Schloß Oberbronn
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Wie lieblich ist die Einfahrt in unser Elsaß für den Reisenden, der, von Nordwesten kommend, die Linie Saargemünd-Bitsch-Hagenau benützt! Stundenlang windet sich der Zug durch enge wilde Schluchten oder zieht über unabsehbare Wälder dahin; Buchen wechseln mit Föhren, Föhren mit Buchen; wunderlich gezackte Felsen ragen aus den Bäumen hervor. Selten unterbricht eine menschliche Wohnung die Einöde. Da plötzlich, mit einem Schlag, schieben sich die Berge auseinander, öffnet sich der Horizont, und das Elsaß liegt vor uns, mit seinen Rebhügeln und wohlbebauten Feldern. Niederbronn – so heißt auf dieser Seite die erste elsässische Ortschaft – ist ein kleines Bad, an dessen schmutzig-gelber Quelle allerlei Leidende Genesung suchen. Hier verlassen wir den Zug, aber nicht, um das Städtchen zu betreten, wir schlagen vielmehr einen Pfad ein, der sich südlich von der Bahn in’s saftige Wiesenthal hinaufzieht. Bald gelangen wir nach Oberbronn, dessen alterthümliche Häuser gar malerisch auf halber Höhe des Berges, zwischen Matten und Rebgeländern gelagert sind, dessen schlanker Kirchthurm aus Kastanienbäumen heraus weit in’s Land hinein schaut. Gleich am Eingang des freundlichen Fleckens bemerken wir hinter ganz außerordentlich hohen Mauern, inmitten eines düsteren Hofes, ein massives, schmuckloses, aber stattliches Gebäude, das Schloß von Oberbronn. Jetzt dient es als Kloster, gestiftet von der berühmten „Seherin von Niederbronn“, die ihre erheuchelte göttliche Sendung damit bewies, daß sie in einem Schwindler den Sohn Ludwigs des sechzehnten erkannte. Vor zweihundert Jahren war es die Wohnung des Grafen Eberhard Ludwig von Leiningen-Westerburg, dem damaligen Besitzer dieser Gegend. Und damit hätten wir den Leser, wenn er uns nicht längst untreu geworden ist, an den Ort und in die Zeit unserer Geschichte gebracht.
An einem unfreundlichen Februartage des Jahres 1669 waren drei Personen in dem Wohngemach des Schlosses vereint. Die erste war der bereits genannte Schloßherr, ein nicht mehr junger Mann, mittlerer Größe und dunkler Gesichtsfarbe, dessen militärischer Schnurrbart seltsam von dem schwarzen faltigen Gewande abstach. Er war augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken. Hinter ihm stand seine Gemahlin und berührte zuweilen mit dem Finger seine Schulter, wohl mit der Absicht, den Gedanken ihres Herrn eine gewisse Richtung zu geben. Vor ihm endlich saß ein französischer Abbé, wie aus dem Buch geschnitten, ein Muster von Eleganz, von den silbernen Schuhschnallen bis zu dem zierlich gekräuselten Haarschmuck, bis zu der wohlgepflegten weißen Hand, die er auf dem Tisch, an dem er saß, aufgelegt hatte. Es war dies der convertirte[1] Priester Kircher, Privatsecretär und diplomatischer Agent des Marquis de Ruzé, damaligen Unterlandvogts des Elsasses. Auch er schwieg; sein Auge ruhte scharf beobachtend auf dem Grafen; zuweilen verrieth ein Zucken der Finger eine rasch bezwungene Ungeduld.
„Aber ich bin doch in meinem Recht!“ so unterbrach endlich der Schloßherr die Stille. „Mein nun in Gott [202] ruhender Vater hat mit allen gehörigen Förmlichkeiten dem Pfalzgrafen seine lothringischen Besitzungen Rixingen und Mörsberg für 120.500 Thaler verkauft. Von dieser Summe erhielt mein Vater 12.000 Thaler baar ausbezahlt. Für das übrige verpflichtete sich der Käufer, die auf den Gütern lastenden Schulden zu übernehmen. Ist’s nicht so?“
„Ganz richtig!“ antworte der französische Unterhändler, indem er sich auf die Lippen biß.
„Was thut aber der Pfalzgraf?“ fährt der andere fort. „Nachdem er für 20.000 Thaler Hypotheken abgetragen hat, hält er seine Verpflichtungen für erfüllt, zahlt seit zehn Jahren keinen Heller mehr und weiset die klagenden Schuldner an mich. Da ist die Universität Gießen, die mich unablässig um die 50.000 Thaler drängt, die sie zu gut hat; da ist mein Vetter, der Graf von Hanau-Lichtenberg, der mit einer Klage droht; Tag und Nacht werde ich verfolgt. Ich schreibe an den Pfalzgrafen einen höflichen Brief –“
„Und darauf mehrere grobe“, fiel der Abbé ein.
