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Schatten des dunklen Ostens/Der Schamanismus

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Die Giftmischer Schatten des dunklen Ostens von Ferdynand Antoni Ossendowski
Der Schamanismus
Das Heidentum
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Der Schamanismus.

Kennt man die schrecklichen Einöden des russischen Nordens, kann man den Schamanismus, den Dämonenkultus, wohl verstehen.

Da, wo die Natur durch ganze Chöre der verschiedenartigsten und furchtbarsten Stimmen beherrscht wird, wo die totbringenden heulenden Stürme des Eismeeres vorherrschen, wo in Sümpfen die Seuchen lauern, wo wildes Tier und verwilderte Menschen in ihren von Hunger und Verzweiflung glühenden Augen den Tod tragen, wird dieser Kultus ja geradezu zur Notwendigkeit.

Erde und Luft sind hier mit blutigen Tränen, Klagen und Flüchen getränkt, mit den Flüchen derjenigen, die durch den Zaren und seine unintelligente Bürokratie zu Tod und Einsamkeit verbannt wurden, weil sie nach Recht und Freiheit aufgeschrien, wofür sie nun hier in verschneiten Ebenen und Wüsten alle, früher oder später, in den Märtyrergräbern, die zu Hunderten und Tausenden hier liegen, verschwinden.

Für dieses von Gott und Mensch verfluchte Sibirien ist der Schamanismus, den nur noch die aussterbenden wilden Nomaden pflegen, wie geschaffen.

Aber nicht nur in Sibiriens Öden, auch im eigentlichen Rußland, sogar in den großen Städten sind Schamanen zu treffen.

Zwei davon sind mir begegnet.

Ich war Gymnasialschüler und verbrachte meine Ferien mit meinem Freunde, einem Arzt, auf der Kolsker Halbinsel.

Einmal fuhren wir nach dem Gouvernement Olonez und mußten in einer Entfernung von mehreren Kilometern vor der Stadt Petrosawodsk in einem großen Dorfe übernachten.

Wir kehren in einer Gastwirtschaft ein, in einer schmutzigen, abscheulichen Bude, nach Schnaps und Feuchtigkeit riechend.

Nach dem Abendessen begeben wir uns in unser Zimmer, um mehr Patronen für unsere Flinten vorzubereiten, denn bei den Ritten durch diese schwach bevölkerten Gegenden gibt es noch viel Jagd.

Als wir so mit unseren Vorbereitungen beschäftigt waren, klopft es plötzlich leise und vorsichtig an unserer Türe.

Ein Männlein, klein und mager, schleicht sich herein, wie Kreide weiß, im schwarzen, eng anliegenden Rock.

Wie ein Klosterbrüderchen sieht er aus, nur sein Gesicht mit den durchdringlichen, unheimlich leuchtenden Augen fällt auf.

Der Feuerblick, mit dem er mich durchbohrt, jagt mir Angst ein.

Ohne seine Augen auf den Eingetretenen zu richten, weiter sein Maß Pulver in die Hülsen schüttend, fragt der Doktor den Eingetretenen nach seinen Wünschen.

„Ich will Euch Gespenster zeigen“, antwortet das Männlein.

Das Pulvermaß entfällt der Hand des Arztes, der nun erstaunt zu dem Eindringling aufblickt.

„Gespenster?“ Mein Freund wiederholt es, mit den Achseln zuckend.

„Ja, Gespenster, — so ist es“, wiederholt ruhig der Kleine.

„Ja wer seid Ihr denn?“, fragt wieder mein Freund.

„Ein Koldune bin ich, ein Schamane und das Geheimnis der Nomaden, mit den Seelen Toter zu verkehren, ist mir eigen“, gibt ruhig der Fremde zurück.

„Interessant“, sagt der Doktor, „aber auch hier die Gespenster zu rufen, vermögt Ihr wohl nicht?“

„Ich kann es und im Augenblick, — es kostet nur drei Rubel“, lächelt der Schamane.

