Schwänke und Ränke
Die beyden Särge.
Eduard und Klärchen waren
Ein so liebewarmes Paar,
Als in grauer Vorwelt Jahren
Kaum eins unter Hirten war.
Schwanden, wie ein Göttertraum.
Keine Sorge, keine Klage
Fand in ihrem Herzen Raum.
Aber ach, weil nie die Sonne
Mußt’ auch ihres Lebens Wonne
Oft vor bösen Grillen flieh’n.
Denn es schwanden alle Freuden,
Tiefergreifend war ihr Gram,
Vor die düstre Seele kam.
Dieser Kummer mehrt sich täglich,
Dieses Leid wird nie geschwächt.
Ach, ihr Loos ist all’ zu kläglich,
Doch wohlan, und denkt und sinnet,
Statt zu zittern dem Verlust,
Ob ein Mittel ihr gewinnet,
Wie ihr stählt die schwache Brust! –
Und wahrhaftig schlau erdacht;
Spielend mit des Abschieds Wunden,
Lindert ihr des Schmerzens Macht.
Täglich ihren Sarg zu schauen,
Weil vielleicht des Todes Grauen
So am schnellsten enden muß.
Man bestellt zwo Todtenbahren,[1]
Und die kommen ungesäumt.
Wird ein Stübchen eingeräumt.
Dorthin wird von beyden täglich
Eine Betfahrt angestellt;
Durch Gewohnheit wird erträglich
Ach, es war so gar erbaulich,
Wenn im Stübchen, Tag für Tag,
Bey den Särgen, fromm und traulich,
Sich das Paar im Arme lag!
Eines Menschen Herz geneigt?
Mählig wird die Wehmuth lauer,
Und der alte Kummer schweigt.
Immer seltner, kälter immer,
Endlich muß man gar das Zimmer
Von der garst’gen Last befrei’n.
Was nun machen mit dem Plunder?
Fürchtet nur nicht für die Frau,
Sorgte sie nicht schnell und schlau.
Alles weiß sie wohl zu nützen,
Drum so füllt sie einen Sarg
Mit gedörrten – Aepfelschnitzen,
Sorglos drauf in Ruh und Frieden
Lebte gute Zeit das Paar,
Bis dem Mann zuerst beschieden
Das verwünschte Schicksal war.
Durch des Todes kalte Hand,
Daß des Wittums bittres Wehe
Nun die gute Frau empfand.
Jetzo wird mit lautem Stöhnen
Unter einer Fluth von Thränen
Wird der Leichnam eingesargt.
Drauf mit glänzendem Gepränge
Wird der Trauerzug bestellt,
Für der Wittwe baares Geld.
Auch erbaute noch die Herzen,
Was der fromme Pfarrherr sprach,
Und die Wittwe rief mit Schmerzen
„Wehe,“ rief sie, „muß ich scheiden,
Ach, auf ewig nun von dir!
Fahret wohl, ihr Lebensfreuden,
Meine Sehnsucht wohnet hier!“
Wankte sie vom Grab zurück.
Nichts kann ihren Schmerz versöhnen,
In dem Grabe blieb ihr Glück.
War der helle Tag ihr traurig,
Alles ist so öd’ und schaurig,
Und ihr Bette Gattenleer.
Aber kaum erwacht der Morgen
Muß sie wieder Hausfrau seyn,
Ihrer Wirthschaft wieder ein.
Denn was hilft das ew’ge Klagen?
Hat sie doch nicht nur ein Herz,
Sondern fühlt auch einen Magen,
Drum, obgleich so großer Jammer
Noch die Seel’ ihr niederbeugt,
Dennoch in die Rumpelkammer
Die betrübte Wittwe steigt,
Wich der bald verschmähte Sarg,
Sie die dürren Aepfelschnitze,
Wie ihr wisset, schlau verbarg.
Deren will sie heute kochen.
Wie die Brust ihr werde pochen,
Wenn sie an den Sarg sich macht,
Wie ihr von Erinnerungen
Bluten wird das weiche Herz,
Neu erwachen wird ihr Schmerz!
Weh ihr, als mit halbem Blicke
Sie kaum flüchtig hingeschaut,
Klagt, ergriffen vom Geschicke,
Außer sich, mit Händeringen
Jammert sie im Kämmerlein,
Und die Nachbarinnen springen
Sorgenvoll und schnell herein,
Meinend, die Betrübte nun
Könnte sich an ihrem Leibe
Etwas unheilvolles thun.
Kaum nun steh’n die guten Frauen
Als schon an ihr Ohr voll Grauen
Diese Jammerkunde schlägt:
„Habt, o habt mit mir Erbarmen,
Klagt und weinet all mit mir!
Tretet her und schauet hier!
Die verdammten Schufte haben
Ganz verstandlos, ohne Blick,
Meine Schnitze mir begraben,
Ein Bauer hatte zu seiner Verheirathung die Dispensation des Ehegerichts nöthig, und erschien deßwegen vor dem Oberamt, um den nöthigen Bericht daselbst abzuhohlen. Der Aktuar gab ihm denselben, schickte aber den Bittsteller noch zum Superintendenten, der im nämlichen Städtchen wohnte, weil dessen Mitunterschrift dazu nöthig sey. Der Bauer ging getrost seiner Wege, einer baldigen Abfertigung sich getröstend. Als er aber vor die Zimmerthüre des Superintendenten kam, stutzte er, weil er mehrere Stimmen hörte, die sich laut gegeneinander ereiferten. Er stand eine Zeit lang stillhorchend, und vernahm mehrmals die Worte „heterodox“ und „orthodox.“ Da schüttelte er bedenklich den Kopf, und wußte nicht, was er daraus machen sollte; weil er aber sich nicht getraute, ins Zimmer zu treten, kam er unverrichteter Sachen mit dem ununterschriebenen Berichte zum Aktuar zurück. Auf die Frage, warum er ohne Unterschrift komme, gab er zur Antwort: „er sey nicht so keck gewesen anzuklopfen, denn [323] es seyen viele Leute im Zimmer gewesen, die über einen Handel mit einander gezankt hätten; da habe er nicht stören wollen.“
„Ach freilich,“ sagte der Aktuar, „heute ist die Disputation.“
„So?“ erwiederte der Bauer, „es ist mir lieb, daß ich nun weiß, was das für ein Ding ist.“
„Nun was meint Ihr denn?“ fragte jener.
„Ein Ochsenhandel,“ war die Antwort, „denn ich habs mit meinen eigenen Ohren gehört, wie der Eine sagte: „hätt’ er’n Ochsen!“ und ein Andrer: „das ist ein Ort für d’Ochsen!“ wenn ichs früher gewußt hätte, so wäre mir leicht die Lust gekommen, hineinzugehen, und auch ein bischen zu disputiren.“
Das Eselein
und der poetische Deutschthümler.
Ritt auf einem Eselein
Jüngst ein Baur zur Stadt herein,
Froh auf seinem Thier sich blähend,
Keines Haders sich versehend.
Im Gedränge
Durch die Menge,
Gleich als wär’ es heimisch hier.
Doch mit einmal steht es still,
Mags der Bauer auch mit Streichen
Wohl zerbläu’n, so lang er will.
Denn jemehr der Baur es steupet,
Um so störr’ger wird das Thier,
Schläget, daß der Boden stäubet,
Mit den Hufen hinten aus,
(’S war zu sehn ein rechter Graus,)
Dreht in schnellen Kreisen sich,
Und erhebt zuletzt die Stimme,
Welche laut und schauervoll
Durch die lange Gasse scholl.
Aber jetzt im höchsten Grimme
Und zerschlug den grauen Kittel,
Seinem störr’gen Unterthan,
Trotz dem heulenden Yan,
So gewaltig und so bitter,
Unbarmherz’ger Bauersmann,
O, so öffne doch die Augen,
Statt so gräulich drein zu paucken!
Siehe die Figur doch an,
Und allein die Ursach ist,
Daß erschreckt zu dieser Frist
Fürbaß nicht dein Esel gehet;
Hat er doch,
Solch ein Wesen nicht geschauet;
Ist ein Wunder, daß ihm grauet?
