Zum Inhalt springen

Riesenfernrohre

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hermann Joseph Klein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Riesenfernrohre
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 220–223
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht Korrektur gelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du bei den Erklärungen über Bearbeitungsstände.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[220]

Riesenfernrohre.

Von Dr. H. J. Klein.


Durch die Tagesblätter läuft die Nachricht, daß als eine der Hauptsehenswürdigkeiten der nächsten Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 ein ungeheures Fernrohr geplant sei, welches den Besuchern die Wunder des Himmels in nie gesehener Pracht vor Augen führen solle. Ueber die zu erwartenden Leistungen dieses Riesenglases verlauten die abenteuerlichsten Versicherungen, und in weiten Schichten sind die Erwartungen des Publikums aufs höchste gespannt. In der That ist es etwas sehr ungewöhnliches, wenn man vernimmt, daß der Beschauer durch dieses Teleskop den Mond ungefähr so genau sehen würde wie seine irdische Umgebung etwa von einem mäßig hohen Berge aus. Unter diesen Umständen kann man sich ja mit Leichtigkeit selbst überzeugen, ob der Mond bewohnt ist oder nicht, und selbst über das Leben und Treiben etwaiger Mondbewohner eine ziemlich richtige Vorstellung gewinnen. Daß solches von höchstem Interesse sein und die größten sonstigen Sehenswürdigkeiten der Ausstellung in Schatten stellen würde, ist zweifellos. Die Frage ist nur: Kann man ein Fernrohr, welches dieses leistet, herstellen? Und an diese knüpft sich naturgemäß die andere: Wie verhält es sich überhaupt mit den heutigen Riesenfernrohren? Der Aufforderung des Herausgebers der „Gartenlaube“ folgend, will ich versuchen, den Lesern die Leistungen der optischen Kunst in Herstellung großer Fernrohre vorzuführen und ihnen dadurch ein richtiges Urteil über das, was in dieser Beziehung möglich und nicht möglich ist, zu verschaffen.

Schon im vorigen Jahrhundert gab es große Fernrohre. Das mächtigste war unstreitig das sogenannte Riesenteleskop Herschels, welches eine Länge von 40 Fuß besaß und dessen Hauptteil ein polierter Hohlspiegel von über 3 Fuß Durchmesser und mehr als 5 Centnern Gewicht war. Das gewaltige Rohr hing in einem mächtigen Holzgerüst und wurde durch ein System von Seilen auf und nieder bewegt. Indessen hat dieser Leviathan unter den Fernrohren nur wenige Jahre Dienste geleistet, denn seine Handhabung war zu umständlich, und in einer kühlen Nacht verlor der große Spiegel seine Politur, die nicht wieder ohne Beschädigung seiner genauen Form hergestellt werden konnte. Auch fand Herschel, daß in England die Luft nur höchst selten klar und ruhig genug ist, um die volle Kraft eines solchen Riesenteleskops ausnutzen zu können. Von der gewaltigen Größe des Rohres kann man sich übrigens eine Vorstellung machen, wenn man hört, daß Herschel bequem durch dasselbe hindurchspazieren konnte. Im gegenwärtigen Jahrhundert hat man noch ein paarmal Spiegelteleskope hergestellt, welche dem Herschelschen Riesenteleskop an Größe gleichkommen, ja dasselbe übertreffen. Eigentliche Erfolge am Himmel sind aber mit einer ganz andern Klasse von Teleskopen errungen worden, und nur diese meint man überhaupt, wenn man gegenwärtig von Riesenteleskopen spricht.

Bei diesen modernen Fernrohren besteht der Hauptteil, der dabei in Betracht kommt, aus einer großen Glaslinse, und zwar einer doppelten, welche man das Objektivglas nennt. Das ganze Fernrohr führt den Namen Refraktor. Schon zu Herschels Zeit hatte man allerdings auch Refraktoren, aber die größten besaßen nur Glaslinsen von höchstens 4 Pariser Zoll Durchmesser, weil man eben keine größeren Stücke optisch fehlerfreien Glases herstellen und, selbst wenn man sie besessen hätte, keine größeren Objektivgläser schleifen konnte. Deshalb kam Herschel darauf, eine beträchtliche Steigerung der Wirkung durch die leichter herzustellenden metallischen Spiegel zu erzielen, obwohl bei gleicher Größe diese weit weniger leisten als ein Refraktor. Um dies genauer zu bezeichnen, will ich bemerken, daß ein heutiger Refraktor von 10 Zoll Objektivdurchmesser und 12 Fuß Länge weitaus dem 40fußigen Herschelschen Riesenteleskop vorzuziehen ist. Zu Herschels Zeiten, und selbst im ersten Viertel unsres Jahrhunderts war es aber absolut unmöglich, ein Objektivglas von 10 Zoll Durchmesser herzustellen, und erst dem Genie eines Deutschen gelang es, das schier Unmögliche zu verwirklichen.