Seine Augen bitten und in seinen Mienen liegt die Furcht, daß wir möglicherweise sein Anerbieten abschlagen könnten.

„Ich gebe die Rubel, — beginnen Sie sofort“, ist des Arztes kurzer Entschluß.

„Sofort, augenblicklich“, bekräftigt der Schamane, steckt gierig die Rubelscheine ein und befiehlt uns, das Licht zu löschen und in die Tiefe des Zimmers zu gehen.

Ich kann, ehe es dunkel wird, gerade noch bemerken, wie er ein kleines dünnes Papierkärtchen hervorzieht und es an den Mund führt.

Wir sitzen schweigend im Dunkeln, nur das blaße Licht eines Naphthalämpchens aus der Ecke gegenüber spendet milden Schein, der uns gerade zu sehen erlaubt, wie die dunkle Gestalt des Schamanen reglos vor der Türe steht.

Ein leises, kaum hörbares Säuseln hebt plötzlich an, dem Summen einer Fliege ähnlich, die in der Spinne Netz gefallen.

Stärker und stärker wird der Ton und mir scheint es, als wäre die ganze Stube erfüllt vom Gesumme solcher Fliegen, als machte er die Fensterscheiben erklirren und schlüge an die schmutzige Decke des Gemaches und an die Wände an.

Dünne, zitternde Töne sind es, die oft schmetternd anschwellen und schallend in das Ohr klingen, um gleich wieder leise, wie aus weiter Ferne kommend, zu verklingen.

Seltsame Unruhe erfaßt mich, unverständliches Ahnen von etwas Düsterem und Krankhaftem erfüllt mir die Seele.

Die dunkle Gestalt des Schamanen, die sich kaum von der herrschenden Dunkelheit abhebt, fängt an zu wanken, langsam und fast methodisch im Anfang, dann immer rascher und leidenschaftlicher werdend, bis die Bewegung in die wildesten Sprünge, Krümmungen und Verzuckungen des Körpers übergeht.

Auf einem Fuß dreht sich nun der Schamane, immer schneller, immer schneller, bis er endlich atemlos und abgehetzt zu Boden fällt, mit fürchterlicher Stimme schreiend:

„Sie sind da! Sie sind da!“

Wieder jagen ganze Schwärme von Tönen durchs Zimmer, dem Wirbel eines Sturmes gleichend, einem Aufruhr, der mit fast physischem Schmerz zu fühlen ist.

Mächtige Windstöße umbrausen mich, meine Haare fühle ich flattern und die Papiere am Tisch rauschen.

Eiskalt wird meine Hand und meine Stirne bedeckt sich mit Schweiß.

Die Augen werden mir seltsam scharf, ganz deutlich sehe ich die am Boden liegende Gestalt des Schamanen. Genau unterscheide ich sein bleiches Gesicht und seine glänzenden, weit offenen Augen.

Noch immer hält er in der Hand das feine Kärtchen, drückt es an den Mund und bringt so die schauerlichen und seltsamen Töne hervor.

Nun mit einem Male sehe ich an den verschiedensten Stellen des Zimmers grün phosphoreszierende Flammen aufleuchten und verschwinden.

Wieder, wieder und noch einmal.

Die Töne brechen ab, ganz plötzlich.

Die um uns wehenden Winde aber werden stärker, von der Decke blitzt es wieder, einmal — zweimal — und nun ist alles dunkel und still, als rauschte schwer ein schwarzer Vorhang nieder.

Wie leblos liegt der Schamane da.

Des Doktors Frage, ob er Licht machen soll, bleibt unbeantwortet. Bei hellem Licht nähern wir uns dem Schamanen; mit fest zugekniffenen Lippen und geschlossenen Augen sehen wir ihn liegen.

Aus seiner Nase fliegt ein feiner Blutstrahl und sein Antlitz ist schmerzlich zerfurcht.

Wir heben ihn auf und legen ihn auf das Sofa. Die Augen öffnend, verlangt er flüsternd: „Schnaps“.