„Nicht nur hat derselbe für alle meine Vorstellungen taube Ohren, nein, er beschimpft mich auf’s Gröblichste, nennt mich, den Präsidenten einer hohen kaiserlichen Reichskammer, ignorantes Subjekt[2] und droht nun sogar, gegen mich Gewalt zu brauchen. Ist das nicht himmelschreiend?“
„Vollkommen einverstanden! Das Vorhaben des Pfalzgrafen ist wie sein ganzes Benehmen gegen alle göttlichen und menschlichen Rechte. Was thut aber das? Er ist nun einmal höchst erbittert über Ihre Briefe und Aussprüche und, wie ich bereits zweimal die Ehre hatte Ihnen mitzutheilen, die französische Regierung hat sichere Beweise dafür in Händen, daß er einen Schlag gegen Ihre Person und dieses Schloß im Schilde führt.“
„Das ist aber himmelschreiendes Unrecht“, brauste der Graf auf. „Anstatt seine Schulden zu bezahlen, mit Mord und Plünderung drohen! Hat man je so etwas gehört? Sind wir in einem christlichen Staate oder unter Barbaren? Herrscht das Faustrecht oder das römische Recht? Hier in meinem Schloß will mich der Pfalzgraf überfallen? 200 Ducaten hat er auf meinen Kopf gesetzt? Da muß der Kaiser einschreiten, sonst hört Alles auf!“
„Ich wiederhole Ihnen“, entgegnete der Agent, „daß Sie von Seiner kaiserlichen Majestät durchaus keine Hilfe zu erwarten haben. Der Kaiser wird sich wohl hüten, dem Pfalzgrafen, dessen Bruder König von Schweden ist, etwas in den Weg zu legen. Und wenn er auch wollte, ein Handstreich, wie der beabsichtigte, ist bald ausgeführt!“
„Ich kann’s nicht glauben, ich kann’s nicht glauben!“
„Ob Sie es glauben oder nicht, wir wissen in Hagenau auf’s Zuverlässigste, daß der Pfalzgraf mit einigen alten Bandenführern aus der Zeit des großen Kriegs Verträge abgeschlossen hat und am Rhein Truppen werben läßt. Wozu wäre ich auch sonst hierher gekommen? Glauben Sie mir, wir haben die besten Absichten gegen Sie. Ich wiederhole Ihnen ganz ergebenst das Anerbieten, das der Vertreter Frankreichs Ihnen durch meinen unwürdigen Mund machen läßt. Der Landvogt wird sogleich in dieses Schloß, sowie in das Städtchen Oberbronn so viel Truppen legen, als zu Ihrer Sicherheit nöthig sind, und zwar ohne daß daraus für Sie Kosten entstehen, und dies unter der einzigen Bedingung, daß Sie Seiner Majestät dem König von Frankreich den Huldigungseid leisten, dem sich die oberelsässische Ritterschaft zu ihrem größten Vortheile unterzogen hat!“
Wieder ward es still im Saale. Der Abgesandte wischte sich mit einem zierlichen Tuche das Gesicht, die Frau Gräfin nahm ihre Zeichensprache wieder auf und schaute ängstlich auf ihren Eheherrn, der nachdenklich und unruhig hin- und herrückte. Der Abbé hatte schon mehrmals mit bedeutsamem Räuspern die Uhr gezogen, als der Graf wieder begann:
„Ich bin der französischen Regierung für ihr Anerbieten sehr verbunden, wirklich sehr verbunden! Aber der verlangte Preis ist zu groß, ich kann – Ebba, laß das Klopfen! – ich kann mit bestem Willen mich nicht dazu entschließen! –“
„Ist es denn so etwas Erschreckliches, ein Glied der glorreichen französischen Nation, ein Unterthane Ludwigs des Großen zu werden? –“
„Alle Achtung vor Frankreich! Aber ich stehe, wie alle meine Vorfahren, in Diensten des Deutschen Reichs und will nicht der erste meines Geschlechtes sein, der seinem Eide untreu wird.“
„Der Kaiser hat aber im westfälischen Frieden seine Rechte auf Elsaß an den König abgetreten!“
„Der Kaiser, nicht jedoch das Reich! Ihr vergeßt, daß ich Reichsstand bin! Doch genug jetzt, Ihr habt meinen Bescheid vernommen, redet mir nicht ferner zu!“ Der Graf fing an, ungeduldig zu werden.
„Nur noch ein Wort,“ entgegnete der Agent. „Ich habe meinen Auftrag noch nicht ganz ausgerichtet. Mein gnädiger Herr hat in Betracht gezogen, daß Sie durch Ihren Uebertritt zu Frankreich Ihre Stellung an der Reichskammer einbüßen würden. Zur Entschädigung, und weil es um des guten Beispiels sehr erwünscht wäre, wenn Sie dem Antrag der Regierung Folge leisten wollten, ist er bereit, Ihnen eine Summe zu bezahlen, deren Höhe zu bestimmen Ihnen gänzlich überlassen bleibt.“
Der Graf erhob sich. „Das heißt, Ihr wollt mich kaufen! Ihr wollt mich bestechen! Haltet Ihr mich für Eueresgleichen? Sagt mir, wie viel man Euch bezahlt hat, um Eure Religion zu wechseln, damit ich mich darnach richten kann, Abtrünniger!“
Abbé Kircher wurde so bleich, als der Graf roth war. „Ich hätte nicht gedacht,“ sprach er, indem er sich ebenfalls erhob, „daß der Herr Graf meinen Schritt in dieser Weise beurtheilen würde. Ich fürchte, Sie werden bald Ursache haben, es zu bereuen, daß Sie [203] Frankreich’s Hand zurückgewiesen haben,“ setzte er scharf betonend hinzu.
„Das bezweifle ich,“ sagte der Graf, dem es bei dem gefaßten Entschlusse wohl wurde. „Denn sollte auch mein Widersacher den Plan haben, den Ihr ihm zuschreibt, sollte dann mir auch Hilfe vom Reich versagt werden, ich habe noch ein Mittel –“
„Und das wäre?“
„Daß ich mich und mein Schloß selber vertheidige!“
Die Gräfin hatte bekümmert diesem Verlauf des Gesprächs zugehört. Doch jetzt vernahm sie das Geräusch vieler und schwerer Schritte auf der Treppe. Balzer, der ergraute Diener des Hauses, steckte fragend den Kopf in’s Zimmer. Sie warf ihm einen strafenden Blick zu. Er that, als bemerkte er es nicht. Auf das „Wer ist da?“ des Grafen öffnete er vollends die Thüre und gab sechs Männern den Einlaß, großen kräftigen Gestalten mit schwarzem Gesichte und gewaltigen Armen, jeder mit einer Büchse auf der Schulter. Der eine war leicht als der Vater, die andern als die Söhne zu erkennen, obwohl sie weder an Größe, noch an Kraft verschieden waren. An der Thüre blieben sie stehen. Der Graf hatte sie kaum erblickt, als ein heller Strahl der Freude sein Gesicht entwölkte. [211]
„Ihr seid’s, Jäger! Was thut Ihr hier mit Euern Buben? Ihr laßt Euern Hochofen und Eure Schmiede im Stich und geht spazieren.“
Der Angeredete schlug kräftig in die ihm dargebotene Rechte.
