Reisen eines Orientalen in Europa

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Autor: Mirza Itesa Modin
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Titel: Reisen eines Orientalen in Europa
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 29–31; 33 S.  113–114, 120, 124, 132.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1765
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel: Shigurf Namah i Velaët
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[113]

Reisen eines Orientalen in Europa.


Wenn Fremde, die fernen Nationen angehören, Europa bereisen, so sind sie ein Gegenstand der allgemeinen Neugierde. Der große Haufe gafft sie mit einer Verwunderung an, die bald dem Lachen, bald der Verachtung näher ist, blos weil ihre Hautfarbe, ihre Kleidung und ihr Betragen so verschieden von den unsrigen sind. Die Gebildeteren betrachten sie mit nicht geringerem Interesse, wenn auch von einem andern Standpunkte. Sie suchen den Eindruck aufzufassen, welchen die neuen Gegenstände, die den Fremden umgeben, auf sein Inneres hervorbringen, und je gebildeter er ist, desto interessanter wird uns seine Anschauungsweise. Es gewährt ein eigenthümliches Vergnügen, den Eindruck zu beobachten, den unser Leben auf ein von allen unsern Vorurtheilen freies Gemüth macht, auf einen Menschen, dessen Art zu denken von der unsrigen wesentlich verschieden ist. Der Lust, die wir an der Neuheit seiner Auffassungsart empfinden, liegt mehr als bloße Neugierde zum Grunde; wir suchen eine Erweiterung unserer Menschenkenntniß. Denn der Mensch ist eben so wenig im Stande, die Sitten und Gebräuche der Gesellschaft, in welcher er lebt, unpartheisch zu beurtheilen, als über seine Persönlichkeit eine durchaus von jedem unlauteren Beisatze freie Ansicht zu haben. Wir müssen uns gestehen, daß unsere Denkungsart großentheils von der Gewohnheit abhängt, und daß sie nach einer bestimmten Form gemodelt wird. Wir würden das Thörichte, Ungereimte und Fehlerhafte, welches in unserm geselligen Leben liegt, gar nicht kennen, wenn es nicht von Leuten hervorgehoben würde, die nicht mit unsern Vorurtheilen und Sitten aufgewachsen sind, sondern ihrem eigenen Gefühl folgen. Der Vortheil jedoch, uns mit fremden Augen zu sehen, wird uns nur selten zu Theil; es giebt wenig außereuropäische Reisende, die ihre Beobachtungen niederschreiben, und wenn es geschieht, ist es uns überdem noch erschwert, näher mit solchen Werken bekannt zu werden; die Uebersetzer verstehen entweder die Sprache des Fremden zu wenig, oder suchen ihn zu verbessern, wenn es ihnen scheint, als habe er unsere Gewohnheiten als Karikatur gezeichnet. So werden wir eines guten Schutzmittels gegen Einseitigkeit und Vorurtheile beraubt. Doch wollen wir auch keineswegs läugnen, daß Selbsttäuschung, falsche Vorspiegelungen und zufällige Irrthümer den Fremden unsere Angelegenheiten oft ganz anders erscheinen lassen, als sie in der That sind.