Der Doktor schenkt ihm ein großes Glas aus der Feldflasche ein.

Mit den Zähnen wie im Schüttelfrost an das Glas klappernd, trinkt er, dehnt sich und steht auf.

„Heute ist es nicht gelungen, gekommen sind sie, aber sie blieben weit — — sie wollten nicht näher kommen“, spricht er langsam, gleich wieder in Schweigen verfallend.

Nach einer Weile verläßt er uns.

Mein Freund klopft mir auf die Schulter und sagt:

„Auf Wildenten und Birkhühner zu schießen, ist gesünder, als Tote zu beschwören. Im übrigen beruhige Dich; das ist alles keine Zauberei. Die monotonen, einförmigen Töne und die gleichmägigen Bewegungen sind ein erprobtes hypnotisches Mittel. Aber genug davon, eilen wir uns lieber, die Patronen fertig zu machen.“

Das war mein erstes Erlebnis mit einem sogenannten Koldunen.

*

Das zweite Mal war es am Ufer des pazifischen Ozeans, wo ich einem Schamanen begegnete.

Es war im Anfang meiner wissenschaftlichen Laufbahn und ich studierte im fernen Osten die Genesis der Steinkohle.

Am Flusse Tolagan im Usurowjer Lande haben wir in einem Nuß- und Eichenwalde unsere Zelte ohne jede böse Vorahnung aufgeschlagen und richteten uns für längeren Aufenthalt ein.

Da kommen unerwartet zwei Orotschonower Reiter auf unser Lager zu.

Sie teilen uns sehr bestimmt mit, daß der Platz, auf dem unsere Zelte stehen, der Friedhof von Orotschonow sei und daß wir hier keineswegs verweilen dürfen.

Als ihnen mein erstaunter Blick statt jeder Antwort begegnet, führen sie mich schweigend nach einer großen Waldwiese und zeigen nach den Baumwipfeln.

In die Kronen der Bäume schauend, sehe ich an den Zweigen überall die in Hirschleder gewickelten Leichen der Abgestorbenen hängen.

Es ist dies Brauch in Orotschonow, daß man die Leichen hoch über der Erde in die Bäume hängt.

Da ich keine Anstalten mache, mein Lager abzubrechen, wird der Schamane gerufen, der gegen Schnapsbezahlung die Erlaubnis der Abgeschiedenen für unseren Verbleib in diesem Wald erwirken will.

Der Schamane ist ein junger Bauer mit schwarzem Haar und pockennarbigem Gesicht.

Er ist in buntfarbige Fegen und Lumpen gehüllt, an denen rote und gelbe alte Lederbänder hängen.

Eine riesige Trommel hat er mit, einen langen Stab, an dem kleine Glocken sind, und eine Pfeife aus Hirschknochen.

Rasch geht er an die Arbeit, die er damit einleitet, daß er eifrig und unaufhörlich die Trommel schlägt, die Glocken läutet und die Pfeife spielt.

Dann läßt er Trommel und Glocken, bläst nur die Pfeife weiter, beginnt sich dabei zu drehen und macht tolle Sprünge mit verrenkten Beinen.

Der durchdringende Ton der Pfeife wird oft, wird nun immer öfter von seinem Geschrei in hohen Falsettönen und unheimlichem Gewimmer unterbrochen.

Immer schneller und wilder beginnt er sich zu drehen, sein Gesicht schwillt auf, die Augen sind blutunterlaufen und zwischen den fest zusammengepregten Zähnen dringt Schaum hervor.

Er fällt zu Boden, bebt und zittert wie ein Sterbender.

Seltsam hallt der Schall der Trommel, der Klang der Glocken und das Geschrille der Pfeife weiter, obgleich der Schamane wie tot reglos daliegt.

Als wir den erwachten Schamanen befragen, ob wir verbleiben können, bejaht er, wirft Salz und Fleisch, das neben ihm bereit liegt, nach allen Himmelsrichtungen, den gastfreundlichen Toten des seltsamen Friedhofes, in dem wir lagern, zur Opferung.

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