Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Neukirch

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Otto Moser
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Neukirch
Untertitel: {{{SUBTITEL}}}
aus: Markgrafenthum Oberlausitz, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 3, Seite 76–78
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Commons und SLUB Dresden
Kurzbeschreibung: Beschreibung des Oberlausitzer Kirchdorfes Neukirch am Fuße des Valtenberges
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[Ξ]
Neukirch
Neukirch


[76]
Neukirch
am Hochwald.[WS 1]


Am Fusse des 1785 Fuss hohen Valtenberges, durch ein ziemlich breites von der Weseritz[WS 2] durchströmtes Thal, zieht sich in beinahe zweistündiger Länge das schöne, wohlhabende Dorf Neukirch hin, welches in Oberneukirch und Niederneukirch eingetheilt wird. Gegen Süden erhebt sich der Hochwald, ein zwei Meilen langes Gebirge an der Böhmisch-Lausitzisch-Meissnischen Grenze, welches bedeutende Granit- und Porphyrschieferlager enthält. Hier entspringt die Wesenitz, welche nach einem fast zehnstündigen, vielfach gewundenem Laufe, auf dem sie die Ortschaften Neukirch, Putzkau, Bischofswerda, Stolpen, Lohmen und den Liebethaler Grund berührt, bei Pratzschwitz in die Elbe fällt. An den Hochwald schliesst sich östlich, das Gebirge fortsetzend, der Linsberg und die Stallung an. An der Nordseite ziehen sich längs des Dorfes in bald höherer bald niederer Abstufung der Davidsberg, der Lämmerberg, der Gickelsberg und der Fuchssteinrücken hin. Oestlich lehnt sich das Thal an eine nicht unbedeutende Anhöhe, auf welcher das Tautewaldaer Vorwerk steht; gegen Westen schliesst es sich ohne Unterbrechung eng an Putzkau an. – Neukirch zerfällt in mehrere Gemeinden, nämlich Niederneukirch mit dreihundert und dreiundvierzig Häusern, die halbe Hufe mit zwölf Häusern, die Gemeinde Oberneukirch Lausitzer Antheils mit zweihundert siebenundzwanzig Häusern, die Gemeinde Oberneukirch Meissnischen Antheils mit siebenundfunfzig Häusern und der Steinichtwolmsdorfer Antheil mit vierundvierzig Häusern. Der grösste Theil der Bevölkerung treibt Zwillichweberei, die übrigen Einwohner beschäftigen sich mit Ackerbau, Handel und Gewerbe, denn der Ort hat sehr lebhaften Verkehr. Neukirch besitzt eine Apotheke, acht Mühlen, drei Töpfereien, zwei Gerbereien und mehrere Bäckereien und Kramläden. Die nächste Stadt ist das eine Stunde entlegene Bischofswerda.

Neukirch hat seinen Namen erst nach der Erbauung seiner Kirche erhalten, wie denn auch die Wenden diesen Ort noch heute mit einer Benennung, Jasonza,[WS 3] bezeichnen, die mit der jetzigen ganz und gar keine Verwandschaft zeigt. Doch gedenkt schon eine aus dem elften Jahrhundert stammende Urkunde der Kirche zu Neukirch und ebenso kommt das Dorf in der bekannten Grenzurkunde von 1213 vor.[WS 4] Als die „nawe Kirche“ schon längst vorhanden war erhoben sich auf den Dörfern ringsumher noch kleine [77] zum Theil in früheren Zeiten nach Neukirch eingepfarrte Kapellen und das Ansehen dieser Pfarrei beweist unter Anderem eine Urkunde von 1450, worin Gauke von Guska bekennt, dass sein Untersasse Jacob Raspe den ehrsamen Paul Radwor Altaristen zu Nawenkirch zwölf Groschen jährlichen Zinses verkauft habe. – Mit der Entstehung der Kirche vereinigte sich ohne Zweifel auch die Gründung des hiesigen Rittersitzes, der später in zwei Güter, Ober- und Niederneukirch, getheilt wurde, die in früherer Zeit fast immer getrennt, aber seit 1701 immer unter einem Besitzer vereinigt waren. Das vereinigte Rittergut Neukirch besitzt 1352 Acker Areal, 12 Pferde, 12 Ochsen, 35 Kühe, 24 Stück Jungvieh und gegen 500 Schafe.

