Reise über die Landenge von Panama

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Reise über die Landenge von Panama
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 650–653
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[650]

Reise über die Landenge von Panama

mit Eisenbahn.[1]

Vor einigen Jahren (1849) tauchte in Berlin das Projekt eines Eisenbahnbaues über die Landenge von Panama auf. Einzelne Volks-Expeditionen sollten sich der Reihe nach querüber ansiedeln, den Boden urbar machen, sich so Lebensunterhalt verschaffen und dann die Eisenbahn bauen. Viele werden sich nun wundern, daß diese Eisenbahn längst gebaut ist und Nationen aller Art von und nach Californien u. s. w., von und nach dem stillen und atlantischen Oceane täglich massenweise hin- und wieder dampfen. Wir in der alten Welt wissen kaum, wie sie fertig geworden, und ahnen noch gar nicht, was für ein neues, frisches und musculöses Leben sich auf der andern Halbkugel entwickelt.

Wir selbst staunten, als wir einen Brief von einem deutschen Civilisations-Pionier der Antipoden-Halbkugel erhielten und lasen, datirt: „Aspinwall, den 19. März 1855.“ Da er uns mit der neuen Weltstraße zwischen den beiden Haupt-Oceanen ziemlich drastisch bekannt macht, theilen wir den Brief in seinem wesentlichen Inhalte mit.

„Nach einer angenehmen Reise von dreizehn Tagen im Dampfschiffe California von San Franzisko liefen wir Anfangs März in die große Bucht ein, welche nach der Stadt Panama führt. Der tägliche Anblick der erhabenen stillen Meeresscheibe, war in den letzten Tagen ziemlich langweilig geworden, so daß wir unsere Augen herzlich an den Inseln weideten, zwischen denen wir hindurchfuhren, so einförmig sie auch sind. Steile Hügel und Berge, bedeckt mit karger, bräunlicher Vegetation, unten eingefaßt von schlanken Cacaonuß-Palmen, die unmittelbar vom Wasserrande emporschießen. Gleich nach der Einfahrt zur Panama-Bucht erhebt sich [651] die Schlangeninsel mit einer großen Menge Wasserschlangen, von denen wir auch mehrere um unser Schiff herumkreisen sahen. Wir legten zwei (englische) Meilen von Panama auf einer kleinen Insel an, da die Seichtigkeit des Wassers keine größere Annäherung für Seeschiffe erlaubt. Die Eisenbahn-Gesellschaft hat diese Insel bereits für eine schwere Summe gekauft, um ihren „Stillenmeereisenbahnhof“ über Pfähle und Brücken bis hierher auszudehnen, so daß man auf dem Weltmeerschiffe direct in den Eisenbahnwagen steigen und bis in’s atlantische Meer hineinfahren können wird.