Dieser Mann war Josef Fraunhofer, 1787 zu Straubing als Kind armer Leute geboren und bis zum 11. Jahre Gänsehüter, dann Glasschleiferlehrling in München. Von seinem Lehrherrn, der Lesen und Schreiben für überflüssige Künste hielt, konnte der Knabe nichts lernen, so sehr er den Drang nach Ausbildung in sich spürte, und er wäre vielleicht zu Grunde gegangen, wenn nicht ein Unglücksfall ihm rettend zu Hilfe gekommen wäre. Es stürzte nämlich das elende Häuschen des Glasschleifers zusammen und begrub unter den Trümmern den Meister samt der Meisterin und dem Lehrlinge. Vier Stunden lang lagen sie verschüttet; die Frau fand man tot, der Meister und der Lehrling aber waren unversehrt geblieben. Es war wie ein Wunder und ganz München sprach davon. Der Kurfürst Maximilian Josef ließ den jungen Menschen zu sich kommen, sprach einen Augenblick mit ihm und schenkte ihm 18 Dukaten. Wer hätte damals ahnen können, daß diese geringe Geldsumme der Preis für die Eröffnung der Himmelsräume sein würde, daß sie die Zahlung bildete für die Enträtselung der Geheimnisse des Weltalls, der Zusammensetzung des Sonnenballs wie der entferntesten Sterne, ja der Enthüllung der Vorgänge beim Entstehen und der Zerstörung ganzer Weltsysteme! Alle diese bewundernswürdigen Entdeckungen knüpften sich an die Erhaltung und das fernere Geschick des armen Glaserjungen! Noch waren diesem selbst die Anfänge der Bildung fremd, aber sein Geist drängte vorwärts, er wollte lernen, und zwar zunächst Rechnen und Schreiben. Deshalb opferte er eins der Goldstücke seinem harten Lehrherrn für die Erlaubnis zum Besuch der Sonntagsschule, schaffte sich einige Bücher an, ebenso eine Glasschleifmaschine und gab schließlich den Rest des Geldes hin, um sich von der Lehrzeit frei zu kaufen. Nun aber fand er als Glasschleifer nirgendwo Arbeit und mußte mehrere Jahre lang in kläglicher Weise durch Herstellen von Visitenkarten sein Brot erwerben. Endlich (1806) führte ihn ein Zufall mit dem berühmten Reichenbach, dem Leiter eines optisch-mechanischen Instituts, zusammen; derselbe erkannte das schlummernde Genie des jungen Mannes und stellte ihn als Optiker an.

Jetzt war Fraunhofer im richtigen Fahrwasser, und in wenigen Jahren gelang ihm, was die ganze damalige Welt für unmöglich gehalten. Er erdachte neue Schleif- und Poliermaschinen, neue Methoden zur genauen Prüfung des optischen Glases, sowie endlich ein Verfahren, solches Glas von vorzüglicher Reinheit und gleichmäßiger Dichte in größeren Blöcken herzustellen. Dies war bis dahin völlig unmöglich gewesen und [221] ist auch später viele Jahre hindurch keinem Glasfabrikanten gelungen, trotzdem ungeheure Summen auf Versuche dazu verwendet wurden. Fraunhofers Methode zur Herstellung solcher Glasschmelzen wurde von seinen Nachfolgern als tiefes Geheimnis bewahrt, und erst seit Anfang der fünfziger Jahre gelang es einigen Fabrikanten in England und Frankreich, Glas zu großen Ferngläsern in tadelloser Beschaffenheit zu erzeugen. Fraunhofers größtes Fernrohr hat ein Objektiv von 9 Pariser Zoll Durchmesser und eine Länge von 14 Fuß, es wurde 1824 von der russischen Regierung für die Sternwarte in Dorpat angeschafft und erwies sich als das beste Instrument der damaligen Zeit. Noch heute bildet es eine Zierde jener Sternwarte und hat von seiner Wirkung nichts verloren. Fraunhofer war von Körper schwächlich und starb bereits 1826, nachdem sein König ihm den Adel verliehen hatte. Auf seinem Grabstein liest man die Worte: „Er hat uns die Sterne näher gebracht.“

Die nächsten Nachfolger Fraunhofers gingen in der Herstellung großer Fernrohre weiter, aber so beträchtlich waren die zu überwindenden Schwierigkeiten, daß nach seinem Tode viele Jahre lang vergeblich an einem Objektiv von 12 Zoll Durchmesser gearbeitet wurde und es nur gelang, ein solches von 10½ Zoll Durchmesser, zu welchem ein Rohr von 17 Fuß Länge erforderlich war, herzustellen. Später kam man im optischen Institut zu München indessen auch zu 14- und selbst 18zolligen Gläsern, aber damit war die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht.

