Schwere Arbeit

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Autor: H. P.
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Titel: Schwere Arbeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 253, 260
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[253]

Schwere Arbeit.
Nach dem Gemälde von Henry Bacon.

[260] Schwere Arbeit. (Zu dem Bilde S. 253.) Wir befinden uns an der Küste der Normandie, deren Bewohner – mit Ausnahme einiger weniger in den großen und kleinen Seebädern – ihren Lebensunterhalt lediglich dem Kampfe mit dem Meere verdanken. Die Fischerei ist aller Orten ein mühsames Gewerbe, das seinen Mann nur kümmerlich ernährt; aber merkwürdigerweise findet man in keinem andern Stand noch Gewerbe so zufriedene und stillheitere Gemüther wie gerade bei der Fischerei. Die normännischen Fischer besonders zeichnen sich durch fröhliche Genügsamkeit aus; sie sind ein liebenswürdiges Völkchen, das die schwerste Arbeit mit guter Laune unternimmt.

Eine schwere Arbeit ist es in der That, ein heimkehrendes Boot zu „debarkieren“, wie es unser Bild zeigt. Ein großer Theil der nordfranzösischen Küste hat nämlich keinen guten Ankergrund, es fehlt der Sand, in dem der fallende Anker tief eingreifen könnte; statt dessen ist der Meeresboden und der ansteigende Küstensaum mit einer hohen Schicht kleiner flacher Steine bedeckt, die nicht nur dem Anker jeden festen Halt verwehren, sondern auch das verankerte, mit der Fluth auf- und niederschwankende Fahrzeug beschädigen würden. Es ist daher nöthig, jedes „einkommende“ Schiff zu „debarkieren“, d. h. auf den trockenen Strand zu bringen. Freilich fehlt es den Schiffern bei diesem Geschäft an Dampfwinden und sonstigen kostspieligen Maschinen, sie benutzen vielmehr die allerursprünglichste Winde, die es geben kann, den „capstan“ oder „cabestan“, ein höchst einfaches Holzgerüst, dessen mittlerer, sehr kräftiger Stamm durch eingeschobene „Bäume“ gedreht werden kann. Die bewegende Kraft wird von menschlichen Armen geliefert. Sobald ein herannahendes Fischerboot vom Strande aus bemerkt wird, kommt die ganze Verwandtschaft des Bootes bei dem „cabestan“ zusammen, von den Kartoffeläckern eilen die Frauen herbei, Greise rappeln sich auf, und die Kinder lassen in der Dorfstraße ihre Spiele im Stich: gilt es doch, das theuerste Gut der Familie, das Boot, in Sicherheit zu bringen.

Die Schaluppe hat inzwischen ihre Segel gestrichen und ihren Bug geradeaus dem Lande zugekehrt. Sobald sie leise den Grund berührt, steht auch schon an der Wasserkante ein Mann mit einem Tau bereit, das von der Schaluppenbesatzung an dem unteren Bug des Schiffes befestigt wird. Droben am Strande ist unterdeß das andere Ende des Taus um die Winde gelegt worden, die „Bäume“ sind eingesteckt und es beginnt nun der lustigste Rundlauf um die Winde, an dem unter Singen und Pfeifen alles theilnimmt, was gesunde Lungen und brauchbare Beine hat. Das Vergnügen dauert aber nur einige Minuten, alsdann ist das schlaffe Tau so weit aufgewunden, daß es die Last des Schiffskörpers spürt, es beginnt sich straff zu spannen, es knarrt und ächzt. Das ist der Zeitpunkt, wo die Kinder und die Schwachen die Runde verlassen und die Erwachsenen und Starken ihre Kräfte doppelt anstrengen. Jetzt geht es nur noch sehr langsam rundum, tiefe Stille ist eingetreten, denn jeder Athemzug wird in Zugkraft verwandelt. Die Schaluppe muß dem Taue folgen. Zunächst schwankt sie auf den letzten heranzüngelnden Wellen, während ihr eisenbeschlagener Bug im Geschiebe knirscht. Hat aber ihr Kiel das trockene Land berührt, dann stehen schon die Kinder mit geölten Rundhölzern bereit, die sie unter den Kiel legen, und zugleich ist der Führer der Bootsbesatzung herabgesprungen und sucht, indem er sich an der Bordswand in Taue hängt, durch seinen Körper das Gleichgewicht des Schiffes zu erhalten. Langsam, ganz langsam kriecht nun das Schiff aufs Trockene. Erst wenn es so hoch ist, daß es von den „Brechern“ (Brandungswellen) und auch von der gewöhnlichen „Tide“ (Fluth) nicht erreicht werden kann, löst man es von seiner Fessel und hat nichts dagegen, wenn es sich seitwärts neigt, um in dieser Lage ruhig zu verharren, bis es die nächste Fahrt antreten muß.

Als ich das erste Mal den Vorgang des Debarkierens an der normännischen Küste beobachtete (es war zwischen Fécamp und Etretat), redete ich eine junge Frau an, die sich die hellen Schweißtropfen von der Stirn wischte, – sie hatte nämlich tapfer mitgezogen.

„Das ist harte Arbeit! Wie?“ fragte ich.

„Ah, Madame, das ist ein Vergnügen!“ war die Antwort.

„Ein Vergnügen?“

„Ja, Madame, denn mein Pierre und ich erinnern uns jedesmal des Tages, da er mir zum ersten Male half, die Schaluppe meines Vaters zu debarkiereu.“

„Ah,“ machte ich, verständnißvoll einen Blick auf den nebenher schreitenden Pierre werfend.

In der Folge fand ich es bestätigt, daß junge Liebhaber, die zufällig nicht mit „auf der Fahrt“ sind, ihre Liebe dadurch zu erkennen geben, daß sie dem geliebten Mädchen beim Debarkieren, also bei der schwersten Arbeit, helfen; ein Liebesbeweis, der es verdient, tieferen Eindruck hervorzubringen, als das „Fensterln“ der Burschen im Hochgebirge. H. P.