- das könnte man noch allenfalls ertragen - sondern gegen Glieder des deutschen Reiches selbst abgeschlossen.
Ferner sind Recht und Gericht in Deutschland fast verschwunden. Denn wenn bei Streitigkeiten der Stände untereinander (wie sie in Folge der großen Zahl der Stände und bei ihren sich durchkreuzenden Territorien oft genug vorkommen) der Proceß vor dem Kammergericht angestrengt wird, so kann man eine Entscheidung nicht vor einem Jahrhundert erwarten. Beim Reichshofrath aber fürchtet man, daß parteiisch geurtheilt wird, da die Richter der Bestechung zugänglich sind und vor allem das österreichische Interesse wahrnehmen. So kommt es, daß in Deutschland Macht vor Recht geht und daß der Mächtige mit Waffengewalt sein Recht erweist und durchsetzt.
Endlich tritt die Schwäche Deutschlands klar zu Tage in dem Mangel eines gemeinsamen Reichsschatzes und eines stehenden Reichsheeres, dessen man sich zur eigenen Vertheidigung, aber auch zur Eroberung eines Landes bedienen könnte, um von den Einkünften desselben die gemeinsamen Ausgaben zu bestreiten. Welch ein Vortheil für das Vaterland wäre allein schon das, wenn Deutschland die vielen Soldaten, welche, zu friedlichem Leben nicht geschaffen, in ganz Europa ihre Dienste feilbieten, für seine eigenen Zwecke verwenden könnte.
Abgesehen von alle dem bestehen unter den Ständen viele unausgetragene Streitigkeiten, welche das Reich in sich spalten. Ich will hier nur einige der wichtigsten erwähnen.
Gegen Oesterreich sind alle Stände neidisch oder voll Argwohn, weil sie ihm den langjährigen Besitz der Kaiserkrone nicht gönnen und seine übergroße Macht fürchten. Zwischen Bayern und Kurpfalz besteht eine alte Feindschaft, die in neuester Zeit bei dem Streite über das Reichsvicariat wieder zum Ausbruch gekommen ist. Und das Ende des Streites ist gar nicht abzusehen, da das Recht auf Seiten von Kurpfalz, die Macht auf Seiten Bayerns ist. Im sächsischen Hause sind die ernestinische und die albertinische Linie wegen der Uebertragung der Kurwürde von der ersteren auf die letztere mit einander verfeindet. Brandenburg kann es den Schweden nie verzeihen, daß sie ihm einen Theil von Pommern vorenthalten. Kurpfalz ist mit seinen Nachbaren wegen mancherlei Rechte in Streit, die es in ihren Gebieten ausübt, und um deren Willen es unlängst zum Kampfe gekommen ist.[1] Im hessischen Hause werden die alten Streitigkeiten über Marburg kaum schon vergessen sein. Brandenburg und Pfalz-Neuburg haben sich wegen der jülichschen Erbschaft noch immer nicht völlig geeinigt.
Und wer möchte all’ die weniger wichtigen Streitfragen aufzählen die hier genannt werden könnten. Haben so selbst leere Rangunterschiede und Ceremonialfragen Fürsten und Stände dauernd verfeindet. Bei allen diesen Spaltungen und inneren Krankheiten vergißt man fast den langsamen
- ↑ Gemeint ist der Wildfangstreit. (Vgl. oben S. 79. Anm. 2.)
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)