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Schloß Stolpen und die Gräfin von Cosel

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Schloß Stolpen und die Gräfin von Cosel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, 42, S. 635–638, 668–669
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Schloß Stolpen und die Gräfin von Cosel.

„Anno 1708, den 16. Julii,“ heißt es in Gercken’s Historie von Stolpen, „langten Ihro Königliche Majestät von Polen und Churfürstliche Durchlaucht von Sachsen, Fridericus Augustus, Vormittags nach 9 Uhr glücklich allhier an. Bald darauf folgten auch die Frau Gräfin von Cosel und einige Herren Cavalliers. Ihro Königl. Majestät nahmen die hiesigen Vestungswerke zu Pferde in Augenschein und belustigten Sich sodann, nebst der Frau Gräfin von Cosel, mit Wildpretschießen im Thiergarten. Am folgenden Morgen 8 Uhr gingen Sie wieder nach Pillnitz zurück.“

Acht Jahre später, am 25. December 1716, brachte eine verschlossene Kutsche, von vier kursächsischen Dragonern escortirt, die Gräfin Cosel von ihrem Lustschloß Pillnitz nach derselben Veste. Mit unbedecktem Haupte empfing der damalige Commandant, Obrist-Lieutenant von Wehlen, die Gefangene, die mit gleich ungebeugtem Stolze, als schritte sie noch zur Seite ihres fürstlichen Geliebten, dem alten Soldaten die Fingerspitzen ihrer linken Hand reichte, um den St. Johannisthurm zu betreten. Hier blieb sie, wenn auch nicht in enger Haft, bis zu ihrem Tode, der sie erst 1761, in ihrem einundachtzigsten Jahre erlöste.

Fräulein Anna Constantia von Brockdorff[WS 1], aus Holstein gebürtig, war Hofdame bei der Erbprinzessin von Wolfenbüttel. Der Ruf ihrer ausgezeichneten Schönheit und ihrer Talente hatte den kursächsischen Minister von Hoymb veranlaßt, sich um ihre Hand zu bewerben, die er auch erhielt, da sie ehrgeizig und ein armes Fräulein war.

Bei einem lustigen Gelage des Königs von Polen und Kurfürst von Sachsen, gewöhnlich „August der Starke“ genannt, rühmten seine Höflinge ein jeder seine Geliebte; nur der Graf Hoymb stimmte nicht in diesen Ton ein, sondern rühmte[WS 2] vielmehr die Schönheit und Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin, wodurch sie alle Andern verdunkeln würde, sobald sie am Hofe erschiene. Der König äußerte Zweifel, und der Fürst von Fürstenberg bot sogar eine Wette von 1000 Ducaten an, daß die Gräfin von Hoymb bei Hofe gar nicht bemerkt werden würde, es sei denn durch ihre linkische Haltung und ihren geschmacklosen Anzug. Der Minister Hoymb nahm die Wette an und ließ seine Gemahlin, welche er bisher sorgsam auf seinem Landgute zurückgelassen hatte, nach Dresden kommen. Mit gutem Bedacht hatte er sie nicht bei Hofe vorgestellt, jetzt ließ er sich dazu durch seine Eitelkeit und durch eine Wette verleiten, und hatte bald genug Ursache, diesen Schritt zu bereuen. Kaum erschien die Gräfin am Hofe, als nicht nur der König, sondern der Fürst von Fürstenberg selbst sich sogleich für besiegt erklärten und die Wette bezahlten. Allein damit war auf der Stelle ein neues Abenteuer begonnen; der König fühlte sich unwiderstehlich angezogen und bot Alles auf, um zu seinem Zweck zu gelangen. Niemals hat ihm ein Sieg mehr gekostet, zumal da er zuletzt doch immer der Besiegte blieb. Die Bedingungen, unter welchen die Gräfin Hoymb sich entschloß, mit dem König zu leben, waren anmaßend im höchsten Grade, allein um seine Leidenschaft zu befriedigen, war dem Könige Ehre, Krone, Freiheit und was man sonst verlangte, feil. Er mußte versprechen: 1) für immer der Fürstin von Teschen, frühern Gräfin Lubomirska, zu entsagen; 2) die Scheidung der Gräfin Hoymb von ihrem Manne zu bewirken; 3) durch einen eigenhändigen Contract die Versicherung geben, im Fall die Königin sterben sollte, sie an ihrer Stelle zur Königin zu erheben und ihre Kinder als legitime Prinzen und Prinzessinnen von Sachsen anzuerkennen. 4) auf der Stelle ihr eine jährliche Pension von 100,000 Rthlrn. anzuweisen! Alles dies gestand der König zu; die Scheidung wurde