In einem der vielen umherschwärmenden Boote fuhren wir über eine stürmische See bis an das Gestade der engen Taille, durch welche sich der nordamerikanische Continent vom südlichen abschnürt; aber die beiden Weltmeere kann er nun nicht mehr trennen. Welche Hexen-Blocksbergscene stürmte uns hier entgegen! Wohl ein Schock schwarze und braune Teufel stürzten über uns und unser Gepäck her und schleppten es unter gellendem Geschrei in allen möglichen Sprachen fort nach der Stadt hinauf. Ich schimpfte und fluchte erst auf die Räuber mit allem Spanisch, das ich gelernt hatte, beginnend mit. „Valgame Dios!“ (Gott stehe mir bei!) und endigend mit! „Carambo“ (Hallunke oder ähnlicher Schmeichelei); aber sie lächelten breitmäulig mit weißen Zähnen von einem Ohre bis zum andern quer durch die Physiognomie – und Einige schielten dazu so fürchterlich mit ungeheuer viel Weiß in den Augen, daß man nie erfuhr, wo sie eigentlich hinsahen. Im Englischen wußte ich mehr Schimpfworte und Kraftausdrücke, so daß ich sie mit „ruffians, blackguards, rascals, felons, bloody, highwaymen“ u. s. w. bearbeitete; aber auch diese Beschwörungsformeln blieben ohne Wirkung. So drängte es mich, meinen Unmuth „in mein geliebtes Deutsch zu übertragen,“ aber jede, auch die stärkste Verbalinjurie unserer reichen Muttersprache prallte machtlos ab von den schwarzen, braunen, rothen und gelben, schmierigen Fellen dieser Bastardlaunen der Natur. Als nun gar ein Kerl, der wie eine gebackene Birne oder ein Rosinenmann am Weihnachtsbaum aussah, einer jungen Dame die Reisetasche vom Arme riß, um sie zuvorkommend für sie zu tragen, fühlte ich mich plötzlich berufen, als Ritter und Rächer beleidigter Schönheit aufzutreten. Ich schlug dem Kerle mit dem Kolben meines colt’schen Revolvers (der nothwendigen „Paßkarte“ in diesen muntern Gegenden) die Reisetasche aus den Tatzen und kehrte ihm dann die Läufe zu. Diese abgerundeten Perioden von kosmopolitischer Beredsamkeit verstand er sofort vollkommen, er duckte sich zusammen und kroch und lief dann davon. Jetzt wußten wir Alle, wie man sich hier verständlich machen müsse. Sofort erschienen ganze Dutzende von Drehpistolen vor den Augen der gefälligen Träger. Durch Puffe mit Kolben und einige Schüsse hinter Andern her, die schon dienstfertig mit Gepäck voraus geeilt waren, sammelten wir unsere Lieben von Koffern und Schachteln wieder und bewiesen unsere Eigenthumsrechte. Unsere octroyirenden Dienstboten ließen locker und los und strolchten schimpfend und gellend davon. Sie waren heute vernünftiger als sonst, wie man uns hernach sagte. Waren doch schon zwei Dampfschiffe von San Franzisko gelandet und drei auf der andern Seite von New-York, die schon gegen 2000 Passagiere bis Panama geeisenbahnt hatten, so daß es viel zu verdienen gab und die große Stadt von allen möglichen Formen und Farben Fremder wimmelte. Wir brachten unser Gepäck auf einen Haufen, setzten ein Dutzend Schildwachen mit offen spielenden Revolvern darauf (darunter auch die junge Dame mit den feinen aprikosenfarbigen Wangen und den mandelkernförmigen braunen Augen) und holten uns aus der Stadt nach vielem Suchen und Schachern (für ein Achtel des erst geforderten Preises) rothbraune indische, eingeborene Lastträger. Wagen und Maulesel waren um keinen Preis zu bekommen.

Wir waren in der Stadt, aber nun kam das Schlimmste. Ein Dach über den Kopf für die Nacht war nirgends zu haben, geschweige eine Decke. In den Hotels waren selbst Hausflure, Corridore, Treppenabsätze und Tische als Schlafstellen bis auf den letzten Winkel vermiethet worden. Nachdem wir drei Stunden umher gesucht und gefragt und die feuchte Nacht schon eifrig ihren schwarzen Mantel über die Straßen ausbreitete, standen wir obdachlos und freundlos, und ich in ganz ausgesuchter Verzweiflung, da sich die aprikosenfarbige junge Dame ermüdet und vertrauensvoll auf meinen Arm stützte, so daß mir trotz dieser erotischen Bevorzugung die Hühneraugen nur noch mehr drückten und der verhungerte und verdurstete Magen inwendig brannte, wie eine verschluckte afrikanische Sandwüste. Ich dachte: Wenn man sehr müde und sehr hungrig ist und sehr vom Schuh gedrückt wird, hilft doch alle Schönheit und Liebe nichts, und ich besinne mich noch deutlich auf den in meiner Seele anfangenden schwarzen Gedanken. „Wäre ich Dich doch los, kleine Mulattin oder Mestize!“