Die Besitzer des ungetheilten Rittergutes waren die Herren von Ponickau, von denen es um 1450 weggekommen ist. Aus Urkunden und Unterschriften sind die folgenden Namen der Besitzer der Rittergüter ermittelt worden, doch ist nicht genau zu bestimmen ob den erstgenannten Herren das obere oder das untere Gut angehörte. So wird 1477 Christoph von Bolberig genannt und 1540 Jacob Balthasar von Haugwitz. Die Gebrüder Joachim und Abraham von Haugwitz waren 1560 hier und 1570 geschieht abermals eines Joachim von Haugwitz Erwähnung, der jedoch einer der beiden Brüder gewesen sein mag. Hierauf folgen Elias von Nostiz und Abraham von Haugwitz, 1576[WS 5] Abraham von Haugwitz, Abraham von Polenz, 1590 Sibylle von Polenz, Hans Georg Marschall, Hans Heinrich und Hans Christoph, Gebrüder von Haugwitz, 1600 Hans Heinrich von Polenz, der 1609 starb. Peter von Haugwitz zu Oberneukirch an Statt der Frau Nostitz, Wittwen Hans Christoph von Haugwitz und Peter von Haugwitz und Christoph von Haugwitz der Jüngere. Anna Marie von Kinschin wird 1619 und Marie von Nostiz geborene von Minkwitz, Hans Christoph von Bernstein und Capitain Wolf Winkelmann 1623 genannt. Frau Maria von Nostitz, Wolf Heinrich von Leubnitz und Wolfgang Winkelmann 1628. Im Jahre 1634 brachte der Capitain Winkelmann die ganzen Gerichte zu Oberneukirch käuflich an sich. Um dieselbe Zeit kommen eine Frau von Nostitz und Adolf von Gersdorf, Landeshauptmann zu Budissin, vor, sowie 1637 Dietrich von Taube. Hans Heinrich von Nostitz und Wolf Winkelmann von Mechelgrün 1638, Hans Heinrich von Nostitz, Frau Anna Maria Winkelmann von Mechelgrün 1642, Hans Adolf von Haugwitz 1651, Johann Friedrich Knoch 1657, Hans Heinrich von Nostitz zu Oberneukirch und Hans Otto von Ponickau zu Niederneukirch 1672. Im Jahre 1692 verkaufte Otto von Ponickau sein Gut an den churfürstlichen Kämmerer von Nostitz und nunmehr wurden beide Güter (1701) durch Friedrich von Burkersroda unter einem Besitzer vereinigt, was sie auch geblieben sind bis auf den heutigen Tag. Der Landesbestallte von Raussendorf und Ernst Ludwig von Stein zu Altenstein werden im Jahre 1715 genannt. Seit dem 15. Juli 1723 gehört Neukirch der Familie von Huldenberg. Der erste Herr auf Neukirch aus dem Geschlecht der Huldenberge war Daniel Erasmus Freiherr von Huldenberg, welchen Kaiser Carl VI. am 13. März 1723 in den Grafenstand erhob, königl. Grossbrittanischer und churfürstl. Braunschweig-Lüneburgischer Geheimer Legationsrath. Ihm folgte sein Sohn Carl Erasmus Graf von Huldenberg, Geheimer Kriegsrath und churfürstlich Sächsischer Obristleutnant, der 1777 mit Tode abging, worauf Neukirch in Besitz des kaiserlich Oestreichischen Majors, Rudolf Gottlob Grafen von Huldenberg gelangte. Diesem folgte Gottlob Erasmus Curt Graf von Huldenberg, königl. Sächsischer Hof- und Justizrath, Landesältester des Budissiner Kreises, welcher, der Letzte seines Geschlechts, am 4. Mai 1812 verschied. Aus dem Erbe brachte die beiden Rittergüter käuflich an sich die älteste Schwester des Verstorbenen, Frau Caroline Franziska Henriette, vermählt mit dem königl. Preussischen Hauptmann und Erb-, Lehn- und Gerichtsherrn auf Fredersdorf etc. von Oppen, welche am 17. April 1840 das Zeitliche segnete. Der jetzige Besitzer von Neukirch ist Herr Baron von Oppen-Huldenberg.