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Gräfin Cosel in dem St. Johannisthurm des Schlosses Stolpen.

veranlaßt, Frau von Hoymb erhielt den Titel einer Gräfin von Cosel. Mit noch größerer Pracht, als früher für die Gräfin von Königsmark, wurde der Palast der Gräfin Cosel eingerichtet, welcher durch eine bedeckte Gallerie mit dem kurfürstlichen Schlosse in unmittelbarer Verbindung stand.[1] Nicht minder prächtig wurde für den Sommer ein Gartenpalais für sie eingerichtet, wo man Indien und China beisammen zu finden wähnte, so reich waren die Stoffe der Gardinen, so mannichfaltig das Porcellan, die Vasen, Teppiche und Tapeten, so geschmackvoll die Anlage des Parks.

Die Gräfin von Cosel aber begnügte sich nicht mit diesem äußeren Glanze, sie fing bald an, sich auch Einfluß in die Angelegenheiten der Regierung zu verschaffen. Vor Allem suchte sie diejenigen, welche diesen Einfluß bisher ausgeübt hatten, von der Person des Königs zu entfernen. Der Kanzler von Beichling, welcher dem Könige sehr ernstliche Vorstellungen wegen des verschwenderischen [637] Aufwandes seiner Geliebten machte, wurde auf ihre Veranlassung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zur Untersuchung gezogen, auf die Bergveste Königstein gebracht und seine Güter wurden confiscirt. Dieser entschiedene Schritt war ein Wink für die andern Umgebungen des Königs, sich der Gräfin Cosel in Allem gefällig zu erweisen, und so wagten selbst die sonst Alles vermögenden Günstlinge, der Fürst von Fürstenberg, der General Flemming und Herr von Vitzthum, es nicht, Etwas gegen sie zu unternehmen.

Während der ganze Hof sich vor ihr beugte, erlaubte sich ein lutherischer Prediger in der Kreuzkirche zu Dresden eine ziemlich deutliche Anspielung zu machen, indem er sie mit „Bathseba“ verglich. Als sie es erfuhr, verlangte sie von dem Könige Genugthuung und Bestrafung des Geistlichen; allein Friedrich August sagte ihr, daß die Prediger alle Wochen einmal eine Stunde und einen Ort frei hätten, wo sie Alles, was ihnen beliebte, sagen könnten. Sollte sich ein Prediger einmal außer der Kirche ein ungeziemendes Wort gegen sie verlauten, würde er ihn sogleich festnehmen lassen; „allein die lutherische Kanzel,“ fügte er scherzend hinzu, „ist schon zu hoch für den Papst, um wie viel mehr also für mich, der ich nur ein Weltkind bin!“

Als der schwedische Krieg den König wieder nach Polen rief, war er fest entschlossen, die Gräfin Cosel in Dresden zu lassen und allein nach Warschau zu gehen; diese aber fürchtete, die Fürstin Teschen möchte sich dort des Königs wieder bemächtigen, und eilte ihm nach. Da die Fürstin eine nahe Verwandte des Cardinal-Primas von Polen war, durfte der König sie nicht vernachlässigen. Es gelang ihm auch bald, sich wieder mit ihr zu versöhnen; allein welche Mühe sie sich auch gab, ihren Oheim günstig für den König zu stimmen, sie konnte ihn dennoch nicht zurückhalten, sich mit Carl XII. zur Entthronung August’s zu verbinden.