„Allerdings haben wir unsern Ofen ausgeblasen, unsere Hämmer beiseite gelegt, aber nicht um spazieren zu gehen, sondern um unserm gnädigen Herrn unsern Beistand anzubieten!“
„Wie meint Ihr das, alter Freund?“
„He, sollte nicht wahr sein, was man unten im Thal erzählt? Mein Großer hat’s am Sonntag aus dem Wirthshaus heimgebracht, der Kleeburger habe gegen unsern gnädigen Herrn Schlimmes im Sinn. Da habe ich gesagt: Kinder, morgen lassen wir unsern Hochofen ausbrennen, er brennt ohnedem schon lang genug, stellen das Hammerwerk zu und gehen auf’s Schloß hinauf; der Herr Graf könnte uns brauchen! Und da sind wir! Wenn Euer Gnaden befehlen, so gehen wir jedoch wieder heim!“
„Der Gedanke, mit Euren Büchsen zu mir herauf zu kommen, ist so übel nicht gewesen,“ sagte wohlgemuth der Graf; „denn wenn der Herr hier mich recht berichtet hat, so können wir wirklich etwas erleben. Aber wie kamt Ihr darauf?“
„Das will ich Euer Gnaden mittheilen. Wenn so unter uns zuweilen in der Ruhestunde die Rede davon war, wie der pfälzische Graf sich weigere, unserm gnädigen Herrn die Schuld zu bezahlen, und weidlich über den (nichts für ungut!) filzigen Kerl gescholten wurde, habe ich oft gedacht: Im Grunde bist du nicht besser als der Pfalzgraf, du bist seit 30 Jahren bei deinem Herrn in Schuld und bezahlst ihn nicht!“
„Ihr bei uns in Schuld, Jäger? Mich dünkt, was mein seliger Vater Euch für die Anlage eines Eisenwerkes unten an der Zinsel vorgestreckt hat, das habt Ihr längst redlich zurückgebracht!“
„Das meine ich nicht, gnädiger Herr! Ich denke daran, wie ich als armer Reitknecht in schwedischen Diensten verwundet in einer zerfallenen Hütte drüben bei Reichshofen lag. Unser Fähnlein hatte Hochfelden geplündert. Wie wir beutebeladen die Moder hinaufziehen, machen die Kaiserlichen, die in Hagenau lagen, einen Ausfall auf uns. Ich kriege einen Säbelhieb, der mir den Arm lähmte. Doch gelang’s, uns durchzuschlagen. Nach zwei Stunden strengen Galopps konnte ich mich nicht mehr auf dem Pferde halten vor Schmerz und Blutverlust. Während die andern davonsprengten, kroch ich in den Wald und suchte Zuflucht in einem verlassenen Häuschen. Wie ich da drinnen liege, bald von der Kälte, bald vom Fieber gerüttelt, halb bewußtlos und halb verhungert, höre ich ein heiseres Bellen; ein Rudel Wölfe drängen sich durch die angelehnte Thüre und springen um mich herum. Was wollte ich mit einem Arm gegen die Unthiere machen? Ich schließe die Augen, bete ein Vaterunser und ergebe mich zu sterben. Da erschallt auf der Straße ein Hufschlag. Ich stoße einen Schrei aus; der Reiter vernimmt’s, kommt heran, vertreibt mit Lebensgefahr die hungrigen Thiere von meinem Lager, ruft Leute herbei und läßt mich auf sein Schloß tragen, wo ich genährt und gepflegt wurde, bis ich wieder meinen Arm rühren konnte. Wer der Retter war, der mir das Leben rettete, das wissen Euer Gnaden wohl, und nun wissen Sie auch, was für eine Schuld ich meine.“
Graf Ludwig trocknete eine Thräne ab, die ihm über die Wange lief. „Davon hättet Ihr schweigen sollen, alter Kamerad, und doch thut’s mir wohl, in dieser Zeit, wo Alles auseinandergeht, daß Ihr mir ein so treues Herz bewahrt. Ihr seht,“ fuhr er, zum Franzosen gewandt, fort, „daß ich noch nicht von aller Hilfe verlassen bin!“
„Ich werde meinem Herrn, dem Landvogt, die Aufnahme melden, die meinem Auftrag geworden ist,“ entgegnete dieser, sich kalt verbeugend, und nicht ohne einen höhnischen Seitenblick auf des Grafen sechs grobkörnige Bundesgenossen.
Graf Eberhard Ludwig begleitete ihn bis an die Thüre. Als die Schritte des Weggehenden verhallt waren, ging er lebhaft auf die Hammerschmiede zu, schüttelte ihnen noch einmal die Hand und rief: „Nun Gottlob, daß wir den unheimlichen, hinterlistigen Menschen los sind! Seid willkommen! Seid willkommen! Euer Anerbieten läßt sich hören. Vorderhand [212] behalte ich Euch! Und jetzt kommt mit mir hinunter, daß Ihr Eure Gewehre abstellt und Euch erfrischt. Bei einem Glas Wein wollen wir das Weitere besprechen.“
Der Graf war lange Jahre Soldat gewesen, ehe er das Schwert mit der Feder vertauschte, und hatte als Rittmeister im Birkenfeld’schen Corps manchem Gegner kurzen Prozeß gemacht, ehe er in Speyer dem Beruf oblag, Prozesse in die Länge zu ziehen. In der Gesellschaft ging ihm das Herz und der Mund auf. Er hatte so selten Gelegenheit, in der Erinnerung an seine fröhliche Jugend die durch so manche Sorgen gedrückte Gegenwart zu vergessen. So ließ er denn wohlgemuth den Becher kreisen; es wurde erzählt, gesungen und weidlich über den Pfalzgrafen gescholten. Es war schon längst Nacht geworden, als er sich wieder hinauf in sein Gemach begab. Hier fand er seine Gemahlin in Thränen gebadet.
