Schuld um Schuld
Schuld um Schuld.
In einem eleganten, mit allem Luxus des Reichthums und der höhern Stände verschwenderisch ausgestatteten Zimmer, ereignete sich eine Scene, welche wenig zu diesem Glanz der Umgebung paßte.
Der Hausherr, Commissionsrath von Buchau war mit seinem Sohne Ludolf, einem jungen Referendar, in heftigem Wortwechsel. Mit vor Wuth bebender Stimme und Angst zugleich rief der Vater: „Das Zuchthaus ist mir gewiß – meiner Gattin und Tochter; Deiner Mutter und Schwester Elend und Schande und Dir selbst nicht minder – Du hast es in Deiner Hand, dies Alles von uns zu wenden – aber Du willst nicht – o wehe mir, daß ich einen solchen Sohn habe!“ Die stattliche Gestalt des angehenden Sachwalters, dem man sein Alter sonst nicht ansah, erschien in diesem Augenblick zusammengesunken und in ihrer ganzen Haltung geknickt gleich der eines altersschwachen Greises.
Der Sohn lehnte an einem Pfeilertisch von glänzendem Marmor und es war, als ob die fieberheißglühenden Hände Kühlung auf dieser steinernen kalten Platte suchten. Mit dem wohltönenden Klang eines schönen Organes sagte er gedämpft: „Aber was Sie von mir verlangen, ist nicht mindere Schande! Ich soll ein Weib heirathen – weil es Geld hat – das ist freilich eine Nichtswürdigkeit, die täglich geschieht und die eben nur deshalb von der Welt nicht verdammt wird, weil man durch Gewohnheit gegen dies Vergehen so sehr abgestumpft ist, daß sogar die Klugheit es nicht nur entschuldigt, sondern sanctionirt. Aber Sie verlangen noch Schlimmeres von mir: ich soll ein Weib heirathen, das mir zuwider ist, das ich verachte – ein Weib, das der allgemeinen Verachtung anheim gefallen! Ich soll meinen ehrlichen Namen hergeben und –“
„Halt!“ unterbrach ihn der Vater mit einem unheimlichen Lächeln: „Du wirst morgen nicht mehr mit einem ehrlichen Namen prunken können, wenn Dein Vater in’s Gefängniß wandert und Dich vielleicht ein Verdacht der Mitschuld trifft!“ Er sah, wie Ludolf bei diesen Worten zusammenzuckte, und um den Eindruck derselben zu benutzen, fuhr er fort: „Fräulein Zahring [344] ist auf das Härteste beurteilt worden – aber Du weißt so gut wie ich, daß dennoch nie Jemand ihren Ruf in Bezug auf ihre weibliche Ehre angetastet – wie kannst Du da eine Heirath mit ihr für eine entehrende Zumuthung halten?“
„Ist es denn gleichgültig,“ entgegnete Ludolf, „ob ein Weib sich der schlechtesten Handlungen schuldig gemacht oder nicht, sobald es nur nicht zu den Gefallenen gehört? Nein Vater – diese Zahring ist verächtlicher als eine solche – ich kann mich nicht an sie verkaufen!“
Der Commissionsrath sah nach der Uhr. Sie zeigte auf Drei und ein Viertel. „Ich lasse Dir bis um 5 Uhr Bedenkzeit,“ sagte er mit erzwungener Fassung – „um diese Stunde erwarte ich, daß Du bei Fräulein Zahring erscheinst und mir eine Stunde nachher Deine Verlobung meldest. Die Sache wird nichts Peinliches für Dich haben. Sie weiß nicht und darf es nicht erfahren, daß Du ihr nur um diesen Preis Deine Hand bietest – es wird Alles so abgemacht, daß jede peinliche Scene, jedes Erröthen Dir und ihr erspart wird. Wähle: eine reiche Partie – das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, den guten Namen, die Ehre, das Leben Deines Vaters gerettet zu haben, die Erhaltung aller Lebensfreuden für Mutter und Schwester – meine ewige Dankbarkeit und meinen Segen, meinen Stolz, einen solchen treuen Sohn zu haben – oder den ewigen Vorwurf des Gewissens: ich konnte meinen Vater, die Meinen Alle retten und ihnen Alles – und dann erliege unter den Qualen dieses Fluches!“
Ludolf war allein. Aufgeregt ging er im Zimmer hin und her. Todtenblässe bedeckte sein Gesicht, aber sein Hirn glühte, seine Schläfe hämmerten, daß das braune lockige Haar, welches sie bedeckte, sichtbar davon aufflog. Eine furchtbare Entdeckung war ihm so eben erst gemacht und eine noch furchtbarere Wahl gelassen worden! –
Der Commissionsrath machte ein glänzendes Haus. Jedermann begegnete ihm mit Hochachtung und sprach nur Gutes von ihm. Allgemein war er als gewissenhafter Staatsdiener bekannt. Seit länger als zehn Jahren brachte es seine Stellung mit sich, daß er eine bedeutende Staatskasse unter sich und in seiner Verwahrung hatte. Ein Zufall hatte ihm jetzt verrathen, daß diese Kasse in den nächsten Tagen, wahrscheinlich am nächsten Morgen schon, revidirt werden sollte. Er wußte, daß zehntausend Thaler darin fehlten – darum versetzte ihn diese Nachricht in die äußerste Bestürzung. – Sein Gehalt hatte zu dem Luxus seines Hauses, zu dem er sich durch seine Stellung verpflichtet hielt, nicht ausgereicht. Das Vermögen, das ihm seine Gattin als Mitgift gebracht, hatte er allmälig mit zugesetzt, dieser selbst aber nie Rechenschaft davon abgelegt und sie sich ruhig daran gewöhnen lassen, daß die Lebensweise, welche sie führten, ihrem Einkommen entsprach. Wie nun jenes Kapital aufgezehrt war und mit ihm selbst auch natürlich der Zuschuß der Interessen wegfiel, wollte der Commissionsrath seiner Frau doch nicht das demüthigende Geständniß machen, daß er schlecht gewirthschaftet habe und nun einige Einschränkungen die nothwendige Folge wären. Er nahm jetzt, was ihm fehlte, aus der ihm anvertrauten Kasse. Freilich mit der gewissen Hoffnung, dies Geld nur als Darlehn zu betrachten, das er gelegentlich gewissenhaft wieder ersetze. Anfangs geschah es auch so. Endlich aber war es ihm nicht mehr möglich und die fremden Hunderte wuchsen allmälig zu Tausenden an. Die Seinen hatten keine Ahnung davon und lebten in glücklicher Sorglosigkeit. Er selbst freilich konnte dieser Sorgen sich nicht entschlagen, aber er tröstete sich mit allerhand vagen Hoffnungen. Ein Gewinnst in der Lotterie – vielleicht eine gute Partie für seine Tochter – vielleicht für seinen Sohn –
An diese letzte Spekulation hielt sich der Commissionsrath jetzt.