Die Schwierigkeiten, welche sich der Herstellung sehr großer Fernglasobjektive entgegenstellen, entspringen aus zwei verschiedenen Quellen. Zunächst muß man über große optisch fehlerfreie Glasblöcke verfügen können und dann muß der Optiker imstande sein, den beiden Linsen, die aus diesem Glase geschliffen werden, solche Gestalt und hohe Politur zu geben, daß das aus ihnen zusammengesetzte Objektiv die Gegenstände klar, scharf und ohne störende Farbensäume darstellt. Beiden Erfordernissen ist außerordentlich schwer zu genügen.

Das Riesenteleskop der Yerkes-Sternwarte.

Vor Fraunhofer mußten die Optiker, um ein Objektiv von 2 oder 3 Zoll Durchmesser herzustellen, nicht selten ein Dutzend Glaslinsen schleifen, weil beim Polieren die richtigen Krümmungen der Oberflächen wieder verloren gingen und nicht mehr hergestellt werden konnten. Auch die optische Beschaffenheit der zu den Linsen erforderlichen Glassorten muß man genau kennen, um danach die Krümmungen der Oberflächen der Gläser berechnen zu können, wozu auch kein sicheres Mittel bekannt war. Als man daher in England, wo zu Anfang des Jahrhunderts die besten Fernrohre angefertigt wurden, hörte, Fraunhofer verfertige ein Objektivglas von 9 Zoll Durchmesser, spottete man darüber, weil man auf Grund der eigenen Erfahrungen annahm, er müsse mindestens 100 Gläser dieser Größe schleifen, um nur 2 darunter zu finden, welche, zusammengepaßt, sich als brauchbar erweisen würden. Allein Fraunhofer hatte Mittel gefunden, die Beschaffenheit der Gläser vor dem Schleifen aufs genaueste festzustellen, ferner durch Rechnung die richtigen Krümmungen der Glasoberflächen zu bestimmen und endlich mittels höchst sinnreicher Instrumente die Gläser so zu polieren, daß die richtige Gestalt der Oberfläche nicht verloren ging. Diese Seite der Technik war durch ihn gewissermaßen zum Abschluß gebracht worden, und seine Vorschriften sind bis zur heutigen Stunde noch in Geltung.