„O, Ludwig, Ludwig! Wie könnt Ihr so handeln? Ihr habt den Franzosen erzürnt und zornig weggehen lassen –“
„Laß’ ihn zürnen, Ebba, ich brauche ihn nicht! Mir ist nicht bang!“
„Aber, wenn es wirklich so ist, wie er gesagt hat, wenn der Pfalzgraf Gewalt gegen Euch brauchen will? Ist das Euer Ernst, daß Ihr Euch selber vertheidigen wollt?“
„Sei doch ruhig, liebes Weib! Einmal glaube ich, daß mich der Franzose nur hat schrecken wollen, um mich für seine Pläne zugänglich zu machen. Sodann werde ich morgen einen Boten nach Mainz schicken, um den Churfürsten von den Gerüchten in Kenntniß zu setzen. Was daran wahr ist, kann der am besten erkunden, und er wird schon, wenn es nöthig ist, dem Pfalzgrafen das Handwerk legen. Es hat also keine Gefahr. Doch ist es kein Schade, wenn ich auf alle Fälle einige zuverlässige Leute um mich habe. Der gute alte Jäger! Es hätte ihn beleidigt, wenn ich ihn hätte fortgehen heißen!“
Am folgenden Morgen wurden früh Pferde gesattelt und gerüstet. Zuerst ritt ein bewährter Knecht als Bote nach Mainz ab. Ein anderer brachte Briefe zur Beförderung an den Kaiser nach Straßburg. Endlich wurde der Wagen angespannt, den mit schwerem Herzen und voll banger Ahnungen die Frau Gräfin bestieg, um nach dem Schloß Rauschenburg zu fahren. Ihr Herr hatte ihr diesen Ort zum Aufenthalt bestimmt; denn die Rauschenburg lag zwei Stunden oberhalb von Oberbronn, rings von Hanauischem Gebiet umschlossen, an den Thoren des festen Städtchens Ingweiler, und war also gegen einen Angriff viel geschützter. Doch war’s nicht bloß die Rücksicht auf die Sicherheit seiner Gemahlin, die den Grafen zu dieser Anordnung bewog. Gestehen wir’s offen, er fürchtete ihren Widerspruch und wollte nicht durch denselben in seinen kriegerischen Unternehmungen gestört werden. Der werthvollste Theil des Archivs[3], die Kostbarkeiten und Familienstücke wurden nach und nach ebendahin geschafft.
Und nun ging’s an die Zurüstungen zur Vertheidigung des Schlosses gegen einen etwaigen Ueberfall. Von den umliegenden Herrschaftshöfen wurden die waffenfähigen Männer herbeigerufen und im Schloß untergebracht. An Büchsen fehlte es nicht; vom Morgen bis Abend fanden auf der Wiese vor dem Ort unter der Leitung Jäger’s Schießübungen statt. Das Schloß selber war und ist heute noch, wie schon berichtet, von einer ungewöhnlich hohen Mauer umgeben. Dazu stand damals noch an der nördlichen Ecke des Hofes ein viereckiger Thurm, der letzte Rest der alten, hundert Jahre vorher abgebrannten Burg, der mit Schießlöchern und Zinnen versehen war, und von welchem aus man die Zugänge zum Schloß überschaute und beherrschte. Nur die hintere Seite war ungeschützt, aber hier waren die Fenster hoch über der Erde, und durch eiserne Läden verschlossen. Freilich war an der Mauer und am Thurm Vieles auszubessern. Alle Maurer aus der Umgegend wurden hergeholt, um die Lücken zu verschließen, den Ueberwurf zu erneuern, Anbauten abzutragen. Es war ein reges Leben im Schlosse, und wenn Abends in der unteren Halle beim Schein vom Kienholz die Leute versammelt waren, die Waffen glänzten und klirrten, der Oberbronner in Strömen floß, und oben auf dem Thurm der Wächter blies, da konnte man sich gut in die Zeit der Sickingenschen Fehden[4] zurückversetzen.
Im Städtchen nebenan ging’s nicht weniger toll zu. Auf Befehl ihres Gutsherrn mußten die Bürger ihre Waffen hervorholen und Uebungen anstellen. Der Kammerdiener Balzer hatte deren Leitung übernommen. Die Stadtmauer war noch, wie die Schweden sie gelassen hatten; an eine Wiederherstellung derselben war nicht zu denken. Man begnügte sich, die Eingänge des Orts mit Pallisaden zu verschanzen.
Nach acht Tagen kam der Bote von Mainz zurück. Der Bescheid des Churfürsten lautete kurz: „Er könne nicht glauben, daß der Herr Pfalzgraf eine solche unverantwortliche Procedur vorzunehmen gedenke!“ Dabei erzählte der Bote, er habe auf seiner Reise das ganze Haardtgebirge herab kleine Abtheilungen durch den Pfalzgrafen angeworbener Truppen gesehen, in Rott sei er sogar im Wirthshause erkannt worden und hätte schier sein Leben lassen müssen.
Nun erschrack der Graf von Leiningen doch. Er entschloß sich, so sauer es ihm fiel, aber in Erinnerung an die Mahnungen seiner Gemahlin, sich noch einmal an den Pfalzgrafen zu wenden, der sich in Minfeld aufhielt. Die Antwort war überaus höflich und beruhigend. Die Anwerbung von Truppen wurde bestimmt und mit Entrüstung in Abrede gestellt. Jedoch kam beinahe gleichzeitig die Kunde, daß im Schloß Katharinenburg sich ein Corps von 200 Mann zusammenziehe. [219]
Am 10. März trafen Briefe von Wien ein, in welchen bezweifelt wurde, daß der Pfalzgraf einen Handstreich beabsichtige, die aber zugleich die Versicherung enthielten, daß, wenn derselbe wirklich es wagen sollte, gegen den Grafen thätlich vorzugehen, der Kaiser seinen alten treuen Diener gewiß nicht im Stiche lassen werde. Der Graf sandte den Brief zur Beruhigung an seine Gattin und schickte eine neue Botschaft nach Wien, berichtete über die Rüstungen des Pfalzgrafen und bat dringender um Beistand. Die Arbeiten, um das Schloß in Stand zu setzen, einen Angriff auszuhalten, wurden emsiger betrieben.
Am 13. März kam ganz unerwartet und unveranlaßt ein überaus freundliches Schreiben des Pfalzgrafen mit sehr annehmbaren Vorschlägen zur Beilegung der widerwärtigen Zwistigkeit. Der Graf athmete auf. Um ein Haar hätte er seine Mannschaften, die denn doch seinen Keller und seinen Geldbeutel stark in Anspruch nahmen, entlassen.
Am 15. früh erließ er ein Schreiben mit Gegenvorschlägen. Es war ein schöner Frühlingstag. Der Graf stand eben vor dem Schloßthor und schaute den Uebungen seines treuen Häufleins zu. Da kommt ein Reiter in gestrecktem Galopp die Straße her. Der Graf traute kaum seinen Augen. Es war der am Morgen ausgesandte Bote.
„Der Pfalzgraf! der Pfalzgraf!“ so rief dieser schon von ferne.