Mit großer Geschicklichkeit wußte der König beiden Damen die Standhaftigkeit seiner Liebe zu versichern, während er sie beide betrog und mit der Tochter eines französischen Weinhändlers, Namens Renard, in Warschau lebte, welche ihm später eine Tochter gebar, die er zur Gräfin „Orzelska“ [2] erhob. Sobald der Krieg sich der Hauptstadt näherte, fand der König es doch für gut, die Gräfin Cosel, welche ihre Niederkunft erwartete, wiederum nach Dresden zurückzuschicken. Aus seinem Königreiche verjagt, kehrte August bald nachher auf einige Zeit nach Dresden zurück; anstatt aber mit dem Degen in seiner berühmten starken Faust die Schweden zurückzuschlagen, die von Polen aus durch Schlesien nach Sachsen vorgedrungen waren, saß er gelassen an dem Wochenbette der Gräfin Cosel, die ihn mit einer Tochter beschenkt hatte.

Unsägliches Elend wurde über das ohnehin schon ruinirte Sachsen gebracht; der Friede, welchen der stolze Sieger zu Altranstädt (1706) vorschrieb, war nicht geeignet, die tief geschlagenen Wunden zu heilen. Unter solchen Umständen hielt es der leichtsinnige und entthronte König für das Beste, sich auf einige Zeit aus seinem Kurfürstenthum zu entfernen, um das Elend seiner Unterthanen nicht täglich vor Augen zu haben. Er ging nach den Niederlanden, um unter Prinz Eugen und Marlborough gegen die Franzosen zu kämpfen. Allein bald wurde ihm das Leben hinter den Schanzkörben und in den Laufgräben zu lästig, er zog es vor, nach Brüssel zu gehen und leichtern Kaufs die Herzen der Opernsängerinnen und Tänzerinnen zu erobern. Dennoch wußte die Gräfin Cosel ihre Stellung zu behaupten; sie ward von einer zweiten Tochter entbunden, und der König behandelte sie, trotz ihres leidenschaftlichen und herrischen Benehmens, immer mit gleicher Auszeichnung. „Keine andere Geliebte,“ bemerkt Pöllnitz, „wurde jemals von dem Könige so ausgezeichnet.“ Endlich aber gelang es doch den vereinten Anstrengungen der Herren v. Flemming und v. Vitzthum, die ihnen Verhaßte zu stürzen. Die Gräfin Dönhoff wurde, als würdiger Ersatz, dem König fast aufgedrungen, und die Cosel erhielt den Befehl, Dresden zu verlassen. Diesen Befehl zu vollstrecken, kostete indessen dem damit Betrauten nicht geringe Mühe, und er brachte es nicht weiter, als daß die Verabschiedete vorläufig ihr Quartier in Pillnitz nahm.