Ein Poet ist’s, der da ging,
Dem das Haar, gleich einem Thoren,
Um die dürren Schultern hing.
Wie ein Bild aus alter Zeit,
Ein gemahlter Bürgermeister,
Für die Rathstub konterfeit;
Einer aus dem Erebus
Oft zur Nachtzeit spuken muß:
Also stand er aufgeputzt,
Daß der Bruder Graurock stutzt.
Diese seltsame Gestalt:
„He, Gesell! nun ende bald.
Oder willst du dich entblöden,
Solch ein edles Thier zu tödten?
Sey so toll nicht und vermessen.
Solltest du nicht Achtung han,
Da auf solches Thieres Rücken
Patriarchen einst gesessen,
Die gekommen zu beglücken;
Ja, nach seines Landes Brauch
Zog auf einem Eselein
Selbst der Christ in Salem ein.
Wenn du also grausam bleibst,
Und dein Thier so schrecklich stäupst!
Wehe, wenn kein heil’ger Schauer
Dir durch alle Adern fährt,
Warnend als ein Sittenrichter,
Jetzt in Liebe noch belehrt.
Wirst du mir nicht folgen eben,
Werd’ ich meinen Fluch dir geben.“ –
Stieg er flugs von seinem Thier,
Und der Zorn verging ihm schier,
Und er sagte, ganz beklommen:
„Lieber Esel, ach, vergib
Denn ich habe nie gemeint,
Daß du hättest[2] solchen Freund!“ –
Der Amtmann Käsbohrer von Kleinkrähwinkel hatte die Sitzung seines dörflichen Senats eben geendigt, als ihm noch etwas auf dem Herzen lag, das er vor dessen Auseinandergehen noch vortragen wollte. „Ihr Herren,“ sagte er, „wir werden nächstens die Ehre haben, unsern durchlauchtigsten Landesfürsten in unsrer Nähe zu sehen, ja er wird sogar durch unser Dorf fahren. Ich weiß die Sache ganz gewiß, denn ich habe gestern einen Brief erhalten von meinem Korrespondenten in der Residenz, und darin steht ganz deutlich geschrieben, der Fürst werde auf einer Reise durchs Land auch unser Dorf mit seiner Gegenwart beglücken. Der denkwürdige Tag, an welchem wir diese große Freude erleben sollen, wird mir seiner Zeit angezeigt werden.“ – „Ey, was der Herr Amtmann uns nicht sagt!“ riefen mehrere Stimmen, „das wird einen großen Jubel geben, da werden wir ja alle unsre gnädigste Landesherrschaft zu sehen bekommen.“ „Freilich! freilich!“ entgegnete der Amtmann [329] mit Schmunzeln, „das werden wir. – Aber ich dächte, wir lassen uns die Freude und Ehre auch etwas kosten. Unser Ort gehört, wie Ihr wißt, zu den Marktflecken, und da dürfen wir uns so viel einbilden, als jedes Landstädtchen, mithin sollen wir uns auch in den Ehrenbezeugungen gegen die Landesherrschaft nicht schlecht finden lassen.“
Mit diesem Antrag stimmte der ganze Senat ohne Ausnahme überein, nur wußten die guten Leute nicht, was in solchen Fällen gebräuchlich ist, erbaten sich also darüber Belehrung, und gelobten in allen Stücken ihre guten und treuen Dienste.
„Das will ich Euch eben sagen,“ fuhr der Amtmann fort, „darüber kann ich Euch genügende Auskunft geben. Vor allen Dingen lassen wir draußen am Wege vor dem Schlagbaum eine Ehrenpforte errichten, nehmlich es macht der Zimmermann ein Thor von alten Balken, so weit und hoch wie ein Scheurenthor, und wir überziehen das Holz mit Tannenreisern und anderem Laubwerk, daß gar nichts davon sichtbar ist, und daß es aussieht, als ob ein grünes Thor aus dem Boden gewachsen wäre. Außerhalb dieses Ehrenthors stehen bey der Ankunft des Fürsten die Honoratioren des Dorfs, nehmlich Ich, der Amtmann, sodann der Pfarrer, [330] auch wohl der Förster, und dann Ihr Herren. Wie erscheinen alle in festlichen Kleidern, das versteht sich von selbst. Innerhalb des Thors wird sich der Schulmeister mit der Jugend des Dorfs zur Rechten stellen, und die Männer werden zur Linken stehen, das übrige Volk pflanzt sich auf beyden Seiten der Straße auf, untereinander, wie sie kommen; ein Dutzend der stärksten Bursche endlich, treten unter das Thor, Ihr werdet gleich hören, wozu. Wenn nun der Wagen des Fürsten uns ganz nahe ist, dann werde ich aus vollem Halse Vivat rufen; das ist das Zeichen für alle, denn nun schreit Alt und Jung Vivat, so laut es aus dem Halse[3] kommen mag. Das ist dann die Losung für ein Paar Feuerwerker, die unsere alten Fleckenböller abschießen werden! Sobald der erste Schuß fällt, wird man mit allen Glocken zusammenläuten, wie an einem Festtage. Indessen werde ich mich an den Kutschenschlag stellen, und eine ehrfurchtsvolle Willkommsrede halten, während die Bursche unter dem Thor die Pferde ausschirren, und mit Sailen und Stricken versehen, sich selbst anspannen. Sobald der Wagen durchs Thor gezogen wird, fangt der Schulmeister mit seiner festlichgekleideten Jugend einen Gesang an. Die Kinder singen und streuen Blumen, die sie vorher aus Gärten und Wiesen zusammengebracht haben. Nun geht der Zug[4] [331] vors Rathhaus. Dort werde ich den Fürsten aus dem Wagen heben, und – ein Gedicht übergeben.“
Bey diesen letzten Worten sah der Amtmann fröhlich und selbstgenügsam im Kreis umher. Da aber die Herren vom Senat schwiegen, weil sie ganz in Erstaunen über so gewaltige Vorkehrungen verloren waren, fuhr der Amtmann fort: „Ihr erstaunet, wie ich merke, über das Gedicht, das ich dem Fürsten übergeben werde; allein Ihr werdet noch mehr staunen, wenn ich Euch sage, daß ich das Gedicht selbst verfertigen werde. Ja, Ich, Euer Amtmann, werde es selbst verfertigen, und der Schulmeister wird es recht schön auf Regalpapier schreiben, sodann werde ich es in Gold binden lassen. Damit hoffe ich große Ehre einzulegen.“ – „Und ist damit nun Alles aus?“ frugen Einige der Herren vom Senat. „O nein,“ erwiederte der Amtmann, „es wird hier in der Rathsstube ein tüchtiger Ehrenschmauß aufgetragen werden. Dort an einem besondern Tischchen wird der Fürst speisen, und wir werden die Ehre haben, hier, in seiner Nähe, dem Essen anzuwohnen, und auf seine Gesundheit zu trinken.“
Das letztere gefiel den Männern über die Maaßen, und Einer machte die scharfsinnige Bemerkung: „Ich dachte wohl, daß das Beste zuletzt kommen würde.“ – Die Gesellschaft wurde von Augenblick zu Augenblick [332] heiterer, als ob sie schon beym festlichen Mahle säßen, und mancher witzige Gedanke rauschte belacht und beklatscht durch die Stube. Als aber die Rede darauf kam, wovon der Aufwand zu bestreiten sey, da wollte manchem die Sache nicht mehr gefallen, bis auch hier der Amtmann in’s Mittel trat, mit der Erklärung: „Seyd unbesorgt, ihr Herren, eine solche Festlichkeit trägt der Ort, und wird in den Fleckenschaden verrechnet.“
Nachdem solcher Gestalt alles verabredet war, wurden ungesäumt die Anstalten gemacht, an welchen das ganze Dorf mehr oder weniger Antheil nahm. Denn noch an demselbigen Tage war der Vortrag des Amtmanns und der Plan zu den Feierlichkeiten das Gespräch aller Personen. Man bestellte sich eigends dazu in die Schenken und Kneipen. Eine kleine Oppositionspartei ausgenommen – stimmten alle Dorfbewohner für das Fest, denn so etwas war in Kleinkrähwinkel noch nie gesehen und erhört worden.