Anders war es mit der Herstellung der Glasblöcke. Auch in dieser Hinsicht hat Fraunhofer die größten Verdienste, indem er den richtigen Weg zeigte, und sein Schüler und Nachfolger Georg Merz, der Sohn eines Leinwebers, machte noch weitere Fortschritte, so daß bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die Merz’schen Refraktoren so gut wie ausschließlich zur Himmelsbeobachtung dienten. Nach jahrelangen Bemühungen gelang es endlich Feil in Paris, sowie Bontemps in England, ebenfalls fehlerfreie Glasblöcke zu Objektiven von 12 bis 18 Pariser Zoll Durchmesser zu erzeugen, und seit 1871 verpflichtete die Firma Chance Brothers u. Co. in Birmingham sich sogar, Glasplatten bis zu 1 Meter Durchmesser zu liefern. Erst nachdem dieses Ziel erreicht war, konnten auch andere Optiker als Fraunhofers Nachfolger daran denken, sich an der Herstellung großer Refraktoren zu versuchen. Da war es nun wieder ein aus niedrigen Verhältnissen entsprossener Mann, der auf diesem Gebiete den höchsten Preis errang. Alvan Clark, dessen Urgroßvater als Steuermann der „Mayflower“ mit 101 tapferen Personen beiderlei Geschlechts, welche die unchristliche Verfolgungswut der englischen Bischöfe aus ihrem Vaterlande vertrieben hatte, nach Amerika kam, ist es, der nebst seinem Sohne Georg als Schöpfer der heutigen Riesenteleskope zu betrachten ist. Er wurde in einem kleinen Orte des Staates Massachusetts 1804 geboren und arbeitete in seiner Jugend als Tagelöhner, suchte sich aber, ähnlich wie Fraunhofer, in den wenigen Freistunden, die ihm blieben, zu höheren Fertigkeiten auszubilden. An Optik dachte er nicht und ein Fernrohr hatte er niemals gesehen, vielmehr versuchte er sich als Zeugdrucker und Formstecher. Dabei entdeckte er in sich ein großes Talent zum Zeichnen und Malen und bildete dieses soweit aus, daß er sich in Boston als Dekorationsmaler niederlassen konnte und zu einem erträglichen Wohlstande gelangte. Hier war es nun sein 1832 geborener Sohn Georg, der, man weiß nicht genau durch welche Veranlassung, dazu kam, einen kleinen Teleskopspiegel zu schleifen. Der Vater sah der Arbeit zu, half dabei und gewann Interesse daran, so daß ein zweiter Teleskopspiegel in Angriff genommen wurde. Aus dem Maler wurde bald ein kleiner Optiker, dessen Spiegelteleskope guten Absatz fanden. Rasch erkannten aber die beiden Clarks, daß ein Refraktor leistungsfähiger als ein Spiegelteleskop ist, und warfen sich nun mit Eifer auf die Herstellung von Objektivlinsen. Es ist für den Fernstehenden geradezu unbegreiflich, wie es beiden Leuten, ohne eigentliche Vorbildung in diesem Fache, gelingen konnte, in wenigen Jahren Fernrohre herzustellen, welche an Größe und optischer Kunst mit den vorzüglichsten Erzeugnissen der Fraunhoferschen Schule siegreich wetteiferten.

Schon im Jahre 1861 stellte Clark einen Refraktor mit 18½ zolligem Objektivglase her, den größten und vortrefflichsten, den die Welt bis dahin gesehen hatte. Auch machte Georg Clark, [222] als er dieses Instrument am Himmel prüfte, damit sofort eine Entdeckung, welche seinen Namen über den ganzen Erdball trug. Der berühmte Astronom Bessel hatte nämlich anfangs der vierziger Jahre durch Beobachtung und Rechnung gefunden, daß in der Nähe des glänzenden Sternes Sirius noch ein dunkler Stern stehen müsse, aber kein Fernrohr war stark genug, diesen zu zeigen. Als Georg Clark am 31. Januar 1862 sein eben vollendetes großes Objektiv auf den Sirius richtete, sah er sofort den dunklen Stern in der Nähe desselben, genau an dem Orte, den Bessel vorher berechnet hatte. Das war ein ungeheurer Triumph für die amerikanische Optik, und sogleich kaufte ein reicher Bürger Chicagos das bewundernswürdige Instrument, um es seiner Vaterstadt zum Geschenk zu machen. Die Clarks aber ruhten nicht und versuchten sich an noch größeren Fernrohren, wozu sie das Rohglas aus England bezogen. Im Jahre 1870 erhielten sie von der nordamerikanischen Bundesregierung den Auftrag, das größte überhaupt herstellbare Fernrohr auszuführen, und seitdem hat die Firma Alvan Clark u. Sohn von Zeit zu Zeit immer wieder den Auftrag erhalten, „das größte überhaupt mögliche Fernrohr“ herzustellen.

Es ist dabei interessant, zu sehen, wie die Grenzen des Größtmöglichen sich seit 1870 erweitert haben. Damals war es ein Glas von 26 engl. Zoll Durchmesser oder „Oeffnung“, wie die Optiker sagen, welches diese Grenze bezeichnete. Das Gewicht dieser Doppellinse beträgt 180 Pfund; 1873 war das ganze Instrument vollendet und auf dem Marineobservatorium zu Washington aufgestellt. Es war nunmehr das mächtigste Fernrohr der Welt und bewährte dies in den nächsten Jahren dadurch, daß es zwei Monde des Planeten Mars zeigte, deren Vorhandensein so unerwartet war, daß die europäischen Astronomen zuerst die Nachricht ihrer Entdeckung für Humbug hielten. Der Beobachter, dem diese Entdeckung mittels des großen Fernrohrs gelang, Professor Asoph Hall, war übrigens auch ein Mann der eigenen Kraft, denn er hatte sich vom Zimmermann durch eifriges Studium, wobei ihm seine Gattin, eine ehemalige Lehrerin, half, bis zum Astronomen emporgeschwungen.