Die Geschichte des Fräuleins Meta von Zahring war allerdings eine etwas seltsame. Ihre Eltern hatten ihr kein sehr großes Vermögen hinterlassen und sie war als fünfzehnjähriges Mädchen verwaist zu einem Bruder ihres Vaters gekommen, der durch das Vermögen seiner Frau und eigner Erwerbsthätigkeit einer der reichsten Gutsbesitzer geworden war. Er hatte zwei Töchter, etwas älter als Meta; seine Gemahlin war todt. Obwohl Meta von ihren Cousinen auf die freundlichste Weise aufgenommen ward, fühlte sie sich doch nicht nur durch deren größern Reichthum, sondern auch durch ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit zurückgesetzt. Meta war häßlich und ein vorzugsweise hämischer und neidischer Charakter machte sie noch häßlicher und raubte ihr auch jene Anmuth von Herz und Geist, welche auch eine unschöne Hülle anziehend zu machen vermag. Mit ihrem Neid wuchs ihre Falschheit. Sie war immer voll Dienstfertigkeit gegen ihre Cousinen und hatte zärtliche Worte für sie, aber im Stillen suchte sie dieselben bei ihrem Vater zu verkleinern oder doch selbst gegen diesen noch zärtlicher und gehorsamer zu erscheinen als jene. Er schenkte ihr auch sein ganzes Vertrauen, obwohl er es darum seinen Töchtern nicht entzog. So waren Jahre vergangen. Da verlobte sich die älteste von ihnen und zwar mit einem Lieutenant, für den Meta selbst eine leidenschaftliche, aber unerwiederte und unbemerkte Neigung empfand. Etwa einen Monat vor dem zur Hochzeit festgesetzten Tage erkrankte die Braut und war nach ein paar Wochen todt. Allgemeine Trauer herrschte in der Familie. Ein Jahr nachher bekam auch die zweite Schwester ein bösartiges Fieber – und starb. – Meta erschien untröstlich – aber nun war sie die einzige Erbin, da der unglückliche Vater seinen einzigen Ersatz in ihr fand, seiner treuen Pflegerin. Er selbst blieb ahnungslos darüber, welche Gerüchte unter der Dienerschaft zuerst und dann in größern Kreisen umgingen. Man sprach von Gift und hielt Meta für fähig, es den beiden Mädchen gereicht zu haben. Aber es blieb nur bei dem Verdacht, bei dem Gemurmel des Publikums. Kein Kläger trat auf, kein genügender Verdacht zu einer Untersuchung lag vor. Die Schwestern hatten verschiedene Aerzte gehabt und keiner von ihnen hatte Auffälliges gefunden oder ausgesprochen. Es blieb also immer nur bei dem Gerücht, aber es war mächtig genug, um Meta zu einer Person zu machen, die man fürchtete, der man mit einer gewissen Scheu [345] auswich. Welche glänzende Stellung sie nun auch in der Welt hatte und welche Hoffnung auf ein reiches Erbe – und wie oft sie es diesem oder jenem Mann merken ließ, daß sie seine Hand nicht ausschlagen würde – es wollte sich kein Freier für sie finden. Sie gewöhnte sich daran, von vielen Partien zu sprechen, die sie ausgeschlagen, aber man wußte recht gut, daß diese Anträge nur in ihrer Phantasie existirten.
Der Oheim starb, da sie bald dreißig Jahre alt war und setzte sie, geringe Legate abgerechnet, zu seiner Universalerbin ein. Die frühern Gerüchte tauchten bei diesem Todesfall zwar nicht wieder auf, da der Erblasser allmälig dem Grabe zugewankt war, allein jetzt machte sich Meta durch Härte und Geiz gegen seine andern armen Verwandten, gegen seine Diener und Alle, die von ihm Unterstützung empfingen, verhaßt. Einige Jahre waren seitdem vergangen, Meta hatte die Grille vieler Frauen: sie hielt es für ein schreckliches Loos, unvermählt zu bleiben, nicht weil sie so einen schönen Beruf und die Uebung der süßesten Pflichten entbehrte – sondern weil die verheirathete Frau eine angesehenere Stellung in der Welt einnimmt, wie ein alleinstehendes Mädchen, trotz alles Reichthums. Und sie stand sehr allein – sie wußte, daß sie von Niemand geliebt und nur von Denen gesucht ward, welche einst von ihr zu erben hofften – denn sonst hatte Niemand viel Vortheil von ihrem Reichthum. Sie war geizig und kannte das Glück des Wohlthuns nicht.