Aus unserer trostlosen Situation befreite uns ein Deutscher, ein geborner Preuße und Jude, mit Namen Jacobi, obgleich er selber obdachlos umher irrte, wie wir. Er besann sich auf einen deutschen Doctor, der ihn vor zwölf Jahren in New-Orleans vom gelben Fieber curirt und sich seit einigen Monaten in Panama niedergelassen hatte. Aber, wie ihn finden? Auch hier half uns ein Deutscher, ein Apotheker, der uns des Doctors Adresse mittheilte. Das Haus war bald gefunden, groß, alterthümlich mit einer breiten Treppe. Wir wurden in ein großes Besuchzimmer geführt und als Fremde (ich ein Deutscher mit der braunen Unbekannten, ein Engländer und dessen Frau, und ein lustiger, branuer Herr, dessen Nationalität aus Weiß und Schwarz gemischt zu sein schien) sofort herzlich empfangen und bewillkommnet, und zwar mit Speise und Trank eben so substantionell, als durch Worte und Benehmen aufrichtig. Die Frau Doctorin bewillkommnete uns im vollendetsten Ballstaate; doch obgleich der Wagen unten schon wartete, hielt sie sich doch noch ziemlich lange damit auf, uns Nachtlager zu besorgen und sonstige Fürsorge für unsere Bequemlichkeit zu zeigen. Um mit der Eisenbahn fortzukommen, mußten wir früh um vier Uhr aufstehen. Und wer war früh um vier Uhr zu unsern Diensten? Dieselbe Frau Doctorin, die erst um zwei Uhr vom Balle zurückkehrt war. Das ist Güte und Menschenfreundlichkeit ohne Phrase und Schein, für welche man nicht Verehrung und Dankbarkeit genug zeigen könnte. Aber so ist der Mensch: ich für meinen Theil habe selbst den Namen dieser herrlichen, herzlichen, deutschen Doctorfamilie vergessen und kann mich mit aller Qual nicht wieder darauf besinnen. Hoffentlich finden wir ihn mit einem würdigen Denkmale in dem nächsten Bande der Reisen Madame Pfeiffer’s, welche kurz vorher die herzliche Gastfreundschaft dieser Familie[WS 1] genossen hatte, ehe sie sich aufmachte, um unter Anderem als einzelne Frau und erste Repräsentantin der Civilisation im Innern Borneo’s mitten unter die wildesten Menschenfresser zu gehen und freundlich aufgenommen zu werden, weil sie das erste menschliche Wesen war, das nicht mit Flinte und Säbel und gebildeter Habgier, sondern mit dem Ausdruck vertraulicher, ächter Herzensgüte in ihrem alten, treuen Gesichte erschien.

Auf dem Mauleselplatze von Panama mußten wir uns mit ausgehungerten Thieren versehen, welche die jetzt noch fehlende Strecke Eisenbahn zwischen Panama und Gorgona ausfüllen, zum Theil wörtlich, da sie zu Tausenden todt getrieben werden. Eine Reise hin und her bezahlt den Maulesel und läßt noch einen Profit übrig, so daß sie ohne Fütterung getrieben werden und oft unterwegs niederstürzen, und der Reisende, der schon vorher bezahlt hat, mit seinem Gepäck daneben liegen bleiben oder ein Mittel ausfindig machen muß, aus den räubervollen Hohlwegen davon zu kommen. Ich mußte nicht weniger als 26 Dollar für meinen Maulesel bezahlen, außerdem noch 15 Cents (7 Sgr.) für jedes Pfund Gepäck. Die spanischen Amerikaner, ein scheußliches, brutales, häßliches Geschlecht, verfallend und untergehend, wie ihre düstern, engen Städte machen jetzt noch kurz vor dem Ende ihrer Periode in ihrer unerträglichen Weise Geld. Die englische Eisenbahn wird nach ihrer Vollendung diese Halsabschneider entweder zum Hungertode oder zu einem anständigen Leben zwingen.

Die Vorstädte Panama’s sehen trotz ihrer Strohhütten malerisch aus, da sie sich an der Straße entlang hinter Ananas- und Agavehecken, zwischen Orangengärten, Cacaonuß- und andern Palmen verstecken. Vor den Thüren bemerkten wir nach Tagesanbruch überall häßliche, gelbe, trockne Weiber, beschäftigt mit Zubereitung des Frühstücks, das in getrocknetem Cacaonußsaft u. s. w. besteht, der in großen hölzernen Mörsern zerstoßen wird.