Die Begeisterung für die Clarkschen Riesenfernrohre nahm nun in Nordamerika große Dimensionen an. Ein reicher Privatmann, dem es auf ein paar hunderttausend Mark nicht ankam, bestellte für sich sofort ein ebenso großes Instrument wie dasjenige in Washington, und kaum war dieses vollendet, als von San Francisco wiederum eine Anfrage nach dem „größten überhaupt herstellbaren Fernrohr“ einlief. Es war der vielfache Millionär James Lick, welcher die Mittel zu einer Sternwarte auf dem Mount Hamilton spendete, deren Hauptinstrument alle andern übertreffen sollte.

Schematische Darstellung des projektierten Riesenfernrohrs für die Pariser Weltausstellung im Jahre 1900.

Natürlich konnte niemand anders als Clark die Herstellung dieses Riesenglases übernehmen. Im Jahre 1881 machte er sich anheischig, ein Objektiv von 36 engl. Zoll Durchmesser, wozu Feil in Paris die Rohglasscheiben für den Preis von 150 000 Frcs. herstellte, in einigen Jahren zu liefern. Im Jahre 1885 war das Objektiv vollendet und bald darauf auch die von Warner u. Swassey verfertigte Montierung desselben.

Man kann sich einigermaßen eine Vorstellung von diesem ungeheuren Sehwerkzeuge machen, wenn man bedenkt, daß das Rohr, welches aus Stahlblech besteht, eine Länge von 58 engl. Fuß und ein Gewicht von 80 Centnern besitzt. Dieses Rohr ist mittels einer 23 Centner schweren Achse an einer fast 400 Centner schweren Gußeisensäule befestigt und kann nach allen Richtungen des Himmels mit größter Leichtigkeit bewegt werden. Ist das Fernrohr einmal auf einen bestimmten Stern gerichtet, so folgt es mittels eines gewaltigen Uhrwerkes, dessen Pendel 11/4 Centner wiegt, diesem Stern so genau, daß derselbe unverrückt im Gesichtsfelde bleibt. Steht das Rohr senkrecht, so ragt das am oberen Ende befindliche Objektivglas 65 Fuß über den Boden. Im ganzen wiegt das Instrument mit allem Zubehör nicht weniger als 1200 Centner und hat mit der eisernen Kuppel, unter der es steht, alles in allem 654000 Mark gekostet. Die Leistungen desselben sind diesen Verhältnissen entsprechend. In der klaren und ruhigen Luft des Mount Hamilton, 4250 engl. Fuß über dem Spiegel des Großen Oceans, hat dieses Fernrohr zu überraschenden Entdeckungen geführt. Unter diesen ist eine der merkwürdigsten die Auffindung eines fünften Mondes des Jupiter, der so klein und lichtschwach ist, daß er nur ein paar Meilen im Durchmesser halten kann.

Erst wenige Jahre war dieses Rieseninstrument in Thätigkeit, als ein Bürger Chicagos, Charles J. Yerkes, den Plan faßte, auf seine Kosten eine Sternwarte erbauen zu lassen, die ein noch größeres Fernrohr erhalten sollte. Zu diesem Zwecke erging an Clark wiederum die Aufforderung, den „möglich größten Refraktor“ herzustellen, gleichgültig, welches die Kosten desselben sein möchten. Clark besaß gerade zwei Glasblöcke, die für ein 40zolliges Objektiv ausreichten, uod da die Herstellung von noch größeren Blöcken jedenfalls einen Zeitraum von mehreren Jahren beansprucht hätte, so stimmte Yerkes zu, daß ein 40zolliger Refraktor ausgeführt werde. Zum erstenmal lehnte indessen Clark die Verantwortung für das Gelingen des Objektivs in dieser Größe ab. Es war eine überflüssige Vorsicht; denn schon im September 1895 konnte er dasselbe zur Prüfung bereitstellen, und es erwies sich als höchst vorzüglich.

Das ganze, ungeheure Instrument ist jetzt unter der Riesenkuppel der Yerkes-Sternwarte zu Lake Geneva in Wisconsin aufgestellt. Das Objektivglas allein wiegt 10 Centner, das 63 Fuß lange stählerne Rohr, an welchem es befestigt ist, 120 Centner; die 44 Fuß hohe Säule, die das Ganze trägt, 800 Centner. Steht das Fernrohr senkrecht, so ragt es 72 Fuß über den Boden, also bis zur Höhe eines mäßigen Turmes. Jede Beschreibung dieses Instruments ist unzulänglich, ich führe statt dessen dem Leser eine Abbildung desselben auf Seite 221 vor, die nach einer Photographie angefertigt worden ist. Das riesige Fernrohr befindet sich, wie man sieht, unter der Drehkuppel und der Beobachter ist gerade auf der um den viereckigen Aufbau herumlaufenden Galerie beschäftigt.