Man umringt ihn; er verkündet, bei Kleeburg sei er dem Feinde in die Hände gelaufen und mit Mühe entkommen. Es seien wilde, ausgelassene Menschen. Sie ziehen in hellen Haufen am Liebfrauenberg herauf!
Das war eine Botschaft! Die Treulosigkeit seines Gegners gab dem Grafen seinen kriegerischen Muth wieder. Im Nu war das Schloß in Vertheidigungszustand gesetzt, das Thor mit Steinen und Bohlen verrammelt, Jedermann an seinem Platz. D’rin im Städtchen läutete es Sturm. Eine Stunde gespannter Erwartung verging und wieder eine Stunde. Es dämmerte, und noch war Alles still. Offenbar erwartete der Feind die Nacht. Und richtig! Als eben die Abendglocke von Reichshofen herübertönte, wurden in der Ferne ein Dutzend Reiter sichtbar. Sie ritten behutsam voran. Man ließ sie kommen.
Am Thore angelangt, stieg einer ab und versuchte zu öffnen. Als ihm vom Thurme ein festes „Wer da?“ entgegentönte, legte er die Büchse an. Aber im selben Augenblick fiel ein Schuß aus dem Schlosse. Mit einem Fluch sprang der Reiter auf sein Pferd zurück und sprengte mit seinen Kameraden, ohne Umsehen, davon.
Das war der Vortrapp. Eine Viertelstunde nachher kam die Haupttruppe zu Fuß heran. Hundert Schritte vom Schloß stellten sie sich auf und gaben eine Salve. Die im Schloß antworteten und zielten gut; fünf der Angreifer stürzten zusammen.
Jetzt langte der Nachtrapp an mit den in Niederbronn requirirten Leitern. Ungescheut drangen die Leute voran, legten die Leitern an die Mauer und erklommen sie an sechs, sieben Orten zugleich. Aber das war ein gewagtes Spiel. So wie einer oben erschien, trafen ihn die Kugeln der Belagerten; die einen fielen nach außen, die andern nach innen von der Mauer herab. Zweien gelang es in den Hof zu springen; sie wurden ohne Mühe entwaffnet und gebunden.
Auf eine solche Vertheidigung waren die Söldlinge des Pfalzgrafen nicht gefaßt. Es waren zudem meistens Leute, die in der Absicht, Beute zu machen, nicht aber ihr Leben zu lassen, ausgezogen waren. Nach einigen mißlungenen Versuchen, die Mauer zu übersteigen, suchten sie von hinten anzukommen, und als sie auch hier von Schüssen begrüßt wurden, wandten sie sich, trotz dem Zuruf der Hauptleute, dem Städtchen zu. Hier hatten sie besseren Erfolg. Die erschrockenen Bürger liefen gleich beim ersten Anprall davon; das Pfahlwerk wurde überstiegen oder niedergeworfen, und schreiend drangen die Soldaten in den Ort, um sich durch Essen und Trinken für die Fortsetzung des Kampfes zu stärken. Da sich die Männer verkrochen hatten, waren die Weiber, Kinder und Greise allein da, die rohen Gäste zu empfangen. Es gab fürchterliche Auftritte.
In der großen Stube des Gasthauses „Zur Krone“ sehen wir die Offiziere um einen Krug Wein versammelt. Unter ihnen, durch den Schnitt des Rockes, den Glanz der Waffen und die Hoheit des Blickes ausgezeichnet, der Anstifter dieses verwegenen Unternehmens, Pfalzgraf Adolf Johann von Kleeburg. „Ihr habt mir da ein unbändiges Volk zusammengebracht, Miltenberger!“ so fuhr er einen der Offiziere an. „Jetzt setzen sie sich fest und trinken, während der Leininger sich in die Faust lacht!“ –
„Die Kerle waren von dem Marsch müd und durstig,“ entgegnete dieser. „Ich habe gleich meinem gnädigen Herrn gesagt, diese Nacht sei kein Erfolg zu hoffen.“ [220]
„Und ich sage, diese Nacht muß das Schloß und der Graf noch in meine Hände kommen. Wer weiß, ob wir morgen bei Tag noch ungestört sind!“
„Freilich wär’s gut, wir kämen noch diese Nacht zum Ziel. Aber wie es angreifen? Die Mauer ist hoch und das Thor solid; die vermaledeiten Burschen im Schloß schießen unsere Leute todt und wir sehen sie nicht einmal!“
„Ob es nicht noch einen andern Eingang gibt? Ich habe als Kind oft im Schloßhof gespielt und mir ist eine kleine Hinterthüre in Erinnerung!“
„Doch haben unsere Leute nichts davon bemerkt!“
„Gleichviel! Laßt mir einmal den Amtmann herschaffen,“ befahl der Pfalzgraf.