Meta lebte unter der haute volée der Stadt, welcher auch der Commissionsrath angehörte, und Ludolf’s einnehmende Persönlichkeit hatte in ihr eine Leidenschaft erweckt, die sie kaum zu verbergen wußte. Dem Commissionsrath hatte sie dieselbe absichtlich verrathen, weil sie hoffte, er werde vielleicht auf seinen Sohn zu wirken suchen und die Vortheile einer reichen Partie ihm auseinandersetzen.
Als der Commissionsrath die bevorstehende Kassenrevision erfuhr, brachte ihn die Verzweiflung zu einem Schritt, den er sonst im Leben nicht gethan haben würde. Er ging zu Fräulein von Zahring als Brautwerber seines Sohnes. Und da er keine abschlägliche Antwort erhielt, sondern nur die lächelnde: der Sohn möge es immerhin wagen, selbst zu kommen – wagte er seine Bitte um ein Darlehn von zehntausend Thalern – an den künftigen Schwiegervater. Natürlich daß er sich nicht ganz entdeckte – daß er eine andere Schuld vorschob, einen Wechsel, der heute noch ablaufe – daß er die Bürgschaft für einen Freund übernommen, der ihn nun im Stiche lasse – das Geld heut’ Abend noch haben müsse. Meta ahnte, aber sprach es nicht aus, daß Ludolf nur unter dieser Bedingung von seinem Vater zu einem Schritt überredet worden, den er sonst nimmer thun würde – sie schwankte – und Beide führten diese Unterredung wie eine diplomatische Unterhandlung weiter. Die blinde Leidenschaft und die Aussicht, Frau und die Frau eines jungen beliebten Mannes zu werden, trugen den Sieg über den letzten Rest weiblichen Zartgefühls und Stolzes in ihr davon. Der Sohn sollte heute noch kommen – mit ihm sollte von dieser schmählichen Uebereinkunft nie die Rede sein – und der Vater dann noch vor Nacht die nöthigen 10,000 Thaler von der Braut seines Sohnes erhalten.
Und jetzt war Ludolf allein und kämpfte mit Pflicht, Gewissen und Ehre – Liebe kam kaum mit in den Kampf – aber doch schwebte unaufhörlich ein holdes Mädchenbild vor ihm wie ein winkender Schutzgeist.
Fünf Uhr war vorüber und der Commissionsrath traf seinen Sohn Ludolf nicht mehr in seiner Wohnung. Der Vater athmete beruhigt auf – er hoffte, der Sohn habe den schweren Schritt zu seiner Rettung gethan.
Es war sechs Uhr, als Ludolf zurückkam, bleich mit wankenden Schritten und niedergeschlagenen Augen, einen furchtbaren Entschluß auf seinem verstörten Antlitz.
Der Vater streckte ihm die Hand entgegen: „Laß Dich umarmen!“ rief er mit zitternder Stimme und Thränen in den Augen: „Du kommst von Fräulein Zahring? –“
Ludolf wehrte der Umarmung und antwortete tonlos: „Nein – ich kann nicht!“
Der Alte bebte zurück und sank entsetzt in das Sopha, mit seinen Händen sein Antlitz verhüllend – „Verlaß mich, Vatermörder!“ schrie er nach einer Pause, ohne aufzusehen.
„Ich bin bereit, mich für Dich zu opfern,“ sagte Ludolf mit schwer erkämpfter Ruhe, „aber anders als Du willst. Noch heute gehe ich zum Minister – ich gestehe ihm, daß ich die Kasse best-“ er wollte bestehlen sagen, brachte das Wort aber nicht heraus, da er es ja von der That seines Vaters gebrauchen mußte und corrigirte sich: „die Kasse angegriffen – daß er mit mir verfahren mag wie recht ist – ich habe mir bereits eine Geschichte ausgedacht, die ich erzählen werde, wie ich mich in Besitz der Schlüssel und des Geldes gesetzt, ohne daß Du eine Ahnung davon haben konntest – man glaubt den Geständnissen des Verbrechers, wenn sie ihn so graviren wie ich die meinigen ablegen werde. Man wird keine Beweise meiner Unschuld finden – oder Deiner Schuld. Diese That von Dir wird Jedermann unglaublich erscheinen – ich bin ein junger Mann, der noch kein langes Leben hinter sich hat, das ihm Achtung und Vertrauen allgemein erworben – man hält die Jugend von heute für schlecht und der Verführung zugänglich – man wird mir glauben, vielleicht sagen die Meisten: sie hätten das von mir vorausgesehen – ich habe den Sonderling gespielt – sei ein überspannter Charakter – man sehe was dabei herauskomme –“
Der Vater zog die Hand von seinem Antlitz weg und ließ seine Augen prüfend auf dem Sohne weilen, als wolle er bis in die Tiefen seines Herzens lesen. Dann sagte er bitter: „Und Du denkst, der Minister werde mit Dir eine Großmuthsscene spielen, gerührt von Deiner freiwilligen Beichte Dich ungestraft entwischen lassen und die ganze Geschichte vertuschen, weil er mir immer wohl gewollt? Der Staat hat jetzt nicht so leicht zehntausend Thaler zu verlieren – und zu einer einmal angeordneten Kassenrevision kann der Minister [346] selbst keinen Gegenbefehl mehr geben, ohne daß diese außerordentliche Maßregel auffiele. Die Revision wird also stattfinden und der Defect entdeckt werden.“