Wie man aus der Abbildung erkennt, ragt dieser Aufbau frei aus dem Fußboden, auch ist der Boden von der Umfassungsmauer der Kuppel getrennt, und zwar zu dem Zwecke, um ihn durch hydraulische Kraft höher oder tiefer stellen zu können, damit der Beobachter in jeder Lage des großen Instrumentes bequem und gefahrlos seine wissenschaftlichen Untersuchungen anstellen kann. Die Kosten des Objektivs allein beziffern [223] sich auf 265 000 Mark, die Gesamtkosten der Montierung, der Drehkuppel etc. erreichen etwa 700000 Mark. Das ist nun das größte und mächtigste Fernrohr, welches zur Zeit auf der Erde existiert, und es bezeichnet sehr nahe auch die Grenze des für unsere Hilfsmittel zur Zeit Erreichbaren. Als Georg Clark, der nach dem Tode seines Vaters Alvan Clark (1887) das Objektiv herstellte, dasselbe vollendet hatte, sagte er, jetzt sei er von einer drückenden Last befreit. Ein Jahr darauf erlag er einem Schlaganfalle; der letzte seines Stammes. Kurz vor seinem Tode erklärte er indessen dem berühmten Astronomen Barnard, er sei bereit, auch ein Objektiv von 60 Zoll Durchmesser herzustellen, falls das Rohglas dafür zu haben wäre.

Für das Riesenteleskop der Pariser Weltausstellung ist ein Fernrohr von etwa 200 Fuß Länge und beinahe 50 Zoll Objektivdurchmesser in Aussicht genommen und der Schliff der Linsen hat bereits begonnen. Es ist indessen ganz unmöglich, ein Rohr von solcher Länge an einer Säule zu befestigen, so daß es nach allen Richtungen gedreht werden kann. Man ist deshalb auf folgende Anordnung gekommen, die durch unsere Abbildung auf Seite 222 veranschaulicht wird. Das große Rohr liegt horizontal und unbeweglich auf einer Reihe von niedrigen Steinpfeilern; vor dem Objektiv aber befindet sich ein großer völlig ebener Spiegel, der nach allen Richtungen des Himmels gewendet und der Bewegung der Gestirne entsprechend durch ein Uhrwerk gedreht werden kann. Das auf diesen Spiegel fallende Licht der Sterne wird von hier auf das Objektiv des großen Fernrohres geworfen und geht durch dasselbe hindurch bis zum Beobachter, der am anderen Ende des Rohres sich befindet. Diese Anordnung ist äußerst sinnreich und hat sich bei kleineren Fernrohren gut bewährt.

Fragen wir nun nach den Leistungen solcher Riesenteleskope, so vernehmen wir, daß das Yerkes-Teleskop Vergrößerungen bis zu 3600fach gestattet. Das heißt, auf den Mond angewandt: es zeigt diesen so genau, als er dem besten unbewaffneten Auge erscheinen würde, wenn er uns 3600 mal näher stände als in Wirklichkeit. Nun kann uns der Mond bis auf etwa 48000 Meilen nahe kommen, in jenem Fernrohre wird er sich also bestenfalls so zeigen, wie dem bloßen Auge aus 131/3 Meilen Entfernung. Das ist noch sehr weit von den Leistungen, welche dem Publikum mit dem Fernrohre der Pariser Weltausstellung verheißen werden, und nun wird jedem Verständigen klar, daß diese Verheißungen maßlos übertrieben sind! In der That ist dies in so hohem Grade der Fall, daß man dreist voraussagen darf, eine große Enttäuschung werde den meisten zu teil, welche durch das große Fernrohr der Pariser Weltausstellung den Himmel betrachten werden.

Wenn der Leser aber denken sollte, daß überhaupt die Herstellung von Riesenteleskopen der wissenschaftlichen Erkenntnis nur verhältnismäßig wenig Nutzen bringe, so würde diese Meinung völlig irrig sein. Die großen Instrumente der Gegenwart haben vielmehr unter Zuhilfenahme des Spektroskops und der Photographie unsere Kenntnisse vom Bau des Weltalls und von den Zuständen der fernen Himmelskörper in geradezu wunderbarer Weise erweitert und stellen ferner große Ergebnisse in Aussicht.