Der König versuchte es nun mit List und durch Drohungen, von der Gräfin Cosel das ihr schriftlich ertheilte Eheversprechen zurückzuerhalten; allein sie verweigerte es hartnäckig und entfloh, um einer Verhaftung zu entgehen, heimlich nach Berlin, wo man ihr jedoch sehr bald andeutete, daß sie sich nach Halle begeben möchte. Hier lebte sie sehr zurückgezogen. Herr von Loen erzählt: „Die Gräfin Cosel sah ich als Student in Halle, wo sie als eine vom Hofe verwiesene Liebhaberin des Königs sich hingeflüchtet hatte; sie hielt sich daselbst ganz verborgen in einer abgelegenen Straße bei einem Bürger unweit dem Ballhause auf. Ich ging fast täglich zu einem guten Freunde, der gleich nebenbei wohnte. Das Gerücht breitete sich aus, daß sich daselbst eine fremde Schönheit aufhalte, die ganz geheim lebte. Das Studentenvolk ist vorwitzig. Ich sah sie mehrmals mit gen Himmel aufgeschlagenen Augen in tiefen Gedanken hinter dem Fenster stehen; sobald sie aber gewahr wurde, daß man sie belauschte, trat sie erschrocken zurück. Außer den Leuten, die ihr das Essen über die Straße brachten, sah man Niemand als einen wohlgekleideten Menschen bei ihr aus. und eingehen, den man für ihren Liebhaber hielt. Man konnte keine schönere und erhabenere Bildung sehen. Der Kummer, der sie verzehrte, hatte ihr Angesicht blaß gemacht; sie gehörte unter die schmachtenden braunen Schönen, sie hatte große, schwarze, lebhafte Augen, eine weiße Haut, einen schönen Mund und eine fein gespitzte Nase. Ihre ganze Gestalt war einnehmend und zeigte etwas Großes und Erhabenes.“ Später wurde sie auch von hier wieder fortgewiesen. Ein Officier von dem Regimente Anhalt meldete sich bei ihr mit der Ordre des Königs von Preußen, sie über die sächsische Grenze zurückzubringen. Bald darauf wurde sie nach Pillnitz abgeführt und hätte hier ruhig und unangefochten leben können, wäre sie zu dem Entschlusse zu bringen gewesen, dem Könige jenes „Eheversprechen“ zurückzugeben. Sie weigerte sich aber standhaft, sie leugnete sogar, ein solches noch zu besitzen, und entschloß sich endlich, lieber das Gefängniß zu betreten, als ein Document aus den Händen zu geben, das ihren Verfolger erzittern machte und für sie als ständiges Rachewerkzeug dienen sollte. Sie bezog demnach am 25. December 1716 den St. Johannisthurm (später und bis auf heute der „Coselthurm“ genannt), den sie nach 45jähriger Gefangenschaft nur mit der letzten Wohnung, dem Grabe, vertauschte, obgleich sie der Nachfolger August’s in Freiheit setzen wollte. Noch einmal (1727) sollte sie, wenn auch nur flüchtig, ihren einstigen Geliebten sehen, als dieser Stolpen besuchte, um die Festigkeit des dortigen Basalts durch Abfeuerung einiger Kugeln aus halben Carthaunen zu probiren. Mit schmerzerstickter Stimme rief sie von ihrem Fenster einige Worte in französischer Sprache herunter – der König aber lüftete schweigend den Hut – und galoppirte vorüber.

Der St. Johannisthurm, der noch ziemlich gut erhalten, ist drei Stockwerke hoch und jedes derselben enthält nur ein Gemach mit bombenfester gewölbter Decke. Die vier engen Fenster, die nach den Himmelsgegenden gerichtet, sind tief in die Mauern eingelassen, so daß das Licht nur spärlich einfällt. Die Spitzbogen-Thüren sind so niedrig, daß man fast gebückt durchgehen muß. Der Thurm ward von Johann VI., Bischof von Meißen, erbaut und 1628 vom Kurfürst Johann Georg restaurirt. „Als aber 1742,“ fährt Gercken, ein Zeitgenosse der Gräfin Cosel, fort, „ein heftiges Gewitter die Spitze dieses hohen Thurmes anzündete und die ganze Haube abbrannte, so ist er bei erfolgter Reparatur, gleich denen übrigen Thürmen, mit Schiefer gedecket, auch ein kupferner und vergüteter Knopf aufgesetzet worden. Auch in diesem Thurme sind drei Gefängnisse, wovon das mittelste des Thurmes Namen hat. Das oberste heißet „der Richter Gehorsam“. In allen dreien wohnet voritzo Ihro Excellenz die Frau Gräfin von Cosel und hat im ersten Stockwerk ihr Wohngemach und im zweiten ihre Bibliothek.“

Trotzdem der Fluch des Volks die Gestürzte bis in das Gefängniß verfolgte, wegen ihrer unbezwinglichen Herrschsucht und namenlosen Verschwendung, erhielt sie sich noch im Unglück eine Art Nimbus, der, wenn auch nicht ihren Charakter, so doch ihre Person verklärte. „Niemand,“ sagt ein anderer Zeitgenosse, „hätte den Muth gehabt, dieser stolzen Frau mit ihrer unvergänglichen Schönheit und Anmuth, die sie bis zu ihrem spätesten Alter kaum verließen, verächtlich entgegen zu treten, zumal wenn man in Erwägung zieht, daß es für keine Schande gilt, die Maitresse eines Fürsten gewesen zu sein.“ Und in der That ereignete es sich zu Leipzig, wo der König während der Messe die Bekanntschaft eines Fräuleins von Dieskau machte, daß die Mutter derselben ein förmliches Brautfest anordnete und dem Könige ihre Tochter übergab. Sie war mit einem Myrtenkranze geschmückt, [638] und die Mutter hatte sogar die Dreistigkeit, sie im Zimmer der Königin vorzustellen! – – –