„Dies ist natürlich,“ sagte Ludolf; „ich bin auf das Zuchthaus vorbereitet und ziehe es einer Heirath mit einer – Giftmischerin vor; ich ziehe die Schande, für einen Dieb zu gelten, der Verspottung vor, mich an ein verächtliches Weib zu verkaufen – ich nehme in’s Zuchthaus ein reines Gewissen mit, während mich an den Traualtar ein beflecktes begleiten würde.“
In kaltem Tone antwortete der Vater: „das heißt, Du wählst statt eines erfolgreichen, aber gewöhnlichen Rettungsmittels eine ungewöhnliche Handlung, die nur ein unnützes Opfer ist. Die Verantwortung für die Kasse habe ich – ich muß dafür haften – selbst wenn keine Spur einer Mitschuld mich träfe, muß ich doch für ihren Inhalt stehen. Und ob der Vater oder der Sohn die That gethan, das ist auch gleich – die Schande bleibt auf der Familie.“
„Es ist doch ein Unterschied. Du behältst Deine Stellung und die allgemein Achtung – der ungerathene Sohn wird ein Weilchen besprochen und dann vergessen,“ entgegnete Ludolf; „ich hoffe aber, daß wenn ich noch vor der Entdeckung bei dem Minister mein Geständniß mache – wenn ich mich noch heute verhaften lasse, nicht die ganze Wahrheit ins Publikum dringen wird, daß er vielleicht aus Rücksicht für Dich mir ein anderes, vielleicht ein politisches Verbrechen unterschiebt für die Oeffentlichkeit, – daß er die Kassenrevision natürlich stattfinden läßt, aber die Revisoren bereits vorher von dem Geschehenen unterrichtet, und daß sie dem Vater nicht die Schuld des Sohnes entgelten lassen.“
Der Vater versank in Nachdenken. Noch einmal versuchte er den Sohn zu der projektirten Heirath zu bewegen – es war vergeblich. Er nannte das von dem Sohn angebotene Opfer ein solches, das er nicht annehmen könne. Aber Ludolf fuhr fort, dafür zu sprechen. Er sagte, daß ein Leben mit Meta jedenfalls eine tägliche Hölle für’s Leben sei, daß er einige Jahre Zuchthaus leichter überstehe, dann könne er nach Amerika gehen und dort ein neues Leben beginnen, noch glücklich werden. Der Vater war überwunden, aber er bestimmte den Sohn, erst morgen früh zwischen sieben und acht Uhr zum Minister zu gehen, der ohnehin diesen Abend nicht zu sprechen sein würde. Er sagte auch: er wolle keine übereilte That von dem Sohne annehmen, sondern nur ein wohlüberlegtes, freiwilliges Opfer. Er umarmte ihn mit Thränen der Rührung und Scham und wollte ihn erst am nächsten Morgen wiedersehen.
Der Commissionsrath war entschlossen, das Opfer seines Sohnes anzunehmen, da er von ihm schied. Aber in der stillen Nacht ward sein Gewissen rege – er konnte keine Ruhe finden, und als der Morgen graute, kleidete er sich an und verließ das Haus. Niemand bemerkte es, nur die Tochter, deren Schlafzimmer der Vorhausthür am nächsten lag, hörte dieselbe leise auf- und zuschließen und Männertritte hinausgehen. Sie glaubte, es sei ihr Bruder, der einen Morgenspaziergang vorhabe, und wunderte sich darüber, aber ohne sich zu beunruhigen.
Gegen sieben Uhr erschien Ludolf im Zimmer seines Vaters, er fand ihn nicht darin, weder in seinem Schlaf- noch im Familienzimmer. Die Tochter sagte nun, was sie vorhin gehört – in furchtbarer Angst eilte Ludolf noch einmal in des Vaters Zimmer und warf einen Blick auf seinen Schreibtisch. Ein Brief lag darauf mit der Aufschrift: „An Ludolf.“ Er riß das Siegel auf – nur wenig Zeilen standen darin: „Geh’ nicht zum Minister – ich kann Dein Opfer nicht annehmen, bleibe eine Stütze für Mutter und Schwester. – Versucht mir nicht zu folgen, sucht mich nicht, besser, Ihr hört jetzt Nichts von mir.“
Ludolf stand vernichtet da. Was sollte er thun? Die Ausführung des Entschlusses, mit dem er jetzt vor den Vater hatte treten wollen, wäre Wahnsinn gewesen, hätte Nichts genützt. Den Vater suchen und suchen lassen – wo? – wollte er sich das Leben nehmen, war es gewiß zu spät, und wollte er fliehen, war es besser, man vermied jede Frage nach ihm – und wie konnte man ihn suchen, ohne hier und da eine solche zu thun und vielleicht die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Vermißten zu lenken? Ludolf beschloß zu bleiben und das Kommende zu erwarten, ein Beistand für die Frauen – aber wie sollte er die Ahnungslosen vorbereiten? Da sie ihre Verwunderung aussprachen über des Vaters Ausgang, sagte er, daß er ihm gestern erzählt, es fände vielleicht Kassenrevision statt, und daß er dabei sehr sorgenvoll ausgesehen. Erst verstanden sie diese Andeutung nicht und da Ludolf noch eine Vermuthung hinzufügte, erbleichte die Mutter und die Schwester wieß mit sittlicher Entrüstung einen solchen Zweifel an ihrem Vater als frevelhaft zurück.