In der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts wurde die hiesige Kirche durch eine Feuersbrunst verzehrt, die nach einigen Nachrichten durch einen Blitzstrahl, nach anderen und glaublicheren aber durch einen Schwarm hussitischer Krieger veranlasst worden sein soll. Auch im Jahre 1631 traf Neukirch mancherlei Unglück. Man wollte eben das Kirchweihfest beginnen als hundert feindliche Reiter in das Dorf einbrachen und zu plündern begannen. Die Einwohner flüchteten voller Schrecken in die Wälder, während die rohen Gäste nach ihrer gewöhnlichen Art Alles demolirten und die Zurückgebliebenen misshandelten. Die Kirche wurde erbrochen, Altar und Kanzel zertrümmert und nebst vielen andern Gegenständen auch ein grünsammetnes Messgewand, ein Altartuch und selbst die Wachskerzen geraubt. Die Kirche hatte im Laufe des dreissigjährigen Krieges, wo häufige Soldatenbesuche stattfanden, dergestalt gelitten, dass man 1673 einen Umbau derselben vornehmen musste, der beinahe einem Neubau glich, welcher letztere jedoch erst 1723 zur Ausführung kam. Der siebenjährige Krieg ist ebenfalls nicht ohne unsägliche Drangsale an Neukirch vorübergegangen. Als Vorbote noch grösseren Unglücks vernichtete im Jahre 1812 ein heftiges Hagelwetter die hiesigen Fluren und im Frühjahre 1813 begann der Krieg. Durchmärsche, Lieferungen und Vorspannfuhren drückten die armen Einwohner unbeschreiblich. Am 12. Mai, demselben Tage wo Bischofswerda in Feuer aufging, setzte sich unter dem Commando des Generals Emanuel hier ein Corps Kosaken fest und verzehrte mit der Gier von Heuschrecken alle Vorräthe die noch übrig geblieben waren. Die Einwohner waren, von Furcht ergriffen, in die Wälder geflüchtet, wo sie mit dem wenigen geretteten Viehe fast vierzehn Tage unter freiem Himmel zubringen mussten. Am 13. Mai 1813 Nachmittags erschien der Französische Divisionsgeneral Laurencin mit einer Division Franzosen und Baiern von Schmölln her, um das kaum tausend Mann starke Kosakencorps aus Neukirch zu vertreiben, wobei es zu einem Gefecht kam. Die Franzosen zogen sich nach dem Davidsberge und pflanzten daselbst ihre Kanonen auf, auch hatten sie einige Piccen auf den Lämmerberg postirt, während die Kosaken ihr Geschütz auf dem Lehmannschen Berge aufgestellt hatten, so dass dieses das Dorf bestrich. Bei dieser Gelegenheit wurde der Knopf des Kirchthurms durch eine Kanonenkugel zerschmettert. Während der Nacht bivouaquirten die Franzosen bei zahllosen Wachtfeuern auf den nördlich gelegenen Bergen, plünderten Neukirch und zündeten durch Verwahrlosung ein Haus in Oberneukirch an. Zu den schrecklichsten Tagen dieses Krieges, welche Neukirch erlebte, gehörten auch die Septembertage.