Wir erzählen dieses Factum, wie die ganze vorhergehende Geschichte, nicht, um unterhaltend oder pikant sein zu wollen – wir hielten vielmehr ein Blatt aus der Geschichte jener „galanten“ Zeit unsern Lesern vor, um ihnen zu zeigen, wie die Sitten- und Charakterlosigkeit eines einzigen Mannes, den die Vorsehung auf einen Thron berufen und ihm das Wohl und Wehe eines ganzen Volkes anvertraute, im Stande war, dieses Volk, wie ein ganzes Jahrhundert zu entwürdigen, sodaß jener Kurfürst von Baiern nicht ohne Grund der „geputzten sächsischen Männerchen“ spottete, welche er mit seinen rauhen Cuirassieren zu Paaren trieb. Ohne sich nur einer Grausamkeit bewußt zu sein, wurden Menschen [3] und Thiere zu Tode gehetzt; ohne das Ende einer solchen Wirthschaft zu bedenken, wurden oft Millionen für ein einziges Fest ausgegeben; ohne der Stimme der Vernunft und des Gewissens Gehör zu geben, griff man mit frecher Hand in die heiligsten Familienrechte oder zertrat an der Seite üppiger Weiber den letzten Funken von Sitte und Ehrgefühl.

Das war, wie Freiherr von Pöllnitz sich ausdrückt, das „galante Sachsen“, dessen traurige Spuren sich selbst bis auf den heutigen Tag nicht ganz verwischen lassen. Die redlichste Sparsamkeit der späteren Fürsten dieses Landes konnte in einem Jahrhundert nicht ersetzen, was jener Fürst in wenigen Decennien verschleuderte. Außer einem bis auf’s Aeußerste zerrütteten Lande hinterließ er ihnen nichts, als eine Anzahl Schlösser und Kunstschätze, die wie Oasen aus jener Wüstenei herüberschauten.

[668] Schloß Stolpen hat namentlich durch die gefangene Gräfin Cosel eine traurige Berühmtheit erlangt, wenn auch seine frühere Geschichte fast nur Bilder der Grausamkeit und des Vandalismus aufzuweisen hat. Denn hier, wie in jeder respectablen Veste des so gepriesenen Mittelalters, gab es eine Folterkammer und unterirdische Kerker mit schlammigem Wasser gefüllt, worein die Gefangenen vermittelst eines Klobens gelassen wurden; hier rangen tausend ohnmächtige Seufzer der Gemarterten sich an den Mauern empor, um ungehört sich in den Felsspalten zu verlieren. Hier unten büßten calvinistische Prediger ihren Glaubenseifer unter den entsetzlichsten Qualen, während oben ihre Peiniger, die frommen Bischöfe Meißens, geistliche Lieder sangen oder „kühlen Klosterwein“ schlürften.

Die Ueberreste des Schlosses Stolpen,[4] einer ehemaligen bischöflichen Residenz und zu seiner Zeit berühmten Bergfestung, gehören sicher zu den bemerkenswerthesten Denkmälern der letztvergangenen Jahrhunderte. Auf einem 1150 Pariser Fuß über der Meeresfläche erhabenen, sanft aufsteigenden Basaltberge, an dessen Abhänge das Städtchen Stolpen gelegen, ungefähr sechs Stunden von Sachsens Hauptstadt entfernt, erblicken wir dieselben, die noch jetzt, außer in beträchtlichen Ruinen, in vier Thürmen bestehen.