Die Ungewißheit währte nicht lange. Die Revisionscommission erschien – der Commissionsrath war abwesend – verreist, sagte Ludolf, er wisse nicht wohin. Die Herren machten bedenkliche Gesichter und versiegelten die Kasse. Als er am andern Tage noch nicht zurück war, da sie wiederkamen, ward dieselbe erbrochen – der Defect war erwiesen.
In wenig Stunden war es das Tagesgespräch: daß der Commissionsrath von Buchau die Kasse angegriffen habe und spurlos verschwunden sei.
[355]
Vier Wochen später knieete Ludolf am Grabe seines Vaters. Auf einem einfachen idyllischen Dorfkirchhofe war ein einsames Grab an der Mauer, das die Reste eines unbekannten Mannes umschloß, der vor ein paar Wochen im verwesten Zustand aus dem vorüberfließenden Fluß gezogen worden, wo die Leiche wahrscheinlich lange unbemerkt im dichten Weidig hängen geblieben war, bis vorüberfahrende Schiffer sie zufällig fanden und an’s Land warfen. Die gerichtsärztliche Obduction konnte nur angeben, daß der Mann ertrunken sei und etwa drei Wochen könne im Wasser gelegen haben. An dem kleinen Finger steckte noch der Trauring – an ihm erkannte man später, daß die Leiche die des Commissionsraths von Buchau sei. Wie die Seinen sich erinnerten, war der Ring ihm festgewachsen, und so hatte er ihn auch an jenem verhängnißvollen Morgen nicht abgebracht. Der Fluß floß an der Stadt vorbei, die er bewohnte – auf dem Gerichtsweg erwies sich das Uebrige. In dem Dorfe, wo der Körper angeschwommen, hatte man ihn so schnell als möglich begraben. Als Ludolf erfahren, wo das Grab seines Vaters sei, eilte er dahin, einmal um den Todtengräber zu veranlassen, ihm ein freundliches Ansehen zu geben und dann, um dort vielleicht die Ruhe zu finden, die ihn bisher geflohen – er wußte, daß er nicht anders hatte handeln können und dürfen, als er gethan, aber zuweilen klagte er sich doch an, Schuld zu sein an diesem Ende seines Vaters, dem Unglück seiner Familie. –
Er war gegen Abend in das Dorf gekommen, und um sich in seinem Schmerz nicht stören zu lassen von den neugierigen Dorfbewohnern, war er erst in der Dämmerung zu der Stelle gegangen, die er hier aufsuchen wollte. Er hatte stundenlang auf dem frischen Hügel gesessen und mit seinen Empfindungen gerungen. Die Nacht blieb er in der Schenke, da das Dorf ziemlich weit von seinem Wohnort entfernt lag, und wollte am andern Morgen wieder zurückgehen. Als er da noch einmal zu dem Grabe kam, sah er eine schlanke Mädchengestalt daran beschäftigt, es mit Blumen zu [356] schmücken – er blickte schärfer hin – diese reizenden Formen und anmuthigen Bewegungen, diese blonden Locken hatte er schon einmal gesehen – jetzt hob sie das liebliche Antlitz auf – er erkannte sie wieder und stürzte auf sie zu – es war das Mädchenbild, das wie ein Schutzgeist ihm vorgeschwebt! –
Sie erschrak über sein unerwartetes Kommen – er hatte sie hier nicht mehr treffen sollen, aber die Stille war zu heilig zu einer schüchternen Flucht oder einem conventionellen Gruß; sie neigte sich grüßend vor ihm und sagte: „Sie werden nicht oft das theure Grab besuchen können und der Todtengräber ist nachlässig; ich werde es mit unter meine Hut nehmen.“ Er reichte ihr die Hand über das Grab hinüber in einer halbknieenden Stellung, und es war ihm in diesem Augenblick, als habe ihm sein Vater vergeben – als sei jetzt jede Schuld gesühnt durch diese lichte Erscheinung an seinem Grabe. Mit Blick und Händedruck sagte er ihr beredteren Dank, als es mit Worten möglich gewesen wäre. Endlich fragte er:
„Aber daß ich Sie hier wiedersehe. Fräulein Agnes?“
„Mein Vater ist hier Pfarrer,“ entgegnete sie einfach.
„Ehe ich dies Dorf wieder verlasse,“ antwortete er, „wollte ich noch den Herrn Pfarrer besuchen, um ihm zu danken, daß – –“ er konnte im Augenblick keine Worte finden und Agnes errieth, daß er vergeblich die passenden suchen werde, um dafür zu danken, daß sein Vater, allerdings nur durch die milden Gesinnungen des ihrigen, ein ehrliches Begräbniß erhalten. Sie lud ihn ein, sie in das Pfarrhaus zu begleiten, wo ihr Vater im Garten eben frühstücke. –
Im vorigen Sommer war Agnes in Ludolf’s Wohnort einige Tage bei einer verwandten Familie zu Besuch gewesen, die bald darauf diese Stadt verlassen hatte. Ludolf hatte sie bei einer Landpartie kennen lernen, die von einer heitern Gesellschaft für den ganzen Tag angeordnet war. Er hatte nichts von ihr erfahren, als ihren Namen Agnes Meinau und daß sie die Tochter eines Pfarrers sei. Später fehlte die Gelegenheit sie wiederzusehen oder auch nur nähere Erkundigungen über sie einzuziehen. Aber an jenem einen Tag war er fast nicht von ihrer Seite gekommen und hatte tief in ihrer Seele gelesen. Sie war ihm als das verkörperte Ideal des Ewig-Weiblichen erschienen, von dem er bisher nur geträumt. Alle andern Mädchen waren ihm von da an gleichgültig – aber allmälig verlor sich die erste stürmischere Wallung und er gewöhnte sich daran, Agnes wie eine liebliche Erscheinung zu betrachten, die ihm einmal geworden und dann für immer entrückt sei. Nun ward sie ihm plötzlich an diesem Grabe.