Der Amtmann war mit Mühe, durch die Drohung, ihm das Haus über dem Kopf anzuzünden, aus seinem Versteck gebracht. Vor den Pfalzgrafen geführt, nahm er sich zusammen und verweigerte trotzig die verlangte Auskunft. Doch mit dem Feind war nicht zu scherzen. Auf ein Zeichen ihres Anführers ergriffen vier Soldaten den beleibten Herrn, legten ihn auf den Tisch und rissen ihm die Stiefel ab. Während sie ihn festhielten, nahten sich andere mit Lichtspähnen seinen nackten Sohle. Zwei Minuten hielt der unglückliche Amtmann die Tortur aus. Dann schrie er: „Laßt mich los, ich will’s Euch sagen! Ich will’s Euch sagen!“
Da, wo die Schloßmauer an das Städtchen grenzt, und zwischen ihr und den Häusern nur ein enger Durchgang ist, befand sich eine kleine Pforte, über deren ursprünglichen Zweck man im Orte allerlei munkelte. Der Graf hatte im Sinne gehabt, sie zumauern zu lassen, sich jedoch schließlich, von der Zeit gedrängt, damit begnügt, einige Fuhren Dünger davor aufthürmen zu lassen. Dahin brachte der Amtmann die ihm mitgegebenen Soldaten. Sie trugen ihn; denn er schrie bei jedem Tritt auf seine angebratenen Füße. Der Dünger wurde rasch und lautlos weggeschafft. Richtig! Es kam eine Thüre zum Vorschein, deren morsches Holzwerk auf einen Schlag zusammenbrach. –
Jetzt kehren wir in’s Schloß zurück. Die tapfern Belagerten hatten bis gegen Mitternacht einen neuen Angriff erwartet. Als es auf der Schlaguhr zwölf schlug und die Feinde keine Miene machten, ihr Trinkgelage im Städtchen abzubrechen, gab der Graf Befehl, daß die Hälfte seiner kleinen Schaar sich in’s Haus begebe, um durch einiges Essen und Schlafen die Kräfte zu erneuern. Der Kampf hatte ihm bis jetzt nur ein Opfer gekostet, das war – eine Magd, die von einer Kugel getroffen wurde, während sie, der Gefahr unbewußt, über den Hof lief. Die übrigen waren mit leichten Wunden davongekommen. [225]
Die Mahlzeit war vollendet; die Leute hatten sich zu kurzer Ruhe um das Feuer herumgelagert; der Graf schickte sich eben an, mit Jäger, der ihm nicht von der Seite wich, einen Rundgang um das Schloß zu machen, als plötzlich im Hof einige gewaltige Schläge und darauf Schüsse ertönten. Es waren die eingedrungenen feindlichen Soldaten! Der Graf und sein Begleiter hatten kaum noch Zeit, sich in’s Haus zurückzuwerfen und die Thüre zu verriegeln. Seine Dienstleute erhoben sich und sprangen an die Fenster. Indessen hatten die Gegner die Besatzung des Thurmes überrumpelt und unschädlich gemacht. Ganze Schaaren drängten sich durch das geöffnete Hofthor. Fackeln warfen ein unheimliches Licht auf die vom Wein und von Kampflust berauschte, tobende Horde. Der Graf und seine Handvoll Leute feuerten in die Menge. Aber schon wird das Schloß von verschiedenen Seiten gestürmt. Sie springen die Treppe zum obern Stockwerk hinauf und feuern wieder. Verlorene Tapferkeit! Schon sind fünf von ihnen, darunter ein Sohn Jäger’s, gefallen. Nichtsdestoweniger vertheidigen sie sich Schritt für Schritt, Zimmer für Zimmer. Endlich werden sie in ein Gemach gedrängt, dessen Fenster nach hinten in’s Freie gingen. Es gelang Jäger, die schwere eichene Thüre zuzudrücken. Während er mit starken Armen sie wider die andrängende Menge zuhielt, rief er: „Gnädiger Herr, das Spiel ist verloren! Unsere einzige Rettung ist zum Fenster hinaus! Springt in Gottes Namen! Der Boden ist weich und sumpfig!“ – Der Graf zögerte. – „Dann versucht es zuerst Ihr, Kameraden!“ Die ließen es sich nicht zweimal sagen, warfen ihre Gewehre hinab und sprangen herzhaft nach. „Jetzt an Euch, Herr Graf! Bedenkt Euch nicht; die Thüre hält keine Minute mehr! Oder wollt Ihr den Raubmördern in die Hände fallen?“ –
Der Graf erklomm die Brüstung und sprang in die Nacht hinaus. Als er die Erde berührte, fühlte er einen heftigen Schmerz. Doch lief er noch sechs, sieben Schritte voran den Berg hinauf in das Rebgelände. Hier brach er zusammen; er hatte im Springen den Fuß gebrochen! Er hört, wie nun auch Jäger den Sprung thut und an ihm vorbei dem Wald zuläuft. Er will ihm rufen, aber schon stürzen rechts und links hinter dem Schloß Feinde hervor und eilen den Flüchtlingen nach. Zum Glück liegt der Graf abseits und ist die Nacht stockdunkel. Doch laufen mehrere so nah an ihm vorbei, daß sie beinahe über ihn stolperten. Plötzlich vernimmt er Nichts mehr; der Schmerz und die Schrecklichkeit seiner Lage haben ihm das Bewußtsein geraubt.
Als er nach einer Viertelstunde wieder zu sich kam, war es still um ihn her. Nur im Schloß war wüster Lärm. Von Zeit zu Zeit sah der auf dem Boden Liegende durch die Finsterniß kleine Gruppen Feinde vom Wald herabkommen. Das Fluchen, mit dem sie am Schloß empfangen wurden, bewies, daß ihre Verfolgung fruchtlos geblieben war. Endlich hörte auch das auf. Nun sucht der Graf sich zu erheben, aber um sogleich mit einem unterdrückten Schrei zusammenzusinken. „Mein Gott! mein Gott! sollte ich keine andere Wahl haben, als mich dem Pfalzgrafen zu überliefern oder hier in der Nacht und Einsamkeit zu sterben?“ – Wieder vergeht eine Weile. Da nahen auf’s Neue [226] Tritte; langsam, behutsam, rechts und links spähend steigt eine Gestalt den Abhang herab. Der Graf hört leise seinen Namen rufen.
„Jäger! Jäger! hier bin ich!“
„Gott sei Dank, daß ich Euer Gnaden finde! Ich glaubte, Sie liefen vor mir her den Berg hinan. Als ich meinen Irrthum bemerkte, warf ich mich hinter einen Baum und ließ die Unholde an mir vorüberrennen. Sie kehrten bald wieder um, und ich schleiche ihnen nach, um nach Euer Gnaden zu suchen. Wo fehlt’s Euer Gnaden? Seid Ihr verwundet?“
„Weiß Gott! ich habe den Fuß gebrochen; mit mir ist’s aus!“
„Nur nicht verzagt, gnädiger Herr! Ich werde Sie schon fortbringen!“
Von den starken Armen des Hammerschmieds erfaßt, richtete sich der Graf mühsam auf, mit der Linken umschlang er seine Schultern, mit der Rechten stützte er sich auf einen Rebpfahl und so schleppte er sich die Anhöhe hinauf. Am Rand des Waldes versagten ihm die Kräfte. Stöhnend fiel er unter einer Tanne nieder. Jäger riß ein Stück Tuch aus seinem Kittel, tauchte es in eine Quelle, die in der Nähe rauschte, und legte es um den gebrochenen Knöchel. Derweilen ruhte das Auge des unglücklichen alten Herrn auf dem Schloß, das kaum 200 Schritte abwärts zu seinen Füßen lag. Es war taghell erleuchtet. Im Hof loderte ein gewaltiges Feuer; eingeschlagene Fässer standen umher; man sah deutlich die Banditen sich darüber beugen, um zu trinken; man hörte ihr wildes Gejohle. Im Hauptsaale brannten die Kerzen des Kronleuchters wie zu einem Fest; hier hielten die Offiziere ihr Gelage. In den Gängen drängten sich beutesuchende Soldaten, zerstörungslustiges Gesindel. Im Eckzimmer, das dem Schloßherrn als Schreibstube diente, stand einer, den derselbe erkannt hätte, und wäre die Entfernung noch viel größer gewesen. Ein Anderer stand hinter ihm und leuchtete mit einer Fackel, während der Pfalzgraf emsig in den Schriftstücken, die auf dem Schreibtisch lagen und die Ständer füllten, herumsuchte.