Rüstig also wurde zum Werk geschritten. Der Zimmermann fertigte das hölzerne Gerippe der Ehrenpforte, wie ihm der Amtmann angab, und der Förster machte sich anheischig, die Bekleidung von Laub und Tannenreisig zu besorgen. Die alten Böller, die seit fünfzig Jahren kein Pulver mehr gerochen hatten, wurden [333] aus einem alten Holzmagazin hervorgeholt, von Rost und Unrath gereinigt, und für die neue Bestimmung zugerichtet. Der Anzug der Alten und Jungen im Dorfe wurde sorgfältig durchmustert, Schneider und Nähterinnen bekamen aller Hände voll zu thun, und es wurde durchaus nichts versäumt, um in der größten Eleganz auftreten zu können. Die Schulkinder übten sich unter dem Stabe ihres Meisters im Gesang und in ehrerbietigen Stellungen, oder sie sannen auf Mittel und Wege, um in den Besitz recht vieler Blumen zu kommen. Der Amtmann aber dachte auf eine prachtvolle Anrede, und in Nebenstunden arbeitete er an dem versprochenen Gedicht. Dabey aber wurde die Hauptsache nicht außer Augen gesetzt, nehmlich die Zurüstung zum Schmause. Es war eine Wirthinn im Flecken, die ehemals als Köchinn in der Stadt gedient hatte, und in der ganzen Gegend wegen der schmackhaften Braten berühmt war, die man in ihrem Hause aß. Ihr wurde der Auftrag ertheilt, so viel Kapaunen, Hühner, Tauben und Fische anzuschaffen, als zu einem tüchtigen Gastmahl nöthig seyn würde; der Förster übernahm es, die Tafel mit Wildpret zu versorgen; und damit es ja nicht an eßbaren Dingen fehlen möchte, so wurde ausgemacht, noch einen Ochsen, zwey Kälber und drey Schweine zu schlachten. Das sollte ein Fraß werden, [334] der es verdiente, in die Annalen von Kleinkrähwinkel zum bleibenden Andenken für die Nachwelt eingetragen zu werden.
Endlich erschien der erwartete Morgen. Heiter strahlte die aufgehende Sonne empor, als hätte sie es darauf angelegt den Tag recht zu verherrlichen. Das ganze Dorf erwachte mit reger Aemsigkeit, die Zubereitungen zum würdigen Empfang des Landesherrn nahmen alle Kräfte des Geistes und Leibes in Anspruch. Auf den Mittag sollte er durchs Ort kommen, auf diese Zeit hin wurde alles bestellt. Die Ehrenpforte strotzte von Reisig und Laubwerk, und die Innschriften, die auf ausgehängten Tafeln prangten, zeugten von dem ungewöhnlichen Geist in Kleinkrähwinkel. Der Amtmann zog den Audienzrock mit vergoldeten Knöpfen an, und schmückte sein Haupt mit einer frischgekämmten Perücke; der Pfarrer hatte sich auf den gebieterischen Rath seiner ehlichen Hälfte einen neuen Chorrock verfertigen lassen, um damit das Alter und die Schaamröthe des übrigen Anzugs zu decken; die Herren vom Magistrat legten ihren Sonntagsanzug in Bereitschaft; der Förster putzte sich auf, wie wenn es zu einem Festjagen gienge; der Schulmeister warf sich früh am Morgen schon in sein Examenkleid, indem er die festlich aufgetackelte Schuljugend bey Zeiten versammeln wollte, um ihnen Manieren [335] und Gesang einzustudiren. Daß die übrige Einwohnerschaft, Alt und Jung, nicht minder sich beeiferte, in aller Pracht und Herrlichkeit sich darzustellen, versteht sich wohl von selbst. Die Böller wurden auf der Anhöhe bey einer alten Kapelle aufgestellt, und von einigen Bauern bedient, die ehemals bey der Artillerie gestanden. In der geräumigen Küche zum goldenen Ochsen wurde seit einigen Tagen schon gebraten, gesotten, geschmort, als ob eine Armee einquartirt werden sollte. Auch wurde das Rathhaus seines ehrwürdigen alterthümlichen Rußes von außen und innen beraubt, und schimmerte im weißen Firniß der aufgeschmierten Tünche; in die Zimmer aber wurden Bänke, Stühle und Tische zusammengetragen, in solcher Menge, daß bey der Hochzeit des Amtmanns nicht mehrere dort waren gesehen worden.
Als demnach alle Zubereitungen getroffen waren, und die Glocke kaum den Anbruch des Mittags verkündigt hatte, setzte sich der ganze Zug in Bewegung. Alle nahmen Posto, wie zuvor verabredet war, und die ganze Straße, von der Ehrenpforte bis in’s Dorf hinein, wurde mit einer drängenden Menschenmenge angefüllt. Denn nicht nur die Ortsangehörigen stellten sich da auf, sondern ganze Schaaren Neugieriger, die von den Zubereitungen [336] in Kleinkrähwinkel gehört hatten, stürzten aus der Nachbarschaft herbey.
Nun wäre freilich die Freude groß gewesen, wenn der Ersehnte sogleich angefahren wäre; allein Fürsten und große Herren lassen gerne auf sich warten. Zwar stieg oft Staub auf; allein wenn die Wagen näher kamen, sah man es ihrer Gewöhnlichkeit an, daß kein ungewöhnlicher Reisender sich darin befand, deßhalb wurden sie von dem Straßeninspektor, dessen Amt für den heutigen Tag neugeschaffen wurde, noch vor ihrer Ankunft bey der Ehrenpforte um Stand und Namen befragt, und als gemeine Leute auf einen Nebenweg gewiesen; denn der Fürst sollte der erste seyn, der heute da durchkäme. Auch Fußwandelnde schlenderten daher, und ließen sich größtentheils in Fragen und Gespräche mit den gutmüthigen Leuten von Kleinkrähwinkel ein, worüber denn Manche sich höchlich erbauten. Unter diesen war besonders einer, der gar nicht fertig werden konnte mit Fragen, und sich über alles so genau erkundigte, daß auf seine Fragen nicht Antworten genug aufgetrieben werden konnten. Die ganze Geschichte und alle Umstände dieser Anstalt ließ er sich erzählen, und wußte so feine Lobsprüche anzubringen, daß Alle, die ihn sahen und hörten, von ihm wie bezaubert waren; denn was klingt süßer als das Lob, zumal in Kleinkrähwinkel? [337] Als der Reisende sich entfernte, ermahnte er den Amtmann, auf seiner Hut zu seyn, denn der erste nun anfahrende Wagen sey der fürstliche. Hiemit ging er still und bescheiden auf dem Nebenwege, und das Commando des Amtmanns brachte das ganze Menschengewühl in Ordnung, denn alle traten auf den angewiesenen Platz, und in gespannter Erwartung waren Aller Augen auf die Landstraße hinaus gerichtet. Da wirbelte mit einem Mal eine gewaltige Staubwolke auf, und das erste Vivat erscholl aus Tausender Munde schon von Ferne, und die Böller gingen donnernd los, und die Glocken huben an in harmonischer Eintracht ihren festlichen Klang der Gegend mitzutheilen. Indessen fuhr der Wagen an. Ein neues Vivat erscholl mit ungeheurem Gebrüll, und der Wagen wurde an der Pforte angehalten. Der Amtmann trat mit tiefen Bücklingen und Kratzfüßen vor den Schlag, und hub an, die sorgfältig memorirte Empfangsrede herzustottern, während die an der Pforte aufgestellten jungen Bursche anfingen die Pferde auszuschirren. Da gab es denn gewaltigen Spektakel. Die Postknechte wollten es nicht leiden und hieben mit der Geißel drein, der in der Kutsche sitzende Ankömmling verbat sich jede Aufhaltung, und lehnte die Anrede ab. Allein da galten alle Protestationen nichts, vor Schreien und Lärmen, Schießen [338] und Läuten und dem darein gellenden Gesang des Schulmeisters und seiner Schuljugend, hörte kein Mensch mehr sein eigenes Wort. Als aber die Postknechte nicht nachließen auf die wackern Dorfbursche hineinzupeitschen, verloren diese endlich die Geduld, rissen die Postknechte von ihren Gäulen, zerbrachen ihnen die Geißeln, und zerarbeiteten sie mit den Stumpen der Stecken so weidlich, daß sie bald kein Glied mehr bewegen konnten. Jetzt war der erlauchte Reisende ganz in der Gewalt des Volks, aber wahrlich keiner furchtdrohenden und bedenklichen, denn die guten Leute bemächtigten sich seiner Person nur aus Liebe. Nachdem die Bursche den Postknechten mit reichlichen Zinsen die Prügelgabe erwiedert, und sie in den Graben der Straße geworfen hatten, wo sie auf einem ziemlich weichen Grunde Zeit hatten sich zu erholen, spannten sie ihrer Ordre gemäß sich selbst an den Wagen, stolz darauf die Rolle fürstlicher Rosse übernehmen zu dürfen. Also war kein Hinderniß mehr vorhanden, das den wohlausgedachten Plan hätte vereiteln können. Der Wagen gleitete langsam durch die grünende Pforte, und hinter ihm drein entlud sich die ganze Straße allmählig aller am Rande rechts und links stehender Menschengestalten. So gelangte der Zug durchs ganze Dorf, und endete zuletzt am Rathhause.