Endlich verlor sich die Vorstadt in eine vielfach gewundene, hügelige, steinige, enge Hohlstraße, zwischen deren Felsen, und oben oft schließenden üppigen, tropischen Bäumen und Schlingpflanzen nur ein Esel auf einmal Raum hat und auch dies nicht immer, so daß die Kisten und Kasten, die an ihm hängen, bald links, bald rechts anstoßen. Zwischen Klüften an steilen Abhängen hin die matten Thiere, auf denen man saß, stolpern zu sehen, war kein sehr gemüthliches Gefühl. Auch die Lebensscenen, die uns nun entgegenzogen, Auswanderer nach Californien, die von New-York [652] in Aspinwall auf der andern Seite der Landenge angekommen waren und sich nun nach Panama herüberschleppten, waren nicht selten herzzerreißend. Zwar sahen die Frauen und Mädchen (fast lauter weibliches Geschlecht), wie ordentliche Ritter auf ihren Eseln reitend, mit dem breiten Strohhute, dessen vordere Krämpe durch einen unter der Nase festgebundenen Riemen gehalten ward, recht herzhaft aus; aber wie vielem armen Gesindel begegneten wir auch, das sich mit lumpigen Bündeln und Kindern bettelnd zu Fuße hinschleppte! Zum Beispiel einer Frau mit vier Kindern, welche ihren Mann unterwegs verloren hatte, die erschöpft am Wege lag und um Hülfe jammerte. Sie war seit dem Morgen des vorigen Tages unterwegs mit 75 (englischen) Meilen hinter sich, ohne Schutz und Lebensmittel, als was ihr seltenes Erbarmen zugeworfen. Zwar hat man je fünf Meilen von einander auf dieser Strecke „Obdächer“ gebaut, d. h. Strohdächer auf Säulen, vor denen sich der groß auf Calico gemalte Name „Hotel“ sehr komisch ausnimmt, aber außer dem Dache findet man ohne Geld keine Erquickung. Doch muß ich gestehen, daß ich in einem dieser Hotels den besten „Stout“ getrunken, der mir je vorgekommen. Außer diesen Hotels findet man durch diese ganze schauerliche Wildniß hin noch keine Spur von menschlicher Kultur. Man hat selten eine Aussicht, man sieht thatsächlich die Berge vor Gebirgen, den Wald vor Bäumen nicht.

Gequetscht und gestoßen und blos zwei Mal von meinem Esel heruntergerissen von vorbei passirenden Reisenden, kam ich endlich gegen drei Uhr Nachmittags in Gorgona an, dem bis jetzt ersten oder letzten Eisenbahnhofe, d. h. ebenfalls einem bloßen, säulengetragenen Dache, unter welchem sich’s ganz vortrefflich aß und trank. Der Eisenbahnzug lief anfangs ganz gut, obgleich es um uns herum oft fürchterlich genug aussah. Ein zwanzig Fuß hoher Damm (der über dreißig Fuß eingesunken war, so daß funfzig Fuß hoch aufgefüllt werden mußte) führte uns über einen gräßlichen Sumpf. Hier lagen also Millionen Wagen voll Schutt und Füllung, aber man versicherte uns, daß der Sumpf eben so gut mit den Leichnamen der Ireländer, die bei diesem Stück Arbeit umgekommen waren, ausgefüllt werden könnte. Niemand nennt sie Helden, obgleich sie für einen großen, welthistorischen Kulturzweck gefallen sind, nicht wie die hunderttausend Russen, Türken, Engländer, Franzosen u. s. w. im jetzigen Kriege, der die Länder und Leute außerdem verdirbt und ruinirt, zu deren Wohl er „angeblich“ geführt wird.

Bei Barbacoa, einem schlechten spanisch-amerikanischen Neste, kam uns der berüchtigte Fluß Chagres zu Gesicht, auf dessen trägen, sumpfigen, tödtlichen Rücken die Passagiere vor Vollendung der Eisenbahn bis hierher in Booten und kleinen Dampfschiffen befördert wurden. Die Mündung des Flusses bei der Stadt gleiches Namens ist, im Gegensatz zu den meisten Flußmündungen, ungemein malerisch, auf der einen Seite waldige Hügel in den mannigfaltigsten Wellenlinien und tropischen Tinten, auf der andern Chagres mit einem Fort am Eingange, ungemein reizend durch tropische Vegetation hin in verschiedenen Höhen sich zerstreuend und aufdachend.

Es hieß, die Eisenbahn würde uns in zwei Stunden bis Aspinwall bringen; aber nicht weit von umgeworfenen Waggons und einer zertrümmerten Locomotive, flogen auch wir mit den Köpfen sehr unsanft gegen einander. Der Zug war von den Schienen gekommen und stand, Gott sei Dank, still, ehe wir umgestürzt und zerquetscht waren.