Agnes hatte oft mit dem gleichem Entzücken wie er an jenen schönen Tag an seiner Seite gedacht – aber auch sie sah darin nichts als die süßeste Erinnerung ihres Lebens. Da nannte man plötzlich nach einem Jahre seinen Namen als den Sohn des unglücklichen Selbstmörders, den man hier begraben hatte. Sie empfand die lebhafteste Theilnahme für dieses Familienunglück, und da sie eines Abends von ihrem Fenster aus eine schlanke Männergestalt an dem Grabe knieen sah, erkannte sie Ludolf, und eilte am folgenden Morgen, ihm eine schmerzliche Freude zu machen durch ihre Schmückung des väterlichen Grabes.
Ludolf war von dem Pfarrer mit Theilnahme und Herzlichkeit begrüßt worden und zu längerem Verweilen gastfrei eingeladen. Er vermochte auch nicht, sich von dem wiedergefundenen Mädchenbild, das ihm indeß nur immer in der Phantasie vorgeschwebt hatte, schnell wieder loszureißen und blieb bis zum Nachmittag. Da er Abschied nahm, versprach ihm Agnes noch einmal, getreue Pflegerin des Grabes zu sein und der Pfarrer lud ihn ein, so oft es ihn zu dieser Stätte ziehe, das Pfarrhaus als seine Wohnung zu betrachten. –
Ludolf legte den Rückweg erst einige Stunden zu Fuß zurück und dann bediente er sich der Eisenbahn. Noch nie war ihm in diesen vier Wochen so leicht um’s Herz gewesen wie jetzt! Ihm war, als müsse der Vater, der mit dem doppelten Verbrechen des Betrugs und des Selbstmordes aus der Welt gegangen, nun die Vergebung der ewigen Liebe empfangen haben, seit an seinem Grabe ein Engel in holder Weibesgestalt Wache gehalten – und ihm war, als dürfe er selbst sein Auge in liebender Anbetung zu dem Engel erheben, der dem Vater die Missethat vergab und an seinem Grabe dem Sohne mit tröstendem Mitgefühl erschien. Neben diese stille Hoheit einer makellosen Jungfrau stellte er das abschreckende Bild einer Meta von Zahring, die in und an sich selbst jede Spur des Ewig-Weiblichen vernichtet hatte, und er wußte, wenn es seinem Vater vergönnt war, aus den himmlischen Höhen in dem Augenblicke herunterzuschauen, wo an seinem Grabe Agnes und Ludolf sich begegneten –: so segnete er jetzt den Sohn und vergab ihm, daß er das frevelhafte Opfer, was er gefordert, ihm versagt hatte.
Aus dieser höhern Stimmung ward Ludolf unangenehm durch einen Brief gestört, den er bei seiner Nachhausekunft vorfand. Er war von der Stadtpost gekommen, von fremder Hand und ohne Unterschrift. Er enthielt nur die Worte:
„Hören Sie den Rath eines Freundes, der sich nicht nennen und Ihnen nicht mehr sagen darf: Wenn Ihnen Ihre Ehre und Freiheit lieb ist, so eilen Sie, sich mit Fräulein von Zahring zu versöhnen. Machen Sie Ihr Unrecht an ihr wieder gut und ihr mildes Herz wird Ihnen vergeben; außerdem wird ihre Ehre sie zwingen, die Mittel zu benutzen, welche ihr zu Gebote stehen, sich vor der Welt zu rechtfertigen und an Ihnen zu rächen.“
Ludolf begriff nicht, von wem diese Warnung kam. Er verstand die Worte nicht ganz, aber er hatte schon zuweilen daran gedacht, daß Meta ihn tödtlich hassen werde, da er sie verschmäht, und eine Gelegenheit suchen, sich dafür an ihn zu rächen. Aber er war zu stolz, sich vor einem Weibe zu fürchten, und wie tief er vor einer edeln unentweihten Weiblichkeit sich auch neigen konnte – der entarteten vermochte er nicht anders als mit dem Stolz männlichen Selbstgefühls zu begegnen. Er ließ den anonymen Brief unbeachtet.
Es waren wieder einige Wochen vergangen. Ludolf [357] hatte noch zwei solche ähnlich lautende anonyme Drohbriefe erhalten und wußte doch in seinem Thun Nichts zu ändern. Er war sich keiner Schuld bewußt und kam endlich auf den Gedanken, daß vielleicht Meta selbst diese Briefe geschrieben, nur um sich durch solche Drohungen zu rächen – an ihre Macht ihn glauben zu lassen. Er konnte doch nicht zu ihr gehen und sie um Verzeihung bitten, daß er der Werbung seines Vaters nicht seine eigne habe folgen lassen!
Indessen war er mehrmals in dem stillen Pfarrhaus gewesen, in dem jetzt immer seine Gedanken weilten und ein süßes Verständniß der Herzen schlang zarte Rosenbande um ihn und Agnes.