[339] Kaum war der Wagen am Eingange daselbst angelangt, als der Amtmann, welcher hinten nach gegangen war, sogleich wieder vortrat, und mit stummer Verbeugung das in Goldpapier gebundene Gedicht übergab. Der Kutscheninhaber hatte kaum die Augen auf die Ueberschrift geworfen, als er die poetische Gabe mit den Worten wieder zurückstellte: „Meine Herren, wenn Sie mich hätten hören wollen, ja wenn es möglich gewesen wäre, ein vernünftiges Wort mit Ihnen zu sprechen, so würde ich Ihnen schon längst gesagt haben, daß nicht Ich der Fürst bin; dieser ist zu Fuße voraus gegangen; Sie müssen ihn ja gesehen, vielleicht sogar gesprochen haben.“ Hiemit reichte der Unbekannte das unter vielen Sorgen und Schmerzen gefertigte Gedicht seinem stolzen Urheber wieder dar. Dieser starrte mit bewegungslosen, großen Augen darauf hin, und, weil ihn alle Besinnung verloren hatte, konnte er nichts erwiedern, als den kläglichen Stoßseufzer: „Ach, du mein Gott, so ist all unser Dichten und Trachten eitel gewesen!“ Der gute Mann schwindelte zurück und war einer Ohnmacht nahe.
Der Unbekannte war der Reisestallmeister des Fürsten, und im Wagen geblieben, während dieser, unbekannt und ohne Aufsehen zu erregen, voranging. Der Fürst aber war jener Neugierige, der alles so genau [340] ausgefragt hatte. Denn als er von den gewaltigen Zurüstungen in Kleinkrähwinkel noch vor seiner Ankunft daselbst gehört, war er, dergleichen Spektakeln nicht hold, ausgewichen, und wartete nun seines Reisegefährten einsam hinter dem Dorfe. Als der Reisestallmeister den Schmerz des Amtmanns gewahrte, empfand er Mitleid mit dem armen, getäuschten Manne, und tröstete ihn: „Geben Sie sich zufrieden! der Fürst wird die ihm zugedachte Ehre aufnehmen, als ob er sie selbst eingenommen hätte. Ich werde ihm alles rühmen, und er wird sich deß freuen, und auch Ihr Gedicht wird er mit besonderer Huld aufnehmen; ich selbst will es ihm übergeben. Nun aber sorgen Sie dafür, daß ich sobald wie möglich fortkomme, und schaffen Sie mir meine Pferde.“ –
Der Amtmann lud den Reisestallmeister auf ein Süppchen und ein Glas Wein. Allein da dieser schlechterdings jede Ladung ausschlug, wurden die Pferde sammt den wohlzerbläuten Lenkern herbeygeschafft, und der Wagen rollte davon. Somit war also die ehrenhafte Rathhausgesellschaft der gehofften Freude beraubt, mit dem Landesfürsten ein Gläschen in bona caritate zu trinken. Was war nun aber mit dem Schmaus zu thun? Darüber waren die Ansichten getheilt. Der Pfarrer meinte, die Speisen und Getränke sollten an die Leute [341] im Dorfe verkauft, und das Geld in die Kasse des Wohlthätigkeitvereins gelegt werden. Ganz andrer Meinung aber war der Amtmann: „Nein, dahin stimme ich nicht! der Schmaus ist zur Ehre des Fürsten angeschafft worden, und zu seiner Ehre muß er auch verzehrt werden. Daran können aber nur solche Antheil nehmen, die ein öffentliches Amt verwalten.“ – „Das ist gut gesagt,“ rief der ganze Magistrat unisono, „dabey soll es sein Verbleiben haben.“
Und dabey blieb es auch; denn die Herren von Kleinkrähwinkel schmausten drey Tage hinter einander mit Weib und Kindern von den Bissen, die dem Fürsten zu Ehren waren bereitet, aber von ihm verschmäht worden; das gemeine Volk aber, das die Zeche zahlen durfte, bekam nichts von den Brösamlein, die von der Herren Tische fielen.
Der Kuß.
Oftmals kehrten in der Mühle
Zahlreich junge Städter ein,
Saßen an des Baches Buchen,
Aßen von des Müllers Kuchen,
Aber nicht dem Müller galten
Die Besuche ganz allein,
Nicht den schattenreichen Buchen,
Nicht dem leckern Butterkuchen,
Denn dem Müller war erwachsen
Eine Tochter schlank und schön.
Schöner als des Müllers Gretchen
War kein Weibchen oder Mädchen
Doch das schöne Müllergretchen
War zugleich auch fromm und fein;
Ihr Gedanke war nicht flüchtig,
Ihr Benehmen recht und züchtig,
Drum erhörte sie die Seufzer
Der verliebten Gecken nicht,
War im Umgang und im Reden
Hold und freundlich gegen Jeden,
Das verdroß die jungen Lecker,
Das erdrückte fast ihr Herz.
Doch umsonst ist alles Klagen,
Alles Rennen, alles Wagen,
Sieh, der zärtlichste von Allen,
Der einst lang zu Gaste blieb,
Stieß im Heimgeh’n auf ein Mädchen,
Das zur Mühle von dem Städtchen
Und in schwindelnder Ekstase
Lief er auf das Mädchen zu:
„Halt, du mußt auf Mund und Wangen
Einen Kuß von mir empfangen,
Doch die Dirne, schalkhaft lächelnd,
Ringt mit ihm, und spricht dieß Wort:
„Herr, das ist nicht recht, Sie müssen
Lieber meinen Vormann küssen,
Hans und Michel waren keine gute Nachbarn, sondern lebten beständig in Streit und Hader, und neckten einander auf alle Weise. Keiner gönnte dem andern des lieben Gottes Sonne; was den Einen verdroß, das that der Andere, und wer dem Andern am meisten schaden konnte, der hatte die größte Freude; weil sie aber beyde einander schon gar oft angeführt hatten, trauten sie einander nicht leicht, darum glaubte Jeder gerade das Gegentheil von dem, was der Andere sprach oder rieth. Dessen ohnerachtet haben sie beyde einander noch einmal meisterlich angeführt
M1chel hatte eine hübsche Summe baaren Geldes von einer alten Base geerbt, darüber ärgerte sich Hans voll Neid und Mißgunst, und sann, wie er den Nachbar um sein Erbe bringen möchte, ohne selbst dabey Gefahr zu laufen. Weil er ein Schlaukopf war, fehlte es ihm auch nicht an Mitteln, sein Vorhaben auszuführen.