Nun saßen wir auf dem hohen Rücken des Bahnweges und mit einbrechender Dunkelheit in unsern Waggons, von Langeweile, Durst, Hunger und dem wüthenden Gebrüll wilder Thiere geplagt, die uns grimmig umkreisten, um Jeden zu verschlingen, der sich etwa heraus wagte. Besonders entsetzlich brüllten und geberdeten sich mehrere Ungeheuer von Puma’s, die ganz dicht an den Waggons donnerten, daß die Fenster klirrten und mit den Schweifen schlugen, daß Staub und Steine flogen. Nach etwa vier Stunden hörten wir die rettende Locomotive pfeifen, deren Geheul unsern Königen des Thierreichs aber solchen Schreck einjagte, daß sie den Schwanz zwischen die Beine klemmten und mit aller Macht in Dunkel und Dickicht verschwanden.

Nach Mitternacht fanden wir in Aspinwall nach gutem Nachtmahl zum Theil abenteuerliche Schlafstellen. –

Ich hatte die Landenge von Panama unter den günstigen Verhältnissen hinter mich gebracht, zu Dreivierteln mit der Eisenbahn, während der gesunden, trocknen, kühlen Jahreszeit. Und doch welche Qualen und Lebensgefahren! Da kann man sich nun eine Vorstellung von dem unsäglichen Elende machen, unter welchem sich früher während der nassen Fieberzeit 3, 4, 5 Tage lang die Auswanderer nach Californien über diese furchtbare Landenge von 12 deutschen Meilen Wald und Fels und Sumpf und Räuber und Raubthiere und Klüfte und Abgründe und Fiebergeister hindurchschleppten oder auch liegen blieben, um unbegraben zu verfaulen oder Raubthieren zum Mahle zu dienen.

Welch ein Unternehmen ist diese Panama-Eisenbahn! Tausende und aber Tausende fielen, weil sie nicht gebaut war. Tausende und aber Tausende fielen beim Bau derselben. Aber das furchtbare Gebot der Kulturnothwendigkeit frägt nicht darnach. Sie sagt: Ich muß diese Verbindung der beiden großen Oceane, des Westens und des Ostens Amerika’s, Europa’s mit Californien, Australien und China und unzähligen Inseln, die jetzt in die Kultur heraufsteigen, haben. Sie gebeut und die früher unmögliche Eisenbahn haut und bricht und brückt sich durch Tod und Verderben hindurch von einem Ocean zum andern.“[2]




Die Panama-Eisenbahn ist ein englisches Unternehmen, der „direkten Dampfschiffverbindungs-Compagnie mit Australien,“ incorporirt durch königliche Kabinetsordre vom 24. Juni 1853 mit einem Kapital von 1 Million Pfund Sterling in 40,000 Actien und dem Rechte, dasselbe nach Bedürfniß zu vermehren. Die Compagnie hat ihre direkte Verbindung mit Australien in die drei natürlichen Theile getheilt: Milfordhaven (der größte und beste Hafen Englands in Pembrokeshire, Süd-Wales) und Navy-Bay (Aspin-Wall), Eisenbahn zwischen Aspinwall und Panama, Panama Sydney, die Hauptstadt Australiens, und Melbourne, mit Kohlenstationen auf Otaheiti und andern Inseln. Dieser Weg verbindet Europa und Australien und Neu-Seeland, die vereinigten Staaten von Nordamerika mit Central- und Südamerika, Californien und den Südseeinseln, mit Indien und China auf eine Weise, daß die 12,437 englischen Seemeilen,[3] welche zwischen Milfordhaven und Sydney sich strecken, in 56 Tagen zurückgelegt werden können, wozu man früher 180 bis 200 Tage brauchte. Dies wirkt, um etwas Naheliegendes zu erwähnen, wohlthätig auf die Menge und Güte unserer Tasse Thee, unserer Gewürze, womit wir die Mittagsschüssel schmackhaft machen, auf die Preise unserer Röcke und Beinkleider, auf die Verbindung zwischen den Deutschen im Mutterlande und bei den Antipoden, die bisher so ziemlich von uns abgeschnitten waren, wirkt auf eine Weise zur Verbreitung und Abrundung der Menschheits-Kultur, von der wir wohl jetzt kaum eine annähernde Vorstellung fassen können.