Eines Tages, da Agnes wieder mit zärtlicher Sehnsucht den Geliebten erwartete, brachte der Postbote neue Zeitungen, die sie zerstreut durchblätterte. Da fielen ihre Augen auf die Notiz:
„Diesen Morgen ward der Referendar Ludolf von Buchau verhaftet. Bekanntlich verschwand sein Vater, der Commissionsrath von Buchau vor einigen Monaten mit Hinterlassung eines Kassendefectes. Damals hielt Jedermann den Sohn für unschuldig und frei von jeder Mitwissenschaft. Wie es scheint, sind aber jetzt die Behörden zu einer andern Ansicht gekommen.“
Agnes traute ihren Augen nicht und las die Stelle wieder und wieder. Kein Zweifel an Ludolf kam in ihre Seele. „Er ist unschuldig – nur ein Mißverständniß oder eine mächtige Feindschaft hat diese Verhaftung veranlaßt,“ sagte sie sich; „aber ich muß hin zu ihm, um Alles zu erfahren und um ihm zu sagen, daß ich an ihn glaube.“
Sie theilte dem Vater dies Alles und ihren Entschluß mit. Anfangs bestritt er denselben, obwohl es ihm auch schwer fiel, an Ludolf’s Schuld zu glauben. Aber Agnes blieb so fest und bat so lange, daß er endlich in ihren Entschluß willigte.
Am folgenden Abend war sie am Ziel ihrer Reise. Den Morgen darauf ging sie zuerst zu Ludolf’s Mutter und Schwester. Der Sohn hatte ihnen von ihr erzählt, sie fühlten sich ihr zu Dank verpflichtet und hätten sie zu jeder andern Zeit mit offnen Armen empfangen. Heute war ihr Empfang verlegen und förmlich. Agnes wollte diesen Ton durch die freimüthige Erklärung ändern, daß sie Alles wisse und nur gekommen sei, um ihnen und Ludolf die Versicherung zu bringen, daß sie hier an Nichts glaube – als an ein Mißverständniß.
Die Commissionsräthin umarmte sie gerührt und sagte mit Thränen in den Augen: „Armes Kind – ich glaube es auch nicht von meinem Mann!“
Das war den Fluch der Erfahrung, des getäuschten Vertrauens, daß die Mutter jetzt auch am Sohne zweifelte.
Aber Agnes zweifelte dennoch nicht an dem Geliebten. Sie fragte, wo sie die Erlaubniß erhalten könne, ihn zu sprechen und ging dahin. Dem fremden Mädchen wollte man anfangs sein Gesuch abschlagen – da nannte sie sich seine Braut und erhielt eine Karte, die ihr die Thür seines Gefängnisses öffnete. Ein Aufseher begleitete sie mit hinein.
Ludolf starrte sie an, als blende ihn eine himmlische Erscheinung – er konnte nicht glauben, daß sie es sei, und sie war es doch! Er hatte nicht gewagt, ihr zu schreiben, von seinem Loos ihr Kunde zu geben – aus Rücksichten für sie – der mit entehrendem Verdacht Behaftete wollte nicht mehr wagen ihr zu nahen – und nun kam sie selbst!
Welche Feder soll diese Scene beschreiben? – Sie vergaßen Beide Alles um sich her, denn sie wußten nun, daß nur sie einander Alles waren. Er brauchte ihr seine Unschuld nicht zu betheuern, denn sie hatte ihn ja nie für schuldig gehalten. Er sagte ihr, daß er Fräulein von Zahring für seine falsche Denunziantin halte.
„Meta von Zahring?“ rief Agnes, „dann bist Du gerettet! Mein Vater hat mit ihr Geduld genug gehabt, bis sie wieder eine neue Schandthat begehe – er wollte die Sache dem höchsten Richter anheimstellen, wo auf Erden nichts mehr zu sühnen war, aber nun wäre Schweigen ein Verbrechen.“ Sie wagte nicht mehr zu sagen und hatte auch nur diese Worte leise geflüstert. „In wenig Tagen bist Du frei, denn auf ihr Zeugniß hin wird man Dich nicht mehr für schuldig halten.“
Agnes reiste noch am selbigen Tage ab. Am zweiten Tage nachher erschien der Pfarrer Meinau vor der Justizbehörde und zeigte an, daß eine vor einigen Tagen in seiner Parochie verstorbene Frau nun auf ihrem Todbett gestanden, daß sie Mitwisserin eines Mordes sei. Sie habe vor funfzehn Jahren auf dem Gut des Herrn von Zahring gedient, der zwei Töchter und eine Nichte, Namens Meta, gehabt. Das eine Fräulein sei als Braut plötzlich gestorben und das andere ein Jahr darauf auch sehr krank geworden. Fräulein Meta habe sie gepflegt. Eines Tages, da es mit dem kranken Fräulein wieder besser gegangen, habe Meta in deren Suppe ein weißes Pulver gethan. Sie, die Dienerin, habe das gesehen, es aber für ein Medicament gehalten. Am folgenden Tage war die Kranke gestorben und habe, als sie einmal vorher einen Augenblick mit ihr allein gewesen – Meta sei sonst nie von ihrem Bett gewichen – gesagt: die Suppe habe ihr gleich widerstanden; sie glaube, ihre Cousine habe sie vergiftet. Ich solle aber Nichts sagen, denn vielleicht täusche sie sich, und es könne Nichts helfen, mit ihr sei es nun doch vorbei. Die Dienerin hatte später gegen Meta selbst ihren Verdacht ausgesprochen, diese hatte freilich geläugnet, aber bald nachher die Dienerin entlassen und ihr gesagt: wenn sie noch fortzöge und nie Etwas von dieser Sache sage, wolle sie ihr tausend Thaler geben – und die Dienerin hatte das Geld genommen und geschwiegen. Sie war weit weggezogen und hatte dann sich nach dem Dorfe verheirathet, in dem Meinau Pfarrer war. Auf ihrem Sterbebett suchte sie ihrer geängsteten Seele durch dies Geständniß Ruhe zu verschaffen.