Eines Tages geriethen beyde in die Schenke. Hans kam zuerst und setzte sich an die obere Tafelrunde, [346] welche in die Ecke des Zimmers, an die, längs den beyden Wänden hinlaufenden Holzbänke hingeschoben war, und den Herren des Orts, nehmlich dem Schulzen und dem ehrsamen Magistrat zum Versammlungsplatz und zur Erholung nach ihren Berathschlagungen diente. Michel, der etwas später anrückte, und nie mit Hansen sich an Einem Tisch lagerte, setzte sich an die untere Tafel, von welcher gemeiniglich die Geringern im Orte Besitz nahmen, doch so, daß er hören konnte, was im Oberhause gesprochen wurde, denn ihm lag daran, den Nachbar Hans zu belauschen, weil diesem leicht einige unbedachtsame Reden entfallen konnten, die ihm dann zu boshaften Deutungen und Nachreden Anlaß gaben. Hans, der nicht that, als ob er von dem anwesenden Michel etwas wüßte, ließ sich mit seinen Trinkgenossen in ein eifriges Gespräch ein, geberdete sich dabey öfters sehr geheimnißvoll, und lispelte denselben von Zeit zu Zeit etwas in die Ohren, um den ohnehin neugierigen Michel desto mehr zur Aufmerksamkeit zu reizen. „Ich habe dir,“ sprach er unter andern, „einen profitabeln Handel vor. Wenn ich nur das nöthige Geld dazu schon in Händen hätte, so wollte ich etwas Tüchtiges damit gewinnen.“ – „Ey, das wäre! womit denn, wenn man fragen darf?“ – „Ja, siehst du, da habe ich von einem Metzger aus der Schweiz [347] erfahren, daß die Geisen gegenwärtig dort in einem sehr hohen Preise stehen, weil durch die Viehseuche eine Menge Kühe gefallen sind. Wenn man so ein Stück Hundert zusammenkaufte, und sie in die Schweiz triebe, so ließe sich damit ein schweres Geld verdienen. Nun gehe ich Tag und Nacht damit um, einen Haufen Geisen aufzutreiben und mit demselben den Zug anzutreten.“ – „Ey, potz tausend, Hans! weißt du was? Ich will dir das Geld schon bekommen, aber du mußt den Gewinn mit mir theilen.“ – „Das kann wohl seyn. Doch, laß uns jetzt von andern Dingen sprechen, morgen mehr davon. Stoß an, Bruder, auf gute Handelschaft!“
Dem aufmerksamen Michel war kein Wort entgangen von diesem Gespräche. „Hm,“ dachte er bey sich selbst, „diesen Vortheil könntest du auch mitnehmen. Hans wenigstens soll ihn nicht erschnappen, so wahr ich Michel heiße! was das doch für ein dummer Kerl ist, sein Geheimniß so auszuplaudern. Wart, Hans, ich will dir schon den Weg ablaufen. Wie will ich dich auslachen, wenn ich dir den Profit vor der Nase weggefischt habe. Ich aber werde klüger seyn, und keinem Menschen etwas von meinem Vorhaben sagen.“ – So dachte Michel, denn der Zunder hatte in seinem neidvollen Herzen bereits Feuer gefangen, trank seinen [348] Schoppen stillschweigend aus, und ging froh und wohlgemuth heim.
Die Nacht über konnte er nicht schlafen, so voll war sein Kopf von Entwürfen, die eben sowohl seiner Gewinnsucht als seiner feindseligen Mißgunst fröhnten. Kaum also war der Morgen angebrochen, als er schon alle Anstalten traf zu seiner seltsamen Handelschaft. Er ging von Ort zu Ort in der Nachbarschaft, und kaufte so viele Geisen zusammen, als er in der Eile auftreiben konnte, denn auf Eile setzte er das ganze Gelingen der Unternehmung, und da er mit dem baaren Gelde seiner Erbschaft honett bezahlte, so brachte er bald ein ansehnliches Häuflein zusammen. Jedermann wunderte sich seines Werks, und manche wackere und verständige Männer riethen ihm ab, allein es war alles vergebens. Nie sind mit solcher Leidenschaft Geisen aufgekauft worden, als von ihm, und Tag für Tag meckerten so viele derselben seinen Ställen zu, daß binnen acht Tagen die erwünschte Anzahl voll war. Der schelmische Hans betrachtete des betrogenen Nachbars eilfertigen Einkauf mit inniger Schadenfreude, lachte im Stillen über dessen Geisenanwachs, und wünschte ihm bey seinem Abzuge mit spöttischem Lächeln Glück auf die Reise.
Michel achtete des Spötters nicht, nahm fröhlich Abschied von Weib und Kind, und trat, unter dem [349] Erstaunen aller Dorfbewohner, die nie eine solche Menge von Geisen bey einander gesehen hatten, den abentheuerlichen Zug getrost an. Es war eine mühselige Fahrt, denn die Thiere wollten sich nicht recht treiben lassen, und wo eine Hecke war, da entstand liebe Noth sie fortzubringen. Darüber gab es denn auch manchen Verdruß mit den Güterbesitzern, auch war der Zug sehr kostspielig, denn Zoll, Weggeld und Fütterung nahm manchen Groschen weg, daß Michel oft hinter den Ohren kratzte, und sein Unternehmen bereute; allein die Hoffnung des Gewinns tröstete ihn immer wieder, und so kam er endlich in der langersehnten Schweiz an.
Jetzt, dachte er, ist alle Noth überstanden, und berechnete schon das Geld, das er mit heimzubringen hoffte; allein wie groß war sein Erstaunen, als er erfuhr, daß die Geisen in der Schweiz wohlfeiler zu haben seyen, als in seinem Dorfe, und daß Niemand von einer Viehseuche etwas wisse! Nun gingen ihm die Augen auf über Hansens Bosheit und über seine leichtgläubige Dummheit, mit verbißenem Aerger erkannte er, daß er betrogen war; allein was half da alles Zürnen und Grollen, es galt einen schnellen Entschluß, denn die Geisen hätte er um keinen Preis mehr mit heim genommen, und wenn er sie lange beysammen behielt, so fraßen sie sich auf, also verkaufte er die Waare um [350] ein Spottgeld, und kam in möglichster Bälde wieder im Dorfe an.
Kaum war seine Ankunft ruchbar geworden, als ihn Jedermann fragte, wie’s ihm ergangen sey; allein er schwieg gegen Jedermann und gab wenig Bescheid. Des andern Tags Abends ging er in die Schenke, und eine Menge Bauern versammelten sich dort, in der Hoffnung, Michel werde bey einem Glase Wein gesprächiger und offener werden. Unter den dort erscheinenden, war auch der böse Hans, der nicht anders dachte, als der Handel sey mißglückt, und sich einen köstlichen Genuß versprach: „Nun, so erzähle doch, Michel, wie ist es dir ergangen? hast du deine Geisen wohl untergebracht? Du mußt schnell verkauft haben, daß du sobald wieder heim gekommen bist?“ Solche und ähnliche Fragen wurden in Menge an unsern verunglückten Abentheurer gerichtet; er aber saß schweigend, schmunzelte freundlich vor sich hin, und ließ sich sein Gläschen wohl schmecken, ohne der Neugier der Anwesenden ein Genüge zu thun. Diese aber wurden immer ungehaltener, und endlich forderte ihn der Schulze selbst auf, sein geheimnißvolles Stillschweigen zu brechen. „Herr Schulze, erwiederte Michel darauf, es ist nicht gut von solchen Dingen reden; denn es gibt Leute, die neidig sind, wenn man ein Glück gemacht hat, und [351] schadenfroh, wenn man unglücklich war; daher ist es auf alle Fälle besser, wenn man zu seinem Glücke wie zu seinem Unglücke schweigt. Nur so viel will ich sagen, daß ich nicht genug Geisen gehabt habe.“ Weiter war nichts aus ihm herauszubringen, auch begab er sich bald aus der Gesellschaft. Alle sahen ihn gehen, unschlüssig, was sie über ihn denken sollten. Da gab es denn allerley Meinungen und Gerede. Einige urtheilten, der Handel müsse nicht vortheilhaft ausgefallen seyn; allein diese wurden nach manchen Debatten überstimmt. „Gewiß,“ sagten viele, „hat er ein gutes Zehrgeld gemacht, er ist ein Kauz“ – „Ja wohl,“ sprachen andre, „sonst wär’ er nicht sobald heimgekommen.“ – „Auch wäre er nicht so guter Dinge, wenn der Handel übel abgelaufen wäre.“ – „Auch nicht so geheimnißvoll.“ – „Gebt acht,“ erklärte endlich der Bürgermeister, „der ist nur darum so still, weil er an einen neuen Handel denkt. Der kauft gewiß noch eine Heerde Geisen ein.“ – „Beym Strahl, Herr Bürgermeister, das glauben wir auch“ – rief endlich die ganze Genossenschaft zusammen. – Michel hatte in ihren Augen sein Glück gemacht.