Die Zeit der Eroberung des Schlosses ist unbekannt; seine Gründung jedoch wird den Sorben zugeschrieben, indem man seinen Namen von dem wendischen Worte „Stolp“, auf deutsch Stufe oder Säule, ableitet. Die erste bestimmte Nachricht, welche vorhanden ist, geht dahin, daß im Jahre 1218 der Ritter von Mocco, aus einem adligen wendischen Geschlechte stammend, das Schloß und die Stadt, die übrigens bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts „Jockeym“ genannt wurde, besaß, jedoch dieselben wahrscheinlich schon in dem gedachten Jahre an den Bischof Bruno II. von Meißen für 168 Mark verkaufte. Es blieb nun das Eigenthum und die zeitweilige Residenz der fünf letzten Bischöfe von Meißen, welche daselbst einen glänzenden Hofstaat unterhielten. Die bekannte „Carlowitzer“ Fehde, die sich wegen einer Testamentsforderung seitens des Stallmeisters Hans von Carlowitz an den Bischof Johann IX. entspann, wurde jedoch die Veranlassung, daß diese Besitzung im Jahre 1559 abermals ihren Herrn wechselte, und an den damaligen sächsischen Kurfürsten August kam. Seitdem blieben Schloß und Stadt Eigenthum des sächsischen Regentenhauses.

Basalt-Bildungen an der Abendseite des Schlosses.

Zur Zeit ihrer ersten Besitzer mag die Befestigung des Schlosses Stolpen ohne große Bedeutung gewesen sein, da dieselbe nach alten Nachrichten nur aus einem Bollwerke von Holzstämmen (Gercke sagt: von „geschrotenem“ Holze) bestand, und sie ihre Verstärkung und Verschönerung erst unter der bischöflichen und kurfürstlichen Regierung erhielt. – Das Schloß bestand früher, wie sich an den Ueberresten auch theilweise noch erkennen läßt, aus drei Höfen, die durch Zugbrücken mit einander verbunden waren, in die man aber erst durch die mit starken Brustwehren, gewölbten Thoren und tiefen Gräben versehene „Klengelsburg“ gelangte, die Johann Georg II. 1675 durch den Oberlandbaumeister von Klengel anlegen ließ. Der erste Hof enthielt außer dem St. Donatsthurm (nach Donatus, Bischof von Arezzo genannt, der nächst Johann VI., Bischof von Meißen, Schutzpatron des Schlosses war), dessen Spuren gänzlich verschwunden, die Marterkammer, den Kornboden, den Marstall und eine große Cisterne. Der zweite Hof hingegen enthielt die Hauptveste, rechts einen dicken Thurm, die „alte Schösserei“ genannt, und links den „St Johannisthurm“, in welchem (wie sich der Volksmund ausdrückte) die Cosel wegen rachsüchtiger Drohungen gegen August den Starken gefangen saß. Der gleichfalls mit starken Mauern und tiefen Gräben umgebene dritte Hof enthielt die ehemaligen herrschaftlichen Gebäude, die später der Platzcommandant bewohnte. Diese Gebäude bestanden aus dem Seiger- oder Uhrthurm, der von Kurfürst August erbaut und 1714 zum letzten Male reparirt wurde; neben demselben stand das Destillirhaus, in dem die Kurfürstin Anna Aquavit abgezogen haben soll; sodann dem Siebenspitzen-Thurm, dem Brunnenhaus mit dem über 200 Ellen tiefen, in den Jahren 1608–1630 in Basalt gebrochenen Brunnen, dann dem Kunstthürmchen, genannt nach der darin befindlichen Wasserkunst, durch die aus dem Dorfe Lauterbach das Wasser in doppelten eisernen Röhren auf den Berg getrieben wurde, und endlich aus der Schloßkapelle. Diese war durch den Bischof Thimo zu Ehren der heiligen Barbara erbaut und enthielt sieben Altäre. Die Anzahl der genannten Gebäude wird im Stande sein, einen kleinen Begriff von dem Umfange der Festung zu geben.