Der legislative Rath von Neu-Süd-Wales hat auf diese Verbindung einen Preis von 6000 Pfund Sterling jährlich ausgesetzt, so daß die Compagnie außer auf ihren Gewinn noch sicher auf dieses jährliche Fixum rechnen kann, auf jährlich 40,000 Thlr. Taschengeld.

Die Dampfschiffe, welche sie bauen läßt, sind für den atlantischen, wie für den stillen Ocean von gleicher Größe und Bequemlichkeit, von 3000 Tonnen Gehalt jedes und großem „Comfort“ in den Kajüten, für Reiche auch mit besondern Privatwohnungen, so daß die innere Struktur und Architektur in jedem Schiffe einer ganzen Stadt gleicht. In ihnen wird zugleich zum ersten Male eine Einrichtung angebracht, durch welche täglich 6 Tonnen frisches Trinkwasser erzeugt werden, worüber wir wohl ein ander Mal berichten.

Wir begnügen uns hier mit dem Totaleindrucke, daß man vielleicht schon binnen Jahr und Tag von jeder Eisenbahnstation in Deutschland oder Europa überhaupt ununterbrochen auf den Flügeln des Dampfes direkt nach und von Australien, Californien [653] u. s. w., kurz, um die ganze Erde herumfliegen kann, ohne kaum mehr Zeit und Geld zu brauchen, als vor 50 Jahren etwa zu einer Reise von Dresden nach Paris.

Die Konkurrenz, welche die Amerikaner bereits mit ihren Dampfschiffen auf beiden Seiten der Landenge von Panama für New-York und Californien oder Australien fertig haben, wird die Compagie ohnehin nöthigen, die wohlfeilsten Preise zu stellen.

So wird es vielleicht schon in einigen Jahren Mode, statt in ein Bad zu reisen und sich da auf vornehme Weise zu ennuyiren, ein Bischen um die kleine Mutter Erde herumzufahren, und zum Herbste oder spätestens zum Anputzen des Weihnachtsbaumes wieder zu Hause zu sein, und etwas Hübsches daran zu hängen vom krösusreichen Onkel in San Franzisko, von der glücklich verheiratheten Cousine in Sydney, dem Schwager in Shanghai, der Tante in Jeddo oder Rangasaki und dem davongelaufenen Enkel, der inzwischen Kultusminister beim Sultan der Menschenfresser von Borneo geworden ist. Findet man jetzt schon überall auf der Erde deutsche Brüder, so sehe ich nicht ein, warum wir später nicht auch überall auf der Erde, Jeder wo anders, Onkeln, Tanten, Cousinen, Enkel und Schwiegermütter finden sollten.


  1. Panama, bisher Provinz Neu-Granada’s, hat sich „in Folge der neuen Eisenbahn“ als selbstständige Republik constituirt und Justo Otrosemena zu ihrem provisorischen Präsidenten erwählt. Die provisorische National-Versammlung, unter Präsidentschaft Francisco Fabrega’s, ist damit beschäftigt, die Republik zu organisiren. Unter diesen Verhältnissen gewinnt das welthistorische Faktum der Panama-Eisenbahn ein besonderes Interesse.
  2. Wir brechen hier den Brief ab, da in Schilderung der Reise von Aspinwall bis New-York nichts von allgemeinem Interesse gegeben wird.
  3. Die englische Meile enthält 1760 Yards (1 Yard = 3 Fuß), die deutsche Meile 5866 Yards. Die englische Seemeile ist etwas mehr, als die Landmeile; wir können augenblicklich nicht angeben, wie viel und erinnern uns nur, daß es für Abschätzung von großen Entfernungen im Allgemeinen nicht bedeutend ist. Die mehr als 12,000 englischen Seemeilen zwischen Australien und England kommen etwa drittehalbtausend deutschen Meilen gleich. Die Barbarei von besondern Maßen, Münzen und Gewichten in fast jedem kleinen Neste von Land wird sich mit der steigenden Kultur und Abrundung des Weltverkehrs nicht mehr halten können.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Famile