Während dieser Verhandlungen saß der böse Hans still und nachdenklich da. Er allein sagte nicht, was er dachte, denn in seinem Herzen kochte Ungewißheit [352] und Mißgunst. „Sollte ich ihm wohl zu seinem Glücke verholfen haben,“ sprach er mißmuthig bey sich selbst. „Verdammt, wenn ich ihm selbst den Braten in die Küche gejagt hätte! Ja, ja, so ist’s, und nicht anders, wenn ich alles zusammen nehme. Da hab’ ich einen dummen Streich gemacht! doch ich will wieder gut machen, was verderbt worden ist. Wie ist mir doch der Gedanke mit den Geisen in den Kopf gekommen! Michel soll mir nicht umsonst gewonnen haben, ich will nun alle Geisen zusammenkaufen, die ich weit herum auftreiben kann. Wie wird er sich ärgern wenn ich ihm den Rank ablaufe!“ – Solche Gedanken jagten sich in Hansens Kopf, und wie er dachte, so handelte er auch.
Er nahm Geld auf, und als es ausgegeben war, erhandelte er auf Borg in der Gegend weitumher alles, was nur einer Geise ähnlich sah. Natürlich mußte er die Thiere weit theurer annehmen, als Michel, da wegen der wiederholten großen Nachfrage die Waare plötzlich im Preise stieg, und Hans mit baarem Gelde nicht hinlänglich versehen war. Dessen ohnerachtet brachte er eine Geisenmenge zusammen, die, seit der Mond sich um die Erde dreht, noch nie an Einem Orte beysammen gesehen worden ist. Als nun alles, was aufgetrieben werden konnte, beyeinander war, zog er mit seiner Heerde [353] ab. Staunen und Verwunderung der Leute ging vor ihm her, und bedenkliches Kopfschütteln derselben folgte ihm. Einige frugen, andere warnten, viele verspotteten ihn. „Der wird,“ sagten manche, „die Reise in die Schweiz machen mit seinen Geisen, wie jener Narr, der in Venedig Pferde verkaufen wollte.“ Indeß zog Hans mit philosophischer Ruhe fort, hatte unterwegs dieselben Schwierigkeiten, wie sein Nachbar vor ihm, aber auch dieselbe Hoffnung, jedoch bey seinem endlichen Eintritt in die Schweiz auch die nehmliche – Täuschung. Als er nehmlich seine Geisen auszubieten anfing, hieß es: „Es ist schon so ein Narr dagewesen, wie Ihr. Wer zum Teufel hat Euch denn weiß gemacht, daß die Schweiz ein Geisenmarkt für Euch Schwaben sey?“
Hans merkte nun gleichfalls, daß er betrogen, und, was ihn noch mehr schmerzte, in seine eigne Schlinge gefallen sey. Er mußte, um größern Schaden zu verhüten, um jeden Preis verkaufen, und berechnete seinen Verlust, nach einem geringen Anschlag, auf einige hundert Thaler. Eine so beträchtliche Strafe mußte er der Bosheit zahlen. Das schlimmste für ihn war, daß er seinen Schaden nicht decken konnte, wie Michel, und daß sein Unstern sogleich bekannt werden mußte, weil er das Erborgte nicht, wie er verheißen, bey seiner [354] Heimkehr bezahlen konnte. Dazu kam noch, daß er sich vor dem verdienten Spotte fürchtete.
Tiefgebeugt und voll Schaam schlich er sich ganz in der Stille wieder in’s Dorf, und ließ sich lange nicht unter den Leuten sehen, am meisten wich er dem verschlagenen Michel aus, der ein so bittres Wiedervergeltungsrecht an ihm ausgeübt hatte. Doch er konnte die Einsamkeit in die Länge nicht ertragen, und suchte Trost in der Schenke bey einem Glase Wein. Kaum war er dort, als sogleich eine tüchtige Gesellschaft, die sich einen heitern Abend versprach, ihm nachzog. Unter den Ankommenden war auch Michel und der Schulze. Weil Hans sein Mißgeschick nicht verbergen konnte, war bald die Rede davon. Da sagte der Schulze: „Michel, du hast deinem Nachbar doch übel mitgespielt. Der wird in vielen Jahren den Bissen nicht verdauen, den du ihm eingebrockt hast.“ – „Wie so? Herr Schulze!“ schmunzelte Michel ihn an. – „Du hast ihn damit betrogen, daß du gesagt, ich habe nicht genug Geisen gehabt.“ – „Er hat sich betrügen lassen, wie ich vorher von ihm betrogen worden bin. Und was ich damals behauptete, das sage ich noch. Denn wenn ich genug Geisen gehabt hätte, so würde ich noch zu verkaufen haben, und wäre noch nicht daheim.“
Das große Loos.
Leander war ein Ehrenmann,
Den mancher lustige Kumpan
Mit fleißigen Besuchen ehrte,
Dieweil er reich und gastfrei war,
Des Abends seine Flasche leerte.
Den allerliebsten Zeitvertreib
Fand Jeder in Leanders Hause,
Und fühlte man sich froh beym Schmause,
Der Tafel Freude mehr zu würzen,
Und durch den Reiz der Freundlichkeit
Gleich einem Feentraum, die Zeit
In Augenblicke zu verkürzen,
Es war bey solchen Lustgelagen
Nicht für den Gaum nur und den Magen,
Es war gesorgt auch für das Herz,
Und, daß es gar an nichts gebreche,
Noch willig manchen Spaß und Scherz.
Nur Eines war ihm nicht zu Sinne,
Wenn man mit ihm vom Lotto sprach;
Denn, niemals glücklich im Gewinne,
Und hatte, weil er stets verloren,
Das unheilvolle Spiel verschworen.
Auch scheuten seine Gäste sich,
Den guten Wirth damit zu schrauben.
Als jede Scheu und Zucht entwich,
Hub Einer von der Tafelrunde
Empor den blinkenden Pokal,
Und rief mit schalkhaft spitzem Munde:
Im Lotto ihren Stern versuchen!“ –
Kaum hört Leander dieses Wort,
So fährt er auf mit Zorn und Fluchen:
„Ha, Schurke, geh zur Hölle fort,
Ein Hahnrey ist und bleibt, wer jetzt
Noch einen Heller wagt und setzt,
Und nur ein Hahnrey kann gewinnen.“ –
Indeß nun mit dem Tafelfreund
Die fromme Hausfrau, um nach Pflichten
Den unerhörten Streit zu schlichten
Mit weisem Rath, und streicht dem Mann
Die Wange sanft: „wer nie gewann,
Wenn seine Gunst auch lang verzeucht.
Wag’s noch einmal. Wer weiß, vielleicht'
Kannst du das große Loos erheben.“
Der Schacherjude Isaak trieb sich das ganze Jahr auf dem Handel herum, und war ein durchtriebener Geselle, der manches Christenkind betrog. Wo eine Versteigerung von Belang auf fünf Meilen im Umkreis gehalten wurde, da fand sich auch unser Isaak ein, und kaufte zusammen, was irgend noch herausgeputzt und mit Profit an den Mann gebracht werden konnte. Alte Kleider und Betten, auch allerley abgenutzten Hausrath wußte er wieder so in’s Auge zu richten, daß er durch Hausieren, vermittelst einer schlauen Ueberredungskunst bey unverständigen Leuten immer ein Beträchtliches gewann; daneben führte er auch Ringe, Uhren, silberbeschlagene Tabackspfeifen und dergleichen in seinem Schnappsack, und suchte sie gegen alte oder unmodische Kleider, wohl auch auf Schuldscheine mit zwanzig Procent Abzug umzusetzen. Den Frauen aber wußte er leichte Musseline und Zitze, oder andere um ein Spottgeld eingeschacherte Modeartikel gegen alte, jedoch solide Stücke aus der Haushaltung oder auch auf Borg und gelegenere Zeit zu liefern. Er galt in manchen [359] Familien für den ehrlichsten aller Israeliten, und wurde in Visiten und andern Zusammenkünften von den Frauen einander zum Handel oder zum Tausch empfohlen. Dabey befand sich unser Isaak wohl, und seine Familie grünte, wie die Zedernzweige auf Libanon.