Mag man übrigens über diesen Gegenstand denken, wie man will, so wird doch der Bericht eines gebornen Bengalen über seine Reise in Europa auf allgemeines Interesse Anspruch machen können. Der Lieutenant Alexander, der früher seine eignen Reisen in Ava und Persien dem Publikum mittheilte, hat kürzlich in London ein Werk herausgegeben, welches den Titel führt: „Shigurf Namah i Velaët,“ d. i. Vortreffliche Nachricht über Europa. Der Verfasser dieser Schrift, Mirza Itesa Modin, sagt, er sey in der kleinen Stadt Panchnöur in Bengalen geboren. Während der Regierung des Nabob Jaffer Ali Khan stand er in freundschaftlichen Verhältnissen mit einigen der Ober-Munschis seines Hofes, und erlangte auf diese Weise eine große Geläufigkeit in der persischen, d. i. der Hof-Sprache. Später trat er in die Dienste des Major Park, den er auf dem Feldzuge begleitete. Nach dem Frieden wurde ihm die Ehre einer Audienz beim Schah Alum, dem Monarchen von Dehli. Als Lord Clive von diesem Fürsten einen Auftrag für die Compagnie erhielt, bat der Shah, wie hier erzählt wird, man möchte ihm eine englische Armee in der Nähe lassen, was aber Lord Clive ablehnte, „ohne den Befehl des Königs von England.“ Darauf schrieb der Mogul einen Brief an Se. Majestät, der mit einem Geschenke von einem Lak Rupien durch einen englischen Offizier, dessen Namen Hr. Alexander aus Delicatesse verschweigt, nach England gesandt wurde. Itesa Modin begleitete ihn als Munschi. Er verließ im Jahre 1765 Calcutta auf einem französischen Schiffe, legte bei der Insel Maurice und dem Kap an, lief in den Hafen von Nantes ein, und gelangte über Calais nach England. Im Jahre 1768 kehrte er wieder nach Bengalen zurück.

Das Original, welches nur handschriftlich vorhanden und sehr selten ist, war in persischer Sprache geschrieben. Hr. Alexander hat es zum Gebrauch derer, die die Sprache lernen wollen, ins Hindustanische übersetzt, und eine freie englische Uebersetzung hinzugefügt, um die Neugierde seiner Landsleute zu befriedigen.

Wir sehen uns hier darauf beschränkt, einige interessante Bemerkungen auszuheben, welche Mirza über europäische Sitten macht.

Als Mirza zuerst seinen Fuß auf französischen Boden setzte, wunderte er sich ungemein über die Holzschuhe, welche die ärmeren Klassen trugen, und worin sie auf eine spaßhafte und sonderbare Art einhergingen. „Einer seiner englischen Reisegefährten hatte ihm erzählt, daß dies [114] sehr arme Leute wären, aber es sey ihre eigne Schuld, denn sie wären nicht so industriös wie die Engländer.“ Einige französische Passagiere gaben ihm dagegen einen sprechenden Beweis ihres Gewerbfleißes, indem sie ihm ihre Geschicklichkeit im Schmuggeln zeigten, „die Bootsleute, ein Doctor, und ein Geistlicher, die einige Tücher von Bengalen mitgebracht hatten, verbargen sie wie Diebe in ihren Taschen, banden sie sich um den Hals oder um den Leib, ehe die Douaniers an Bord kamen.“

„Die Franzosen behaupten,“ sagt unser orientalischer Reisender, „daß die Engländer von ihnen die Musik und das Reiten gelernt hätten; denn alle reichen Engländer schickten ihre Söhne und Töchter nach Frankreich in die Schulen. Daher, sagen die Franzosen, wären die Engländer jetzt in Wissenschaften und Künsten geschickt. Früher hätten sie weder die Fähigkeiten, noch die Kenntnisse gehabt, die sie jetzt haben, sondern wären unwissend gewesen, wie die meisten Hindustaner. Gleichwohl geben sie zu, daß die Engländer tapfere Soldaten sind. Die niedern Classen der Engländer, sagen die Franzosen, gehen nicht in fremde Länder, um zu dienen und Beschäftigung zu finden. Warum? weil sie ein dummes Volk sind, und zu träge sich Kenntnisse zu erwerben. Wenn sie auch in andere Länder gehen wollten, so würde sie niemand anstellen; sie würden vor Mangel an Nahrung und Kleidung in Elend gerathen. Aber die französische Kaste sey geschickt in allen Künsten und Wissenschaften, und wohin sie sich auch begeben, da erwerben sie die Gunst der Fremden, und erlangen Ehre und Ansehen.“

