Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Neukirchen bei Wyhra
an dem durch seinen romantisch schönen Thalgrund bekannten Flüsschen Wyhra, gegenüber dem Dorfe Wyhra, wovon das erstere den Namen erhalten haben mag, am östlichen Rande einer schönen Wiesenaue gelegen, ist von Borna 1¼ Stunde, von Frohburg ¾ Stunden enfernt, sein schön und ganz regulär erbautes Rittergut hält 200 Scheffel Feld, 40 Scheffel Wiesen, 30 Scheffel Holz, grosse Gärten, eine bedeutende Rindvieh- und Schaafzucht, eine bedeutende Brennerei und Brauerei.
Auch gehörten ausserdem noch zum Gute mehre Allodialgrundstücke und hatte solches vor der Ablösung 3 Proc. Kauf- und 3 Proc. Sterbelehngeld sowie 120 trockne Zinsen.
Die eigentliche Zeit der Gründung des Dorfes und die Erbauung des Schlosses sind nicht mit Bestimmtheit anzugeben.
Schon im neunten Jahrhundert war der Ort Neukirchen bekannt, wogegen die Rittergutsgebäude erst später sich erhoben.
Im dreizehnten Jahrhundert hat der Ort mit der übrigen Umgegend durch die Befehdungen Albrechts des Unartigen mit seinen beiden Söhnen, Friedrich mit der gebissenen Wange und Dietzmann, viel gelitten. Eben so war diese Gegend Zeugin von dem im Jahre 1308 vorgefallenen Gefechten Friedrichs mit dem kaiserlichen General Philipp von Nassau, welcher die Mörder des Bruders Dietzmann gedungen haben sollte. Im Hussittenkriege wurde Neukirchen völlig verheert und im 30jährigen Kriege, wo vor dem Einrücken der grossen Wallensteinischen Armee im Herbste 1632 der kaiserliche Oberst, Markus Corpitz, mit einem Regiment Croaten einen Streifzug durch Oederan, Siebenlehn, Penig, Kohren, Neukirchen und Gnandstein machte, wurden beide letztern Orte Aschenhaufen. Und was Feuer und Flammen noch verschont hatten, das wurde im darauf folgenden Jahre ein Opfer der Pest. Der 7jährige Krieg drückte Neukirchen mit neuer Last. Zu jener Zeit wurden von den Preussen hinter dem Dorfe jene Schanzen aufgeworfen, die um einen Theil der Pfarrfelder heute noch sichtbar sind. Die Lage Neukirchens an einer belebten Strasse war die Ursache von den häufigen Durchmärschen.
Mehr noch als im 7jährigen Kriege hatte der Ort im Jahre 1813 zu ertragen.
Blieb es auch, wie im April gedachten Jahres das Blücher’sche Corps die hiesige Gegend volle zehn Tage bedrückte, von Einquartirung befreit, weil zu jener Zeit das Nervenfieber hier seine Opfer forderte, so drangen doch zwei Tage nach der Schlacht bei Lützen die Franzosen ein und zwangen die unglücklichen Einwohner zu ungewöhnlichen Leistungen. Im October desselben Jahres, wo das grosse Böhmische Heer der Verbündeten über Chemnitz nach Leipzigs Ebenen zur entscheidenden Völkerschlacht vordrang und Poniatowsky mit den Polen Frohburg besetzt hielt, zog sich letzterer langsam hierher zurück und ganz in der Nähe von Neukirchen kam es zu einem Gefechte, ohne jedoch entscheidend zu werden oder die Verwüstung eines Dorfes herbeizuführen. Nach der Leipziger Schlacht trafen Neukirchen nur Durchmärsche, Lieferungen und Requisitionen, die oft nicht zu beschaffen waren.
Durch diese Drangsale, durch die Verwüstungen im Hussitten- und 30jährigen Kriege ist es auch gekommen, dass die früheren Nachrichten über Neukirchen gänzlich mangeln.
Die ersten bekannten Besitzer des Gutes datiren erst vom Jahre 1560 [176] wo es ein Thimotheus von Neustadt besessen hat. Im Jahre 1580 kam es an Victor von Wolkau, welcher am 13. März 1590 von seinem Diener Haus Winter von Nesselroda bei Eisenberg gleich neben der Ecke des Kuhstalls mit einem Zaunpfahl ermordet worden ist. Ihm folgte sein Sohn Friedrich von Wolkau, welcher es blos bis 1593 besass, und solches seinem Bruder Dietrich von Wolkau überliess.