Jüngst kam er zu einem Officier, der schon manchen Verkehr mit ihm gehabt hatte und oft betrogen worden war. Zudringlich und wortreich pries er aufs neue seine Waaren und seine Dienste an, fand aber diesmal kein geneigtes Gehör. Allein die Israeliten sind schlau und erfinderisch, und lassen sich nicht mit leeren Worten abtreiben, ehe sie alles versucht haben. Unser Isaak, der den guten Humor seines Kundmanns kannte, gedachte, du willst den Herrn lachen machen, vielleicht wird er eher dir zu Willen seyn. Er hub also folgender Maaßen an:
„Ich bin ein ehrlicher Jüd, und nähre mich redlich, und diene allen Menschen gerne, wie ich kann, auf Ehre! oft mit meinem Schaden. Lachen Sie? Nun so hören Sie doch, wie’s oft den armen Jüden ergeht. Haben den r’ Gnaden nicht gelesen, welch eine große Auktion nach Falkenthal ausgeschrieben war? Da kommen Ihnen alle Jüden zusammen auf zehen Stunden im Umkreis, denn es war eine Menge Hausrath ausgeboten, auch gute Steine und ein köstliches Kreuz. Wir kaufen unverdrossen einen ganzen Haufen [360] Lumpenzeug ein um ein gutes Geld, aber die Steine wollen nicht zum Vorschein kommen, worauf wir am begierigsten waren. Endlich aber geht uns die Geduld aus, und wir bestehen darauf, daß man uns die feilgebotenen guten Steine zeigen sollte, denn wir mußten heim auf den Schabes. Da führt man uns hinaus in den Steinbruch, wo gehauene Bausteine lagen, und fragte uns ganz spöttisch, ob wir diese kaufen wollten? Wie ärgerlich wir da die Köpfe schüttelten! wie verdrießlich wir einander angeschaut haben! was meinen Sie? Und damit war das Aergerniß noch nicht zu Ende. Wir fragen nach dem köstlichen Kreuz, denn wir vermutheten nicht anders, als daß es ein Brillantenkreuz seyn müsse. Nun denken Sie, wie wir geschimpft haben, als man uns ein altes verrostetes Kreuz vom Kirchhof brachte, und uns höhnisch fragte, was wir dafür geben? Wir schmähten, was wir konnten, verlangten Ersatz für unsre Reise, und wollten das erkaufte Lumpenzeug wieder heimschlagen, aber man lachte uns in’s Gesicht hinein aus, denn der Jüd findet keine Gerechtigkeit. Wir werden es nie vergessen, wie schändlich uns diese Schufte betrogen haben.“
Der Officier lachte laut auf: „Nun sieh, Isaak,“ sagte er, „es gibt auch noch andre Leute, die das Schachern verstehen.“ – „Sie haben gut lachen,“ [361] erwiederte Isaak, „haben Sie Mitleiden mit einem armen Jüden, und lassen Sie mich nun auch wieder etwas verdienen.“ – „Jetzt am wenigsten,“ sprach jener, „meinst du, ich soll dir die Reisekosten bezahlen? Spude dich, und gehe zum Henker!“
Während dieser unverblümten Abweisung, trug der Officier, wie es schien ohne Absicht, ein Paar alte graue Reithosen vom Sopha, worauf sie gelegen, auf das Bette. Sogleich warf unser Isaak sein Falkenauge darauf. „Nun,“ sagte er, „diese alte Hosen werden doch ’r Gnaden mir zukommen lassen, die sind nicht mehr für einen so charmanten Kavalier, die will ich meinem kleinen Arönchen zurecht machen lassen. Was verlangen Sie dafür?“
Der Officier versicherte ihn, daß er die Hosen nicht weggäbe. „Sie sind,“ sagte er, „ein Andenken an einen verstorbenen Freund. Sie hat der Oberst Lesky getragen an jenem Tage, als er in der Schlacht bey Leipzig sank. Das ist eine Reliquie, Isaak, die nicht verhandelt wird.“ – „Hat sie der gute Oberst getragen,“ erwiederte dieser, „der goldene Herr? Nun – ich werde sie doch zu sehen bekommen.“ Hiemit ging er zum Bette, nahm die Hosen, und betastete sie von allen Seiten. Da wollte ihn bedünken, als ob im Hosenbund etwas eingenäht wäre. – Er fühlte und fühlte [362] wieder, und mit jeder neuen Betastung wuchs sein Glaube. Das kann, dachte er, nichts anders seyn als Gold, das hat der selige Herr so verwahrt als einen Nothpfennig. Die Hosen muß ich bekommen, kosten sie, was sie wollen. Er wandte sich also wiederholt an den Besitzer dieses verborgenen Schatzes: „Geben Sie mir die Hosen, ich zahle zwey Dukaten dafür – ein rares Geld für so alte Fetzen – was schütteln Sie den Kopf? – Nu, ich zahle vier – schlagen Sie ein, ich zahle sechs. Wo hat man je so viel für eine solche Waare geboten? aber daß Sie sehen, welch ein ehrlicher Jüd ich bin, so muß ich ’r Gnaden sagen, daß ich dem seligen Herrn etwas schuldig geblieben bin, und hab’ ihn nicht mehr bezahlen können, und diese Schuld will ich nun an Sie abtragen – ich gebe acht Dukaten.“ – „Laß mich in Ruhe, du bekommst sie nicht.“ – „Wie Sie doch so hart seyn können! wissen Sie was, ich gebe zwölf Dukaten, denn so viel blieb ich dem goldenen Herrn schuldig.“ –
Der Officier schien noch eine Zeitlang zu widerstehen, wurde aber immer nachgiebiger, und schloß endlich den Handel mit den Worten: „Da nimm sie, aber baar mußt du mich bezahlen, und nie wieder über meine Schwelle kommen, noch weniger eine Nachforderung machen, unter keinem Vorwand; das mußt du mir unterschreiben.“ [363] Der Jude unterschrieb, zahlte die zwölf Dukaten blank auf den Tisch, nahm die Hosen unter den Arm, und ging.
Kaum konnte er erwarten bis er zu Hause war. Daselbst angekommen, schloß er alsbald sich ein, um nicht überrascht und in seinem süßen Geschäfte gestört zu werden. Ungesäumt machte er sich an das Werk, den verborgenen Schatz zu erheben. Er nahm ein Messerchen, trennte mit hastiger Begier die Nath auf, und fand – o Himmel, wie ward ihm zu Muthe! Es flimmerte ihm schwarz und roth vor den Augen! – Rechenpfennige fand er, einen an den andern genäht. Er schnitt alle heraus, es war ein ganzer Haufen, der vor ihm auf dem Tische lag, er betrachtete jedes Stück einzeln, es blieb aber dabey, nichts anders als Rechenpfennige hatte er erhandelt. Da raufte er sich die Haare, und sprang wie unsinnig im Zimmer umher, er nahm die Hosen, warf sie auf den Boden, und trappte darauf herum, er schlug sich ins Gesicht, und geberdete sich, wie ein Mensch der den Verstand verloren hat. „Ich bin verloren,“ schrie er, „ich bin eine ruinirte Kreatur, für diese verteufelten Lumpen habe ich mein schönes Geld weggeworfen, man hat mich betrogen, das ist ein Schurkenhandel, das werde ich mir nicht so gefallen lassen, ich will den Schandenquark wieder zurücktragen, [364] und mein Geld heimfordern, ja das will ich.“ – Gesagt, gethan! Stracks griff er die Hosen vom Boden auf und eilte damit fort. Wer aber vergebens an der Thüre des Officiers anklopfte, war unser Isaak.