Erst zur Zeit des Hussitenkrieges werden die Nachrichten über die Geschichte des Schlosses Stolpen zuverlässig, und vom Jahre 1429 bis zu den sechzig Friedensjahren, die dem dreißigjährigen Kriege vorausgingen, wütheten fast ununterbrochen Feuer und Schwert in seinen Räumen. Da, wo zwei Jahrhunderte früher die Hussiten gehauset, erschienen jetzt, 1632, die Kroaten unter dem Befehle des Rittmeisters Romhof, plünderten die Stadt und ermordeten Jeden, der sich ihnen widersetzte. Der Veste jedoch konnten sie [669] nicht beikommen, denn dieselbe wurde von Bürgern unter der Anführung des Predigers Sperling tapfer vertheidigt. Hierüber erzürnt, zündeten die Kroaten bei ihrem Abzuge die Stadt an, wobei auch das Schloß litt, indem der Wind die glühenden Schiefer des Kirchdachs auf den Siebenspitzenthurm trieb, welcher Feuer fing und nebst allen äußeren Gebäuden ein Raub der Flammen wurde.

Ein Theil des Innern den Schlosses mit dem Brunnen
und dem Fürstenwall.

Durch den 1635 zu Prag mit dem Kaiser geschlossenen Frieden machte sich Sachsen die Schweden und deren Verbündete zu Feinden, was abermals das arme Stolpen empfinden mußte. 1639 erschien der schwedische Feldherr Banner mit 6000 Mann und forderte die Besatzung des Schlosses (dasselbe hatte seit dem Besuche der Kroaten eine kurfürstliche Besatzung erhalten) auf, sich zu ergeben. Der Commandant der Veste leistete keine Folge, und, wie einst die Kroaten, rächten sich jetzt die Schweden, indem sie bei ihrem Abzuge die Stadt einäscherten. Als endlich der Friede in Deutschland wieder eingekehrt, wurden die abgebrannten Gebäude wieder neu aufgebaut und die Festungswerke noch vermehrt. Allein ein böses Geschick waltete über dem Orte. Was Menschenhände verschont ließen, vernichteten die Elemente. Mehrmals suchten die schwersten Gewitter Schloß und Stadt heim, und was diese übrig ließen, zerstörten während des siebenjährigen Krieges die Preußen unter Obrist Warncsi[WS 3]. Vom 3. bis 18. September 1756 verweilten die Feinde in der Veste und führten die metallenen Geschütze mit sich weg, nachdem sie die eisernen Kanonen, Gewehre und Munition in den Schloßbrunnen geworfen und die Wasserleitung vernichtet hatten.

Seit diesem Augenblicke liegt die Veste in Trümmern und wäre bald wieder ein Schauplatz des Kriegselends geworden, als Napoleon 1813 befahl, die Thore und Mauern in Vertheidigungszustand zu setzen. Er selbst hielt sich den 24. und 25. August in Stolpen auf und rühmte die Festigkeit und Stärke der Mauern, die sämmtlich aus Basaltsäulen errichtet sind. Glücklich jedoch entging diesmal der Ort der drohenden Gefahr und mahnt heute durch seine öden Ruinen nur noch an die Nichtigkeit irdischer Macht und Größe, an die Schrecken wilder Eroberungssucht und mittelalterlicher Grausamkeit. Da, wo einst wilder Kriegslärm tobte, wo der Fuß barbarischer Söldner den Boden zerstampfte, wandeln jetzt friedliche Menschen, in den zerfallenen Räumen wie in einem offenen Buche lesend – oder es weiden muntere Ziegen und suchen sich die leckersten Kräuter aus.

Bergschloß Stolpen von der Mitternachtseite.




  1. Da, wo der heutige Taschenberg.
  2. Dieselbe, die später den Kronprinzen von Preußen, nachmals Friedrich den Großen, entflammte, als er in Dresden war.
  3. Wir erinnern hierbei an die „Läufer“, welche oft Stunden lang vor dem Wagen einhertraben mußten, und von denen einige mitten im Laufen todt zusammenbrachen.
  4. Alle historischen Notizen über Stolpen, wie die Gräfin Cosel, sind entlehnt aus Gercken’s „Historie von Stolpen“, einem Schriftchen vom Premier-Lieutenant von Scharlach, „die Geschichte der Stadt und des Schlosses Stolpen“, und aus Förster’s „die Höfe und Cabinete Europa’s im 18. Jahrhundert.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Burgsdorff; vergl. Berichtigung in Heft 42.
  2. Fehlstelle ergänzt aus Google
  3. gemeint ist: Obristleutnant von Warnery