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Seite:Über die Verfassung des deutschen Reiches.djvu/101

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zu den Bundesgenossen oft ebenso weit geht, als die des Reichstags im Verhältniß zu den Ständen. Man denke nur im Alterthum an den Bund der Amphiktyonen und an den der Achäer, in der Neuzeit an die vereinigten Niederlande und die Schweiz.

Ein weiteres Kennzeichen einer wahren Aristokratie ist, daß Niemand über jener höchsten Versammlung steht, die einzelnen Mitglieder derselben aber zu ebenso unbedingtem Gehorsam gegen die Mehrheitsbeschlüsse verpflichtet sind, wie jeder andere Bürger, so daß der höchste Rath auch gegen seine Mitglieder das Recht über Leben und Tod hat. Die Libertät der deutschen Stände läßt ein solches Verhältniß nicht zu. Weiter haben in einer Aristokratie die herrschenden Geschlechter zwar ihr Privatvermögen, das oft bei weitem bedeutender ist, als das der anderen Bürger, aber ihr Vermögen ist wie das aller übrigen Staatsbürger den von dem hohen Rath erlassenen gesetzlichen Bestimmungen unterworfen. In Deutschland dagegen giebt es einmal außer dem Vermögen der einzelnen Stände ein Vermögen der Gesammtheit überhaupt nicht, sodann aber würde man es sehr übel nehmen, wenn Jemand behaupten wollte, die Gesammtheit der Stände habe in Bezug auf die Güter der Einzelnen so viel Rechte, wie in der durchlauchtigsten Republik Venedig[1] der ganze Senat in Bezug auf die Güter der einzelnen Senatoren.

Nun berufen sich die Vertheidiger der Aristokratie noch auf ein Wort des Erzbischofs Albert von Mainz, der, als es sich um die Wahl Karls V. und Franz I. handelte, gesagt haben soll, Franz wünsche eine monarchische Verfassung, Deutschland aber müsse an der aristokratischen festhalten. Aber wie kann man dem Worte dieses Kirchenfürsten eine so präcise staatswissenschaftliche Deutung geben wollen? Zumal der Sinn seiner Worte trotz des nicht ganz zutreffenden Ausdruckes doch klar ist. Sie sollten nur besagen, wenn die deutschen Fürsten ihre Libertät und Unabhängigkeit behaupten wollten, so sollten sie sich vor dem französischen Könige hüten, welcher im eigenen Lande eine rein monarchische Regierung anstrebe und in Deutschland sicher das gleiche versuchen werde.

§. 6. Deutschland ist auch keine Monarchie.

Sehen wir nun zu, ob Deutschland eine Monarchie genannt werden kann. Die Monarchieen theilt man in zwei Klassen, absolute und beschränkte. In ersteren hat der Monarch allein, welchen Titel er auch führen mag, die Befugniß, alle Staatsangelegenheiten selbstständig zu entscheiden; in letzteren dagegen ist er bei der Ausübung der Regierungsrechte an bestimmte Bedingungen gebunden. Diesen Unterschied aber muß man nicht aus den Augen lassen, wenn man nicht die uns vorliegende Frage ganz falsch lösen will. Denn Viele glauben, wenn sie nachweisen, Deutschland sei keine absolute Monarchie, damit auch schon die Frage, ob es denn eine beschränkte sei, erledigt zu haben.

Thöricht wäre es nun in der That, den deutschen Kaiser einen absoluten Monarchen in Bezug auf das Reich zu nennen[2]; und die Gründe,

  1. Für diese fünf Worte setzt Ed. posth. „in jeder wahren Demokratie“, wobei das letzte Wort jedenfalls nur ein Druckfehler für Aristokratie ist.
  2. So Reinking, Stamler, Schoock u. A.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/101&oldid=- (Version vom 1.8.2018)