Um das Jahr 1600 finden wir als Erb-, Lehn- und Gerichtsherrn Conrad von Stein, von dem es kurze Zeit darauf Wolf von Draschwitz übernahm, um es 1616 wieder an Georg Heinrich von Draschwitz abzutreten. Bei dieser Familie blieb es noch bis zum Jahre 1636 und hatten solches Alexander von Draschwitz und Wolf von Draschwitz inne. Im Jahre 1636 waren Wolf von Keyna und 1640 N. von Keyna Besitzer worauf wieder 1650 ein Hans Wolf von Draschwitz damit beliehen war.
In schneller Reihenfolge waren Gerichtsherren von Neukirchen 1718 Karl von Pöllnitz, 1720 Georg von Pöllnitz, 1725 Hofrath Carl Gottfried Weidlich, 1747 Carl Erdmann Weidlich, 1749 Dr. Michael Teutscher, Fürstl. Schönburgischer Rath und Amtmann in Penig, 1776 Johann August Teutscher, churfürstl. Sächs. Commissions-Rath; dann erhielt es 1803 der Hofrath und Justizamtmann spätere Amtshauptmann in Chemnitz Johann Friedrich Carl Dürisch in Lehen, von welchem es dessen Erben Frau Christiane Wilhelmine verw. Dürisch und Consorten übernahmen, von denen es 1825 Johann Heinrich Schlunzig, Kaufmann in Zeitz, acquirirte. Im Jahre 1831 kaufte es der Fürstl. Ratzinsky’sche Oberförster in Obersitzlo in Preussisch-Polen, Herr Friedrich Kamprad. Seit 1848 war Richard d’Orville von Löwenklau im Besitze, von welchem es seit 1856 an Herrn Traugott Bienert auf der Hofmühle im Plauischen Grunde bei Dresden übergegangen ist.
Zum schriftsässigen Rittergute wurde Neukirchen erst im Jahre 1708 erhoben und leistete ½ Ritterpferd.
Der jedesmalige Besitzer von Neukirchen ist Collator über die dasige Kirche, welche ursprünglich nur eine Kapelle war. Sie ist später oft erweitert und verändert worden. Zuletzt im Jahre 1830 durch das Wegreissen der schadhaften Vorhalle und Vorrücken der Stirnwand ist die Kirche merklich verschönert worden. Der in der Mitte der Kirche angebrachte Thurm ist sehr hoch und gewährt deshalb eine herrliche Fernsicht.
Um die Kirche befindet sich der Friedhof und dabei ist Pfarr- und Schulwohnung. Die erstere ist seit einigen Jahren ganz neu und massiv aufgeführt.
Neukirchen bildet nur eine Gemeinde, welche aus 6 Pferdnern, 14 Hintersässern besteht und ausserdem 35 Häusler zählt. Ein Bauergut und Hintersässergut sind, wie oben schon erwähnt worden, mit dem hiesigen Rittergute verbunden, zwei andere Hintersässergüter mit Bauergütern vereinigt.
Die Hauptnahrung ist der Landbau, ausserdem beschäftigen die ergiebigen Braunkohlengruben eine grössere oder geringere Anzahl Arbeiter.
Bemerkenswerth ist hier noch die Fabrik der sogenannten Müllerdosen, die von einem Müller Bach[1] in Buchholz bei Annaberg erfunden von einem Schwiegersohne des Letzteren, Johann August Hellge und dessen Söhnen ächt und von vorzüglicher Güte in grosser Auswahl bis auf die neueste Zeit gefertigt wurden.
Das am sanften Abhange zweier Hügelreihen eine halbe Stunde von Neukirchen entfernte Schönau ist das Filialdorf und hat seit dem Jahre 1836 eine freundlich restaurirte Kirche.
Der Ort selbst gehörte sonst zu den Gerichten von Priessnitz, jetzt ist Schönau wie Neukirchen dem Gerichtsamte zu Borna und den übrigen höhern Behörden daselbst einverleibt. Neukirchen zählt jetzt über 300 Einwohner.
- ↑ Bach wollte erst Gold machen, ward dies endlich müde und suchte nach Mongolfiers Vorgange Luftballons zu fertigen. Um das Seidenzeug luftdicht zu verschliessen, bedurfte es eines Firnisses oder Lacks, der von Bach durch die Auflösung des Copals erfunden wurde und ihm den ersten Gedanken zur Verfertigung seiner Dosen gab.