„Gottlob!“ murmelte der Graf, „was der sucht, haben wir in Sicherheit gebracht!“
Von der Fackel fiel ein langer brennender Faden in die aufgehäuften Papiere. Einige Aktenstücke geriethen in Brand. Sie wurden zum Fenster hinausgeworfen. Glunzende Papierstücke trug der Wind bis zum Wald hinauf.
„Die wirthschaften schön!“ brummte Jäger, noch am Boden knieend.
„Jäger, Ihr seid nicht studiert, aber das werdet Ihr mir doch beantworten können: Wenn mitten im Frieden ein Reichsstand den andern überfallen, zum Fenster hinausjagen und ausplündern darf, was ist vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation noch zu halten?"
“Ja, gnädiger Herr, lang wird’s wohl nicht mehr halten. Was ich wissen möchte, ist, wie die Pfalzgräflichen so mir nichts, dir nichts in unsern Hof hereingekommen sind. Hätten wir einen Verräther unter uns gehabt? Dann möchte ich wissen, was sie aus meinen zwei Buben machen werden, die sie im Thurm gefangen haben. Aber was sitzen wir da und fangen Grillen? Wir müssen fort, ehe es den Schurken da unten einfällt, eine neue Treibjagd auf uns zu machen!“
“Hättet Ihr Eure Büchse bei Euch, Jäger, ich würde Euch sagen: Schießt mir eine Kugel in den Kopf! Das wäre das Beste!“
„Euer Gnaden rede nicht so gottvergessen! Jetzt habe ich den Fuß verbunden; jetzt wollen Euer Gnaden sich aufrichten. So! Jetzt legt Eure Arme um meinen Hals! Und nun in Gottes Namen voran!“
Der treue Hammerschmied schwankte einen Augenblick unter der schweren Last auf dem Rücken, dann betrat er mit festem Fuß den Pfad, der am Rande des Waldes hinzog. Die Nacht war finster, doch kannte Jäger jeden Baumstumpf am Wege. Eine Weile ging’s eben fort, dann senkte sich der Weg hinunter in den Einschnitt der Zinsel. Jenseits des Baches ging der Fußweg wieder in die Höhe. In einer verlassenen Köhlerhütte ließ Jäger den Grafen auf eine Bank nieder und suchte Wasser, um die Binde am Fuß auf’s Neue zu befeuchten. In der Richtung nach Oberbronn war der Himmel roth.
„O weh! Jetzt haben sie das Schloß angezündet!“
Er irrte sich; nur ein Gartenhaus stand in Flammen. Aber das Grauen trieb sie zu neuer Eile. Beide sprachen wenig, nur einmal sagte Jäger, wie aus tiefem Nachsinnen erwachend: „Der gnädige Herr frug mich vorhin vom Deutschen Reich. Haltet mir meinen Unverstand zu gut, aber ich meine, es kommen nicht eher wieder gute Tage für das Reich, als bis sich dasselbe weniger auf die Stände, die alle nur ihre Rechte und Gerechtsame suchen, und mehr auf die starken treuen Schultern des armen Volkes stützt. Ich will damit Euer Gnaden nicht beleidigen. Euer Gnaden waren stets besser als die anderen.“
Der Graf antwortete nicht, aber seine Hand streichelte freundlich die starken treuen Schultern, die ihn trugen.
Als sie gegen Rothbach kamen, dämmerte es. Sie hatten wohl vier Stunden gebraucht für einen Weg, den man sonst in einer zurücklegen kann. Das Dorf gehörte zur Leiningischen Herrschaft. Hier hoffte Jäger Leute zu finden, die ihm helfen würden, den Grafen weiter zu tragen; denn er konnte schier nicht mehr. Er ließ seine Last auf einen Felsen nieder und schritt allein behutsam eine mit Hecken bewachsene Schlucht zum Dorfe hinab. Seine Vorsicht war begründet. Pfalzgräfliche Reiter sprengten im Dorfe auf und ab, wählend die Einwohner erschrocken und neugierig hinter den Fenstern standen. Jäger begab sich eilig zum Grafen zurück. „Wir müssen voran, Herr! sonst verstellen uns die Feinde den Weg nach Rauschenburg!“ Er nahm ihn wieder auf den Rücken und schritt voran, indem er einen weiten Umweg um’s Dorf machte. [233]
Er durchwatete die angeschwollenen Gewässer des Rothbach, und dann ging’s wieder in die Höhe, diesmal ohne Weg und Steg, zuerst durch ein Gewirr von Felsen, dann unter hohen Eichen hin. Der unebene Weg machte dem Grafen große Schmerzen. Aber auch sein Träger litt. Man spürte, daß er sich mit Gewalt zusammenhielt, um nicht niederzusinken. Seine breite Brust senkte und hob sich keuchend. Er mußte oft stehen bleiben, um wieder zu Athem zu kommen. Manchmal wankte er wie ein Trunkener. Der Graf suchte ihn zu bereden. daß er ihn im Walde lasse und voranginge, um Hilfe zu holen. Aber er wollte nicht.
„Ach, Jäger!“ sagte einmal der Graf, „wie kann ich Euch vergelten, was Ihr an mir thut?“
„Mein Herr rede nicht so,“ entgegnete er, „ich bezahle ja nur meine Schuld!“
Jetzt ging die Sonne auf und verkündete nach der düstern Nacht einen hellen Frühlingstag. Und jetzt näherten sie sich auch dem Ziel ihrer mühevollen Wanderung. Noch wenige Schritte, und die Rauschenburg lag vor ihnen mit ihren Thürmen und Erkern, so friedlich und still, als wäre Nichts vorgefallen. Sie horchten. Man hörte nur das Fluthen der Moder, die den niedern Hügel umströmt, auf dem sich die Burg erhebt. In der Ebene, Ingweiler zu, sah man Ackersleute den Pflug treiben.
