen: wir sind in Deutschland im Begriff, die Ideale zu verlieren, wir leben in einer Zeit des Materialismus und des Streberthums!

(Lebhaftes Bravo links; große Unruhe rechts.)

Geben Sie dem Volk seine Ideale wieder! Der Herr Staatsminister des Innern hat hier von dieser Stelle gesagt: habet die Brüder lieb! Ja, meine Herren: habet die Brüder lieb, übt werkthätige Nächstenliebe, übt Barmherzigkeit! Thue jeder das Seine in dem Kreise, in dem Amte, in dem Beruf, in den Gott ihn hingestellt hat, und wirke jeder an seinem Theile für die Ideale, für deren Pflege und Erhaltung im Volk! - das wird auch ein Stück Sozialpolitik sein und nicht das schlechteste!

(Lebhaftes allseitiges Bravo.)

S. 1247

Meine Herren, ich glaube, daß darüber kein Zweifel besteht, daß ich die Ausführungen, die ich vorhin die Ehre gehabt habe dem hohen Hause vorzutragen, nur in meinem eigenen Namen und nicht namens einer Fraktion abgegeben habe. Aber obwohl darüber kein Zweifel bestehen kann, erlaube ich mir, es nochmals von dieser Stelle aus zu wiederholen.

(Sehr richtig! rechts.)