Mehrere Tage hintereinander kam er vergebens. Endlich am sechsten Tage erlauerte er den Augenblick, wo der schlaue Verkäufer zu treffen war. Er kroch beynah auf allen vieren zur Thüre hinein, und wimmerte wie ein alter Kater: „Ach haben Sie doch Erbarmen mit dem armen Isaak! Ich bin ein geschlagener Mann. Sie sind ein goldener Herr, ein grundgescheidter Herr, aber Sie haben mir für blankes Gold Kupferpfennige gegeben.“
Der Officier spielte eine Zeitlang den Unwissenden. Endlich aber sagte er: „Hab’ Ich dir die Pfennige gegeben, Schurke! Hast du nicht die Hosen mir abgenöthigt? Meinst du, ich habe deine Absicht nicht durchschaut? Sieh, hier ist deine Unterschrift. Klage, wo du willst, du hast den Prozeß verloren. Du hättest mir nichts zurückgebracht, wenn du Gold gefunden hättest. Damit du aber nicht sagen könnest, ein Mann von Ehre habe dich betrogen, so nimm dein Lausegold wieder, Spitzbube! und die Hosen schenke ich dir. Aber [365] nur unter einer Bedingung.“ – „Sie werden gnädig seyn, ich lasse mir gern einen billigen Abzug gefallen.“ – „Einen Abzug sollst du haben, Isaak! fünfundzwanzig Ruthenstreiche auf das blinde Angesicht.“ – „Sie treiben Spaß, goldener Herr! Sie werden doch den armen Isaak nicht so prostituiren.“ – „Meinst du, ich werde mit dir spaßen, Hallunke! Es ist Ernst, und wenn du nicht sogleich einwilligst, so laß ich dich zum Hause hinauspeitschen, und du bekommst in deinem Leben nichts mehr.“ – „Ach, seyn Sie doch barmherzig! Was können Ihnen meine Streiche nützen?“ – „Mach’s kurz, Isaak, je länger du dich sträubst, desto später ist die Exekution vorbey, und desto später bekommst du dein Geld. Du hast übrigens die freye Wahl; jedoch ehe eine Minute verstrichen ist, mußt du dich entschlossen haben.“ Als der Jude den Ernst merkte, und er nur zwischen den Ruthenhieben und dem Geldverlust zu wählen hatte, zog er die ersteren vor. Also wurde von dem herbeygerufenen Bedienten der Strafakt vollzogen. So jämmerlich auch der hartgeprüfte Jude bey jedem Streiche schrie, so mußte er doch die ganze, ihm zugedachte Ladung aushalten. Nachdem er auf diese Weise wohl zerbläut und verdienter Maaßen abgestraft war, erhielt er sein Geld mit dem Zusatz: „Nun geh, und wenn du je wieder über meine Schwelle trittst, hörst du? [366] so wirst du sogleich mit der Hetzpeitsche zum Hause hinausgejagt, oder noch einmal mit Ruthen gestrichen.“
Der Jude ging und wird wohl schwerlich wiederkommen.
Es ist im Schwabenlande in vielen Dörfern üblich, daß der Pfarrer, und wo ein Amtmann ist, auch dieser von den Bauern, wenn sie zur Winterszeit ein Schwein in die Haushaltung schlachten, ein Stück Fleisch zu einem Braten und dazu noch einige Würste als Mitgabe erhält. Ein solches Geschenk heißt eine Metzelsuppe. Nach dem Gewicht und der Größe der Spende wird dann gewöhnlich die Gesinnung des Gebers ermessen, und der Empfänger weiß gelegentlich wieder darauf zu dienen. Darum rechnen die Bauern, die von Natur nichts weniger als freigebig sind, genau mit ihren Absichten ab, und werfen gerne, wie man sagt, eine Wurst nach einer Speckseite.
Einst schlachtete ein Bauer ein wohlgemästetes Schwein, und hatte seine Herzenslust über den großen Segen an Fleisch und Würsten, womit er über alle Erwartung erfreut wurde. Da ging ihm dann das Herz auf, und er fühlte sich zu einer größeren Freigebigkeit als gewöhnlich angetrieben. Also legte er für [368] den Amtmann einen übergewaltigen Braten auf die Platte, und bekränzte ihn noch mit einem halb Dutzend stattlicher Würste. Die Bäuerinn, welche scheel sah zu einer so mächtigen Bescheerung, haderte deßhalb mit dem Manne, und meinte, man könne wohl noch einige Pfunde vom Fleische weghauen und ein Paar Würste zurückbehalten, es sey doch noch eine Metzelsuppe, die Dank verdiene. So sehr der Mann sonst gewohnt war, seinem Weibe zu folgen, so bestand er doch dießmal auf seinem Willen. „Man kann,“ sagte er, „nicht wissen, wo man den Schelmen braucht.“ – Somit gab das Weib nach, und der zwölfjährige Knabe wurde mit dem Ehrengeschenk abgeschickt.
Der Amtmann empfing die Spende mit sichtbarem Wohlgefallen, und rief seiner Hausfrau, sie dem Knaben abzunehmen und in der Speisekammer zu bewahren. Drauf wendete er sich an den Knaben und sprach: „dießmal hat sich dein Vater recht angegriffen! was hat denn die Mutter dazu gesagt?“ – „Die Mutter,“ erwiederte jener, „wollte noch etwas davon thun, aber der Vater gabs nicht zu.“ – „Das ist ein Ehrenmann, dein Vater,“ fuhr der Amtmann fort, „der weiß, was der Brauch ist.“ – „Das muß er wohl wissen,“ fiel der Knabe ein, „denn er sagte: man kann nicht wissen, wo man den Schelmen [369] braucht. Darum hat er euch ein so großes Stück Fleisch und so viele Würste geschickt.“
Da heißt es wohl, Kinder sagen die Wahrheit. Der Knabe wird wohl kein großes Trinkgeld erhalten haben. Eben so wenig auch jener, der in einem Landstädtchen dem Dekan (im Würtembergischen Special genannt) von seinem Vater ein Spanferkel zu bringen hatte, und da er den Mann, der in der Schule immer so eiferte und zankte, ansichtig wurde, ihn in Verwirrung und Seelenangst also anredete: „Guten Abend Herr Spanferkel, da schickt mein Vater ein Speciälchen.“
Schiffsgespräch.
Mit seinem Maulthier trat ein Kapuziner
In einer Fähre schmalen Raum,
Und hielt das scheue Thier mit vieler Müh am Zaum.
Nun war zugleich ein Unterdiener
Ein Mann, als Spötter weit und breit
Im Land umher bekannt, mit eingestiegen,
Der, weil er nie die Zunge zu besiegen
Im Stande war, auch jetzt dem Drang nicht widerstand:
Ist recht geschickt dieß Aemtlein zu verwalten,
Und im Respekt den Esel zu erhalten;
Mir dünkt, Sie kennen längst sich schon.
Doch wollen Sie Ihr Werk noch krönen,
Und dieß vermag vielleicht des Zuspruchs milder Ton.“
„Freund,“ sagte jener drauf, „ich halt’ Ihr Wort in Ehren!
Doch wenn Sie selbst in diesem Falle wären,
Ein Seil um Ihren Hals gefügt,
Und einen Kapuziner an der Seite –
Ich wette meinen Esel, Herr, noch heute,
Sie würden in des Schreckens Pein,
Wie er, dem Zuspruch unzugänglich seyn.“
Und fühlte sich beschämt und überrascht.
Am schnellsten wird sich mancher Angriff enden,
Wenn man des Gegners Kopf mit solcher Lauge wascht.
Kannst du der Lacher Schwarm auf deine Seite bringen,
Die Einladung.
Zween Bürgermeister gingen brüderlich
Vom Rathhaus, wo zur Steuer sie gesessen.
Da sprach der Eine: „Freund, ich lade dich
Auf diesen Mittag ein zum Essen.
Und einem Gläschen guten Wein
Kann man die Arbeit schon vergessen.“ –
Der andre sprach: „Das mag wohl seyn,
Doch lüd’ ich dich heut selber ein,
Mein Weib gekocht, zum voraus wissen,
Darnach, mein Theurer, frag’ ich nie,
Mir ists genug, daß ich am Tisch mich labe.
Johann! weißt du nicht, was ich habe?“
„Herr, einen Kalbskopf haben Sie.“