Der Pfarrer war unschlüssig, was er thun sollte. Die Todten standen nicht wieder auf! Er fragte seine Tochter nach Fräulein Zahring, da diese voriges Jahr [358] bei ihrem Aufenthalt in der Residenz mit ihr zusammengetroffen war. Sie wußte nichts Gutes, aber auch nichts Böses von ihr zu erzählen, außer daß man ihrer Vergangenheit Schlimmes vorwerfe und ihr Niemand vertraue. Vielleicht, dachte der Pfarrer, ist sie in sich gegangen und büßt schon durch das Mißtrauen der Menschen. Da er seiner Tochter Alles sagte, rieth ihm diese, zuerst selbst zu dem Fräulein zu reisen, ihr ins Gewissen zu sprechen und wenn sie bereue und sich gebessert, ihr die Gelegenheit zu guten Thaten nicht durch ein ewiges Gefängniß zu verschließen. Aber jetzt zeigte ihre neue Schandthat, daß sie ein schädliches Mitglied der Gesellschaft sei, vor dem dieselbe geschützt werden müsse. Jetzt ging der Pfarrer nicht zu ihr, sondern an die Gerichtsstelle.
Wenige Stunden darauf ward Fräulein von Zahring verhaftet, und jetzt scheute sich Niemand mehr, sie öffentlich Giftmischerin zu nennen.
Wie es immer geht, wenn einmal ein Verbrechen nicht mehr zweifelhaft ist, so finden sich nun überall Ankläger und Zeugen dafür, die vorher geschwiegen hätten, nicht weil sie zweifelten, nicht weil sie Gott das Richteramt überlassen wollten, sondern weil sie fürchteten, ihre Anklage eines Mitgliedes der höhern Gesellschaft möge nicht viel fruchten und sie selbst am Ende nur falschen Zeugnisses verdächtig machen.
Als Meta von Zahring sah, daß ihr Läugnen Nichts half, weil sich zu viel Beweise fanden, gestand sie Alles. Sie hatte die beiden Cousinen vergiftet. In der zuerstverstorbenen hatte sie die glückliche Nebenbuhlerin gehaßt und sie darum kurz vor der Hochzeit durch ein langsam wirkendes Gift getödtet. Ein Jahr nachher sei die andere Schwester an einem Fieber erkrankt und Meta hatte gehofft, sie würde eines natürlichen Todes sterben und sich im Geiste schon als einzige Erbin gesehen – da habe es sich mit ihr gebessert und im Zorn darüber, nun ihre Träume unverwirklicht zu sehen, habe sie ihr Gift beigebracht. Neid, Mißgunst, Haß, Eifersucht und Habsucht hatten sie zu diesen Thaten gebracht.
Ueber Ludolf von Buchau sagte sie jetzt auch die Wahrheit aus. Sie hatte jene anonymen Briefe an ihn selbst geschrieben und gehofft, ihn durch diese indirekten Drohungen doch noch zu vermögen, um ihre Hand zu werben. Als sie sah, daß dies vergeblich war, sagte sie aus, daß sie mit Ludolf von Buchau bereits verlobt gewesen, als dessen Vater sie um zehntausend Thaler gebeten, da sein Sohn die Kasse angegriffen - daß noch im Dunkeln der Sohn bei ihr gewesen sei und selbst sein Verbrechen gestanden, weil sie den Antrag des Vaters zurückgewiesen. Nachdem sie in Ludolf einen Betrüger erkannt, habe sie das Verhältniß gelöst.
Daß der Vater bei ihr gewesen, war bald constatirt; es fand sich kein Grund, an ihren andern Aussagen zu zweifeln und so ward Ludolf verhaftet. Noch schwebte die weitere Untersuchung, als durch die Enthüllungen des Pfarrers diese neue Wendung in die Sache kam und nun auch Meta ihre frühere Aussage über Ludolf widerrief und die Wahrheit an den Tag kam.
Ludolf ward entlassen. Da nun seine Aussagen mit denen Meta’s übereinstimmten, brauchte er nur zu bekennen, daß sein Vater ihm allerdings jene Zumuthung gemacht, um Fräulein Meta zu werben und dadurch ihn zu retten, daß er aber erst spät die Kunde von dem Kassendefect erhalten und bereit gewesen sei, für den Vater sich selbst anzuzeigen. Daß er den eignen Vater nicht denunzirt, wo gleich darauf der Stand der Sache dem Gericht ohnehin bekannt werden mußte, konnte ihm Niemand als Vergehen anrechnen.
Man fand aber für gut, ihn in eine andere Stadt zu versetzen.
Dies kam ihm und den Seinen, die ihn begleiteten, nur erwünscht.
Meta ward zum Tode verurtheilt, aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.
Nach einem Jahre erhielt Ludolf eine einträglichere Stellung und Pfarrer Meinau traute in ihm und seiner Agnes das glücklichste Paar.