[120] Ein sehr großer Theil des Werkes betrifft Religionssachen. Mirza scheint in Absicht auf seinen Glauben und seine religiösen Gebräuche, die er, seiner eigenen Aussage gemäß, mit der größten Gewissenhaftigkeit ausübte, vielfach gequält worden zu seyn. Als Mahomedaner tadelt er die Verehrung der Heiligen in den katholischen Ländern. Nachdem er die Ohrenbeichte und die Absolution beschrieben, erklärte er, daß dieser Gebrauch ganz von den Hindus entlehnt wäre. „Die Braminen behaupten,“ sagt er, „daß die Sünden durch Baden im Ganges vergeben würden, und erzählen dem betrogenen Volke: „wenn ihr mildthätig seyd, so wollen wir machen, daß ihr in den Himmel kommt. Um kurz zu seyn, die Priester der Kaste der Franzosen und anderer leiten das Volk mittelst ihrer vollendeten Heuchelei auf einen falschen Weg, und haben große Schätze aufgehäuft. Läsen die Leute nur den hohen Koran, und glaubten an Hussurut, Muhumud, Mustapha (bei dem die Gnade und der Friede Gottes sey!) so wäre zwischen ihren jetzigen Gebräuchen und denen der Religion des Islam gerade kein großer Unterschied. Scheinheiligkeit wäre dann kein Theil ihrer Religion.“

Nicht ohne Interesse ist die historische Uebersicht unsers Itesa Mondin von der Einführung des Christenthums und des Muhamedanismus. Er erzählt: „Nach dem Absterben des Hussurut Ensa (Jesus), kam für einige Zeit das Khalifat und das Imams-Amt an seine zwölf Apostel. Das Neue Testament, dessen sich die Kaste der Nazarener bedient, ist von ihnen verfaßt. Später trennten sich diese Männer, gingen in fremde Länder, und fingen an die Religion Ensa’s und die Gesetze derselben zu verbreiten. In diesen Zeiten waren die einzelnen Secten unter den Christen nur wenig von einander verschieden. Das Fundament dieser Lehre ist der Glaube, daß Hussurut Ensa als der Sohn Gottes anerkannt wird, weil die Jungfrau Maria ihn geboren hat, ohne von einem Manne erkannt zu seyn. Indessen giebt es eine kleine Anzahl englischer Christen, welche diesen Satz nicht zugestehen, indem sie der Meinung sind, daß die reine Natur (Gottes) von keinem Menschen geboren werden könne, und ebenso daß Gott keinen Menschen gebären könne.“

Beinahe 700 Jahre nach der Zeit des Hussurut Ensa erleuchtete das glänzende Licht Mahomeds (die Gnade und der Friede Gottes sey mit ihm!) diese dunkle Welt. Er ordnete nicht blos die irdischen Angelegenheiten, sondern offenbarte die Religion des Islam.

[124] „Die im Testamente niedergelegten Gebote heißen: „die Menschen sollen nur Einen Gott haben; sie sollen glauben an sein Wort und an seine Propheten; sie sollen kein falsch Zeugniß ablegen, und sich der Lüge enthalten; sie sollen nicht ehebrechen und nicht tödten, und die Armen und Nächsten behandeln als ihre Brüder.“