„Gottlob, es ist noch Alles ruhig,“ sagte Jäger. „Wir wollen nach dem Schloß hinüberrufen; sie müssen uns gut von hier hören, und ich kann nicht mehr.“
Mit diesen Worten setzte er den Grafen ab und legte sich unweit von ihm zur Erde, krampfhaft nach Luft ringend. Der Graf hielt beide Hände an den Mund und stieß einen lauten Ruf aus, dann noch einmal, dann wieder. Endlich schien man im Schloß aufmerksam zu werden. Das Thor knarrte; Diener liefen. In diesem Augenblicke sah der Graf, wie der Alte neben ihm zusammenzuckte und mit der Hand nach der Brust fuhr.
„Nicht wahr, gnädiger Herr, ich habe meine Schuld bezahlt?“ sprach er langsam, dann mehrmals: „Ach Gott, ach Gott!“
Darüber wurde es im Wald lebendig. Die Gräfin hatte ihres Mannes Stimme erkannt und kam herbei mit Knechten und Dienern. Sie stürzten auf den Grafen zu. „Laßt mich,“ rief er, „und schaut zuerst, was der da macht!“ Man drängte sich um den treuen Alten neben ihm; seine Augen waren geschlossen, seine Finger kalt. Man legte das Ohr an seine Brust; sie war ruhig und still für immer. Ein Herzschlag hatte ihn getödtet.
Und nun können wir unsere wahrhafte Geschichte rasch zu Ende erzählen. Als der Pfalzgraf Kunde bekam, sein Gegner habe sich in die Rauschenburg gerettet, rückte er ihm mit einem Theil seiner Truppen dorthin nach. Aber er begnügte sich, einige Schüsse auf das Schloß abzufeuern, die übrigens trefflich erwidert wurden. Kam ihm das Schloß zu stark vor, oder fürchtete er, sich mit dem Grafen von Hanau-Lichtenberg zu verfeinden, oder kam ihm Kunde von der Mißbilligung, die sich gegen sein gewaltthätiges Unternehmen zu erheben begann, wir wissen es nicht, aber das ist sicher, daß er sich bereits am 17. März in der Frühe wieder davonmachte, um seine Person und die erlangte [234] Beute (darunter das Silbergeschirr des Grafen und mehrere Wagenladungen Oberbronner) auf der Katharinenburg zu bergen. Im Schlosse Oberbronn ließ er 120 Mann Besatzung zurück, die denn fortfuhren, gar übel zu hausen. Endlich nach acht Tagen ermannten sich die Unterthanen des heimgesuchten Grafen. In großen Schaaren zogen sie aus allen Dörfern vor das Schloß und blockirten dasselbe. Ein Trupp von Pfalzgräflichen, die auf Requisition in der Gegend umherschweiften, wurde sammt seiner Beute aufgefangen und in Gewahrsam gebracht; die Wasserleitung, die den Schloßbrunnen speiste, wurde aufgefunden und abgegraben. Nun, so lang der Wein im Keller reichte, waren die drinnen guter Dinge, machten sich keine Sorge und hatten ihren Spott mit den Leiningern. Als die Vorräthe aufgezehrt waren, machten sie einen Ausfall. Die Belagerer schlugen sie tapfer zurück und tödteten sechs Mann. Da ließen die Pfalzgräflichen auf dem Thurm ein weißes Fähnlein wehen und erklärten sich zu Unterhandlungen bereit. Die Bauern umstanden das Thor und glaubten gewonnenes Spiel zu haben. Wie groß war aber ihr Staunen, als plötzlich zehn abgezehrte Gestalten auf der Zinne des Thurmes sichtbar wurden, – es waren die Gefangenen, welche die Eroberer in der Nacht vom 15. gemacht hatten, und an ihrer Spitze der Amtmann, der das Schloß verrathen hatte, und der damals von den Soldaten aus kluger Vorsicht mit hinein geschleppt worden war. Diese drohten sie an den Zinnen des Thurmes vor Aller Augen aufzuknüpfen, wenn man sie nicht allsobald mit den nöthigen Lebensmitteln versorge. Die Belagerer wollten zwar nicht gleich darauf eingehen, aber der Amtmann bat so flehentlich um sein Leben und sah so jämmerlich aus mit seinem zerfetzten Rock und seinen in Lumpen gehüllten Füßen, dazu that seine Frau unten einen Fußfall um den andern, daß die Belagerer weich wurden, den Belagerten ihren Willen ließen und davon zogen. Nun ließen sich die Pfalzgräflichen noch acht Tage das Weißbrod und den Oberbronner schmecken, und als sie sich endlich entschlossen, das übel zugerichtete Schloß zu verlassen, thaten sie es nicht aus Zwang oder Furcht, sondern weil der ihnen vom Pfalzgrafen versprochene Sold ausblieb. Sie zogen auch nicht fort, ohne sich zum Andenken aus dem Städtchen mitzunehmen, was nicht niet- und nagelfest war. Sogar die Glocken auf dem Kirchthurme mußten daran glauben. Ihrerseits hinterließen sie auch ein Andenken, sie steckten nämlich Oberbronn an den vier Ecken mit Feuer an.
Brauchen wir zu sagen, daß der Graf von Leiningen, sobald er sein Leidenslager zu Rauschenburg verlassen durfte, eine ausführliche Klageschrift gegen den Pfalzgrafen aufsetzte? Allein der Pfalzgraf war nicht minder flink und ließ eine „gründliche Beantwortung“ erscheinen, in welcher er vorgab, er habe nur das Prävenire (Zuvorkommen) gespielt, und alle Schuld auf des Grafen Opiniatretät (Halsstarrigkeit) warf. Natürlich ließ ihn der Graf nicht ohne Entgegnung. Wie früher das Blut, so floß jetzt die Tinte; denn beide Gegner führten die Feder so gut als das Schwert. Der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, der 1672 losbrach und in unserm Land die Schrecken des dreißigjährigen Krieges erneuerte, machte dem Prozeß und der ganzen elsässischen Reichsherrlichkeit ein plötzliches Ende.