Es wurde bereits der Valtenberg, der höchste Punkt des Hochwalds, erwähnt, welcher seinen breiten Rücken über die ganze Gegend erhebt. Der Berg soll seinen Namen von einer Burg, der Valentinsburg, erhalten haben, [78] die vor Jahrhunderten darauf stand aber schon seit vielen Menschenaltern nicht mehr vorhanden ist. Dass wirklich eine Burg auf dem Valtenberge befindlich gewesen beweisen noch Spuren von Gemäuer und ein Keller, aber keine Urkunde, kein Denkmal erzählt uns wer einstmals auf dem Schlosse hauste und wodurch sein Untergang herbeigeführt worden ist. Dagegen weiss die Volkssage gar mancherlei von dem Valtenberge zu berichten: Wer zum Beispiel am Johannistage auf den Berg steigt und dabei gewisse Bedingungen nicht vernachlässigt, der findet an einem Baume hängend einen goldenen Schlüssel, welcher ihm einen mit ungeheuren Reichthümern gefüllten Keller öffnet; auch wird erzählt, dass am Valtenberge eine Stadt gelegen habe die vor langen Jahren untergegangen sei, und über welche eine alte Inschrift prophezeit haben soll:

„Wenn Dresden und Bautzen werden untergehen,
Dann wird die Stadt Valten wieder auferstehen!“ –

Die Kirche zu Neukirchen war „Unserer lieben Frauen“ gewidmet und gehörte unter das Dekanat Budissin. In dieselbe waren ausser dem noch dahin gehörigen Ringenhain auch noch Diehmen, Dretschen, Naundorf, Arnsdorf, Tautewalde und einige andere Dörfer eingepfarrt, welche erst dann davon abkamen als die in der Umgegend befindlichen kleinen Kapellen sich in selbstständige Kirchen verwandelten. Nur eins dieser Dörfer, Diehmen, blieb noch bis in das sechszehnte Jahrhundert bei Neukirch, wendete sich aber auch weg, als die Einwohner Diehmens durch Anspannung des grossen Teiches, der jetzt in eine grosse herrschaftliche Wiese verwandelt ist, ihren Kirchweg verloren. Die Herrschaft bemühte sich umsonst die Diehmener am Parochialverbande festzuhalten und liess sogar um den Teich herum einen bequemen Weg anlegen, aber Alles war vergeblich, die Diehmener blieben weg. In einer alten hinlänglich beglaubigten Urkunde wird gesagt, dass in dem hinteren Theile der damaligen um 1470 erbauten Kirche das Chursächsische Wappen und an einem alten Schranke in der Sakristei der Rautenkranz angemalt gewesen sei, welcher Umstand insofern von historischer Wichtigkeit ist weil er den Lausitzer Antheil der Kirche zu Neukirch fraglich macht, oder wenigstens unentschieden lässt, ob nicht die hiesige Kirche zu jener Zeit unter das Haus Chursachsen gehört oder doch zu demselben in irgend einem Abhängigkeitsverhältnisse gestanden habe. Vielleicht lässt sich dieses Räthsel dadurch lösen, dass hier ausser den Lausitzer Gemeinden auch eine alterbländische eingepfarrt war, deren Herrschaft unmittelbar dem Churhause zustand. – Den Kirchendienst zu Neukirch verrichten ein Pfarrer und ein Diakonus. Das Diakonat gründete im Jahre 1718 der Baron von Stein zum Altenstein.

O. M.     




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hohwald, ein Waldgebiet des Lausitzer Berglandes.
  2. Wesenitz, ein Nebenfluss der Elbe.
  3. Der sorbische Name Neukirchs lautet wie der der Wesenitz „Wjazońca.“ Jasonza entspricht der deutschen phonetischen Transkription.
  4. In der Oberlausitzer Grenzurkunde wurden viele Orte der Region erstmals urkundlich erwähnt.
  5. Vorlage: 1376