Als Mirza in England ankam, ging er mit seinem Begleiter dem Capitän S., nach dessen Wohnung in Covent Garden. Der Mirza gefiel bald in London, und erklärte, daß ihm die Einwohner von London gleichfalls gefielen. „Wirklich,“ setzte der hinzu, „ich kann den Werth und die Tugenden der Europäer nicht genug loben, denn sie schätzen einen Reisenden oder den Bewohner eines fremden Landes theurer als ihr eigenes Leben.“ Im Laufe von zwei oder drei Monaten hatte er mit jedermann Freundschaft geschlossen. „Die Damen des Bazars“ (etwa von Billingsgate?) lächelten mir zu, und sagten: „Komm Lieber, umarme mich!“ Der Anblick des Parks bringt ihn ganz außer sich. „Allenthalben gehen Frauenzimmer mit Silber bedeckt, wie Pfauen, einher; an jeder Straßenecke locken schöne Herzräuberinnen mit tausend Liebkosungen und schmeichlerischem Wesen. Das Thal der Erde wird ein Paradies durch ihre glänzende Stirn, und der Himmel selbst läßt das Haupt sinken vor Scham, wenn er die Schönheit der Lieblichen sieht.“ In Entzückung ruft er aus: „Wenn’s einen Himmel gibt auf Erden, so ist es hier, so ist es hier!“ – Ueber die Heirathen in England, überhaupt in Europa, bemerkt er folgendes: „Die Einwilligung ist sowohl von Seite der Frau als des Mannes erforderlich. Auch ist nothwendig, daß der Mann hübsch, von angenehmer Gemüthsart, reich und erfahren in Geschäften sey. Das Frauenzimmer muß ebenfalls schön, und von gutem Charakter seyn, etwas Vermögen, entweder von ihrem Vater oder von ihrem früheren Ehemann haben, und in einigen der freien Künste bewandert seyn. Daß alle diese guten Eigenschaften sich in derselben Person zusammen finden, ist ein seltner Fall. Wenn daher ein Mann und eine Frau von dieser Art eine Ehe eingehen, so ist das ein glücklicher Umstand. Einige Leute sehen blos auf Reichthum. Wenn ein Mädchen zufällig häßlich und arm ist, so verbindet sich niemand mit ihr, denn Europa ist der Sammelplatz der Schönheit. Ausgezeichnet liebenswürdige Weiber sind gewöhnlich; auch giebt es viele reiche und tugendsame. Daher kommt es, daß wenn ein Frauenzimmer weder Schönheit noch Reichthum besitzt, niemand sich um sie bekümmert. Es giebt Tausende von alten Jungfern, die nie, ach nie, das Angesicht eines Mannes gesehen haben.“

Mirzas Schilderung des brittischen Charakters ist für die Engländer schmeichelhaft:

Die Kaste der Engländer ist frei von eitlem Selbstlob; wenn sie von ihren Thaten sprechen, so betrachten sie sie als unbedeutend. Wird ein Officier, der sich durch unternehmenden Geist und Muth ausgezeichnet, nach dem Hergange in der Schlacht gefragt, so erzählt er blos, welche Thatsachen dabei vorgefallen sind. Wenn ein Anderer das Betragen und den Muth des Officiers (der vor ihm steht) laut rühmt, so wendet dieser die Augen gegen seine Füße, und schweigt, und vor lauter Blödigkeit läuft ihm der Schweiß von der Stirne. Im allgemeinen lieben es die Engländer nicht, ins Gesicht gelobt zu werden; es beleidigt sie vielmehr, und erregt ihren Unwillen. Einen selbstsüchtigen Menschen halten sie für feig, Zuträger und Schmeichler für Lügner. In ihren Gesellschaften ist daher Schmeichelei nicht gebräuchlich.“

„Prahler und Schmeichler sind in den Augen verständiger Männer verächtlich; die Schmeichelei ist in Wahrheit eine thörichte Gewohnheit; gleichwohl sind die Seapony’s und hindustanischen Officiere, besonders die von Delhi, der Meinung, daß Schmeichelei und Prahlerei ihnen Ansehen gebe. Wenn z. B. einem Menschen nach vieler Mühe und Arbeit endlich gelingt, einen Fuchs zu tödten, so macht er die Kunde durch die Stadt, und erzählt mit lauter Stimme, er habe einen Tiger erlegt; dabei streicht er sich mit Selbstgenügsamkeit den Bart, und bläht sich auf, so daß das Kleid ihm zu eng wird. Die Thaten Anderer sind in Vergleich mit seiner Tapferkeit so viel wie nichts; ja, er beweist, daß Rustum[1] nur ein Schwächling gewesen.“

Von der Erziehung in England entwirft der Verfasser ein Bild, das seinen Landsleuten als Gegensatz der ihrigen erscheinen mußte:

„Die reichen Leute in England beschäftigen ihre Söhne und Töchter vom vierten Jahre an beständig mit Schreiben, Lesen und Rechnen; sie gestatten ihnen nicht müßig zu gehen. Wenn ein Mann oder eine Frau keine Musik versteht, oder nicht tanzen oder reiten kann, so glauben alle angesehenen Leute, daß er oder sie von geringer Herkunft sey, und es fehlt nicht an Hohn und Spott. Es heißt dann: seine Eltern waren arm, und konnten nichts auf die Erziehung ihrer Kinder verwenden, darum sind sie in allen Dingen unwissend. Die Frauenzimmer vorzüglich, die weder tanzen noch singen können, werden mit Mitleiden angesehen, und können niemals gut verheirathet werden. Kurz, die Art wie die Engländer erzogen werden, ist ganz und gar verschieden von der in Indien, wo die Söhne der Großen und Vornehmen auf gut Glück erzogen werden. In der Schule, wo man glauben sollte, daß sie Kenntnisse einsammeln, nehmen sie tausend üble Gewohnheiten an. Aber auf alles das sehen unsere Männer von Stande nicht, und solche Erziehung wird nicht für schimpflich gehalten. In England dagegen giebt man sich Mühe und verwendet sogar Geld für die Erlernung der Weisheit.“

[132] Von der Schulzucht in England sagt Mirza: „Ich sah, daß die Knaben in einer Reihe auf der Bank saßen, und so ihre Lection lernten. Der Lehrer mit einem ledernen Riemen in der Hand, verhörte sie, indem er bei dem einen Ende anfieng, und die ganze Reihe durchgieng. Wenn ein Knabe beim Hersagen Fehler machte, so schlug ihn der Lehrer ohne Mitleid und ohne Erbarmen mit dem Riemen dermaßen auf den Rücken, daß den weißen zarten Knaben alle Glieder wund waren. Obgleich dies Grausamkeit zu seyn scheint, so ist doch das Sprichwort wahr: des Lehrers Tyrannei ist besser, als des Vaters Liebe.“

Ueber englische Gesetzgebung bemerkt Mirza unter anderm:

„Der Ahndung des Mordes kann man in England nicht durch eine Geldbuße entgehen, wie in Bengalen, wo noch die Gesetze des Abu Muhumud und des Hunifa gelten, nach denen der Mörder, wenn die Verwandten des Gemordeten damit zufrieden sind, freigelassen werden kann, oder, falls sie es nicht sind, der Regierung eine gewisse Summe als Geldstrafe erlegen muß, worauf ihn die Richter begnadigen. In England halten, im Fall einer Mordthat, die Richter lange Rath, und verurtheilen unfehlbar denjenigen zum Tode, der ein Geschöpf Gottes vernichtet hat. – Auch das Gesetz gegen Diebstahl ist in England von dem Gesetz des Muhumuds verschieden; letzteres verordnet nur, dem Diebe die rechte Hand abzuhauen, wenn er mehr als acht Annas gestohlen hat; in England steht auf Diebstahl mit Gewalt, die Todesstrafe. Die Engländer sagen, daß die Strafe des Diebes sich nicht nach dem Werthe des gestohlenen Eigenthums richten dürfe, weil ein Mensch, der einmal stehlen will, so viel nimmt, als er kann; hätte er mehr bekommen können, so würde er mehr genommen haben.“

Wir beschließen diese Auszüge mit folgenden Bemerkungen: „Haben die Engländer hinreichend dafür gesorgt, sich ein bequemes und angenehmes Leben zu sichern, so bemühen sie sich gleichwohl Tag und Nacht ihr ganzes Leben hindurch, sollten sie auch 70 oder 80 Jahre alt werden, ihre Kenntnisse fortwährend zu vermehren; keine Minute bleiben sie müßig. Darin sind sie sehr verschieden von unsern Leuten, die sich für gebildet halten, wenn sie einige indische und persische Gedichte zum Lobe ihrer Gelieben zu singen, oder die Eigenschaften des Weines, des Bechers, der Schenken, oder was sie sonst lieben, zu beschreiben wissen.“

„Die Engländer sind von Natur gute Haushälter; sie verschwenden ihr Geld nicht, und halten es für etwas Entehrendes in Schulden zu seyn. Sie sind ein so berechnendes Volk, daß nicht selten ein reicher Mann nur einen Bedienten hat, der ihn rasirt und ankleidet; außer dem Bedienten hält er dann noch eine Köchin, ein Stubenmädchen, und für seine Pferde einen einzigen Stallknecht. Diese Bedienten besorgen das ganze Hauswesen. Der Herr hat außer dem Hause zu thun, indem er Geschäfte treibt, oder auf die Jagd geht; seine Frau besorgt die Ausgaben, führt die Rechnungen, und hat die oberste Leitung der Haushaltung.“

„Viele reiche Leute, die Familie haben, halten gleichwohl kein Fuhrwerk; wenn sie ausfahren wollen, miethen sie eine Bazar-Kutsche (Fiaker.) Leute von Stande, sogar Prinzen, halten es nicht unter ihrer Würde, einen viertel oder halben Coß[2] in den Straßen oder auf dem Bazar, sey es bei Tage oder bei Nacht, zu Fuß zu gehen; sie nehmen einen Stock in die Hand, und wandern in einfacher Kleidung umher. In dieser Hinsicht sind sie den Rajahs und reichen Leuten unsers Landes gar nicht ähnlich, welche immer von Nukibs, Choddars und Esawuls[3] zu Fuß und zu Pferde, von Fahnen und Festfeuern, von Mahe Muratibs[4], und großer Pracht umgeben seyn müssen. Die Engländer betrachten solche Verschwendung, Pracht und Feierlichkeit, als albern und unnnöthig, und lachen über das Volk unsers Landes, als über Narren und Dummköpfe. Wollte einer von der hohen Kaste in England, sagen sie, sich mit solchem pomphaften Gefolge auf den Straßen blicken lassen, so würden die Gassenjungen der Stadt und des Bazars mit Koth nach ihm werfen, ihn durch Geschrei und Händklatschen verhöhnen, und ihn steinigen. Im Allgemeinen findet man überall in der Welt bei den Menschen Tugenden und Laster; jedes Volk betrachtet gewisse Dinge für sündhaft, und andere für das Gegentheil.“

Die Erzählung des Itesa Modin ist in der englischen Uebersetzung einfach, und selten mit orientalischen Gleichnissen geschmückt. Der Uebersetzer versichert, er habe keine wörtliche Uebersetzung, sondern nur des Verfassers Meinung wiedergeben wollen. Vielleicht hat er hieran nicht wohl gethan: es wäre anziehender gewesen die orientalischen Gedanken auch in ihrem orientalischen Gewande kennen zu lernen. Eine solche figürliche Redensart, die zufällig beibehalten worden ist, und die uns besonders anspricht, können wir unsern Lesern nicht vorenthalten. Der Verfasser nahm traurig von London Abschied, und reiste nach Oxford. Der Anblick dieser schönen Stadt erheiterte ihn außerordentlich, wobei er sein Gefühl mit folgenden Worten ausdrückt: „der Vogel der Freude baute sein Nest auf den Zweigen meines Herzens.“
(Asiatic Journal.)

  1. Rustum oder Rostam ist der größte und berühmteste unter den Helden Persiens, von dessen Thaten die orientalischen Geschichten und Romane voll sind. Er lebt vor Cyrus, zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft der Juden. Vergl. Herbelot, Art. Rostam.
  2. Coß, die indische Meile, wovon 33 auf einen Grad gehen.
  3. Verschiedene Arten von Paradeoffizieren.
  4. Ehrenzeichen, welche die Gestalt eines Fisches haben.